Richard Traunmüller. Religiöse Vielfalt, Sozialkapital und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Religionsmonitor verstehen was verbindet

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Transkript:

Richard Traunmüller Religiöse Vielfalt, Sozialkapital und gesellschaftlicher Zusammenhalt Religionsmonitor verstehen was verbindet

Religiöse Vielfalt, Sozialkapital und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Religiöse Vielfalt, Sozialkapital und gesellschaftlicher Zusammenhalt Richard Traunmüller Verlag BertelsmannStiftung

Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2014 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh Verantwortlich: Stephan Vopel, Dr. Berthold Weig, Yasemin El-Menouar Lektorat: Gesine Bonnet, Wiesbaden Herstellung: Sabine Reimann Umschlaggestaltung: Elisabeth Menke Umschlagabbildung: Golden Pixels LLC/Corbis Fotos: Deutscher Evangelischer Kirchentag, Fulda (Redaktion), Zwijeta/iStockphoto (S.85) Satz und Druck: Hans Kock Buch- und Offsetdruck GmbH, Bielefeld ISBN 978-3-86793-558-6 www.bertelsmann-stiftung.de/verlag 4

Religiöse Vielfalt, Sozialkapital und gesellschaftlicher Zusammenhalt Inhalt Vorwort 6 Einleitung 8 1. Religiös brückenbildendes Sozialkapital in Deutschland und im Ländervergleich 12 1.1 Die Religiosität sozialer Beziehungen 14 1.2 Die religiöse Vielfalt sozialer Beziehungen 21 2. Individuelle Merkmale und religiös brückenbildendes Sozialkapital 30 2.1 Soziodemographische Merkmale und soziale Beziehungen 30 2.2 Individuelle Religiosität und soziale Beziehungen 36 2.3 Werte und soziale Beziehungen 42 3. Gesellschaftliche Faktoren religiös brückenbildenden Sozialkapitals 46 3.1 Religiös-kulturelle Faktoren 46 3.2 Ökonomische Faktoren 51 3.3 Sozialstrukturelle Faktoren 54 3.4 Politische Faktoren 59 4. Konsequenzen religiös brückenbildenden Sozialkapitals 64 4.1 Soziales Vertrauen 65 4.2 Religiöse Toleranz und Akzeptanz religiöser Vielfalt 72 5. Fazit: Die Gelegenheiten sind maßgeblich 84 Abstract 88 Anhang 92 Literatur 117 Der Autor 120 5

Vorwort Vorwort Wir Menschen sind grundlegend auf ein Leben in der Gemeinschaft hin orientiert. Wir brauchen den persönlichen Kontakt zur Familie, zu unseren Freunden sowie das Miteinander in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz. Für den Zusammenhalt gerade in einer Gesellschaft, die von Vielfalt geprägt ist kommt es darauf an, dass möglichst viele über vertrauensvolle und stabile Verbindungen zu ihren Mitmenschen verfügen. Die Qualität unseres Lebens hängt entscheidend von diesen Beziehungen ab. Bei meinen Reisen und im Austausch mit ganz unterschiedlichen Menschen habe ich gelernt, dass der zwischenmenschliche Austausch keinesfalls an religiösen oder kulturellen Grenzen endet. Die persönliche Begegnung ist die Wurzel für Dialog und Verständigung, weil sie uns einander als Menschen näher bringt. Nötig sind überdies geteilte Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Toleranz sowie eine grundsätzliche Neugier und Offenheit gegenüber dem zunächst Fremden. Die Frage, wie über religiöse und kulturelle Unterschiede hinweg Bindung wachsen und Zusammenhalt gedeihen kann, stellt sich gerade auch in einer Gesellschaft wie der unsrigen, die durch eine Vielfalt der Lebensstile und Weltanschauungen geprägt ist. Brückenschläge zwischen vermeintlich Ungleichen haben für den Zusammenhalt in pluralen Gesellschaften einen besonderen Wert. Bislang wissen wir allerdings wenig darüber, wie sich die sozialen Beziehungen zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen hierzulande und in anderen Ländern tatsächlich gestalten. Mit den Daten des Religionsmonitors 2013 ist es erstmals möglich, Antworten auf diese Frage zu geben und ein detailliertes, empirisch fundiertes Bild der religiösen und interreligiösen Beziehungsnetze zu zeichnen. In die Auswertung, an der Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Disziplinen mitgewirkt haben, sind die Antworten von 14.000 Menschen aus 13 Ländern auf rund 100 Fragen eingeflossen. Jeder dieser Menschen hat sich ganz persönlich zu seinen Überzeugungen, Einstellungen und Verhaltensweisen geäußert. Die Befragten stehen aber auch repräsentativ für Millionen von Menschen rund um den Globus. In der vorliegenden Untersuchung konzentrieren wir uns auf die Frage, wie stark die Brücken zwischen verschiedenen Religionen sind und wie Religion zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen kann. Wie wirkt sich zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion darauf aus, mit wem wir unsere Freizeit verbringen und mit wem wir zusammenarbeiten? Und in welchem Zusammenhang stehen interreligiöse soziale Netzwerke zu zentralen Werten wie Toleranz und der Akzeptanz von Vielfalt? 6

Religiöse Vielfalt, Sozialkapital und gesellschaftlicher Zusammenhalt Unsere Analyse zeigt, dass die religiöse Vielfalt für die meisten Deutschen inzwischen zum ganz normalen Alltag gehört. Und sie bestätigt aus wissenschaftlicher Sicht die Erkenntnis: Dort, wo sich Menschen begegnen, miteinander ins Gespräch kommen und sich persönlich kennenlernen, gelingt es am ehesten, Gräben zu überwinden und Brücken zu schlagen. Dafür gilt es Gelegenheiten zu schaffen. Dieses Anliegen ist umso wichtiger, da in der Öffentlichkeit Problemlagen das Bild religiöser Minderheiten beherrschen. Manche befürchten die Herausbildung von Parallelgesellschaften, die sich vom Rest der Gesellschaft abschotten und entfremden. Gewarnt wird davor, dass das Fundament für gesellschaftlichen Zusammenhalt verloren geht, wenn die Vielfalt zunimmt. Wenn man die Menschen selbst fragt, erzählen sie jedoch auch von ganz anderen Erfahrungen: Von der Mutter mit muslimischem Kopftuch etwa, die ihre Kinder ganz selbstverständlich auf dem Sankt-Martins- Umzug der Schule begleitet. Oder von dem türkischstämmigen Kollegen, der auf dem Nachhauseweg noch ein fröhliches Weihnachtsfest wünscht. sich für mich auch die Frage, was wir von den Migranten lernen können in Bezug auf die Fähigkeit, Neugier und Interesse für andere Kulturen zu zeigen und das Gemeinsame jenseits offensichtlicher Unterschiede zu entdecken. Religion bietet den Menschen in aller Welt Orientierung und Halt. Sie kann darüber hinaus auch eine Kraft sein, die Menschen miteinander verbindet und sie in die Lage versetzt, sich für die Gemeinschaft und andere Menschen einzusetzen. Religion sollte daher auch eine entscheidende Rolle spielen auf dem Weg zu einem guten und friedvollen Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Prägung. Wenn wir auch zukünftig in Vielfalt und Freiheit miteinander leben wollen, dann müssen wir Religion und die Beziehungen zwischen Religionen in ihrer Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung besser verstehen. Ich wünsche mir, dass der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung und die hier vorliegende Untersuchung dazu einen nachhaltigen Beitrag leisten. Die meisten Menschen, die mit ihren Familien aus anderen Ländern eingewandert sind, zeigen in hohem Maße die Bereitschaft zum Brückenschlagen. Daher stellt Liz Mohn Stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Bertelsmann Stiftung 7

Einleitung Einleitung INFO Was meint»gesellschaftlicher Zusammenhalt«? In einer eigenen Studie hat die Bertelsmann Stiftung untersucht, wie es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland bestellt ist. Dabei wurde eine Definition zugrunde gelegt, nach der gesellschaftlicher Zusammenhalt ganz allgemein»ein Qualitätsmerkmal von Gesellschaften [ist], das drei Dimensionen hat. Zunächst geht es darum, dass Menschen sich mit dem Gemeinwesen emotional verbunden fühlen (Verbundenheit). Des Weiteren müssen die Mitglieder in einem funktionierenden Gemeinwesen miteinander interagieren und tatsächlich an den politischen und sozialen Prozessen teilhaben: Es muss stabile und vertrauensvolle soziale Beziehungen geben. Letztlich müssen die Menschen füreinander und für das Gemeinwesen insgesamt Verantwortung übernehmen (Gemeinwohlorientierung). Wenn von gesellschaftlichem Zusammenhalt die Rede ist, sind damit immer Verbundenheit, soziale Beziehungen und Gemeinwohlorientierung gemeint.«(bertelsmann Stiftung 2012) Wachsender religiöser Pluralismus ist heute in nahezu allen westlichen, aber auch in vielen sich entwickelnden Gesellschaften zu einer zentralen sozialen und politischen Herausforderung avanciert. Die neue Vielfalt speist sich zum einen aus Einwanderungsprozessen und der damit einhergehenden stärkeren Sichtbarkeit religiöser Minderheiten. Zum anderen trägt aber auch die wachsende Zahl derer, die überhaupt keiner Religion (mehr) angehören, zu einer weitergehenden weltanschaulichen Pluralisierung bei. Welche Folgen die neue religiöse Vielfalt für das soziale Miteinander, die politische Stabilität und die ökonomische Leistungsfähigkeit moderner Gesellschaften hat, hängt ganz entscheidend davon ab, in welcher Form sie sich im Alltagsleben und den sozialen Beziehungen der Menschen niederschlägt. Bleiben Religiöse und Nicht- Religiöse oder Anhänger unterschiedlicher Religionen nur unter ihresgleichen und vermeiden den Kontakt zu anderen Gruppen, sodass sich religiöse Parallelgesellschaften bilden und es zu gesellschaftlichen Konflikten kommt? Oder passen sich die Lebenswelten der Menschen an den neuen religiösen Pluralismus an und wird interreligiöser Kontakt so zu einer alltäglichen Normalität, die in einem friedlichen, von gegenseitiger Toleranz geprägten Miteinander resultiert? Die vorliegende Studie nimmt die gesellschaftspolitische Herausforderung des neuen religiösen Pluralismus zum Anlass, um die Rolle von Religion und religiöser Vielfalt für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland in ländervergleichender Perspektive zu untersuchen. Dabei steht die Situation in Deutschland im Vordergrund des analytischen Interesses. Der Blick in andere nationale Kontexte erlaubt es jedoch, auf Besonderheiten oder eine mögliche Generalisierbarkeit der deutschen Befunde zu schließen. Zudem lassen sich aus den Erfahrungen und Beispielen anderer Gesellschaften auch Lehren oder zumindest Anregungen für den erfolgreichen Umgang mit religiöser Vielfalt in Deutschland ziehen. Es lassen sich drei Dimensionen gesellschaftlichen Zusammenhalts unterscheiden (siehe Infokasten). Im Rahmen des Religionsmonitors 2013 (Bertelsmann Stiftung 2013a) wurden vor allem die sozialen Beziehungen untersucht, die oftmals auch als das»sozialkapital«einer Gesellschaft bezeichnet werden. Nach dem Konzept des Sozialkapitals stellen soziale Netzwerke wichtige Ressourcen dar, von denen sowohl Individuen als auch Gemeinden, Regionen oder Nationen profitieren können (Coleman 1990, Putnam 1993, 2000). Damit wird zum Ausdruck ge- 8

Religiöse Vielfalt, Sozialkapital und gesellschaftlicher Zusammenhalt bracht, dass soziale Beziehungen zwischen den Menschen einen gesellschaftlichen Wert besitzen. Der Sozialkapitalansatz stellt aber auch einen begrifflichen Bezugsrahmen bereit, mit dem verschiedene Ausprägungen der Sozialintegration auf differenzierte Weise erfasst und in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung untersucht werden können. Die für die vorliegende Studie leitende theoretische Differenzierung folgt dabei der Unterscheidung von»brückenbildenden«(bridging) und»bindenden«(bonding) Formen des sozialen Zusammenhalts. Diese Unterscheidung bezieht sich auf die Homogenität beziehungsweise Heterogenität der sozialen Kontakte einer Person und ist damit gerade für die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts unter den Bedingungen einer sich zunehmend pluralisierenden (Einwanderungs-) Gesellschaft von entscheidender praktischer und öffentlicher Bedeutung. Brückenbildendes Sozialkapital bezeichnet jene sozialen Netzwerke, in denen Menschen miteinander in Beziehung stehen, die sich hinsichtlich ihrer sozialen Merkmale, also etwa hinsichtlich ihres Status oder ihrer Identität, unterscheiden. Dies schließt Freundschaften zwischen religiösen und nicht-religiösen Personen ebenso ein wie interreligiöse Kontakte in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind diese Formen sozialer Netze deshalb so wertvoll, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes Brücken zwischen verschiedenen religiösen Gruppen schlagen und sie auf diese Weise zu einem gemeinsamen gesellschaftlichen Ganzen integrieren. Der regelmäßige soziale Kontakt mit Menschen, die andere religiöse Ansichten haben oder einer gänzlich anderen religiösen Tradition angehören, legt außerdem die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen und fördert Werte wie Toleranz und Akzeptanz religiöser Vielfalt (Mutz 2002, Putnam und Campbell 2010). Auf diese Weise werden die Menschen in die Lage versetzt, die Herausforderungen des neuen religiösen Pluralismus zu bewältigen. Natürlich tragen auch die Sozialbeziehungen, die die Beteiligten aufgrund von Ähnlichkeit miteinander verbinden, durchaus zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. So stellen gerade Religionsgemeinschaften, in denen definitionsgemäß alle Mitglieder einen gemeinsamen Glauben teilen, eine wichtige Quelle von Gruppensolidarität, Geborgenheit und sozialer Unterstützung dar. Bindendes Sozialkapital kann jedoch auch mit Abschottungstendenzen, Intoleranz und Misstrauen gegenüber Außenstehenden einhergehen und somit gesamtgesellschaftliche Nachteile nach sich ziehen (Fukuyama 1995, Uslaner 2002). Wenn in öffentlichen Debatten von religiösen Par- INFO Der Begriff des Sozialkapitals Sozialwissenschaftler erfassen mit dem Begriff Sozialkapital den Wert sozialer Beziehungen. Von Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen»brückenbildenden«und»bindenden«formen des sozialen Zusammenhalts. Erstere bezeichnen Netze zwischen Menschen, die sich in ihren sozialen Merkmalen wie etwa ihrer Religionszugehörigkeit unterscheiden. In bindenden Netzen hingegen kommen Menschen zusammen, die etwas teilen etwa einen gemeinsamen Glauben. Beides sind Formen von Sozialkapital. Eine zunehmend plurale Gesellschaft ist jedoch insbesondere auf brückenbildende Netze angewiesen, da bindende Formen des Zusammenhalts mit einer Abschottung und mit Intoleranz gegenüber»den Anderen«einhergehen können. 9

Einleitung allelgesellschaften gesprochen wird, dann ist von dieser abgrenzenden Form von Sozialintegration die Rede. Statt miteinander leben verschiedene religiöse Gruppen dann im besten Fall einfach nebeneinander her. Im schlimmsten Fall kommt es zu Konflikten und Gewalt. Die vorliegende Studie ist in vier Teile eingeteilt, die jeweils unterschiedliche Analyseperspektiven einnehmen. In einem ersten Schritt erfolgt eine rein beschreibende Bestandsaufnahme der religiösen Zusammensetzung sozialer Beziehungsnetze sowohl hinsichtlich der tatsächlichen Religiosität als auch der religiösen Vielfalt in Deutschland und im internationalen Vergleich. In einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, welche individuellen soziodemographischen, religiösen und einstellungsbezogenen Merkmale mit religiös brückenbildendem Sozialkapital zusammenhängen. Der dritte Teil nimmt eine Makroperspektive ein und fragt nach den religiös-kulturellen, ökonomischen, sozialstrukturellen und politischen Faktoren, die mit der Religiosität und religiösen Vielfalt sozialer Beziehungen in Verbindung stehen. Im vierten Kapitel werden schließlich die sozialen Wirkungen betrachtet, die sich aus der religiösen Zusammensetzung und dem brückenbildenden Charakter der sozialen Kontakte ergeben. Eine kurze Zusammenfassung hält jeweils die zentralen Befunde fest. Für die Auswertung, Analyse und Interpretation der Daten des Religionsmonitors 2013 im Rahmen dieser Studie danken wir dem Autor Richard Traunmüller. Stephan Vopel Director Programm Lebendige Werte der Bertelsmann Stiftung Dr. Berthold Weig Senior Project Manager Projekt Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung 10

Der Autor Der Autor Richard Traunmüller Seit 2013 Research Fellow am Department of Government der University of Essex/GB. 2011 Promotion zum Thema»Religion und Sozialkapital«an der Universität Konstanz. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Politische Soziologie, Sozialkapital und Zivilgesellschaft, Religion und Politik, Religionssoziologie sowie quantitative Forschungsmethoden. 120