Gedenkworte zur Pogromnacht 9. November 2016, 11.00 Uhr, Plenarsaal des Rathauses Es gilt das gesprochene Wort Herr Oberbürgermeister, Herr Minister, lieber Herr Dr. Horowitz, verehrter Herr Professor Arom als Zeitzeuge, meine Damen und Herren! I. Anton Betz, der spätere Begründer der Rheinischen Post, schilderte seine Erlebnisse in der Pogromnacht wie folgt: Wir sahen, wie ein Klavier aus dem dritten Stockwerk auf die Straße geworfen werden sollte. Es war im Fenster hängengeblieben, so dass die SA den ganzen Fensterstock zerstörte und das Klavier mit Wucht und unter großem Gejohle auf der Straße aufschlug.
2 Der Düsseldorfer Shoa-Überlebende John Hermann Herz hat 1977 im Interview mit Angela Genger von den Zerstörungen im Elternhaus in der Pogromnacht erzählt. Er hat dabei auch auf den Galgenhumor derjenigen verwiesen, die letztlich mit dem Leben davongekommen waren. Ein grausiger Witz der Zeit lautete: Was hat drei Beine, ist schwarz und fliegt durch die Luft? Antwort: Ein jüdischer Flügel! So wie der Flügel der Familie Herz und das Klavier bei den jüdischen Nachbarn von Anton Betz sind zahllose wertvolle Musikinstrumente von den braunen Schlägertrupps zerhackt und zertreten worden. Dasselbe galt für die Zerstörung von Erstausgaben deutscher Literaten oder von Gemälden deutscher Maler. Bei all den Überfällen und Brandstiftungen offenbarte sich neben all den Grausamkeiten auch die absolute Kulturlosigkeit der von den Nationalsozialisten angeheuerten Schläger. So beschreibt es Hildegard Jakobs von der Mahn- und Gedenkstätte in einem Aufsatz, der Beispiele für die Zerstörung wertvoller Kulturgüter in der Pogromnacht in Düsseldorf aufzeigt. Viele Juden, so Hildegard Jakobs, die geradezu eine innige Beziehung zu Deutscher Kultur, Musik, Literatur und Sprache hatten,
3 versuchten durch kulturelle Veranstaltungen im Privaten und durch Musizieren dem immer bedrohlicher werdenden Alltag zumindest ein Stück zu entgehen. Deshalb kam die Zerstörung der geliebten Instrumente in der Pogromnacht für viele einer Zerstörung von Leib und Leben gleich. Wir alle wissen: Die Novemberpogrome wurden zum Wendepunkt und Auftakt der dann folgenden beispiellosen Vernichtung von jüdischem Leben unvorstellbaren Ausmaßes. Sechs Millionen Menschen! II. Sehr verehrter Herr Professor Arom, mit Ihnen heute einen Zeitzeugen in Düsseldorf begrüßen zu können - 1930 in dieser Stadt geboren - gehört zu den kostbarsten Erlebnissen, die wir, die Generation der Enkel und Urenkel, noch erfahren dürfen. Wir haben das auch soeben im Beitrag der Schülerinnen und Schüler eindrucksvoll erlebt. Sie haben als Überlebender nach der Shoa als Hornist in Orchestern eine große Musikkarriere begonnen und als bedeutender Musikethnologe in Afrika gewirkt. Sie haben damit Kulturwissen und Kulturgut in die Welt getragen, das die Nazis vergeblich zu zerstören versucht haben.
4 Ich bin zutiefst dankbar, dass meiner Generation und mir solche Begegnungen immer noch möglich sind. III. Verpflichtend bleibt für uns das, was wir heute tun können: mahnen und erinnern - heute an die Novemberpogrome von 1938. Der 9. November ist und bleibt, wie der im letzten Jahr an seinem 85. Geburtstag verstorbene große Historiker Hans Mommsen so treffend beschrieb: Ein Tag der Schande und eine unerklärliche Verirrung eines Kulturvolks in Mord und Lynchjustiz. Warum haben sich so viele vom Hass anstecken lassen und mitgemacht? Und warum waren es nur so wenige, die mutig widerstanden haben? Diese Fragen stellen wir uns immer wieder, doch jeder Antwortversuch bleibt unzulänglich. Das Gedenken und die Erinnerung an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte sind meiner Generation und allen folgenden dauerhaft aufgegeben.
5 Es werden niemals inhaltlose, lästige Rituale oder Inszenierungen sein, sondern Zeichen einer lebendigen und starken Demokratie, wie es uns der unvergessene Paul Spiegel mit auf den Weg gegeben hat. Das ist mir als sein Vermächtnis und unsere historische Schlussfolgerung aus dem 9. November 1938 von herausragender Bedeutung. IV. Verehrter, lieber Oded Horowitz, wir haben im vergangenen Jahr gemeinsam das 70-jährige Bestehen des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Nordrhein im Plenarsaal des Landtags gefeiert. Damit haben wir in aller Öffentlichkeit demonstriert: Jüdisches Leben hat in Nordrhein-Westfalen seinen festen Platz und bereichert uns alle. Sie wissen, dass das für mich aber auch mehr als wichtige Symbolik war: Es war und ist Wertschätzung im Rahmen von Freundschaft und Zuneigung, wofür ich dankbar bin. Der jüdische Kalender lässt in diesem Jahr unsere gemeinsame Chanukka-Feier wegen der dann schon begonnenen Weihnachtsferien nicht zu. Aber wir werden die Kerzen Mitte
6 Dezember 2017 wieder anzünden als Zeichen für ein gelingendes und bereicherndes Miteinander. Ich danke Ihnen.