Nanuk - Im Zeichen des Bären Bearbeitet von Verena Kiefer, Ina Vandewijer 1. Auflage 2002. Buch. 144 S. Hardcover ISBN 978 3 312 00925 1 Format (B x L): 13 x 20,2 cm Gewicht: 233 g schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.
Ina Vandewijer Nanuk - Im Zeichen des Bären Übersetzt von Verena Kiefer ISBN-10: 3-312-00925-1 ISBN-13: 978-3-312-00925-1 Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.nagel-kimche.ch/978-3-312-00925-1 sowie im Buchhandel
Ich bin ziemlich hart aufgeschlagen und die Kälte macht es nur noch schlimmer. Der Mangel an Bewegung, der Druck des Windes und die Kraft der Kälte haben meine Arme und Beine erstarren lassen. Ich rappele mich auf und humpele zum Schneescooter. Wie kriege ich das Ding wieder hoch? Die Siedlung ist außer Sichtweite. Ich begutachte das Fahrzeug kurz. Es scheint alles in Ordnung zu sein, auch die Kufen. Jetzt den Schneescooter zurückkippen. Ich seufze, mein Atem bildet Wölkchen. Der Scooter rutscht weg, als ich versuche, ihn hochzuheben. Fehlschlag. Ich suche Schnee, der fest genug ist, um Widerstand zu leisten. Ich fange an zu schwitzen und zugleich wird mir bitterkalt unter meinem Parka. Wenn das so weitergeht, erfriere ich auf der Stelle. Ich darf vor allem meine Handschuhe nicht ausziehen und ich muss in Bewegung bleiben oder ich werde zur Eisskulptur. Großvater wird mich auslachen, wenn er von meiner Dummheit erfährt. Ajurpuk. Wenn ich es überhaupt noch selbst erzählen kann. Ich schaufle noch mehr Schnee gegen die Raupenkette. Festgetretener Schnee. Genau das ist es! Ich öffne meinen Hosenlatz. Das ist ungeheuer schwierig, denn der Schnee ist auf meinen Handschuhen zu Eis geworden. Ich pinkle ge-gen den aufgehäuften Schnee. Schnell. Es entspannt mich. Der Urin vermischt sich mit dem Schnee, bil-det einen gelblichen Brei und friert ein. Knallhart. Ich ziehe kräftig und alle Muskeln tun mir weh. Es muss klappen. Es muss! Meine Muskeln in den Beinen, den Armen und im Nacken zittern. Millimeter für Millimeter ziehe ich den Schneescooter über seinen Gleichgewichtspunkt. Gerade als ich am Ende meiner Kräfte bin, kippt er quälend langsam auf seine Raupenketten. Ich könnte vor Freude und Erschöpfung weinen, aber das geht nicht. Das Ding muss so schnell wie möglich starten. Ich will zurück, dorthin, wo ich nicht allein bin, dorthin, wo wieder eine Grenze ist und ich die Dinge um mich herum erkenne. Ein Haus, ein Dach, ein Mensch, eine Tasse heißen Tee. Ich spüre einen Kloß im Hals, reiße mich zusammen und versuche, den Schneescooter in Gang zu setzen. Der Motor stottert ein wenig, aber er springt nicht an. Ich versuche es erneut. Ich werde den Motor zum Absaufen bringen, hämmert die Leseprobe Seite 1
Angst in meinem Kopf, hinter meinen Augen. Ich werde ihn ersäufen. Oder ich mache die Batterie leer und dann kann ich es vergessen. Auch beim zweiten Versuch stottert der Motor. Diesmal ein wenig länger. Einen Augenblick warten. Ich schaue mich um. Angenommen, hier taucht ein Eisbär auf oder ein Wolf. Oder mehrere Wölfe. Gibt es hier Wölfe? Ich weiß es nicht. [...] "Es ist drei Uhr in der Nacht", sage ich mit besonderem Nachdruck auf dem Wort Nacht. "Draußen stürmt es. Ich sehe keine Hand vor Augen." "Na und? Anonek, der Sturm, wird sich bald legen. Wir sollten lieber gleich danach aufbrechen als vorher mit einem Schneescooter..." Ich werde feuerrot im Gesicht. Vor Scham, auch vor Wut. Warum ließen sie mich dann fahren, wenn sie wussten, dass ein Schneesturm im Anzug war? "Der kaniq kommt, wenn niemand es weiß. Und erst wenn er hier ist, wissen wir, dass er auch wieder geht." "Aber es ist doch viel angenehmer, sich in einem Haus aufzuhalten als draußen, wenn der kaniq kommt", kontere ich. "Inuk, der Mensch, kann das Haus nicht essen. Der Jäger kann nicht jagen in einem Haus", quengelt Großvater los. Er fordert mich heraus. Nicht nachgeben, sagt mein Verstand. "Ich bin mit dem Schneescooter gestürzt, Großvater. Und ich habe ihn beschädigt", sage ich kleinlaut. "Schon in Ordnung. Namaktok", sagt Großvater. "Bist du nicht böse?" "Da kann man nichts machen. Ein kleiner Mann muss lernen zu fallen. Wie ein Kind. Ein Kind muss Fehler machen. Für das nächste Mal hat es etwas aus seinem Fehler gelernt. Verstand wächst. Darum haben Kinder keine Sorgen. Die kommen später, wenn du viel gelernt hast." Ich denke an meine Schule in Montreal. Großvater sagt das so einfach. Man braucht es noch nicht einmal zu begreifen. Es ist so. Warum sagen Lehrer nicht ab und zu mal beschwichtigend, dass man ruhig mal Fehler machen darf? "Vorräte für die Hunde und für uns selbst. Viel Fett, Imenak." Ich hatte schon begriffen, dass man hier nicht gerade Diät hält. Großvater nimmt zwei schwere Gewehre aus dem Regal. Leseprobe Seite 2
"Nein, Großvater", sage ich entschieden. "Ich schieße nicht und ich werde nicht schießen." "Nie Hunger gehabt", sagt Großvater. "Genau. Deshalb. Hier gibt es genug zu essen. Warum nicht kaufen?" "Warum bezahlen für Essen, das hier schon seit Jahrhunderten vor unserer Nase herumläuft?" (Sinnloses Geschwätz. Großvater bekommt eine Rente von der Regierung. Er kann so viel Essen kaufen, wie er nur möchte.) "Hunde fressen, wenn sie Hunger haben. Dieser alte Mann hat neun junge Hunde. Und jetzt noch einen Jäger dazu." Leseprobe Seite 3