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Transkript:

Adolf Hölzel als Wegbereiter der Moderne Ida Kerkovius Die komponierte Abstraktion Schloss Dätzingen, 1.12.2013 Adolf Hölzel ist ein Glücksfall für die Geschichte der Kunst: berühmt und doch noch zu entdecken.»glück«, so Wilhelm Busch,»entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen, Unglück oft durch Vernachlässigung kleiner Dinge«. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie recht herzlich zur Ausstellungseröffnung, die sich dem Schaffen und der Wirkung von Adolf Hölzel und seines Kreises befasst. Ein Glücksfall scheint mir zu sein, dass wir im Werk des deutschmährischen Künstlers Durchkreuzungs- und Ausstrahlungsphänomene erkennen können, die Hölzel zu einem der wichtigsten Wegbereiter der europäischen, wenn nicht überhaupt der europäisch geprägten globalen Moderne macht. Hölzels Lehrerrolle steht dabei außer Frage, doch schwankt seine Position als Künstler noch immer im Schatten des Weltruhms. Nun muss die Kunstgeschichte deshalb nicht umgeschrieben werden, doch können wir den sogenannten Hölzelkreis als Phänomen dem Blauen Reiter, der Brücke sowie den internationalen Bewegungen der absoluten Kunst an die Seite stellen, wenn es um die epochalen Weichenstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht. Über Johannes Itten und Oskar Schlemmer gibt es direkte Kontakte zum Bauhaus. Verwandte Bande lassen sich aber auch indirekt zum Kubismus und zum Dadaismus bzw. Surrealismus knüpfen und damit nicht genug: fast beiläufig nimmt Hölzel den abstrakten Expressionismus und über seine getreue Schülerin Ida Kerkovius auch die expressive Figuration der Nachkriegsjahre ich denke an die Bewegung der CoBrA-Maler vorweg. Wenige davon berief sich unmittelbar auf Hölzel. Dennoch gibt es kaum eine Strömung innerhalb der ornamentalen, figurativ-formalen und gestischen Abstraktion, die nicht bei Hölzel angelegt gewesen wäre. Freilich entwickelten sich die Schüler in je eigener Richtung weiter und ließen den Lehrmeister oftmals außen vor, so dass die Bezüglichkeit hier und da verloren ging oder die Spuren gar hypothetisch erschienen. Anlässlich seines 150. Geburtstags im Jahr 2003 wurde Hölzel denn auch als»verkannter Revolutionär«gefeiert, der er womöglich heute noch ist. Das ist insofern aber nicht relevant, als der Maler sich selbst wohl gar nicht als Revolutionär sah er schuf sein Werk in einer inneren und bezwingenden Konsequenz, ohne jegliche Denkverbote für sich und seine Schüler und Schülerinnen. Letzteres muss betont werden, da es um 1900 nicht üblich war, etwa eine Damenmalklasse zu haben. Diese freiheitliche Gesinnung und die gegenseitige Toleranz war revolutionär, für Hölzel war sie selbstverständlich. Wer so denkt, für den gibt es keine Grenzen in der Kunst. Als Beispiel nenne ich die grundlegende Etablierung der abstrakten Malerei, die mit Fug und Recht Kandinsky zugeschrieben wird. Man darf aber dabei nicht verkennen, dass Hölzel bereits Jahre vor seinem russisch-deutschen Kollegen, konkret im Jahr 1905, dem Lockruf der Abstraktion

folgte, auch wenn dies erst später öffentlich präsentiert wurde, was Hölzel nicht daran hinderte, auch weiterhin realistisch zu malen. Sie sehen in unserer Ausstellung, dass Adolf Hölzel das kleine Format bevorzugte die größte Arbeit hier ist der Entwurf für ein Glasfenster. Von einer Wanddarstellung des Gekreuzigten abgesehen verweigerte sich der Maler dem Monumentalen, und selbst die größeren Arbeiten zeigen meist einen kleinteiligen Aufbau. Anderes hätte auch nicht zu ihm gepasst. Für die Rezeption heißt das, sich frei zu machen vom heutigen Gebrauch großer Leinwände. Ich erinnere an mein Zitat zu Beginn meiner Ausführungen: Glück entstehe durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen. Das trifft hier bildlich zu, ist aber auch eine Frage der Haltung. Auch das ist ein Glücksfall: Hölzel war nicht allein ein hinreißend experimentierfreudiger Maler, sondern auch ein brillanter Theoretiker und genialer Lehrer, der sich selbst nicht allzu wichtig nahm, weniger wichtig übrigens als seine Schüler. Seine Theorie vermittelte er lieber im Gespräch, beim Spaziergang als durch Kritik vor den Akademiearbeiten: Es ging ihm darum, auch als Lehrender, wie er sagte,»ewig Lernender«zu sein. Das schloss aus, dass Hölzel die Schüler ihm blind folgen ließ er bot sich als Gebender an und blieb Nehmender. Über Ida Kerkovius, die angehende Studenten auf den Unterricht bei Hölzel vorbereitete, sagte er:»sie macht meine Lehre, aber komisch, sie macht ganz andere Sachen.«Das mag ein Grund gewesen sein, dass er keine eigentliche Schule begründete, die seine Handschrift trug. Doch er zog Kreise, die heute noch erkennbar sind. Allen voran will ich neben Ida Kerkovius Willi Baumeister, Johannes Itten und Oskar Schlemmer nennen, die ihre Impulse durch Adolf Hölzel erhalten, seine Lehre ihrer Persönlichkeit gemäß umformuliert und weitergegeben haben. Außerdem sehen Sie in der Ausstellung Arbeiten von Max Ackermann und Adolf Fleischmann sowie von Gottfried Graf und Albert Mueller. Wie eng die Kreismitglieder bei allen Altersunterschieden miteinander verbunden waren, zeigt sich an der 1919 gegründeten Üecht -Gruppe, die im Zusammenhang stand mit Hölzels Rücktrittsgesuch an der Akademie: Zu den Mitgliedern der reformpolitischen Vereinigung gehörten u.a. Baumeister, Graf, Mueller und Schlemmer. Man hat deshalb gelegentlich doch von einer Stuttgarter Schule gesprochen. In der Tat studierten diese Künstler bei Hölzel an der hiesigen Akademie der Bildenden Künste, doch wäre die Bezeichnung zu eng gefasst: Als Hölzel nach seiner Berufung nach Stuttgart die Palette der barbizonhaften Neu-Dachauer Schule abgestreift und seinen an Goethe geschulten, auf Kontraste bauenden Farbkanon über den Bildinhalt gestellt hatte, wurde er an der Akademie vielfach angefeindet, seine freiheitlichen Lehrmethoden machten ihn gar zur Persona non grata unter den autoritär auftretenden Kollegen. Ohnehin fand Hölzel nach seinem halb freiwilligen, halb genötigten Ausscheiden aus der Akademie, nun als eine Art Privatier, zu seinem fulminanten, fast ausschließlich auf Pastelle gründenden Spätwerk, das farbsinfonisch die eigene Lehre überwand. Willi Baumeister, der einige Male fast aus der Akademie geworfen worden wäre, wenn sich Hölzel nicht schützend vor ihn gestellt hätte, beschrieb die Situation folgendermaßen: Während seiner ersten Amtsjahre als Professor habe so Baumeister der»dachauer Graumaler das

Grau und den Impressionismus hinter sich gelassen und knöpfte seinen Farbpelz weiter auf. Er wurde Wolf: in den stärksten Farben, höchst unakademisch und ganz modern Ein für die damalige deutsche Kunstakademie ganz seltener Fall trat ein: ein Professor entwickelte sich künstlerisch weiter. Er ging kühne Schritte vorwärts. Alle Kunstbeamten, besonders die Schlachtenmaler, muss ein Grauen erfasst haben angesichts einer solch gefährlichen Wandlung«. Das heißt nicht, dass Hölzels Lehre beliebig gewesen wäre, im Gegenteil: Baumeister schreibt weiter:»die Grenzen der Kunst wurden durchbrochen, weite, freie Formen taten sich auf, jedoch ging es innerhalb Hölzels eigentlicher Lehre sehr maßvoll zu; nach Regeln mit Diagonalen, Quadraten, Kreisen und dem Goldenen Schnitt. Die Leinwand war bei ihm schwarz von Kohlelinien, bevor der künstlerische Impuls gerufen wurde. Die Farbkombination wurde mit Hilfe verschiedener Farben komplementär und simultan genau errechnet.«hölzels Einfluss auf sein eigenes Werk spielte Baumeister scheinbar herab, im Vergleich zu seinem Bekenntnis zu Fernand Léger und noch mehr zu Paul Cézanne, dessen Wirkung in dem»wasserfall«-gemälde der Ausstellung auch deutlich abzulesen ist. Doch macht es die Größe des Lehrers aus, der das erkannt hatte, wie Baumeister bewundernd nahelegt:»ich verdanke Hölzel somit in direktem Sinne nichts, keine einzige Korrektur, sondern nur Obdach und den schwerwiegenden Rat, nach Paris zu gehen, zu malen und auszustellen. Ich verdanke ihm sehr viel, denn er hat mich darin bestärkt, mich durch nichts beirren zu lassen.«nebenbei bemerkt mache ich darauf aufmerksam, dass wir Willi Baumeister auch über den Jahreswechsel hinweg eine gesonderte Schau in der Stuttgarter Galerie widmen, die sich hinter der Retrospektive im Kunstmuseum nicht verstecken muss. Und wo bleibt nun die Lehre Adolf Hölzels? Auf der einen Seite sehen Sie das experimentierfreudige Werk eines Künstlers, der mal aus der puren Farbe heraus schafft, mal aus dem getuschten Fleck eine Phantasmagorie entwickelt, dann wieder mit dem Bleistift oder der Feder spielerisch übers Papier geht, hier systematisch aufbauend, dort gestisch suchend. Oftmals leitet er seine Arbeit aus dem Ornament des Wiener Jugendstils ab, von wo aus seine künstlerische Laufbahn ihren Anfang nahm, in seinen Dachauer Jahren orientiert er sich an den französischen Landschaftern des 19. Jahrhunderts, zugleich und später skizziert er mit der Leichtigkeit japanischer Zeichner und Kalligraphen anmutig flüchtige Figurationen und formale Abbreviaturen. Jeden Morgen tausend Striche, hieß sein Credo, das tägliche Üben hatte der Geigenvirtuose Hölzel von der Musik her gelernt: Das Kunstwerk als Klangbild muss man im Kreis in hohen Tönen loben: Die fugengleichen, analytischen Akkorde bei Adolf Fleischmann, die sphärischrhythmischen Klänge bei Albert Müller der sein Spielfeld zwischen Diesseits und Jenseits absteckte oder die schwebenden Melodien bei Max Ackermann entstammen dem Klangraum der Hölzelschen Kompositionen. Apropos: Bildtitel wie»komposition«könnte in diesem Zusammenhang doppelt bedeutsam sein einmal als gestalterisches Element, zum anderen als Sinnbild für ein musikalisches Stück. Auch»Vogelrhythmus«von Ida Kerkovius legt einen klanglichen Hintergrund nahe.

Oder nehmen sie»klangsäule auf Grün«von Max Ackermann, eines von mehreren synästhetisch die Sinne stimulierenden Capriccios. Es wundert nicht, dass die Musik bei allen auch biographisch eine Rolle spielt. So arbeitete Ackermann zeitweilig eng mit Wolfgang Fortner zusammen. Von Itten ist bekannt, dass er vom Vater Paul Klees, einem Musiklehrer, das musisch-philosophische Rüstzeug auf den Weg bekam, der Hölzels Lebenspfad kreuzte. Sein Weihnachtsbild meint man im flirrenden Silberglanz sehen und hören zu können. Dass er obendrein studierter Mathematiker war, prädestinierte ihn zum geistigen Nachfolger seines Lehrers. Hier im musikalischen Teil meiner Einführung sind wir mitten drin in der abstrakten Kunst, deren System sich auf die Zahl stützt, genauso, wie die Musik mathematischen Gesetzen folgt. Gerade in diesem Zusammenhang verwundert es, dass die gegenstandsfreie Malerei noch immer auf Widerstand in der öffentlichen Meinung. Die Musik, die notgedrungen abstrakt ist, ist da einen Schritt voraus, aber vielleicht kann eine Ausstellung wie diese zum Hölzelkreis ganze Aufklärungsarbeit leisten: nicht weil dessen Kunst rein abstrakt wäre, sondern weil sie in der Konsequenz beides ist, ohne Hölzels Ideen zuwider zu laufen. Max Ackermanns neusachlichen Porträtzeichnungen finden sich neben abstrakten Arbeiten; die Holzschnitte von Gottfried Graf positionieren sich im Grenzbereich zwischen Figuration und Abstraktion. Das»Notre-Dame«-Bild Gottfried Grafs wie der»abstrakte Kopf«von Ida Kerkovius, der durchaus gegenständlich mit dem Abstraktionsbegriff spielt, sind nur zwei Beispiele dafür, wie schnell der Realbezug in die rein formale Fiktion übergeht. Noch einmal komme ich auf Adolf Hölzel zu sprechen, gehe zurück ins Jahr 1901, als der noch im Dachauer Realismus verhaftete Maler seinen Aufsatz»Über Formen und Massenverteilung im Bilde«in der österreichischen Jugenstil-Zeitschrift»Ver sacrum«veröffentlichte übrigens ein Beitrag, der Kandinsky Jahre später zu seiner Schrift»Punkt und Linie zur Fläche«anregte. Hölzels Text ist ein Bekenntnis zur Natur und vermittelt die Erkenntnis, dass die Kunst in der Fläche etwas ganz eigenes ist: nicht nach der Natur, sondern neben ihr.»auch hierbei«, so Hölzel,»sei vor allem auf die Natur hingewiesen, denn nur aus einem sehr gründlichen Studium der Natur wird das für uns Notwendige resultieren können.«allerdings macht er darauf aufmerksam, dass ein Botaniker, Geologe, Förster oder Pomologe einen anderen Blick in die Natur wirft als ein Maler einig sind sich aber alle darin, dass»die Kenntnis der Gesetze der Naturvorgänge auch der Zauberschlüssel sei, der seinem Inhaber Macht über die Natur in die Hände gebe«. Mit diesen Worten zitiert Hölzel, der wie Willi Baumeister ein wachsames Auge auf die Naturwissenschaften hatte, den berühmten Physiker Hermann von Helmholtz. Darauf folgen entscheidende Passagen für die Kunst:»Mit der Wiedergabe der Natur oder der Darstellung von Ideen im Bilde stehen wir vor allem in einem Abhängigkeitsverhältnisse zur jeweiligen Fläche, auf die wir die plastische Natur zu übertragen haben.«hölzel und seine Schüler heben den Perspektivraum auf zugunsten einer Bedeutungsperspektive und einer sinnvollen Platzierung der Dingwelt auf der Fläche mit den Mitteln der Malerei:»Mit Bezug auf die Fläche werden die mit der Ebene zusammenhängenden geometrischen Begriffe

besonders ins Auge zu fassen sein: die Linie und die ebenen Figuren, als allseitig begrenzte Teile einer Ebene, welche die plastischen Formen in ihrer Wiedergabe auf der Ebene versinnbildlichen und ermöglichen.«aus»ebene«wird nun bei Hölzel die»fläche«, und aus der»ebenen Figur«wird»Form«. Nehmen wir den Begriffstausch ernst, so lesen wir hier eine Anleitung zur Erschaffung einer gegenstandsbezogenen wie einer absoluten Kunst. Das bringt mich zum Special Guest unsrer Ausstellung: Ida Kerkovius. Wie ihr Lehrer vermochte sie mit einer grandiosen Leichtigkeit zwischen Figuration und poetischer Abstraktion zu wechseln. Die Charakterisierung als abstrakte Künstlerin lehnte sie zunächst zwar für sich ab, doch bringt sie die Radikalität, mit der sie ihre figurativen Motive freisetzt, ganz nahe ans Fahrwasser eines abstrakten Expressionismus. Arbeiten wie»zwei Sitzende«, bereits 1942 entstanden, oder»rot auf Rot«von 1951 machen sie zu einer Pionierin der gestisch-figurativen Nachkriegsmoderne.»Auf Gold«heißt ein rätselhaftes Bild, dessen Chiffren eine sitzende Figur, Bälle, Fenster usw. vertraut erscheinen, aber vor dem Goldgrund in ein metaphysisches Licht geraten.»ich komme«, bekannte sie schließlich,»immer mehr auf den Weg der Abstraktion; während ich früher mehr von einer Vorstellung ausging, beherrschen mich jetzt die Mittel als Ausgang«. Und mit den Mitteln meinte sie Hölzels Gestaltungselemente. Ida Kerkovius ging offenbar völlig in ihrem Künstlertum auf, brachte von zu Hause aus ein außergewöhnliches Farbgespür mit, das sie im Austausch mit Hölzel und Paul Klee vervollkommnete und in teils spontanen, ja kindlich naiven, teils regelrechten Bauplänen auf die Leinwand bannte. Dass sie dabei mehrere Stile zugleich pflegte, war kein Ausdruck der Unentschiedenheit, sondern ein stetes Ausloten der eigenen Bildsprache.»Ich bekenne mich zu keiner Kunstrichtung, sondern bin immer bestrebt, wie am Anfang meiner Entwicklung den Gefühlen, die in mir leben, Gestalt, Qualität und Ausdruck zu geben.«alexej Jawlensky sagte über Kerkovius:»Sie ist ganz Kunst«, und Baumeister stellte sogar fest:»es ist wahrscheinlich, dass die Schülerin die Entwicklung ihres Lehrers zur Farbigkeit bestärkte oder ihm sogar voranging.«hier sei sie allen voraus gewesen. In der Ausstellung sehen Sie frühe Arbeiten, die Ida Kerkovius als Schülerin Hölzels in Dachau zeigen der»sitzende Akt«ist ein opulentes Beispiel dafür, die Schau präsentiert zudem mit der mosaizierend figurativen»madonna mit Engeln«aus den 1940er Jahren die Variante eines Lieblingsbildes der Malerin, das sie in ihrem Schlafzimmer hängen hatte. Darüber hinaus gewährt die Ausstellung einen Einblick in das unerschöpfliche und in weiten Teilen noch zu entdeckende Werk einer Malerin, die Kurt Leonhard zu den bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts zählte. Ihre Größe liegt in der Vermittlung des rechnerischen Kalküls und einer bis ins Alter jugendlichen Unbekümmertheit sowie in der schlafwandlerisch sicheren Farbkraft und einer unbändigen Phantasie. Für Adolf Hölzel musste sie die Idealbesetzung für die Umsetzung und Überwindung seiner Lehre gewesen sein, die mehr war als Theorie. Meine Damen und Herren, ich schließe deshalb mit einem Zitat Hölzels, das für die

Ausstellung insgesamt und besonders für Ida Kerkovius zutrifft:»was in der Kunst mit Liebe gemacht ist, wird etwas enthalten, das höher steht als das reine Rezept.«Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Günter Baumann, Dezember 2013