GHADHAFI-BILDER IN SCHWEIZER MEDIEN WIE VIEL IST ZU VIEL?

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Transkript:

GHADHAFI-BILDER IN SCHWEIZER MEDIEN WIE VIEL IST ZU VIEL? fög / Universität Zürich Autoren: Mark Eisenegger / Sibylle Oetiker / Mario Schranz ZÜRICH, 8. DEZEMBER 2011

Die Veröffentlichung der Todesbilder des ehemaligen libyschen Machthabers Muammar Ghadhafi hat auch in der Schweiz zu einer medienethischen Kontroverse geführt. Was dürfen und müssen Medien zeigen? Wo werden die Grenzen des ethisch Vertretbaren überschritten? Eine Analyse zu dieser Problematik zeigt, dass es Vertreter der Boulevardpresse und die überwiegende Zahl von Online-Newssites sind, welche sich nicht an ethische Richtlinien hielten. Im Gegensatz dazu war die Berichterstattung der meisten Abonnements- und Sonntagszeitungen an ethischen Kriterien orientiert. Die Nachrichtensendungen des TV liegen zwischen diesen Polen. Die Berichterstattung über den Tod von Muammar Ghadhafi bzw. die Bilder, die in diesem Zusammenhang in die Medien gelangten, haben weltweit eine Debatte darüber ausgelöst, was aus einem medienethischen Standpunkt noch zulässig ist und wann die Grenzen des Zumutbaren überschritten werden. Insbesondere die Bild- und Videosequenzen seiner tumultartigen Festnahme in Sirte und die kurz darauf gezeigten Bilder des toten Diktators haben kritische Fragen aufgeworfen: Dürfen Bilder des getöteten Machthabers prominent gezeigt werden? Und dürfen die mit Handykameras gedrehten Amateurvideos der Widerstandskämpfer, welche das Sterben des ehemaligen libyschen Machthabers festhalten, gesendet bzw. zur Verfügung gestellt werden? Die Antworten zum aktuellen Fall sind durchaus kontrovers ausgefallen. Insbesondere in Deutschland haben sich Pressetitel wie die Süddeutsche Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit Verweis auf die Menschenwürde gegen den Abdruck solcher Darstellungen entschieden. In der Schweiz hat die medienethische Reflexion dieser Problematik insbesondere in spezialisierten, medienkritischen Foren (u.a Medienspiegel.ch) stattgefunden. Eine redaktionelle Auseinandersetzung mit der Thematik in etablierten Leitmedien fand dagegen nur punktuell und verspätet statt. Dabei gingen die Positionen zur Thematik weit auseinander. Während beispielsweise Rainer Stadler in der Medienbeilage der NZZ die Veröffentlichung geisselte ( Barbareien bleiben Barbareien, NZZ 25.10.11), liessen sich auch Stimmen finden, welche die Veröffentlichung der Bilder mit dem Verweis auf die Notwendigkeit der Dokumentation eines historischen Ereignisses rechtfertigten. Wiederkehrende medienethische Debatten Diese Kontroverse um die Veröffentlichung von Bildern eines Toten steht in der Tradition analoger medienethischer Auseinandersetzungen: Die Bilder der Hinrichtung des rumänischen Staatschefs Ceaucescu (1989), die Aufnahmen des gelynchten Stadthalters Nadschibullah von Kabul (1996) sowie die Bilder der Hinrichtung Saddam Husseins sind nur die berühmtesten davon. Insbesondere aber die öffentlich festgehaltene Enthauptung des US Bürgers Nicholas Berg durch die irakische Al-Kaida im Jahr 2004 sowie die Hinrichtung des Wall Street-Journalisten Daniel Pearl in Pakistan haben die Frage eines ethisch vertretbaren Umgangs mit solchem Bild- und Filmmaterial auf eine neue Stufe gestellt. Im digitalen Zeitalter hat sich die Problematik insofern verschärft, als mit den technischen Möglichkeiten des Internets im Vergleich zu früher ethisch bedenkliches Bildmaterial rascher und unkontrollierter zirkulieren kann. Aufgeworfen ist die Frage, ob im digitalen Zeitalter die ethischen Hemmschwellen der Informationsmedien zur Veröffentlichung von ethisch bedenklichen Bildern abgenommen haben. Zur Beantwortung dieser Fragen hat der fög Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft/Universität Zürich die Verwendung von Bildmaterial in Schweizer Medien im Zusammenhang des Todes von Ghadhafi analysiert. In rund 40 wichtigen Medientiteln der deutschen, französischen und italienischen Schweiz wurde untersucht, welche Darstellungstechniken zur Visualisierung des Todes von Ghadhafi zum Einsatz kamen. In 365 Beiträgen der Gattungen Presse, Online und TV im Zeitraum vom 20. 24. Oktober 2011 wurde überprüft, wie im Rahmen der Ghadhafi-Berichterstattung mit Bild- und Videomaterial umgegangen wurde und inwieweit dabei medienethische Grenzen überschritten wurden. SEITE 1/9

Bilder von Toten und Sterbenden Medienethische Grenzen Sowohl der Presserat (www.presserat.ch) wie auch der Berufsverband der Schweizer Journalistinnen und Journalisten (www.im-pressum.ch) haben ethischen Richtlinien für den Umgang mit Todesdarstellungen ausgearbeitet. Peter Studer, der ehemalige Vorsteher des Presserates, hat jüngst in einem Beitrag auf Medienspiegel.ch die entsprechenden Richtlinien nochmals in Erinnerung gerufen und den Spannungsbogen für eine verantwortliche Berichterstattung abgesteckt (http://www.medienspiegel.ch/archives/002955.html) Auf den kürzesten Nenner gebracht lautet die Regel wie folgt: Der Journalismus steht vor der Quadratur des Kreises, historische Momente wie jene des Todes einer wichtigen öffentlichen Person bildlich zu dokumentieren, ohne aber dabei gegen die Menschenwürde zu verstossen. Die zwei Prinzipien - Dokumentationspflicht versus Bewahrung der Menschenwürde - waren in dieser Analyse leitend, um die Qualität der Berichterstattung der untersuchten Medien einzustufen. Jeder Beitrag über Ghadhafis Tod wurde analysiert und mit Bewertungspunkten versehen. Je mehr Negativpunkte ein Beitrag erhalten hat, desto stärker hat das jeweilige Medium gegen die ethischen Richtlinien verstossen. Die Punkte für die einzelnen Beiträge wurden wie folgt vergeben: Ethisch unproblematische Berichterstattung (Keine Negativpunkte): Als ethisch unproblematisch wurde ein Beitrag qualifiziert, wenn die Todesbilder von den Medien nicht verwendet wurden oder wenn aus Gründen der Dokumentation eines historischen Ereignisses der Tod des ehemaligen libyschen Machthabers einmalig nur am ersten Tag bildlich festgehalten wurde. Keine Negativpunkte wurden aber nur unter der Bedingung vergeben, dass die Bilder nicht auf der Frontseite bzw. als Aufmacher für die TV- Nachrichtensendung verwendet wurden. Bei Online-Newssites musste darüber hinaus die Bedingung erfüllt sein, dass kein zusätzliches Videomaterial verwendet wurde. Ethisch problematische Berichterstattung (Ein Negativpunkt): Als ethisch problematisch wurde eine Berichterstattung bewertet, wenn diese nicht nur am ersten Tag (Online: Todestag; Presse: Tag darauf) Bilder des toten Ghadhafi verwendete, sondern auch an den Folgetagen. Ethisch stark problematische Berichterstattung (Zwei Negativpunkte): Als stark unethisch wurde ein Beitrag qualifiziert, wenn die Bilder auf der Frontseite bzw. als Aufmacher der TV- Nachrichtensend-ung gezeigt wurden oder wenn bei Onlinemedien Bildstrecken mit mehreren Bildern des Toten und/oder Videobeiträge der Gewaltdarstellungen gezeigt wurden. Zur Beurteilung der Qualität eines Medientitels waren zwei Kriterien entscheidend: 1. Gesamtzahl an Negativpunkten in Bezug auf die unethische Verwendung von Bildmaterial 2. Intensität der Berichterstattung im Zusammenhang der Berichterstattung über das Ereignis. Auf der Basis dieser beiden Kriterien lassen sich die untersuchten Medien in einer Vierfeldertabelle verorten (vgl. Abbildung 2). Im Quadranten oben rechts kommen jene Medien zu liegen, die häufig über den Tod Ghadhafi s berichteten und dabei stark gegen journalistische Prinzipien verstiessen. In den beiden unteren Quadranten befinden sich jene Medientitel, die in ihrer Berichterstattung die ethischen Richtlinien besser beachteten, und dies mit einer tendenziell wenig intensiven (unten links) respektive intensiven (unten rechts) Berichterstattung. Im Quadranten oben links sind die Medientitel angesiedelt, die zwar eine ethisch bedenkliche Berichterstattung an den Tag legten, aber wenig intensiv über den Tod Ghadhafi s berichteten. Die einzelnen Quadranten wurden jeweils durch die Durchschnittswerte (Resonanz und Rating-Punkte) voneinander abgegrenzt. Ein solches Verfahren garantiert, dass Aussagen über die Qualität der Berichterstattung der einzelnen Titel immer im Vergleich zum Durchschnitt der anderen Medien erfolgen. SEITE 2/9

Resultate Schweizer Medien im Qualitätsvergleich Es zeigt sich erstens, dass die Bilder Ghadhafi s nicht nur am ersten Tag (20.10.11 für die Onlinemedien und TV, 21.10.11 für die Presse) gezeigt wurden, sondern dass auch noch in den Folgetagen eine intensive Verwendung der Todesbilder in den Beiträgen stattgefunden hat. Die untersuchten Medien haben im Durchschnitt 9 Beiträge zum Tod Ghadhafi s publiziert. Dabei haben die Onlinemedien überdurchschnittlich (13 Beiträge) und die Nachrichtensendungen des öffentlichen und privaten Fernsehens unterdurchschnittlich viel (6 Beiträge) über das Ereignis berichtet. Die Presse liegt mit durchschnittlich 8 Beiträgen dazwischen. Während in Presse- und vor allem auch in Onlinemedien der Tod Ghadhafi s noch Tage danach ein Thema war, beschränkte sich die Berichterstattung im Fernsehen auf den ersten und den Folgetag. Abbildung 1. Die Abbildung zeigt den Berichterstattungsverlauf zum Tod von Muammar Ghadhafi in den Schweizer Medien (nach Gattungen). Die Beiträge, welche die Todesbilder gezeigt haben (orange Säulen) werden differenziert von einer Thematisierung, die keine Todesbilder aufweist (blaue Säulen). SEITE 3/9

Ein Vergleich zwischen den einzelnen Mediengattungen zeigt, dass die Onlinemedien nicht nur am intensivsten berichteten, sondern qualitativ auch am schlechtesten abschneiden (vgl. Abbildung 2). Insgesamt wurden in dieser Mediengattung ethische Richtlinien im Umgang mit dem Bildmaterial am häufigsten verletzt. Die Onlinemedien weisen im Rating durchschnittlich 6.7 Negativpunkte pro Titel auf und sind damit deutlich schlechter rangiert als das Fernsehen (3.1 Negativpunkte) und die Presse (1.5 Negativpunkte). Umgang mit den Todesbildern im Gesamtüberblick Am stärksten gegen die ethischen Prinzipien verstossen hat Blick.ch (19 Negativpunkte) mit überdurchschnittlich vielen, problematischen Bild-Beiträgen. Mit der wiederholten Darstellung der Bilder auch an den Folgetagen, der prominenten Platzierung von Bildstrecken und der häufigen Verwendung von Amateur- Videos, die das Sterben Ghadhafi s zeigten, wurde hier weit jenseits eines öffentlichen Interesses an der Dokumentation eines historischen Ereignisses gegen das Gebot der Menschenwürde verstossen. Zudem wurden die Ghadhafi-Bilder teilweise auch in Berichten verwendet, die nicht mehr unmittelbar mit dem Tod Ghadhafi s zu tun haben. Abbildung 2. Die Abbildung verortet die Medientitel und die einzelnen Gattungen unter Massgabe der Negativpunkte und der Berichterstattungsintensität in einer Vierfeldertabelle. Die Abbildung ist wie folgt zu lesen: Medien, die im oberen rechten Quadranten zu liegen kommen, weisen eine intensive Berichterstattung aus, welche sehr stark gegen die ethischen Prinzipien des Journalismus verstiessen. Der Quadrant unten links ist dagegen durch eine resonanzschwächere und ethisch verantwortlichere Berichterstattung gekennzeichnet. SEITE 4/9

In dieser Negativhierarchie folgen auf den weiteren Plätzen die Newssites tagesanzeiger.ch, bazonline.ch und bernerzeitung.ch von Newsnetz (je 12 Negativpunkte) und 20minuten.ch (11 Negativpunkte). An sechster Stelle befindet sich mit dem Boulevardblatt Blick der erste Pressetitel (8 Negativpunkte). Weitere Titel mit intensiver und tendenziell problematischer Berichterstattung sind 20minutes.ch (6 Negativpunkte), aargauerzeitung.ch (6 Negativpunkte), Le Journal von TSR1 (5 Negativpunkte) und Tribune de Genève online (4 Negativpunkte). Eine ganze Reihe von Medientiteln hat im Gegensatz dazu mit ihrer Berichterstattung nicht gegen die ethischen Prinzipien des Journalismus verstossen. Südostschweiz, suedostschweiz.ch, die Neue Luzerner Zeitung, Le Temps, 20 minutes, Basler Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung sowie die Newssendung von Tele Ticino haben keine Negativpunkte erhalten. Diese Medien verzichteten gänzlich auf die Verwendung problematischen Bildmaterials. An Stelle der Todesbilder wurden häufig alte Archivbilder Ghadhafi s verwendet oder es wurde auf andere Foto- Sujets zurückgegriffen (z.b. jubelnde Rebellen auf einem Panzer). Umgang mit den Todesbildern in Onlinemedien Am ausgeprägtesten sind die Verstösse gegen die ethischen Richtlinien in der Gattung der Onlinemedien. Am meisten hat wie oben erwähnt Blick.ch gegen die Richtlinien verstossen (19 Negativpunkte). Schlecht rangiert sind ebenfalls die Newsnet-Sites (tagesanzeiger.ch, bernerzeitung.ch, bazonline.ch, je 12 Negativpunkte) sowie 20minuten.ch (11 Negativpunkte). Im Mittelfeld liegen die aargauerzeitung.ch (6 Negativpunkte), 20minutes.ch (6 Negativpunkte) und Tribune de Genève Online (4 Negativpunkte). Eine ethisch unbedenkliche Berichterstattung findet sich bei suedostschweiz.ch, NZZ Online, NLZ Online und Le Temps Online. Die Berichterstattung der letzteren Sites ist deutlich besser als jene der ersten beiden Online-Gruppen und ist auch besser als der Durchschnittswert der gedruckten Pressetitel. Umgang mit den Todesbildern in der Presse Auch wenn im Mediengattungsvergleich die Presse am besten abschneidet, finden sich auch hier grosse Unterschiede. Am stärksten gegen die ethischen Richtlinien hat das Boulevardblatt Blick verstossen (8 Negativpunkte), gefolgt von Le Matin Dimanche (4 Negativpunkte) und Tribune de Genève (3 Negativpunkte). Einige der Pressetitel zeigten das Todesbild zudem auf der Frontseite, nämlich die Berner Zeitung, der Blick, 20 Minuten, 24 heures sowie die Aargauerzeitung. Die ethisch einwandfreiste Berichterstattung im Bereich der gedruckten Presse findet sich in der Südostschweiz, der Neuen Luzerner Zeitung, in 20minutes, in Le Temps, in der Basler Zeitung und in der Neuen Zürcher Zeitung (alle 0 Negativpunkte). Bei der Gegenüberstellung von Presse und Online sticht die in der Regel grosse Diskrepanz zwischen der Printausgabe und den entsprechenden Online-Produkten der Verlage ins Auge. Während die Printausgaben sich meist in Zurückhaltung übten, verstiessen die Onlinemedien meist sehr viel stärker gegen die ethischen Richtlinien. Eine Ausnahme bildet die Südostschweiz, bei der sowohl in der Printausgabe wie auch in der Online-Ausgabe eine zurückhaltende Berichterstattung festzustellen ist. Umgang mit den Todesbildern im Fernsehen Eine Mittelposition bei den Gattungen nimmt die Berichterstattung im Fernsehen ein. Es lassen sich grundlegend zwei Gruppen unterscheiden, wobei sich Newssendungen von Privaten und den Öffentlichen in beiden Gruppen finden lassen. Am deutlichsten gegen die ethischen Richtlinien verstiess Le Journal (5 Negativpunkte), gefolgt von der Tagesschau (4 Negativpunkte), den Newssendungen von Tele M1 (4 Negativpunkte) und Tele Züri (4 Negativpunkte). Am besten schneidet die Newssendung von Tele Ticino ab, die auf jegliche Gewaltdarstellung verzichtete (0 Negativpunkte). Das Nachrichtenformat 10vor10 belegt eine Mittelposition (2 Negativpunkte). SEITE 5/9

Ein Blick ins Ausland Ohne für den internationalen Kontext dieselbe Untersuchung wie für die Schweizer Medien durchgeführt zu haben, lassen sich doch auf der Grundlage der Durchsicht der wichtigsten internationalen Presseerzeugnisse einige Parallelen und Unterschiede zur Berichterstattung in der Schweiz fest halten. Die Schweiz steht mit ihrer Publikationspraxis nicht alleine da. Weltweit wurden die Bilder des toten Ghadhafi rege verwendet und auch auf den Titelseiten publiziert. Auch wenn die unterschiedliche Verwendung der Bilder nicht so sehr auf kulturelle Eigenheiten der einzelnen Länder zurück geführt werden kann, sondern viel stärker entlang der Grenze zwischen Qualitäts- und Boulevardjournalismus verläuft, fallen dennoch zwei Regularitäten auf. Einerseits finden wir insbesondere bei den britischen Medien auch jenseits des Boulevards sehr blutige Titelseiten (u.a The Guardian, The Independent, The Daily Telegraph). In Kontrast dazu sieht die Situation in Deutschland aus. Hier gibt es nicht nur eine aktivere öffentliche Diskussion darüber, ob der Abdruck der Bilder aus medienethischen Gesichtspunkten zu verantworten ist. Hier finden wir auch einen restriktiveren Umgang mit den Bildern selbst. Mit Ausnahme der Boulevardzeitung Bild, die den toten Ghadhafi auf die Frontseite setzte, finden in Deutschland die Bilder viel weniger Verwendung. Natürlich würde es zu kurz greifen, die Verantwortung in dieser Sache ausschliesslich den Redaktionen alleine zuschreiben zu wollen. Eine fragwürdige Rolle haben in diesem Fall auch die Bildagenturen, insbesondere AFP, eingenommen. Denn durch den Screenshot (Abfotografieren eines Handy Videos) des AFP-Fotografen, der in der Nähe des Tatorts weilte, ist es erst möglich geworden, dass diese ethisch fragwürdigen Bilder am Tage des Todes sehr schnell und sehr breit in die Redaktionen diffundiert sind. SEITE 6/9

Über fög Der fög ist eine Forschungsinstitution an der Universität Zürich. Der fög analysiert die Inhalte und Formen der öffentlichen Kommunikation und erforscht deren Wirkungen auf ökonomische und politische Organisationen. Der fög entstand auf der Basis des Erkenntnisinteresses, in Gestalt von Kommunikationsereignissen («Issues») die Grundbausteine der sozialen Welt mittels sozialwissenschaftlicher Theorien und Methoden auf äquivalente Weise beobachten zu können, wie im Rahmen der Physik die elementaren Teile der physischen Welt im CERN (Genf) beobachtet werden. Die Arbeit an diesem Kommunikations-CERN beruht auf der Prämisse, dass die öffentliche Kommunikation das wesentlichste Medium der Selbstregulation und der Integration von Gesellschaft ist. Innerhalb dieses Mediums Kommunikation ist Aufmerksamkeit die «Kernenergie» der sozialen Welt. Sie kreiert Kommunikationsereignisse und diese wiederum fokussieren Aufmerksamkeit. Das Ziel dieser Beobachtung besteht in der Erfassung und Analyse von Regularitäten öffentlicher Kommunikation im synchronen und diachronen Vergleich über möglichst lange Zeiträume anhand der Erhebung der wichtigsten Kommunikationsereignisse in den Leitmedien von Medienarenen, in Peripheriemedien sowie auch in politischen Arenen (parlamentarische Debatten). Kontakt fög Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich Andreasstrasse 15 CH-8050 Zürich Tel.: +41 44 635 21 11 Fax: +41 44 635 21 01 Mail: kontakt@foeg.uzh.ch Der fög publiziert regelmässig Studien auf folgender Plattform: www.qualitaet-der-medien.ch Mehr über den fög finden Sie unter: www.foeg.uzh.ch SEITE 7/9

Methodische Anmerkungen a.) Fragestellung: In rund 40 wichtigen Medientiteln der deutschen, französischen und italienischen Schweiz wurde untersucht, welche Darstellungstechniken zur Visualisierung des Todes von Ghadhafi zum Einsatz kamen. In 365 Beiträgen der Gattungen Presse, Online und TV im Zeitraum vom 20. 24. Oktober 2011 wurde überprüft, wie im Rahmen der Ghadhafi-Berichterstattung mit Bildund Videomaterial umgegangen wurde und inwieweit dabei medienethische Grenzen überschritten wurden. b.) Medien: Presse: 20 Minuten, 20 minutes, 24 heures, Aargauer Zeitung, Basler Zeitung, Berner Zeitung, Blick,Corriere del Ticino, Le Matin, Le Matin Dimanche, Le Matin Dimanche, Le Temps, Neue Luzerner Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, Sonntag AZ, Sonntags Blick, SonntagsZeitung, Südostschweiz, Tages-Anzeiger, Tribune de Genève Online: 20minuten.ch, 20minutes.ch, 24heures.ch, aargauerzeitung.ch, Blick.ch, Le Temps Online, Neue Luzerner Zeitung Online, Newsnetz, NZZ Online, südostschweiz.ch Fernsehen: 10vor10 (SF1), Aktuell (Tele M1), Le Journal (TSR1), Tagesschau (SF1), Telegiornale sera (LA1), Ticino News (Tele Ticino), Züri News (Tele Züri) c.) Bewertungssystem: Jeder Beitrag über Ghadhafis Tod wurde analysiert und mit Bewertungspunkten versehen. Je mehr Negativpunkte ein Beitrag erhalten hat, desto stärker hat das jeweilige Medium gegen die ethischen Richtlinien verstossen. Die Punkte für die einzelnen Beiträge wurden wie folgt vergeben: I.) Ethisch unproblematische Berichterstattung (Keine Negativpunkte): Als ethisch unproblematisch wurde ein Beitrag qualifiziert, wenn die Todesbilder von den Medien nicht verwendet wurden oder wenn aus Gründen der Dokumentation eines historischen Ereignisses der Tod des ehemaligen libyschen Machthabers einmalig nur am ersten Tag bildlich festgehalten wurde. Keine Negativpunkte wurden aber nur unter der Bedingung vergeben, dass die Bilder nicht auf der Frontseite bzw. als Aufmacher für die TV-Nachrichtensendung verwendet wurden. Bei Online-Newssites musste darüber hinaus die Bedingung erfüllt sein, dass kein zusätzliches Videomaterial verwendet wurde. II.) Ethisch problematische Berichterstattung (Ein Negativpunkt): Als ethisch problematisch wurde eine Berichterstattung bewertet, wenn diese nicht nur am ersten Tag (Online: Todestag; Presse: Tag darauf) Bilder des toten Ghadhafi verwendete, sondern auch an den Folgetagen. III.) Ethisch stark problematische Berichterstattung (Zwei Negativpunkte): Als stark unethisch wurde ein Beitrag qualifiziert, wenn die Bilder auf der Frontseite bzw. als Aufmacher der TV-Nachrichtensend-ung gezeigt wurden oder wenn bei Onlinemedien Bildstrecken mit mehreren Bildern des Toten und/oder Videobeiträge der Gewaltdarstellungen gezeigt wurden. d.) Qualitätsranking: Zur Beurteilung der Qualität eines Medientitels waren zwei Kriterien entscheidend: 1. Gesamtzahl an Negativpunkten in Bezug auf die unethische Verwendung von Bildmaterial 2. Intensität der Berichterstattung im Zusammenhang der Berichterstattung über das Ereignis. Auf der Basis dieser beiden Kriterien lassen sich die untersuchten Medien in einer Vierfeldertabelle verorten (vgl. Abbildung 2). Im Quadranten oben rechts kommen jene Medien zu liegen, die häufig über den Tod Ghadhafi s berichteten und dabei stark gegen journalistische Prinzipien verstiessen. In den beiden unteren Quadranten befinden sich jene Medientitel, die in ihrer Berichterstattung die ethischen Richtlinien besser beachteten, und dies mit einer tendenziell wenig intensiven (unten links) respektive intensiven (unten rechts) Berichterstattung. Im Quadranten oben links sind die Medientitel angesiedelt, die zwar eine ethisch bedenkliche Berichterstattung an den Tag legten, aber wenig intensiv über den Tod Ghadhafi s berichteten. Die einzelnen Quadranten wurden jeweils durch die Durchschnittswerte (Resonanz und Rating-Punkte) voneinander abgegrenzt. Ein solches Verfahren garantiert, dass Aussagen über die Qualität der Berichterstattung der einzelnen Titel immer im Vergleich zum Durchschnitt der anderen Medien erfolgen. SEITE 8/9