kaum schuld daran sein. Die Künstlerin begrüßte die Gäste und hielt eine kurze Ansprache. Dann erhob sie das Sektglas und wünschte eine schöne Reise durch Grauzonen. Beim Zuhören wurde Chiara von einer Hitzewelle sanft durchflutet. Was für eine weiche Stimme sie doch hat, dachte sie. Vielleicht habe ich sie das letzte Mal wirklich nur auf dem falschen Fuß erwischt. Sie musste sich ablenken. Ihr Blick wanderte durch den Pavillon, und sie träumte vor sich hin, als sie plötzlich unverhofft in die tiefbraunen Augen schaute. Eine gefühlte Ewigkeit starrten sie sich an. Es schien, als wollte Regina von Siebenthal zu ihr hinüberkommen. Doch sie wurde von einem Ehepaar angesprochen und wandte sich von Chiara ab. Eine Kellnerin kam mit einem vollen
Tablett auf Chiara zu und blieb lächelnd vor ihr stehen, da ihr Glas leer war. Chiara stellte es auf das Tablett, griff nach einem Glas Wasser und bedankte sich. Unauffällig warf sie immer wieder einen Blick auf Regina von Siebenthal. Mit der Zeit wurden die Gäste weniger, und die letzten Ausstellungsbesucher verabschiedeten sich persönlich bei der Künstlerin. Nun waren nur noch sie, die Empfangsdame und Chiara im Pavillon. Ich sollte gehen, dachte Chiara, bevor sie wieder einen Anfall bekommt. Aber aus irgendeinem Grund konnte sie das nicht. Ihre Augen ließen sich nicht dazu bewegen, sich von der Frau mit dem dynamischen Kurzhaarschnitt zu lösen. Sie bekam feuchte Hände. Regina von Siebenthal trat auf sie zu.»gefällt es Ihnen?«, fragte sie mit Blick auf
das Bild, vor dem Chiara stand. Der Duft eines atemberaubenden Parfums schwebte Chiara entgegen. Ein Duft, der sie sanft umhüllte und gefangennahm. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Für einen Moment schloss sie die Augen, während sie von einer prickelnden Hitze erwärmt wurde. Sie ging einen Schritt zur Seite und suchte nach ihrer Stimme.»Ja«, antwortete sie schwach. Sie versuchte sich auf das Kunstwerk zu konzentrieren, was ihr schwerfiel. Bei jeder Bewegung schwebte ihr eine neue Welle des verführerischen Dufts entgegen.»wie... wie ist das Bild entstanden?«, stotterte sie und rieb sich die feuchten Hände an der Jeans ab.»ich male zu Musik.«Regina von Siebenthals Blick versank in dem Gemälde.»Ich lasse die Musik intensiv auf mich
wirken.«sie nippte an ihrem Sekt.»Es ist fast wie eine Trance, so als würde ich nicht selbst malen, sondern es malt durch mich hindurch.«ihre Stimme klang so sanft, wie Chiara sie zuvor noch nie gehört hatte.»ich weiß nicht, ob Sie verstehen, was ich meine.«chiara hielt sich an ihrem Glas fest und vergaß beinah zu atmen.»ich bin keine Künstlerin.«Sie räusperte sich.»aber so ungefähr kann ich mir das glaube ich schon vorstellen.«trance... na toll. So fühle ich mich auch bald, dachte sie.»gibt es einen speziellen Grund, wieso Sie in Grautönen malen?«sie zeigte auf das Bild, auf dem alle Facetten von Grau bis Schwarz zu sehen waren. Regina von Siebenthals Lächeln wich einer versteinerten Miene. Chiara runzelte die Stirn.»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte sie betroffen.
Die Malerin wandte sich von Chiara ab, ging zu einem Stehtisch und stellte ihr Sektglas hin. Dort verharrte sie einen langen Moment und starrte in eine andere Richtung. Oh je, was ist jetzt schon wieder? dachte Chiara, während es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief. Regina von Siebenthal kam zurück.»was gefällt Ihnen an dem Bild nicht?«, fragte sie und warf Chiara einen düsteren Blick zu. Chiara hob beschwichtigend die Arme.»Stopp, Moment mal.«sie lächelte verlegen.»ich habe nie behauptet, dass mir das Bild nicht gefällt. Ich habe nur gefragt, ob es einen speziellen Grund dafür gibt, wieso Sie in Grautönen malen.aha...«regina fixierte Chiaras Blick.»Dann sagen Sie mir doch bitte, was Sie sehen?«sie kniff die Augen zusammen und starrte Chiara mit verschränkten Armen an.