Aut-Idem Substitution verordneter Arzneimittel in der Apotheke Dr. Erich Schröder 21.02.2009 Inhalt: 1. Das Kreuz mit dem Kreuz die gesetzliche Aut-Idem-Regelung 2. Rechte und Pflichten des Arztes und des Apothekers 3. Gleich muss nicht gleich sein pharmakologische und rechtliche Aspekte 4. Leitsubstanzen der Trend heißt Aut-Simile 5. Kritische Bewertung der Aut-Idem-Substitution am Beispiel inhalativer Asthmatherapeutika Der Autor, Dr. med. Erich Schröder, ist als Journalist und Berater im gesundheitspolitischen und medizinrechtlichen Umfeld tätig. Er lehrt Kommunikation im Gesundheitswesen an der Charité, Berlin, und ist Gründer und stellvertretender Vorsitzender des seit 13 Jahren bestehenden Kollegium Regreßschutz e.v., Köln. Kontakt Dr. Erich Schröder, Böhmestr. 8, 40474 Düsseldorf, Tel.: 0211/4350767, Mobil: 0171/5524173, E-Mail: schroeder@gesundheitspolitik.de - 1 -
1. Das Kreuz mit dem Kreuz die gesetzliche Aut-Idem-Regelung Latein ist die traditionelle Sprache der Medizin. Der Vermerk aut idem (wörtlich oder Gleiches ) auf einem ärztlichen Rezept sagt dem Apotheker, dass er auf dieses Rezept anstelle des benannten Arzneimittels auch ein anderes mit gleichem Wirkstoff abgeben kann. Der weiter gehende, aber bisher kaum übliche Vermerk Aut-Simile würde dem Apotheker freistellen, auch ein ähnlich wirkendes Arzneimittel auf das Rezept auszuhändigen. Früher eher eine Seltenheit hat Aut-Idem in den letzten Jahren im Zuge der Sparmaßnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zunehmende Bedeutung gewonnen: Heute werden in erheblichem Umfang ärztlich verordnete Arzneimittel vom Apotheker durch preisgünstigere Alternativen ersetzt. Dies ist aber, wie noch aufgezeigt wird, keineswegs unproblematisch. Das vorgeschriebene GKV-Rezeptformular ( Kassenrezept ) enthält ein Feld, in dem der Arzt ursprünglich durch ein Kreuz mitteilen konnte, dass er mit einer Aut-Idem-Substitution einverstanden ist. Die Bedeutung dieses Feldes wurde 2002 durch das Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz (AABG) umgekehrt, seitdem signalisiert ein Kreuz in diesem Feld, dass der Arzt keine Aut-Idem-Substitution zulässt. Diese Umkehrung ist mehr als eine formale Variante, sie signalisiert vielmehr, dass der Arzt grundsätzlich Aut-Idem zulassen soll, wenn nicht zwingende medizinische Gründe dem entgegen stehen. 2. Rechte und Pflichten des Arztes und des Apothekers Die mit dem Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz (AABG) geänderte Aut-Idem-Regelung besagt folgendes: Wenn der Arzt nur einen Wirkstoff verordnet, kann der Apotheker eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel, die der Verordnung entsprechen, abgeben. Hat der Arzt die Ersetzung eines Medikamentes durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen, so stehen das verordnete und die drei preisgünstigsten Arzneimittel zur Auswahl, sofern Packungsgröße, Wirkstärke und Einsatzgebiet identisch sind. Nur wenn der Arzt die Abgabe eines wirkstoffgleichen Arzneimittels ausgeschlossen hat, erhält der Patient sicher das namentlich verordnete Präparat. Austauschbar sind alle wirkstoffgleichen Generika mit identischer Wirkstärke, gleicher Packungsgröße, gleicher oder austauschbarer Darreichungsform und gleichem Indikationsbereich. Die Austauschbarkeit verschiedener Darreichungsformen (z.b. Tablette und Kapsel) wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Anlage 5 der Arzneimittelrichtlinie festgelegt. Die somit 2002 eröffnete Aut-Idem-Welt wurde nochmals erheblich erweitert durch die Einführung der Rabattverträge. Ein Arzneimittel-Rabattvertrag ist eine vertragliche Vereinbarung zwischen einzelnen Arzneimittelherstellern und einzelnen deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen über die exklusive Belieferung der Krankenversicherten mit einzelnen Arzneimitteln des Herstellers. Möglich wurden diese direkten Belieferungsverträge durch das im Januar 2003 in Kraft getretene Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) und nochmals erweitert durch das - 2 -
Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG, 2006) und das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG, 2007). Für diese Rabattverträge gilt die folgende Erweiterung der Aut-Idem-Regelung: Der Arzt kann entweder ein konkretes Arzneimittel verordnen oder nur den Wirkstoff in der notwendigen Stärke. Wird ein Fertigarzneimittel verordnet und ist auf dem Kassenrezept nichts weiter vermerkt, muss der Apotheker ein Arzneimittel mit identischem Wirkstoff und in der gleichen Wirkstoffstärke eines Pharmaherstellers abgeben, mit dem die Krankenkasse des Patienten einen Rabattvertrag abgeschlossen hat. Bei unterschiedlichen Darreichungsformen sind ggf. Hinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen zu beachten. Gibt es für diesen Wirkstoff mit dieser Krankenkasse keinen Rabattvertrag, verfährt der Apotheker nach der Aut-Idem-Regelung von 2002. Er muss also bei jeder Verordnung zunächst in seiner EDV prüfen, ob ein Rabattvertrag vorliegt. Ist dies nicht der Fall, hat er eines der drei preisgünstigsten Produkte zu ermitteln. Dabei hat der Arzt auch weiterhin die Möglichkeit, die Substitution durch ein Kreuz im Aut- Idem-Feld des Rezeptformulars zu verhindern. Wenn kein Kreuz gesetzt ist, haben Rabattverträge also grundsätzlich Vorfahrt. Der Apotheker tauscht dann das namentlich verordnete Arzneimittel gegen ein rabattiertes Präparat aus. Auch bei der Wirkstoffverordnung gehen Rabattverträge grundsätzlich vor. In Ausnahmefällen kann der Apotheker von dieser Regel jedoch abweichen, wenn - das Rabattarzneimittel in der Apotheke aktuell nicht verfügbar, aber eine unverzügliche Abgabe erforderlich ist, oder - der Apotheker im konkreten Einzelfall pharmazeutische Bedenken gegen die Substitution geltend macht. Der Arzt muss sein Verordnungsverhalten wegen eines bestehenden Rabattvertrages also nicht ändern, er müsste diesen grundsätzlich nicht einmal kennen. Dennoch empfiehlt es sich auch für den Arzt, sich über übliche oder dem Apotheker z.b. durch Rabattverträge vorgeschriebene Substitutionen zu informieren, da diese, wie im Folgenden dargestellt, erhebliche Auswirkungen für seine Patienten und ggf. auch für seine eigene Haftung haben können. - 3 -
3. Gleich muss nicht gleich sein pharmakologische und rechtliche Aspekte Die Aut-Idem-Regelung setzt voraus, dass bei Wirkstoff- und Dosierungsgleichheit auch eine gleiche Arzneimittelwirkung zu erwarten ist. Dies ist aber zumindest eine grobe Vereinfachung der tatsächlichen Verhältnisse. Wirkung und Nebenwirkungen eines Arzneimittels werden im Wesentlichen bestimmt durch die Wirksubstanz und ihre Dosierung, die Galenik und die Hilfs- und Zusatzstoffe. Die Faktoren Galenik und Hilfsstoffe sind dabei keinesfalls unerheblich. Von der Galenik und auch den Hilfsstoffen hängt wesentlich ab, ob, inwieweit, wie schnell und wie lange der Wirkstoff im Körper zum Einsatz kommt. Auch können Hilfsstoffe ebenso wie die Wirksubstanz Unverträglichkeiten oder Allergien auslösen. Das Aut-Idem-substituierte Präparat muss also nicht unbedingt und immer gleiche Wirkung und Nebenwirkungen entfalten wie das ursprünglich verordnete. Neben Risiken für den Patienten durch die unterschiedlichen Wirkungen ergeben sich daraus auch durchaus brisante Haftungsfragen für Ärzte und auch Apotheker. Bisher war es eindeutig Aufgabe des Arztes, nach Erstellung einer Diagnose eine Therapie vorzuschlagen und ein Medikament auszuwählen. Dieser letzte Schritt wird nunmehr zwischen Arzt und Apotheker geteilt. Ärzte könnten also für Wirkungen von Arzneimittel haften, die sie so nicht verordnet haben, z.b. wegen einer allergischen Reaktion auf eine Hilfssubstanz des Substituts, die im verordneten Präparat nicht verwendet wird. Insbesondere bei einer Wirkstoffverordnung müsste der Arzt somit den Patienten über alle Produktvarianten mit ihren speziellen Risiken und Nebenwirkungen aufklären, um einem Haftungsrisiko wegen Aufklärungsdefizit zu entgehen. Da dies kaum realistisch zu bewerkstelligen ist, erscheint bei solchen Verordnungen bis zur Schaffung einer adäquaten Neugestaltung der Rechtsgrundlage Vorsicht geboten. Gleichwohl empfiehlt z.b. die KV Nordrhein die Wirkstoffverordnung oder die Verordnung eines preiswerten Generikums und den Austausch zuzulassen. Auf das Aut-Idem-Kreuz sollten Ärztinnen und Ärzte also nach ihrer Empfehlung verzichten, um so sicherzustellen, dass stets das preisgünstigste Arzneimittel abgegeben wird. Obwohl in keinem KV-Bezirk Aut-Idem-Quoten vereinbart wurden, die Ärzte verpflichten würden, zu einem bestimmten Prozentsatz die Substitution zuzulassen, haben viele Ärzte dennoch Bedenken, das entsprechende Kreuz auf dem Rezept zu setzen. Sie befürchten, dadurch in Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach 106 SGBV aufzufallen und in den Verdacht der Unwirtschaftlichkeit zu geraten, was wiederum eine Regressforderung nach sich ziehen könnte. Auf der Gratwanderung zwischen Regress und Haftung neigt der konkret regressbedrohte Arzt leicht dazu, den Sirenengesängen der KV-Mitteilungen zu folgen und dabei das Haftungsrisiko zu vernachlässigen. Ein fataler Fehler, so die Auffassung des Arztrechtlers Professor Dr. med. Dr. jur Christian Dierks, der in einem Interview mit der Ärztezeitung am 30.07.2007 betonte, dass aus haftungsrechtlicher Sicht Aut-Idem nur dann zugelassen werden darf, wenn der Arzt sicher weiß, dass alle Arzneimittel, die zur Substitution in Frage kommen, in gleicher Weise zur Behandlung des Patienten geeignet sind. - 4 -
Maßgeblich ist also allein die medizinische Beurteilung. Gibt es begründete Zweifel daran, dass beim individuellen Patienten zwischen verschiedenen Arzneimitteln therapeutisch völlige Gleichwertigkeit besteht, muss der Arzt aus medizinischen oder pharmazeutischen Gründen die Substitution ausschließen. 4. Leitsubstanzen der Trend heißt Aut-Simile Aut-Idem und Rabattverträge haben in den letzten Jahren wesentlich zum Verfall der Generikapreise beigetragen. Das wird von Politik und Krankenkassen durchaus als Erfolg verbucht aber man denkt längst weit darüber hinaus. Am Beispiel der sogenannten Analogpräparate, irreführend auch als Me-too-Präparate bezeichnet, wird deutlich, dass die Substitution nicht an der Grenze der Wirksubstanzgleichheit haltmachen soll. So werden für Analogpräparate bereits Leitsubstanzen definiert, die nach Verordnungsempfehlungen der meisten KVen mit einer hohen Quote zur Verordnung kommen sollen. Omeprazol ist z.b. eine solche Leitsubstanz, weitere Entwicklungen wie Pantoprazol, Lansoprazol u.a. werden zurückgedrängt. Das Kriterium einer Leitsubstanz ist aber nicht etwa das bessere Wirkspektrum, sondern lediglich die frühere Zulassung. Und das bedeutet früheres Eintreten in den generischen Markt. Noch darf der Apotheker seinerseits nicht willkürlich Omeprazol statt Pantoprazol abgeben, das wäre eine Aut-Simile-Substitution. Aber das Definieren von Leitsubstanzen war bereits ein erster Schritt in diese Richtung. 5. Kritische Bewertung der Aut-Idem-Substitution am Beispiel inhalativer Asthmatherapeutika Für viele Wirkstoffe und Arzneimittelgruppen mag eine Aut-Idem-Substitution tatsächlich unproblematisch sein. Für manche anderen Arzneimittel ist eine Substitution dagegen bedenklich, z.b. bei Betäubungsmitteln (BTM), die dennoch als Aut-Idem-fähig bezeichnet sind. Professor Dierks erwähnt in dem o.g. Interview weitere kritische Arzneimittelgruppen: Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite, wie etwa Antiepileptika, Präparate mit psychogenen Komponenten, beispielsweise Antiasthmatika, oder solche, die möglicherweise für den Patienten unverträgliche Hilfsstoffe enthalten wie etwa Lactulose. Dierks warnt darüber hinaus vor der Aut-Idem-Substitution bei Patienten, deren Compliance ohnehin gering ist. Ein Beispiel, das die Problematik der Aut-Idem-Substitution bei komplexeren Therapien besonders gut erkennen lässt, ist die inhalative Asthmatherapie. Dafür eignen sich mehrere Wirkstoffe, z.b. verschiedene Corticoide und bronchienerweiternde Arzneimittel. Diese werden durch Inhalation direkt an den Wirkort gebracht, wodurch z.b. ein schneller Wirkungsbeginn und eine Minderung systemischer Nebenwirkungen erzielt werden. Für einige dieser Wirkstoffe gibt es nun Rabattverträge, so dass der Apotheker gehalten ist, diese entsprechend zu substituieren. Zu beachten sind dabei eventuelle Hinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen. - 5 -
Die tatsächliche Wirkung einer inhalativen Asthmatherapie hängt aber nicht nur von den bekannten Faktoren Wirkstoff und Dosierung, Galenik und Zusatzstoffe ab, sondern hier speziell auch in erheblichem Ausmaß von der Art und der Technik der Inhalation. Diese werden wesentlich durch das verwendete Inhalationssystem und entsprechende Nutzungsanleitungen bestimmt. Von solchen Inhalationssystemen gibt es sehr verschiedene Varianten mit spezifischen Vor- und Nachteilen, z.b. Dosieraerosole (mit oder ohne Spacer), Pulverinhalatoren oder Vernebler. Diese Systeme arbeiten so verschieden, dass in der Folge sehr unterschiedliche Dosierungen erforderlich sein können, um die gleiche klinische Wirkung der Therapie zu erzielen. Auch die Gewöhnung eines Patienten an ein bestimmtes Inhalationssystem spielt eine wichtige Rolle für die Effizienz der Therapie. Eine Substitution durch ein anderes Inhalationssystem unter der vorgeschriebenen Bedingung gleiche Dosierung würde hier zu einer erheblichen Veränderung der Therapie führen. Der geforderte medizinische Standard der Therapie könnte damit unterschritten oder verletzt werden. Eine Änderung bzw. Anpassung der Dosierung kann dagegen nur der Arzt im individuellen Fall vornehmen, nicht aber der Apotheker. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Aut-Idem-Substitution zumindest bei manchen Arzneimitteltherapien mit erheblichen Unsicherheiten und Risiken verbunden ist. Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat bei entsprechender Fragestellung festgestellt, dass eine arzneimittelrechtliche Bewertung, z.b. durch die in der Fachinformation festgehaltene Beschreibung der für die Zulassung zuständigen Behörden vorrangig ist vor einer sozialversicherungsrechtlichen Bewertung. Eine Aut-Idem-Substitution durch ein Produkt mit abweichender Charakterisierung in der Fachinformation wäre demnach aufgrund der Aut-Idem-Regelung oder eines Rabattvertrages nicht statthaft. In jedem begründeten Zweifelsfall und bei Unsicherheit über die möglichen Substitutionsprodukte und ihre Eigenschaften sollte der Arzt Aut-Idem ausschließen, um potentiellen Schaden von seinem Patienten und sich selbst abzuwenden. - 6 -