KEIN PAUSCHALES VERBOT: REGULIERUNG VON FERNBE- HANDLUNGEN IM SINNE DES VERBRAUCHERSCHUTZES

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Transkript:

KEIN PAUSCHALES VERBOT: REGULIERUNG VON FERNBE- HANDLUNGEN IM SINNE DES VERBRAUCHERSCHUTZES Stellungnahme des vzbv zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (4. AMGuaÄndG) 4. Mai 2016 Impressum Verbraucherzentrale Bundesverband e.v. Team Gesundheit Markgrafenstraße 66 10969 Berlin gesundheit@vzbv.de Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände

2 l 7 INHALT I. EINLEITUNG 3 II. ZUSAMMENFASSUNG 3 III. HINTERGRUND 4 IV. BEWERTUNG 6 V. FORDERUNGEN 7

3 l 7 I. EINLEITUNG Mit dem Entwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften setzt die Bundesregierung überwiegend die inzwischen in Kraft getretene EU Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln um (Verordnung (EU) Nr. 536/2014 vom 16. April 2014). Der vzbv konzentriert sich in seiner Stellungnahme auf die Änderung im 48 Absatz 1 des Arzneimittelgesetzes (Artikel 1 Nummer 9), die nicht in Zusammenhang mit der Neuregelung der klinischen Prüfungen steht. Hiermit wird ein Abgabeverbot von verschreibungspflichtigen Humanarzneimitteln bei offenkundigem Fehlen eines direkten Arzt-Patienten-Kontaktes vor der Verschreibung eingeführt. Der vzbv hält diese Regelung für problematisch und nicht vereinbar mit der EU-Richtlinie zur Ausübung der Patientenmobilität (Richtlinie 20011/24/EU vom 9. März 20011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung). II. ZUSAMMENFASSUNG Ein pauschales gesetzliches Verbot der Fernverschreibung als Teil der Fernbehandlung widerspricht dem erklärten Ziel der Bundesregierung, die wohnort- und patientennahe Versorgung auch unter Zuhilfenahme digitaler Dienste zu fördern. Die geplante gesetzliche Vorgabe will die Abgabe von Arzneimitteln verbieten, wenn der Patient ausschließlich telemedizinisch beraten worden ist. Aus Sicht des vzbv ist ein solches Verbot rückwärtsgewandt und unterstützt die noch immer dominante Anbieterorientierung im deutschen Gesundheitswesen. Ein Verbot der Fernverschreibung verhindert die Einführung einer regelbasierten Fernbehandlung in hoher Qualität wie es sie in anderen Europäischen Ländern längst gibt. Der vzbv plädiert dafür, stattdessen ein telemedizinisches Beratungs- und Behandlungszentrum von hoher Qualität in der Regelversorgung zu etablieren. Dies würde den Bedürfnissen vieler Versicherter in Deutschland entgegenkommen und die Patientenorientierung im System stärken. Gemäß Koalitionsvertrag soll mit der gesetzlichen Regelung unterbunden werden, dass deutsche Patienten von europäischen Telemedizin-Anbietern eine Verordnung lediglich auf der Basis von ausgefüllten Onlineformularen erhalten. Dem Patienten wird durch die vorgeschlagene Regelung die Möglichkeit genommen, sich für eine Behandlung im Rahmen einer Online- oder Videosprechstunde zu entscheiden, wenn er seinen Arzt nicht bereits persönlich kennt. Die Nutzung von Fernbehandlungen über Telefon, Video- oder Online-Sprechstunde kann aus Sicht des vzbv jedoch bei bestimmten Indikationen zu einer Vereinfachung, Verbesserung und Sicherstellung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung führen. Dabei reicht es vielfach nicht, wenn Videosprechstunden auf die Beratung beschränkt bleiben. Es gibt erfolgreiche Beispiele aus dem europäischen Ausland wie das Schweizer Portal Medgate, wo eine Medikamentenverordnung bei Bedarf stattfindet. Die telemedizinische Behandlung hat das Potential vorhandene Versorgungslücken zu schließen und kann zugleich eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung sicherstellen. Die Inanspruchnahme bereits bestehender telemedizinscher Angebote aus dem Ausland durch Patienten zeigt, dass telemedizinische Lösungen in Zukunft eine größere

4 l 7 Rolle spielen werden. Eine Regulierung von Anbietern im Sinne des Patientenschutzes ist dabei zwingend notwendig, um unseriöse Angebote auszuschließen. Ein komplettes Verbot von Fernbehandlungen in Deutschland hilft hier allerdings nicht, wenn nicht zeitgleich auch ein reguläres Angebot zur Verfügung steht. Patienten werden so in unseriöse Angebote gedrängt, wenn sie keinen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zur Behandlung ihrer Erkrankungen wollen. Abgesehen davon führt ein reines Verbot zu einer Einschränkung der Patientenrechte, die durch die EU-Patientenmobilitäts-Richtlinie eingeführt wurden. Diese beinhalten die freie Wahl des Patienten sich auch im EU-Ausland behandeln zu lassen. Ein Verbot schränkt auch die Wahlmöglichkeit des Patienten im Hinblick auf die von ihm präferierten Behandlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten ein. Wie und unter welchen Voraussetzungen Patienten aus der Ferne zu behandeln sind, auch wenn noch kein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt vorausgegangen ist, muss klar geregelt werden, um die Qualitätssicherung und damit die Patientensicherheit zu gewährleisten. Die Fernbehandlung regelhaft und strukturiert zu erlauben, bedeutet aus Sicht des vzbv daher insbesondere, die Qualifikation der Anbieter und ihrer Behandlung zu sichern. Kritische Therapiefelder, bei denen eine persönliche Untersuchung notwendig ist, können und sollten definiert und von der ausschließlichen Fernbehandlung ausgeschlossen werden. Durch die konkrete Regulierung von telemedizinischen Diensten in Deutschland würden Patienten zudem wirksam vor unseriösen Angeboten aus dem Ausland geschützt. Ein Thema aus der nahen Vergangenheit, das ganz ähnliche Bedenken hervorgerufen hat wie aktuell die Fernverschreibung war die Zulassung des Arzneimittelversandhandels in Deutschland. Auch bei der Diskussion zur Einführung und Legalisierung des Arzneimittelversands konstatierten viele Stimmen die Unvereinbarkeit mit dem deutschen Apothekenmarkt. Befürchtet wurden Apothekensterben, eine Entfremdung zwischen Patienten und Apothekern sowie eine Zunahme von Arzneimittelfälschungen. Heute ergänzt der Versandhandel die stationäre Apothekenversorgung und ist in der Versorgung etabliert. III. HINTERGRUND Die flächendeckende und wohnortnahe Gesundheitsversorgung in Deutschland steht vor vielfältigen Herausforderungen. Mit dem demografischen Wandel steigt der Bedarf, insbesondere ältere Menschen wohnortnah zu versorgen. Mit dem E-Health Gesetz hat die Bundesregierung den Einstieg in die Digitalisierung des Gesundheitswesens eingeleitet. Damit sollen Sektorengrenzen überwunden, Zugänge zu medizinischen Leistungen vereinfacht und die flächendeckende Versorgung sichergestellt werden. Zugleich reagiert die Bundesregierung auf die zunehmende Nachfrage von Patienten nach digitalen Gesundheitsangeboten, indem zum Beispiel die Videosprechstunde für Bestandspatienten vergütungsfähig gemacht wird. Für die Umsetzung des Gesetzes kommt es nun auf die Ausgestaltung der Telematik- Infrastruktur mit konkreten telemedizinischen Leistungen an. Bedarf und Nachfrage der Patientinnen und Patienten lässt sich an der zunehmenden Nutzung bereits existierender Angebote ablesen: Apps zur Blutzuckerkontrolle zum Beispiel werden tausendfach von Diabetikern in App-Stores heruntergeladen. Die Angebote für verschiedene Online-

5 l 7 Coachings durch die Techniker Krankenkasse haben in den letzten Jahren mehr als eine halbe Millionen Versicherte in Anspruch genommen. Den Wunsch, Videosprechstunden beim Arzt wahrnehmen zu können bringen Versicherte in Umfragen mit sehr hohen Zustimmungswerten zum Ausdruck. 1 Angesichts dieser Ausgangslage nimmt sich der vom Bundesministerium für Gesundheit vorgelegte Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (4. AMGuaÄndG), mit dem Fernverschreibungen verboten werden sollen, wie ein Anachronismus aus. Die Neuregelung im 48 Arzneimittelgesetz (Artikel 1 Nr. 9 BT Drs. 18/8034) sieht vor, dass Arzneimittel von Apothekern nicht an Patienten abgegeben werden dürfen, wenn für den Apotheker offenkundig ist, dass die Verordnung nicht nach einem vorherigen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient ausgestellt wurde. Die Regelung weitet damit das ärztliche Berufsrecht auf weitere Leistungserbringer, nämlich die Apotheker, aus. Das Fernbehandlungsverbot ist bislang nur im Berufsrecht geregelt. In 7 Abs. 4 der Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte (MBO-Ä) heißt es bezüglich der Fernbehandlung: Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlungen, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt. Ein kürzlich von der Bundesärztekammer veröffentlichtes Papier weist zwar viele schon jetzt mögliche telemedizinische Angebote in der ambulanten Praxis aus, spricht sich aber weiterhin gegen eine rein telemedizinische Behandlung aus. 2 Im Ausland sieht man das anders. Der größte Anbieter telemedizinischer Dienstleistungen in Europa ist das Unternehmen Medgate aus der Schweiz. Das Telemedicine Center von Medgate behandelt und berät seit dem Jahr 2000 bis zu 5.000 Patienten täglich und schafft somit einen schnellen Zugang zu ärztlicher Beratung und Behandlung via Telemedizin. Dazu bietet Medgate rund um die Uhr medizinische Beratung und Untersuchungen via Telefon, einen digitalen Anamnesebogen oder Video an. Die telefonische Sprechstunde wird von den meisten Krankenversicherungen erstattet. Eine Videosprechstunde findet in einer kooperierenden Apotheke statt. Der Apotheker ermöglicht dabei dem Patienten den Zugang und die technischen Voraussetzungen für die Videosprechstunde. Zusätzlich zur Telefon- oder Videosprechstunde haben Patienten auch die Möglichkeit, über einen schriftlichen Anamnesebogen eine Behandlung zu initiieren. Haut- und Augenveränderungen werden vom Patienten fotografisch dokumentiert und dem Medgate-Arzt zur Verfügung gestellt. Bei Indikationen, die nach Einschätzung des Medgate-Arztes nicht im Rahmen einer Fernbehandlung therapiert werden können, verweist Medgate auf einen niedergelassenen Arzt. Bei Indikationen, die für die Fernbehandlung geeignet sind, erhalten die Patienten vom Medgate-Arzt Rezepte für ihre Behandlung. 1 Ergebnisse von zwei verschiedenen Umfragen http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/e-health/article/903061/patientenumfrage-video-sprechstunde-arzt-gefragt.html?sh=9&h=1900958541 http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/e-health/telemedizin/article/904512/video-sprechstunde-krankenkasseprescht.html?sh=1&h=1191251169 2 Aktuell Bundesärztekammer Papier http://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/landesaerztekammern/aktuellepressemitteilungen/news-detail/baek-legt-berufsrechtliche-hinweise-und-erlaeuterungen-zur-fernbehandlung-vor/

6 l 7 IV. BEWERTUNG Der Entwurf des 4. AMGuaÄndG nimmt trotz Abmilderung gegenüber dem Referentenentwurf die Apotheker in die Pflicht. Sie müssen prüfen, ob eine Verschreibung in einem persönlichen Arzt-Patienten Kontakt erfolgt ist und werden so nolens volens zu einer Kontrollinstanz. Praktisch stellt sich allerdings die Frage, ob und wie es für den Apotheker offensichtlich werden soll, dass eine Verschreibung ohne persönlichen Kontakt ausgestellt wurde. Dies ist bei Rezepten aus einer Fernbehandlung ebenso wenig erkennbar wie bei Rezepten, die von einer ärztlichen Vertretung ausgestellt werden. Ein pauschales Verbot von Fernbehandlungen ist ordnungspolitisch auch schwer mit der Berufsausübungsfreiheit von Ärzten, Apothekern und Telemedizinanbietern vereinbar. Ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist nur dann zulässig, wenn dadurch das Gemeinwohl gesichert wird. Beispiele wie der Schweizer Anbieter Medgate zeigen jedoch, dass eine qualitativ hochwertige telemedizinische Versorgung den Patientenschutz keineswegs gefährdet, sondern eine bedarfsgerechte Patientenversorgung ermöglicht. Eine gesetzliche Regelung der Fernbehandlung wäre zudem ein wesentlich milderes Mittel als ein Verbot mit zweifelhafter Wirksamkeit. Aus dem Europarecht lassen sich zudem rechtliche Bedenken ableiten. Wenn Rezepte, die im Rahmen einer Fernbehandlung ausgestellt worden sind, in deutschen Apotheken nicht eingelöst werden dürfen, hebelt dies Vorschriften der Richtlinie 2011/24/EU des europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (Patientenmobilitäts-Richtlinie) aus. Diese Richtlinie regelt die wechselseitige Anerkennung von Arzneimittelverschreibungen aus anderen Mitgliedsstaaten in der EU. Explizit wird festgelegt, dass Verschreibungen aus jedem anderen Mitgliedsstaat anerkannt werden müssen, wenn diese nach dem geltenden Recht des Behandlungsmitgliedsstaats ausgestellt wurden. Da deutsche Versicherte außerdem nicht nur berechtigt sind Gesundheitsdienstleistungen im Ausland wahrzunehmen, sondern sich auch an eine nicht deutsche Versandapotheke wenden können, um ihr elektronisches Rezept einzulösen, stellt sich auch mit Blick auf das EU-Recht die Frage nach einer wirksamen Umsetzung des geplanten Fernverschreibungsverbots. Dies beruht dann auf Abschreckung aller Bürger, die sich scheuen, Dienstleister im Ausland zu konsultieren. Die Förderung der wohnort- und patientennahen Versorgung auch unter Zuhilfenahme digitaler Dienste, wie sie die Bundesregierung mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz und dem E-Health Gesetz gerade angestoßen hat, wird durch ein gesetzliches Verbot der Fernverschreibung konterkariert. Ein Verbot verhindert die Einführung einer regelbasierten Fernbehandlung, welche die telemedizinische Versorgung zugleich vereinfacht und qualitativ sicherstellt. Das von der Bundesregierung geplante Verbot ist aus Sicht des vzbv nicht geeignet, die digitale Versorgung des Gesundheitswesens auszugestalten. Ein ähnliches Angebot wie das Schweizer Beratungs- und Behandlungszentrum kann aus Sicht des vzbv zu einer zukunftsfähigen und qualitativ hochwertigen Patientenversorgung in Deutschland beitragen. Der vzbv sieht die Fernbehandlung und die Fernverschreibung als sinnvolle und notwendige Behandlungsergänzung, die Versorgungslücken schließen und die Gesundheitsversorgung verbessern kann.

7 l 7 Fernsprechstunden können zu einer barrierefreien Gesundheitsversorgung entscheidend beitragen, indem sie lange Wartezeiten oder Anfahrtswege zur nächsten Arztpraxis reduzieren. Insbesondere solche Patienten profitieren, die sich unsicher sind, ob sie einen Arzt aufsuchen müssen. In Deutschland muss man einen Arzt in seiner Praxis konsultieren oder stundenlang in der Notaufnahme eines Krankenhauses sitzen, um zu erfahren, ob die vorhandenen Symptome gefährlich sind und man also einen Arzt benötigt. Ein qualitativ hochwertiges Telemedizinportal kann auch die vielerorts völlig überlastete Notfallversorgung entlasten und zu Einsparungen ohne Qualitätsverlust führen. V. FORDERUNGEN Der vzbv fordert aus Gründen der zukunftsfähigen Patientenversorgung, das Verbot der Belieferung von Verschreibungen aus einer Fernbehandlung zu streichen. Eine gesetzliche Regelung dieser Behandlungsmethode ist aus Sicht des vzbv besser geeignet, die Patientensicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Die bisher fehlende gesetzliche Regelung der Fernbehandlung und das geltende Berufsrecht für deutsche Ärzte führen dazu, dass deutsche Patienten von Anbietern telemedizinisch aus dem Ausland behandelt werden können. Deren Angebot kann vom deutschen Gesetzgeber letztendlich in der Praxis weder ausreichend kontrolliert noch gesetzlich geregelt werden. Es ist daher notwendig, dass der deutsche Gesetzgeber klare Regeln aufstellt, nach denen in Deutschland telemedizinische Leistungen angeboten werden können. Diese Regeln würden für alle inländischen Anbieter von telemedizinischen Leistungen gelten, die ihre Leistungen deutschen Patienten anbieten und damit die Sicherheit und Qualität der Leistungen auf dem deutschen Markt fördern. Mit einer Regulierung der Fernbehandlung kann der deutsche Gesetzgeber eine diskriminierungsfreie Lösung schaffen. Zum Schutz der Verbraucher vor unseriösen Angeboten telemedizinischer Leistungen fordert der vzbv konkret: Qualität des Anbieters o Qualifikation und Qualifizierung der Ärzte (Facharztstandard) o Datenschutz und -sicherheit o Aufsicht, Audit und Zertifizierung o Erreichbarkeit und Kommunikationsmöglichkeiten Qualität der Behandlung o Einhaltung medizinisch-wissenschaftlicher Behandlungsstandards o Qualität der Arzneimittelverschreibung (z.b. keine psychotrophen Substanzen) Ausschluss von Therapiefeldern, wie: o Notfälle o Akute Schmerzen o Versorgung von Schwangeren o Versorgung von Minderjährigen o Diätetische Maßnahmen zur Gewichtsreduktion