TRAUER» «ABENDS FÜHLE ICH MIRIAM KASZTURA PFLEGT EBOLA-KRANKE IN AFRIKA SEITE 12 WILDROMANTISCH PER DAMPFBAHN DURCH WALES SEITE 56

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Transkript:

Nr. 4 22. Januar 2015 Fr. 5. MIRIAM KASZTURA PFLEGT EBOLA-KRANKE IN AFRIKA «ABENDS FÜHLE ICH TRAUER» SEITE 12 WILDROMANTISCH PER DAMPFBAHN DURCH WALES SEITE 56 ZWEISAMKEIT WARUM ZU VIEL NÄHE BELASTET SEITE 42 RAUS IN DIE KÄLTE DIE BESTEN TIPPS FÜR GFRÖRLI SEITE 70

EDITORIAL LIEBE LESERINNEN LIEBE LESER FASS BLOSS NICHTS AN! Sagte sich Miriam Kasztura immer und immer wieder, als sie das Krankenhaus in Monrovia betrat. Die 33-jährige Krankenschwester aus Niederösch BE wusste, schon der kleinste Fehlgriff könnte ihr Todesurteil bedeuten. Das öffentliche Spital in der liberianischen Hauptstadt musste einige Monate zuvor geschlossen werden, weil sich ein Arzt und zwei Pfleger mit dem Ebola-Virus infiziert hatten, worauf Gespräch über Ebola: Krankenschwester Miriam Kasztura (links) mit Redaktorin Angela Lembo. Chaos ausgebrochen war. Miriam Kasztura fand das Krankenhaus in einem desolaten Zustand vor: Überall lagen verseuchte und hoch ansteckende Gegenstände herum, deren blosse Berührung verheerende Folgen haben konnten. Die Räume mussten gereinigt und desinfiziert werden, bevor das Spital die medizinische Versorgung für die Bevölkerung wieder sicherstellen konnte. Miriam Kasztura gehört zu den rund 35 Schweizerinnen und Schweizern, die seit März 2014 für die Hilfsorganisation Médicins sans Frontières (MSF) nach Westafrika gereist sind, um der Bevölkerung im Kampf gegen Ebola zu helfen. Sie alle setzen ihr eigenes Leben aufs Spiel, um das Leben anderer zu retten. DER EINSATZ HAT ERFOLG. Ein Jahr nach dem Ausbruch der Epidemie, die in Westafrika rund 8500 Todesopfer gefordert hat, geht zum ersten Mal in den betroffenen Gebieten die Zahl der Ansteckungen zurück. Dank Menschen wie Miriam Kasztura. DER KAMPF GEHT WEITER. Jetzt in Sierra Leone. Dorthin ist Miriam Kasztura gereist, bloss fünf Wochen nach ihrer Rückkehr aus Liberia. Während ihres kurzen Zwischenstopps zu Hause in der Schweiz hat sie geheiratet und unsere Redaktorin Angela Lembo zum Interview getroffen. Lesen Sie ab SEITE 12. Herzlich, Ihr Michael Solomicky, stv. Chefredaktor Entdecken Sie den Norden Bestellen Sie jetzt die neuen Sommerkataloge und lassen Sie sich beraten. Skandinavien Schottland Island Hurtigruten Russland Baltikum Eiszeit Foto: Reto Albertalli Tel. 056 203 66 66 www.kontiki.ch

Nr. 4 vom 22.1. 2015 MIT TV TÄGLICH 18 Zeitreisender aus den Fünfzigern: Hämpi Ruf, Kopf der Nashville Rebels, lebt für den Rock n Roll. Leserreise WALES Seite 62/63 Rubriken 12 Helfen aus Berufung: Krankenpflegerin Miriam Kasztura ist für Médecins sans Frontières in Ebola- Gebieten im Einsatz. 56 36 Wie Fondue in den letzten 60 Jahren zur Nationalspeise wurde. 24 Feurige Lavaströme: Die faszinierenden Bilder des Schweizer Fotografen Max Schmid. Wer mit der historischen Dampfbahn durch Wales tuckert, kommt Zug um Zug zur Ruhe. INHALT Menschen Traumfänger... 10 Urs Lehmann, Verbandspräsident von Swiss Ski Miriam Kasztura... 12 Die Krankenpflegerin über Ebola, den Tod und ihre Trauer Hämpi Ruf... 18 Der Rock n Roller und seine Nashville Rebels Wissen Lava... 24 Das Naturschauspiel der aktiven Vulkane Essen Fondue... 36 Kleine Kulturgeschichte des Schweizer Nationalgerichts SchönerLeben Zusammenleben... 42 Interview mit Paartherapeut Klaus Heer Lebensberatung... 49 Dr. Hefti weiss Rat Ausprobiert... 51 Tandemflug mit dem Gleitschirm Reisen Wales... 56 Mit der Bahn durch verträumte britische Landschaften Weekendtipp... 67 Museum für Musikautomaten in Seewen SO Gesundheit Kälte... 70 Zehn Tipps gegen das Frieren Puls... 73 Vor- und Nachteile von Linsenimplantaten Kunst Mickry 3... 78 Drei Frauen und ihr Werk «Die Hingabe. Der Fluss. Die Eitelkeit. Der Erguss» Familie der Woche...6 Aus dem Fotoalbum...11 Sudoku...22 Spielspass...50 Rätsel...52 Medientipps...75 Horoskop...76 Impressum...76 Leserforum...77 Marktplatz...80 Milena Moser...82 Gewinnen Sie... 83 Titelfoto: Reto Albertalli Fotos: Reto Albertalli, Peter Hauser, Max Schmid, Jorma Müller, Roth Stiftung Schweizer Familie 4/2015 5

MENSCHEN «Ich will HELFEN» MIRIAM KASZTURA riskiert ihr Leben, um das Leben anderer zu retten. Die Arbeit mit Ebola-Patienten löst in ihr Trauer, Angst und Wut aus. Dennoch kämpft die Krankenpflegerin weiter gegen die Epidemie. Interview Angela Lembo Fotos Reto Albertalli Miriam Kasztura, Sie haben vor kurzem geheiratet. Hat Ihr Mann Sie am Altar geküsst? Klar. Warum nicht? Aus Angst vor Ebola. Eine Woche zuvor waren Sie noch für Médecins sans Frontières (MSF) in Liberia im Einsatz. Zum Glück war das für meine Angehörigen kein Grund, mich zu meiden. Sie waren gut informiert und wussten, dass die Ansteckungsgefahr nahezu bei null lag. Warum? Weil ich alle Sicherheitsregeln befolgt hatte. Die Krankheit ist erst übertragbar, wenn sich Symptome zeigen. Darum musste ich nach der Rückkehr während dreier Wochen zweimal pro Tag Fieber messen und auf grippeähnliche Symptome achten. Gerade haben Sie gehustet und sich die Nase geschnäuzt. Sind das erste Anzeichen? Ich bin bloss erkältet. Aber der Gedanke an Ebola lässt mich natürlich nie ganz los. Von Zeit zu Zeit bewege ich Schultern und Kopf und frage mich: Habe ich Gliederschmerzen? Ist da vielleicht doch etwas Kopfweh? Könnte es Ebola sein? Belastet Sie die Angst, sich angesteckt zu haben? Ebola ist eine lebensgefährliche und hoch ansteckende Krankheit. Das löst Ängste aus, auch bei mir. Ich kann mich aber beruhigen, indem ich nochmals durchgehe, was ich mit Sicherheit weiss. Was wäre das? Im Moment ist es die Tatsache, dass mein letzter Kontakt mit einem Patienten mehr als 21 Tage zurückliegt. Damit ist die Inkubationszeit vorbei. Was hat Sie beruhigt, als Sie in Liberia waren? Manchmal ging ich abends im Bett den Tag nochmals durch, um mich zu ver sichern: Nein, ohne Schutzkleidung habe ich nichts berührt, das infiziert sein könnte. Ja, ich habe meine Hände vor dem Essen gewaschen. Nein, ich habe nicht meine Augen gerieben. So kam ich zur Ruhe. Trotz der Angst, die mit Ebola verbunden ist, liessen Sie sich nach Monrovia, der Hauptstadt Liberias, schicken. Warum? Ich hätte den Einsatz ablehnen dürfen. Doch es fehlt im Ebola-Gebiet an Hilfskräften. Darum flog ich hin. Und weil ich aus früheren Einsätzen weiss, dass die Sicherheit der Mitarbeiter für MSF oberste Priorität hat. Inwiefern unterschied sich die Vorbereitung auf den Ebola-Einsatz von früheren Einsätzen? Ich hatte eine zweitägige Ausbildung in Brüssel. Dort lernte ich unter anderem, wie man einen Schutzanzug an- und auszieht, in dieser Montur Blut abnimmt und verstorbene Patienten korrekt in Leichensäcke packt. Warum ist das Verpacken der Toten bei den Vorbereitungen wichtig? Weil die Körperflüssigkeiten höchst infektiös sind. Pro Verstorbenem braucht es zwei Säcke und spezielle feuchtigkeitsabsorbierende Tücher. Ausserdem gibt es Dinge, an die man sich aus Pietätsgründen halten muss. Zum Beispiel? Wer tagelang Verstorbene in Leichensäcke packt, könnte leicht in eine Routine verfallen. Da muss man aufpassen, dass man nicht etwa mit den Schuhen auf die noch leeren Säcke tritt. Fussabdrücke auf einem Leichensack wären ein schlimmer Anblick für die Angehörigen. Kann man sich angemessen auf einen Ebola-Einsatz vorbereiten? HELFEN AUS BERUFUNG Vor 12 Jahren liess sich Miriam Kasztura, 33, zur Krankenpflegerin ausbilden. Die junge Frau aus Niederösch BE wollte helfen, am liebsten bei Médecins sans Frontières (MSF). Sie machte einen Master in Public Health und war 2011 erstmals für MSF im Einsatz. Es folgten weitere acht Einsätze in Afrika, wo sie sich um Kriegsverletzte, Malaria-, Cholera- und Meningitiskranke kümmerte und für die Masernimpfung starkmachte. Anfang Dezember kam sie aus Liberias Hauptstadt Monrovia zurück, ihrem ersten Ebola-Einsatz. Seit Januar leitet Miriam Kasztura ein Ebola-Behandlungszentrum mit 100 Betten in Sierra Leone. 12 Schweizer Familie 4/2015

«Ich versuche bei meiner Arbeit, auch die schönen Momente im Herzen zu behalten»: Miriam Kasztura, 33. Schweizer Familie 4/2015 13

MENSCHEN Klare Sicherheitsregeln: Desinfizieren und die Schutzkleidung richtig an- und ausziehen sind überlebenswichtig. «Ich lernte meine Patienten kennen, und mir war bewusst, dass jeder zweite sterben würde.» Nur auf die medizinischen Rahmenbedingungen. Der Rest war zum grossen Teil anders als alles, was ich früher erlebt hatte. Inwiefern? Nehmen wir Malaria. Daran sterben weltweit mehr Menschen als an Ebola. Doch bei Ebola betrifft die Krankheit die ganze Bevölkerungsgruppe. Sie zerfällt regelrecht, und das soziale Leben wird in seinen Grundfesten erschüttert. Fünf von zehn Infizierten sterben trotz Behandlung. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie sich diese hohe Sterblichkeit auf den Alltag auswirkt. Sie ist an jeder Ecke sichtbar. Was haben Sie gesehen? Die Strassen in Monrovia waren leer, kein Autohupen, kein Kinderlachen, kein Feilschen auf den Märkten wie in anderen afrikanischen Hauptstädten. In manchen Dörfern standen ganze Häuserzeilen leer, weil die Bewohner tot waren. Jeder Einheimische hat den Verlust eines oder mehrerer Angehöriger zu beklagen. Wie wirkt sich das auf die Menschen aus? Sie haben Angst und sind traumatisiert. Dazu kommt das Stigma, das immer noch verbreitet ist. Manche Menschen verschweigen ihre Symptome aus Angst, geächtet zu werden. Haben Sie das erlebt? Ja. Ein Einheimischer sagte uns, er habe kein Fieber, sei nicht krank und habe auch keine nahen Angehörigen verloren. Also entliessen wir ihn ohne einen Bluttest. Später erfuhren wir, dass eine andere HOCH ANSTECKENDE KRANKHEIT Schon 1976 gab es erste Fälle von Ebola im Kongo und im Sudan. Bislang betraf die hoch ansteckende Krankheit, an der laut WHO bis zu 90 Prozent der Infizierten ohne Behandlung sterben, meist nur Menschen in kleinen Dörfern. Erst im ver gangenen Jahr kam es in Guinea, Liberia und Sierra Leone zu einer grossen Epidemie. Rund 8500 Menschen sind in Westafrika bis heute gestorben. Gegen die Krankheit, die sich innert 21 Tagen nach der Ansteckung mit grippeähnlichen Symptomen, später mit Durchfall, Erbrechen und zuletzt mit Organversagen äussert, gibt es Organisation den Mann zu uns geschickt hatte, weil ein Familienmitglied gestorben war und er Fieber hatte. Was unternahmen Sie? Wir suchten den Mann, fanden ihn aber nicht. Wir liessen es auf sich beruhen, weil wir keine Hexenjagden veranstalten. Das wäre ethisch nicht vertretbar. Haben Sie den Mann wieder gesehen? Wir wissen nicht warum, aber er kam ein paar Tage später zurück und gestand, dass weder eine Prophylaxe noch Medikamente. Bei der Behandlung geht es vor allem darum, den Flüssigkeitsverlust auszugleichen und andere Krankheiten wie Malaria auszuschalten, die den Körper zusätzlich schwächen. Forscher arbeiten derzeit mit Hochdruck an einer Impfung. 14 Schweizer Familie 4/2015 Fotos: MSF

Pause zwischen zwei Ebola-Einsätzen: Die Krankenpflegerin am Genfersee. er seine Krankheit verschwiegen hatte. Wir machten den Test. Er war positiv. Normalerweise sind Menschen mit Ebola enorm geschwächt. Wie ist es möglich, dass der Mann selbständig zurück zur Station gelangen konnte? Ebola verläuft nicht bei allen gleich. Manche Patienten fühlen sich nicht besonders krank. So auch dieser Mann. Er wurde gesund. Heute arbeitet er für MSF und klärt seine Landsleute über die Krankheit auf. Viele Patienten sind in einem körperlich sehr schlechten Zustand. Was haben Sie an deren Betten gesehen? Es heisst, Ebola-Patienten bluten etwa aus dem Mund und erbrechen Blut. Das habe ich aber nur selten gesehen. Krank fühlen sich die Betroffenen vom Durchfall und weil sie sich ständig übergeben müssen. Durch den Flüssigkeitsverlust werden sie schwach. Sämtliche Körperflüssigkeiten sind hoch ansteckend. Was passiert mit Fäkalien und Erbrochenem? Nichts davon darf die Station verlassen. Körperflüssigkeiten werden mit Chlor desinfiziert und in speziellen Containern entsorgt. Abfall wird verbrannt. Vom ständigen Desinfizieren der Zimmer riecht es überall nach Chlor. Wie viele Menschen haben Sie sterben sehen? Das weiss ich nicht genau. Ich war nur kurz in jener Station, wo die bestätigten Fälle behandelt werden. Die grösste Zeit verbrachte ich mit dem Aufbau eines Zentrums für Verdachtsfälle. Dort sind die meisten Patienten noch am Leben. Wir testeten sie auf Ebola und pflegten sie, bis das Ergebnis da war und wir sie entlassen oder an die Krankenstation überweisen konnten. Der Tod war aber trotzdem immer präsent. Warum? Ich lernte meine Patienten kennen, kannte deren Familiengeschichte, und mir war bewusst, dass jeder zweite sterben würde. Was haben Sie dabei gefühlt? Meine erste Reaktion war: Das ist der Job, ich muss weitermachen, es gibt noch viel zu tun. Abends, zu Hause, überkam mich ein Gefühl von Trauer, Frustration, vielleicht sogar Wut. Wut worauf? Auf unsere Gesellschaft. Ich will nicht klagen, immerhin arbeiten Forscher jetzt an einer Ebola-Impfung. Hätten sie schon viel früher damit begonnen, gäbe es aber nicht über 8000 Ebola-Tote innerhalb eines Jahres. Die ersten Fälle von Ebola gab es bereits 1976. Warum wurde nicht schon längst eine Impfung entwickelt? Weil die Forschung auf diesem Gebiet bislang weder wirtschaftlich noch politisch interessant war. Jetzt ist das anders. Die Krankheit drohte in die westliche Welt vorzudringen, und die Medienpräsenz war plötzlich riesig. Diese Ungerechtigkeit frustriert mich. Inwiefern? Manche Leute aus Europa und Nordamerika wurden in ihre Heimat ausgeflogen und bekamen dort Medizin, die noch nicht zugelassen war. Für die Einheimi- Schweizer Familie 4/2015 15

schen aber gab es nichts. In manchen Spitälern fehlten sogar die Schutzanzüge. Ist also ein Leben in Europa oder Nordamerika mehr wert als eines in Afrika? Diese Frage müsste man Politikern oder den Verantwortlichen stellen, die über die Ressourcen entscheiden. Für mich ist jedes Leben wertvoll. Schutzanzüge bewahren Pflegende vor einer Ansteckung. Wie fühlten Sie sich darin? Wie in einem Plastiksack. Man ist nicht sehr beweglich, und es ist enorm heiss. In Monrovia lag die normale Tagestemperatur um 36 Grad bei nahezu 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Schon nach zwei Minuten im Anzug lief mir der Schweiss aus allen Poren. Wegen der Gefahr einer Überhitzung darf man darin nie länger als eine Stunde arbeiten. Pfleger in einem Schutzanzug sind vermummt und kaum zu erkennen. Wie ist das für die Patienten? Unpersönlich und daher schwierig. Darum habe ich mich beim Bau der neuen Station dafür eingesetzt, dass die Patienten uns durch ein Fenster ohne Schutzanzug sehen können. So wissen sie, wer danach zu ihnen kommt. Ausserdem haben wir unsere Namen auf die Haube geschrieben. Wer krank ist, braucht Nähe und Zuneigung. Wie können Sie bei einem Ebola-Patienten dieses Grundbedürfnis stillen? Ich nehme ihn in den Arm und tröste ihn. Trotz der Gefahr, sich anzustecken? Im Schutzanzug kann mir nichts passieren, wenn ich ihn fachgerecht an- und ausziehe. Ich halte mich an die Regeln. Tragen Sie keinen Anzug, dürfen Sie aber niemandem zu nahe kommen. Das muss seltsam sein. Man gewöhnt sich daran. Und doch fühlte es sich zuweilen unnatürlich an. Erzählen Sie. Ich wohnte mit anderen MSF-Mitarbeitern in einem Haus. Abends sassen wir oft beisammen, allerdings mit je einem Meter Abstand. Jeder erzählte von seinem Tag. Manchmal war jemand traurig. Normalerweise würde ich heranrücken und den anderen in den Arm nehmen. Doch das ging nicht. Da fühlt man sich hilflos. «Was ich während der Arbeit an Gefühlen wegstecken musste, kam abends hoch.» Kann trotz dieser Distanz Nähe entstehen? Ja. Was ich im Alltag an Gefühlen wegstecken musste, um mich auf die Arbeit zu konzentrieren, kam abends hoch. Der Austausch mit den Kollegen half bei der Verarbeitung. Das verbindet. Wie schafften Sie es, ob all des täglichen Leids nicht zu zerbrechen? Ich hatte meine kleinen Inseln. Morgens machte ich Yoga, abends las ich einen Krimi. Leichte Literatur lenkte mich ab. Und ich versuchte immer, die schönen Momente im Herzen zu behalten. Wie sieht ein schöner Moment im Ebola-Einsatz aus? Mich beeindruckte der Elan der einheimischen Mitarbeiter. Wie sie unermüdlich halfen und immer weitermachten. Das war eine Freude. Ab und zu machten wir Spässe und lachten. Das tat gut. Was noch? Wird ein Ebola Patient gesund, gibt es ein Fest. Dann stehen alle vor dem Ausgang und sehen zu, wie er herausschreitet. In «Ich habe mein Schicksal bei einem Ebola-Einsatz selber in der Hand»: Miriam Kasztura. einem der Behandlungszentren gibt es eine Wand, an die jeder Überlebende einen farbigen Handabdruck hinterlässt. Ein wunderschönes Kunstwerk. In zwei Wochen startet Ihr nächster Einsatz, diesmal in Sierra Leone, dem Nachbarstaat Liberias. Fordern Sie das Schicksal heraus? Ich sehe es nicht so, dass ich mein Leben aufs Spiel setze. Anders als in einem Konfliktgebiet, wo ich in gewisser Weise der Willkür der Kriegsparteien ausgeliefert bin, habe ich mein Schicksal bei einem Ebola- Einsatz selber in der Hand. Ich beachte die Sicherheitsregeln und passe auf mich auf. Was sagt Ihr Mann dazu, dass Sie statt auf Hochzeitsreise erneut ins Ebola-Gebiet reisen? Er ist derzeit an einer Weiterbildung in England, die er erst im September abschliessen wird. Weil er aber selber für MSF arbeitet, versteht er mich gut. Vielleicht ist er sogar ein klein wenig neidisch. Wer bei MSF arbeitet, hat diesen inneren Motor. Wir wollen helfen. Schweizer Familie 4/2015 17

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