6 Reisen de pro Tag Die Arbeitspendlerin: Valérie Dussex Silvestri, 42, weiss als Kundenbeirätin und Langdistanzpendlerin, wo Verbesserungen möglich sind.
7 Der Freizeitreisende: Urs Weishaupt, 61, hat als Pensionär einen besonders entspannten Blick auf die SBB-Dienstleistungen. Er will Komfort und Stil. Die SBB der Kunden auf dem Prüfstand: Die Kundenbeirätin Valérie Dussex Silvestri und der ehemalige St. Galler Informationschef Urs Weishaupt reisen mit der SBB und vermitteln ihre Sicht. Text: Ruedi Eichenberger Fotos: Stefan Walter
8 Vor Urs Weishaupt, 61, steht ein Espresso im Porzellantässchen und auf einem weissen Tischtuch. Der Ende 2013 zurückgetretene Informationschef der Stadt St. Gallen sitzt um 11 Uhr im Speisewagen des aus München kommenden Eurocity 196 einer seiner Lieblingszüge: «So hats Stil. Und der Zug fährt von St. Gallen nonstop nach Winterthur, ohne die Zwischenhalte, welche die Fahrt gefühlt um eine Viertelstunde verlängern.» Valérie Dussex Silvestri, 42, würde sich ebenfalls einen Kaffee wünschen. Doch im Interregio von Brig nach Genf Flughafen gibt es keinen Speisewagen und keine Minibar ein Service, den sie vermisst, diesen frühen Morgen besonders. «Im Kundenbeirat hat man uns gesagt, es sei nur eine regionale Verbindung, dabei dauert die gesamte Fahrt zwei Stunden und 40 Minuten.» Der Kundenbeirat ist 2009 geschaffen worden und war ein erstes Symbol für die Zuwendung der SBB zu den Kunden. Seine 26 Mitglieder beraten das Unternehmen aus Kundensicht. Sie gestalten mit, besitzen aber keine Entscheidkompetenz. Valérie Dussex hat sich vor drei Jahren für die Teilnahme beworben; sie ist Sprecherin für die Romandie und das Tessin. «Le Matin» in der Luftseilbahn Urs Weishaupt wohnt am nördlichen Stadtrand St. Gallens, er will in der Sammlung Rosengart in Luzern wieder einmal Picasso und Klee ansehen. Valérie Dussex Zuhause liegt 1300 Meter über Meer hoch in Vercorin VS, über Sierre im Rhonetal. Sie arbeitet bei Swisscom als Business-Analystin und fährt heute zur Arbeit nach Lausanne. Er, pensioniert und teilzeitlich noch auf Mandatsbasis tätig, benützt den Öffentlichen Verkehr mehr und mehr als Freizeitreisender. Sie ist als Pendlerin unterwegs meist zwei Tage pro Woche, einen weiteren arbeitet sie von zu Hause aus. Die Reise von Valérie Dussex beginnt punkt 6 Uhr früh in der Luftseilbahn von Vercorin ins Tal hinunter nach Chalais. Es ist die erste Fahrt des Tages; die Betriebsleiterin und Kassiererin in Personalunion hängt in der 15-plätzigen Kabine soeben noch den druckfrischen «Le Matin» und den «Nouvelliste» auf die einheimische Kundschaft schätzt den Service. Urs Weishaupt startet vier Stunden später mit dem Stadtbus, an der Endhaltestelle einer Zweiglinie direkt neben der Siedlung, 2016 will die SBB bei der zu den Top unternehmen der Schweiz gehören. in der er wohnt. Ob Luftseilbahn, Bus und Bahn im Wallis oder Bus / Zug / Zug von St. Gallen nach Luzern: Beide Transportketten sind perfekt verzahnt, die Umsteigezeiten kurz, der Takt dicht. Das ist, worum die halbe Welt die Schweiz beneidet und was SBB Kunden heute erwarten. Billette: zu kompliziert Der Billettkauf ging noch voraus. Dussex und Weishaupt besitzen beide ein Halbtaxabo. Sie hat ihr Ticket zuhause mit dem iphone gelöst, er benützt meist ebenfalls den SBB Mobile Shop, heute jedoch einen Billettautomaten in der St. Galler Bahnhofhalle. Und ärgert sich etwas: «Zehn Klicks bis zum Billett, dies ist einfach zu kompliziert. Schauen Sie» er zeigt zu einem anderen Automaten, «dieses junge Paar war bereits längere Zeit vor mir da und hat es noch immer nicht geschafft.» Valérie Dussex findet die Mobile Tickets praktisch. Erst nach der Billettkontrolle Zugchef Bernard Biaggi scannt mit seinem neuen Zugpersonalgerät den Code auf ihrem Bildschirm verfinstert sich ihre Miene: «Warum muss ich jedes Mal zusätzlich mein Halbtaxabo zeigen und zudem noch umdrehen? Dies begreife ich nicht.» Weishaupt kennt Dussex nicht, beanstandet aber unabhängig von ihr das Gleiche: «Da kommt bei mir immer wieder die Erinnerung an alte Zeiten hoch, als Passagiere noch Transportgut waren und nicht Kunden.» Eine SBB, die von den Kunden her denkt, von innen nach aussen, statt umgekehrt: Genau auf diesem Weg befindet sie sich. Dies mit dem Ziel, bis Ende 2016 bei der zu den Topunternehmen der Schweiz zu gehören. «Die Kundenbrille aufsetzen», das beginnt oben in der Hierarchie: 3000 Kaderleute fassen an 60 «Top SBB II»-Workshops die Aufgabe, als Kunden zum Beispiel online Plätze zu reservieren, mit sperrigem Gepäck eine Reise anzutreten oder in einem grossen Bahnhof Blumen und eine Flasche Wein zu kaufen. Oft gar nicht so einfach weil sie auf Dinge stossen, die nur von innen her gedacht worden sind statt vom Kunden. Anstösse zum Handeln gibt auch die Marktforschung. Bei den «Basisleistungen» wie Sicherheit, Sauberkeit und Pünktlichkeit sieht sich die SBB mehrheitlich auf Kurs, Schwächen decken die Erhebungen zur etwa in der Kundeninformation bei Störungen oder der Pünktlichkeit auf. Diese geht sie an. Darüber hinaus sollen sich die Kunden von der SBB verstanden fühlen und sich über Aufmerksamkeit freuen. Verspätungen, Schmutz oder überfüllte Züge sind für beide Reisenden kaum ein Thema. Schon eher ist es der Komfort. Den IC-Doppelstockzug von Zürich nach Luzern empfindet Urs Weishaupt als wenig komfortabel: «Für Strecken bis zwei Stunden mag er angehen, aber ein echter
9 Liebt Reisen mit Stil, möglichst ohne Zwischenhalte: Urs Weishaupt. «Ein echter Fernverkehrszug muss komfortabel sein ansonsten genügt es mir, vom Personal vernünftig behandelt zu werden.» Urs Weishaupt Nutzt die Zeit unterwegs für ihre Arbeit: Valérie Dussex. «Ich wünsche mir von der SBB, dass sie den Kundenbeirat noch stärker mit einbezieht als bisher.» Valérie Dussex Silvestri 26 Beiräte zeigen der SBB die Kundensicht auf Valérie Dussex Silvestri ist eine von ihnen. S BB Sondernummer zum Geschäftsbericht 2014
10 Fernverkehrszug ist dies nicht.» Oft verbarrikadiere Gepäck mangels Ablagemöglichkeiten die Durchgänge. Haltung und Verhalten? Die Ansprüche von Valérie Dussex Silvestri sind diesbezüglich bescheiden. Als Pendlerin erwartet sie keine besondere Aufmerksamkeit. Aber auch der Freizeitreisende Urs Weishaupt denkt ähnlich. «Reisen ist für mich primär Zweck und der Zug ein Massentransportmittel. Meist fühle ich mich vom Personal vernünftig behandelt, das genügt.» Von der SBB und ihrem Personal erwartet er Kulanz. Wenn schon, dann hätte Dussex lieber dies: «Ein Fitnesswagen auf der Reise nach Zürich, das wäre super.» Oder eine bessere Netzverbindung auf der Gotthardstrecke. Zudem wünscht sie sich, dass die SBB noch mehr auf den Kundenbeirat höre. Perfekt verzahnte Transportketten: von der Seilbahn bis zum Fernverkehr. Videointerviews mit Urs Weishaupt und Valérie Dussex Silvestri finden Sie in der ipad-ausgabe von «Unterwegs». Das Kundenversprechen von SBB Cargo SBB Cargo schreibt zum zweiten Mal schwarze Zahlen. Ihr Erfolg und der Erfolg ihrer Kunden sind nahe Verwandte. «Wir tragen zum Erfolg unserer Kunden bei», heisst der Leitsatz des 2014 abgegebenen Kundenversprechens. Die Nähe zu den Güterkunden und die Haltung ihnen gegenüber sind für Cargo-Chef Nicolas Perrin entscheidend: «Die Menschen bei SBB Cargo sind neben der Leistung ein wesentlicher Faktor.» Noch sehen Partner Spielraum nach oben. «Die Grundleistung ist sehr gut», lobt Christian Kempter-Imbach, Geschäftsführer von Imbach Logistik. Doch: «Verbesserungs - potenzial gibt es bei Unregelmässigkeiten. SBB Cargo muss sich noch vermehrt mit den Kunden und ihren Dienstleistungen identifizieren.» Ähnlich spricht Daniel Brenner von Novelis Switzerland: «Im Verkauf nehme ich die SBB als sehr kunden orientiert wahr, im Tagesbereich aber als relativ kompliziert. Sie sollte auch die Sprache der Kunden reden statt nur jene der Bahn.» Hier gibt das Versprechen Gegensteuer. Es baut auf den fünf Werten der SBB auf und versteht zum Beispiel den Wert «ambitioniert» so: «Wir verstehen unsere Kunden und sind Partner auf Augenhöhe.» Oder «respektvoll»: «Wir handeln unkompliziert, schnell und freundlich.» Dass die Kunden unterschiedlich ticken, kalkuliert die SBB ein. Sie arbeitet mit sechs modellhaften Kundentypen. Die SBB will die Zufriedenheit nicht nur mit Kosmetik steigern, sondern sie will sich umfassend für die Kunden und den Nutzen für sie einsetzen. Dies beginnt mit den Chefs und setzt sich mit allen anderen Mitarbeitenden fort: Alle sollen sich ihrer Rolle in der Wertschöpfungskette bewusst werden. «Denn die Mitarbeitenden im direkten Kontakt mit den Kunden können nur so stark sein wie jene hinter ihnen, welche die Voraussetzungen schaffen», sagt Karin Grundböck, die den Blickwechsel mitverantwortet. Bald geht es in die Breite: Auf die im März abgeschlossenen Workshops der 3000 Kaderleute folgen nun Sicherheits- und Qualitätswerkstätten für alle Mitarbeitenden, in denen Kundenorientierung grossgeschrieben wird. 100 Minuten nach der Abfahrt im Bahnhof St. Gallen hat Urs Weishaupt demnächst Zug erreicht. In der gleichen Zeit nach dem Türschliessen in der Luftseilbahn nähert sich Valérie Dussex Silvestri ihrem Ziel Lausanne. «Ausstieg in Fahrrichtung links», tönt Zugchef Biaggi aus dem Lautsprecher. Sie lächelt mit dem Kundenbeirat hat sie diese Neuerung bewirken können, als Hilfe für viele Reisende mit Kinderwagen oder anderem grossem Gepäck. 3000 SBB Kaderleute haben an Workshops die Kundenbrille aufgesetzt.