glaube liebe hoffnung

Ähnliche Dokumente
Ehrlich gesagt. Wie s mir geht? ehrlich gesagt hab ich schon lang nicht mehr darüber nachgedacht

Sprüche für die Parte und das Andenkenbild

Anstatt einen Menschen wirklich und richtig kennenzulernen, verlieben sich viele lieber in die Oberflächlichkeit.

PERSONEN MARIA: lebt mit ihrer Familie in Astenberg/

spaßeshalber begonnen Und nun hat ES sich verselbständigt bedingungslose Zustimmung es ist immer noch gleich Eigentlich mache ich gar nichts mehr.

Anrufung. 1 zu 1. Tim 2,4. Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Marie Chapian. Königstochter. Liebesbriefe von deinem Gott. Aus dem Amerikanischen von Eva-Maria Admiral

ab abend Abend aber Aber acht AG Aktien alle Alle allein allen aller allerdings Allerdings alles als Als also alt alte alten am Am amerikanische

August Macke: Mädchen unter Bäumen, Franz Marc: Blaues Pferd

Tim. und das Geheimnis der blauen Pfote

Wortformen des Deutschen nach fallender Häufigkeit:

Europa literarisch. Europa in den Literaturen Mittel-, Ost und Südosteuropas.

HGM Hubert Grass Ministries

Liturgievorschlag für Maria Empfängnis

Unterwegs, damals und heute

WORTGOTTESDIENST IM JULI 2016 Fest Mariä Heimsuchung ( 2. Juli )

Krieg Stell dir vor, er wäre hier

VORSCHAU. zur Vollversion. 1 Aufgabe vor dem Lesen 2. Aufgabe nach dem Lesen

Das Hirtenkind. Thomas Koller Stubenberg am See 191 Austria Tel.: (+43) 3176 /

Jenseitsbotschaften Was dir deine geliebte Seele noch sagen möchte Kartenset

Der schräge Engel. Eine Weihnachts geschichte

Predigt zu Johannes 14, 12-31

Ein Vater hatte zwei Söhne. Der Jüngere sagte: Vater, gib mir mein. Der Vater teilte seinen ganzen Besitz unter den Söhnen auf.

Maria Muñoz Muñoz. Sonnenmädchen. Märchen

8. Gauck war zwar vorbereitet, aber doch schockiert, als er nach der Wiedervereinigung 9. Die DDR 10. Die Stasi, der Geheimdienst der DDR,

SCHAUEN BETEN DANKEN. Ein kleines Gebetbuch. Unser Leben hat ein Ende. Gott, wir möchten verstehen: Unser Leben hat ein Ende.

Das war die eine Seite in mir. So selbstbewusst konnte sie sprechen. Aber da gab es auch noch eine andere Seite. Erinnert ihr euch? Ich hatte Angst.

Wir sind und. Ich bin albern und Ich bin sensibel und Ich bin fröhlich und Ich bin nicht nur nur, sondern vor allem auch und!

Die Zeitreise. Krippenspiel 2013 in Detershagen. Prinzessin Min Prinzessin Eu Engel Hirte Terminator Ritter

Hinweise, Anleitung und Einführung Liebe und Vergebung...22 Meditation für Liebe und Vergebung...27

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Gedichte (und Bilder) von Michael Tomasso

Das Leben ist fast ein Wunder

Lichterandacht. Lied: Gl. 505, 1-3 Wir sind nur Gast auf Erden

Wigbert Stockhausen gestorben am 24. Februar 2016

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Interpretation zu Horváth, Ödön von - Geschichten aus dem Wiener Wald

Es war einmal... mit diesen und vielen anderen Merkmalen von Märchen hat sich die Klasse 2b in den letzten Wochen beschäftigt.

Kreuzweg-Andacht. Einstieg:

Predigt über Offenbarung 21, 1-7 am in Altdorf (Pfr. Bernd Rexer)

Emma Ebert geb. Tilgner gestorben am 7. Februar 2017

Endstation Hoffnung. Ein Drama von Sascha Kirmaci

Liturgievorschlag für den Gründonnerstag 2015

Wahrheit individuell wahr, doch die Art, wie wir das, was wir wahrnehmen, rechtfertigen und erklären, ist nicht die Wahrheit es ist eine Geschichte.

Der Schüchterne oder: Der Aufstand des Dichters

Wir lieben, was wir tun.

Hallo lieber Werner, dieses Feedback fällt wohl ganz anders aus, als ich es vor dem Coaching gehofft hatte.

Gerda, Ex-Christin, Litauen

Predigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis 2011 über Markus 10, in St. Cosmae. Der Friede Gottes sei mit euch allen. Amen.

Predigt Ökumenischer Gottesdienst anlässlich des DFB-Pokalfinales, Gedächtniskirche Berlin, , Kirchenpräsident Dr.

Predigt über Jesaja 63,15-64,3 gehalten von Pfarrerin Elisabeth Müller am 2. Advent, 10. Dezember, in der Haarzopfer Kirche.

mehr schlägt, wenn ich weine, sind Tränen für mich etwas Verbotenes geblieben. Trotzdem weine ich, Georg. Um dich, um mich, um das, was war, und vor

Arbeitsblätter. zu Tina gehört dazu

Gehst du mit mir zum Abschlussball?, sagt plötzlich eine Stimme über ihr. Marie sieht hoch. Sie fällt fast vom Stuhl. Die Stimme gehört Chris! Ja!

Gemeindebrief. Gemeinde Osterburg Oktober Christ, der Erstandne, ist Sieger und lebt. Gesangbuch Nr. 63

ein Mann aus Franken ein Mann aus Böhmen, später Räuber Amalia und Karl wollen heiraten.

Übersetzungen der englischen Texte aus der Chormappe 2012

WARUM WIE WOZU WER WAS WIESO

Ängste durchbrechen, die mich zurückhalten

schauspiel JUDAS LOT VEKEMANS

FORM V: TRAUERGOTTESDIENST OHNE BESTATTUNG ÜBERSICHT

ALLES MÄRCHEN IN AHRENSBURG: DIE WAHRHEIT VON RAPUNZEL UND

Wie Saulus zum Paulus wurde

Gerard Stielau gestorben am 20. März 2017

01. Blind. Du hast die Kraft zu glauben, ich habe die Kraft zu vergessen. Etwas in mir ist schon tot, aber du kannst mit mir sterben.

Predigt zu Römer 8,32

)Hl. Franz von Assisi) Allgemeines Friedensgebet

Ansprache / Gnade macht fröhlich

Christian Kalis Diözesanseelsorger d. Kath. Landjugendbewegung / Landvolkpfarrer im Bistum Regensburg

Missa Urbana P. = Pastor - G = Gemeinde

Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer anlässlich. der Überreichung des Großen Goldenen Ehrenzeichen mit

Die liebe Familie. Hallo! Ich bin Frank, 15 Jahre und begeisterter Schlagzeuger. Ich schreibe Gedichte und Kurzgeschichten.

Predigt über Johannes 11, am in Altdorf (Pfr. Bernd Rexer)

Liebe Gemeinde, können Sie sich nach an die Mauer, die so viele Jahrzehnte zwischen der BRD und der ehemaligen DDR stand, erinnern?

Deutsch³ Küssen verboten!? Neue Wörter Niveau 1

Predigt zum Vaterunser

Stefanie Göhner Letzte Reise. Unbemerkbar beginnt sie Deine lange letzte Reise. Begleitet von den Engeln Deiner ewigen Träume

Gnade sei mit euch Der vorgeschlagene Predigttext dieses Sonntags steht im 1. Johannesbrief im 4. Kapitel.


So, hier die Kindergeschichte von Neale Donald Walsch. Ich find sie sehr schön und sie spiegelt genau das wieder, was ich glaube

Die Auferstehung Jesu

Klagegebet. Gott, mein Gott, warum hast du uns verlassen?

Heute habe ich mal wieder festgestellt, dass ich nicht mehr zu den Jüngsten zähle. Oh nein, ich spreche nicht von meinem Körper! Obwohl, wenn ich in

Der Herbst in mir. Gedichte & Photographien. G.T. Korn Patrizia I. Wiesner

DIESER TEXT: Dieser Text ist in leichter Sprache. Das können alle besser verstehen. Weil der Text so einfach ist. Und so kurz.

M A T E R I A L H E F T DER UNHEIMLICHE BESUCH. Schauspiel und Schattenspiel. nach Hans Fallada

Predigt zum Thema Wann ist ein Christ ein Christ?

Karl Rahner. Was Weihnachten bedeutet

Es gilt das gesprochene Wort

Nein, es ist ganz anders, DU siehst ja aus wie ICH! Aber warum guckst du so unglücklich?

Elke Werner. Einladung. zum Leben

Mit diesem Vers von Matthäus 6 lade ich euch ein, der Psalm 146 zu lesen. Ein ganz besonderer Psalm. Es heisst der Halleluja-Psalm.

Predigt über Markus 12,41-44 am 27. März 2011 in Altdorf (Pfr. Bernd Rexer)

Schüler können sich an das Sujet des Buches anhand einzelner Notizen erinnern, indem sie die Notizen lesen und nummerieren.

Gespräch in der Kaffeehausecke. Von Arthur Schnitzler

Zum ersten Mal in meinem Leben hab ich heute so richtig festgestellt, dass ich nicht mehr zu den Jüngsten zähle.

Wenn Dinge anders laufen...

Predigt. Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus! Amen

Beschreibe die Hauptfigur. Inwiefern empfindest du diese Figur als wirklich?

Transkript:

schauspiel glaube liebe hoffnung ÖDÖN VON HORVÁTH

STEFANO WENK, Sophie Hottinger

glaube liebe hoffnung ein kleiner totentanz in fünf bildern ÖDÖN VON HORVÁTH

besetzung regie Matthias Kaschig bühne Michael Böhler kostüme Stefani Klie musik Michael Frei dramaturgie Jan Stephan Schmieding regieassistenz und abendspielleitung Mario Matthias lichtgestaltung Daniel Gräub soufflage Margot Vandrich inspizienz Hasan Koru bühnenbildassistenz Elisa Alessi kostümassistenz Senta Amacker regiehospitanz Anabel Sarabi technischer direktor Gino Fornasa leiter bühnenbetrieb Claude Ruch leiter werkstätten Andreas Wieczorek leiterin kostüme und maske Franziska Ambühl bühnenmeister Marc Brügger tontechnik Marcel Schneider, Sebastian Hundius requisite Tabea Bösch tapezierer Philippe Eggler maske Anja Wiegmann, Rainer Wolf Die Ausstattung wurde in den Werkstätten und Ateliers von Konzert Theater Bern hergestellt. co-leitung malsaal Susanna Hunziker, Lisa Minder leiter schreinerei Bruno Basler leiter schlosserei Marc Bergundthal leiter tapezierer Daniel Mumenthaler leiter maske Ralph Zaun gewandmeisterinnen Mariette Moser, Gabriela Specogna leiter requisite Thomas Aufschläger leiter beleuchtung Karl Morawec leiter audio und video Bruno Benedetti 4

elisabeth Sophie Hottinger alfons klostermeyer, ein schupo Jonathan Loosli oberpräparator / arbeiterfrau Margot Gödrös präparator / herr amtsgerichtsrat / ein invalider. Peter Jecklin frau amtsgerichtsrat / maria.henriette Blumenau der baron mit dem trauerflor / irene prantl / kamerad Stefano Wenk vizepräparator Andri Schenardi buchhalter / ein kriminaler / der oberinspektor Dominique Müller der herr Michael Frei premiere 12. Oktober 2012, Vidmar 1 dauer der vorstellung ca. 90 min, ohne Pause 5

DER AUTOR ÖDÖN VON HORVÁTH (1901 1938) «Sie fragen mich nach meiner Heimat, ich antworte: ich wurde in Fiume geboren, bin in Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien und München aufgewachsen und habe einen ungarischen Pass aber: «Heimat»? Kenn ich nicht. Ich bin eine typisch alt-österreichischungarische Mischung: magyarisch, kroatisch, deutsch, tschechisch mein Name ist magyarisch, meine Muttersprache ist deutsch. Ich spreche weitaus am besten Deutsch, schreibe nunmehr nur Deutsch, gehöre also dem deutschen Kulturkreis an, dem deutschen Volke. Allerdings: der Begriff «Vaterland», nationalistisch gefälscht, ist mir fremd. [ ] Also, wie gesagt: Ich habe keine Heimat und leide natürlich nicht darunter, sondern freue mich meiner Heimatlosigkeit, denn sie befreit mich von einer unnötigen Sentimentalität. Ich kenne aber freilich Landschaften, Städte und Zimmer, wo ich mich zuhause fühle, ich habe auch Kindheitserinnerungen und liebe sie, wie jeder 6

andere. Die guten und die bösen. Ich sehe die Straßen und Plätze in den verschiedenen Städten, auf denen ich gespielt habe, oder über die ich zur Schule ging, ich erkenne die Eisenbahn wieder, die Rodelhügel, die Wälder, die Kirchen, in denen man mich zwang, den heiligen Leib des Herrn zu empfangen ich erinnere mich auch noch meiner ersten Liebe: das war während des Weltkrieges in einem stillen Gässchen, da holte mich in Budapest eine Frau in ihre Vierzimmerwohnung, es dämmerte bereits, die Frau war keine Prostituierte, aber ihr Mann stand im Feld, ich glaube in Galizien, und sie wollte mal wieder geliebt werden [ ] Meine Generation ist bekanntlich sehr misstrauisch und bildet sich ein, keine Illusionen zu haben. Auf alle Fälle hat sie bedeutend weniger als diejenige, die uns herrlichen Zeiten entgegengeführt hat. Wir sind in der glücklichen Lage, glauben zu dürfen, illusionslos leben zu können. Und das dürfte vielleicht unsere einzige Illusion sein. Ich weine dem alten Österreich-Ungarn keine Träne nach. Was morsch ist, soll zusammenbrechen, und wäre ich morsch, würde ich selbst zusammenbrechen, und ich glaube, ich würde mir keine Träne nachweinen. Manchmal ist es mir, als wäre alles aus meinem Gedächtnis ausradiert, was ich vor dem Kriege sah. Mein Leben beginnt mit der Kriegserklärung. Und es widerfuhr mir das große Glück erkennen zu dürfen, dass die Ausrottung der nationalistischen Verbrechen nur durch die völlige Umschichtung der Gesellschaft ermöglicht werden wird. Das ist mein Glaube. Lächeln Sie nicht! Dadurch, dass eine Erkenntnis oft als Schlagwort formuliert wird, verliert sie nichts von ihrer Wahrheit. Worauf es ankommt, ist die Bekämpfung des Nationalismus zum Besten der Menschheit [...] denn das Herz der Völker schlägt im gleichen Takt, es gibt ja nur Dialekte als Grenzen.» Ödön von Horváth, 1929 7

andri schenardi, peter jecklin, margot gödrös 8

Der Tod und das Mädchen Jan Stephan Schmieding Die Idee für Glaube Liebe Hoffnung stammt aus der Zeitung. Ein befreundeter Gerichtsreporter schilderte Ödön von Horváth 1932 in München den Fall der «Korsettreisenden» Klara Gramm, die 1929 wegen Betruges zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Wie später Elisabeth im Stück, stolpert auch Gramm über die strikte Anwendung kleiner Paragraphen. Für Horváth bot sich anhand dieses Falles die Gelegenheit, wie er es in seiner Randbemerkung zum Stück formulierte, «den gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft zeigen zu können, dieses ewige Schlachten, bei dem es zu keinem Frieden kommen soll höchstens, dass mal ein Individuum für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes geniesst». Diesen Kampf schildert Horváth wie in allen seinen Stücken allerdings mit den Mechaniken des Volksstückes, den Mitteln der Komödie. Dafür spitzt er das Material für seine Zwecke radikal zum Teil bis ins Groteske zu: Beginnt sein Stück doch dort, worauf das Leben und die meisten Tragödien zusteuern im Leichenschauhaus, mit dem verzweifelten Versuch Elisabeths, ihre sterblichen Überreste schon zu Lebzeiten, per Vorkasse, zu verkaufen. Damit brandmarkt Horváth seine Hauptfigur bereits im ersten Bild des Stückes als lebendige Leiche; der kleine Totentanz, wie es im Untertitel des Stückes heisst, beginnt. Überhaupt ist Gevatter Tod im Kosmos des Stückes allgegenwärtig. Der Präparator, dem Elisabeth ihre Leiche anbietet, hat sich längst vor der Welt und seinem Vorgesetzten in eine morbide Tier- 9

liebe geflüchtet und streichelt versonnen seinen ausgestopften Rehpinscher. Der Oberpräparator infiziert sich gleichzeitig tödlich an einem «komplizierten Fall aus Brünn». Im zweiten Bild verabschiedet sich der Invalide von seinen Leidensgenossen in der Warteschlange vor dem Wohlfahrtsamt lakonisch mit «Auf Wiedersehen im Massengrab». Schon qua Besetzungsliste mit dem Tod verbunden ist auch der «Baron mit dem Trauerflor». Der beteuert in der Pathologie allzu heftig seine Unschuld am Unfalltod seiner Frau und sorgt später dafür, dass es dem Fräulein Maria an den Kragen geht. Den Schupo Alfons Klostermeyer erinnert Elisabeth gar an eine «liebe Tote» aus seiner Vergangenheit. Der Bürgerkrieg, der im Hintergrund des Geschehens tobt, fordert derweil regelmässig seinen Tribut an unschuldigen Opfern. Wobei das Wort «unschuldig» eben nicht recht passen will auf die Welt, die Horváth in Glaube Liebe Hoffnung skizziert. Mit der Ansammlung von Kleinbürgern, die sein Stück bevölkert, legt Horváth den Blick auf eine entsolidarisierte Welt frei, auf Beschränktheit, Dummheit und Egoismus, die sich in Zeiten wirtschaftlicher Krisen ins Asoziale und Inhumane steigern. Schicht um Schicht präpariert er in knappen, fast skelettierten Dialogen Mechanismen von Selbstschutz und Abgrenzung heraus. Die eigene prekäre Lage oder allein die Angst vor dem sozialen Abstieg hält die Figuren davon ab, sich um einander zu kümmern. Schuldig machen sie sich alle, auch Elisabeth, die das Geld des Präparators für etwas anderes verwendet als sie vorgibt. So wird Glaube Liebe Hoffnung zu einem Spiegel heutiger Ab- und Ausgrenzungsmentalität, befeuert von nicht immer rationalen Ängsten vor sozialem Abstieg, dem subjektiven Gefühl von Armut. Umgeben von Menschen mit unterschiedlichen Abstufungen von Larmoyanz und Selbstgerechtigkeit behauptet allein Elisabeth fast trotzig ihren Überlebenswillen. Aber nicht nur, dass Elisabeths 10

Kampf um Selbstbestimmtheit sogar von ihren Geschlechtsgenossinnen nur mit Kopfschütteln bedacht wird. Auch ihr selbstgewählter Gang ins Wasser wird, zumindest zunächst einmal, vereitelt. Bezeichnend ist dabei, dass sich ihr Lebensretter mehr darum sorgt, ob er nun als Belohnung für seine Heldentat von der Mutter ein Motorrad bekommt, als um Elisabeth. Sorge hat er erst, als die lebende Leiche erneut in Ohnmacht fällt und seine Belohnung in Gefahr gerät. Am Ende kann sich Elisabeth dann doch noch befreien, sie stirbt umringt von ihren Peinigern, wahrscheinlich an Herzversagen, oder war es an menschlicher Herzenskälte? «Na, wir werden es ja morgen sehen», sagt der Vizepräparator mit Blick auf seinen nächsten Fall. Von Interesse scheint Elisabeth für ihre Mitmenschen tatsächlich erst als Tote zu sein. jonathan loosli, stefano wenk, dominique müller, sophie hottinger 11

«Ein Panoptikum von Bestien» INTERVIEW MIT DEM REGISSEUR Matthias Kaschig Du hast hier in Bern vor drei Jahren sehr erfolgreich Georg Büchners Woyzeck inszeniert. Inwiefern ist die Beschäftigung mit Glaube Liebe Hoffnung, wie Du einmal gesagt hast, «die konsequente Fortsetzung» dieser Arbeit? In beiden Stücken steht ein Individuum im Zentrum, das von der Gesellschaft zerstört wird. Im Woyzeck gibt es den Satz: «Jeder Mensch ist ein Abgrund», und auch die Figuren bei Horváth sind dafür gute Beispiele. Und sowohl Woyzeck als auch Glaube Liebe Hoffnung spiegeln deutlich ein Bewusstsein für die sozialen Problematiken ihrer Entstehungszeit. Das hat mit dem Hier und Heute, mit unserer aktuellen sozialen Realität erst einmal nichts zu tun. Es ist eher eine Art Panoptikum, ein Panoptikum von Bestien. Und ich mag auch die Vorstellung der «kleinen Stadt» als Wimmelbild sehr, so à la Ali Mitgutsch. Ich habe eine grosse Lust daran, eine Gesellschaft auf der Bühne zu erfinden, eine Welt zu erschaffen. Da gibt es so eine spielerische Lust, eine höchst böse Welt zu erfinden, ein System, innerhalb dessen sich die Figuren dann bewegen, und ein Mechanismus, der sie zermalmt. Der Reiz von Horváths Welt hat auch deshalb viel mit Büchner zu tun, weil diese Welten so rätselhaft sind. Es ist, als hätte man ein 12

Puzzle ausgekippt und muss jetzt jedes einzelne Teilchen drehen, wenden, und schauen, wie es ins Gesamtbild passt. Und meist ist es das Gegenteil dessen, was drinsteht oder was naheliegt. Es ist sehr rätselhaft, Horváth nennt es auch «unheimlich». Der Horváth ist auch darin dem Büchner sehr verwandt, dass auch er nicht nur psychologisch funktioniert. Das Fragment Büchners ähnelt der collagierenden Arbeit Horváths, Dialoge und Szenen so auszukochen, so konzise zu gestalten und das dann zu montieren, Szenen zu verschieben die Anzahl der Apokryphen übersteigt den Umfang des Stückes. Und was der da alles aussortiert hat und umgestellt hat, der hat wahrscheinlich gearbeitet wie Shakespeare, mit Schere und Prittstift. Er ist im Gegensatz zu Büchner über diesem Prozess nicht gestorben. Die luftige Struktur des Textes ist gewollt. Wie ist dein persönlicher Zugriff auf das Stück und insbesondere die Hauptfigur, Elisabeth? Eigentlich sollte das Stück «In der Maschinerie der Paragraphen» heissen. Elisabeth, die Hauptfigur stolpert über Banalitäten in den Abgrund der Anderen hinein, weil sie keinerlei Hilfe, Vertrauen oder Geld bekommt, bestenfalls Floskeln über Glaube Liebe Hoffnung. Und alle sehen dabei zu, wie sie verhungert. Ich finde toll, dass da jemand ein Stück über Arbeit geschrieben hat, über Karriere und Geld. Elisabeth will arbeiten und Geld verdienen. Sie entspricht dabei allen Anforderungen, die derzeit gesellschaftlich gestellt werden, sie ist hoch motiviert, adrett, ungebunden und kann hart einstecken. Sie ist selbständig. Aber sie muss jemand Zuständigen sprechen, um ihre Arbeit tun zu können und stellt fest: «Es kümmert sich keiner darum.» Wenn man dann auch noch Geld kostet und falsche Erwartungen nicht erfüllt, wird der Auftragsgeber aggressiv. Der Betrieb fürchtet um seinen 1±

Umsatz, den reibungslosen Fortgang und sein Ansehen. Dafür soll man dann auch noch Verständnis haben. Kann man sich einen Polizisten vorstellen, der zu seiner Partnerin steht, die ihm eine Gefängnisstrafe vorenthalten hat? Trotz dieser beruflichen und privaten Situation hält Elisabeth an ihrem Credo fest: «Aber ich lasse den Kopf nicht hängen». Und genau das verhindern die anderen Figuren am Ende des Stückes sogar noch. Wenn sie überhaupt einmal etwas tun oder eingreifen, dann verhindern sie ihren Selbstmord. Dabei ist der Selbstmord ihre letzte Rettung, aber das Pflichtbewusstsein der Polizei verbietet ihr zu gehen. Die Situationen, die Horváth skizziert, erweisen sich häufig noch einmal als eine Ecke bösartiger als man zunächst denkt. Daher krabbeln ihr die Fliegen der Verwesung noch zu Lebzeiten in die Nase, schliesslich hat sie das System auch internalisiert, denn ihre letzten Worte sind die gleichen wie zu Beginn: «Ich lasse den Kopf nicht hängen». Da bist Du schon bei der Beschreibung einer besonderen Mechanik, die Du bei Horváths Volksstücken freigelegt hast. Es gibt da einen gewissen dialektischen Mechanismus, der auch bei Karl Valentin zu finden ist. Das Schöne an Glaube Liebe Hoffnung ist, dass einige dieser kurzen Szenen wie Sketche daher kommen, dass da einer mit Bewusstsein für eine soziale Problematik schreibt, aber eben kein Sozialdrama. Er schaut quasi «komödientragisch» auf Menschen. Der Horváth sass als Zugezogener in Murnau, hat Menschen beobachtet und mit einer spielerischen Lust und Bosheit deren Sprache verdichtet. 14

Glaube Liebe Hoffnung ist mit «Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern» untertitelt Ein Totentanz wird traditionell gerne im Kreis dargestellt. Das Stück beginnt vor dem Anatomischen Institut, am Ende wird Elisabeth dort wieder ankommen, aber dann nicht mehr hineingelassen, weil jetzt auch der Vizepräparator meint, nicht zuständig zu sein. Damals aktuell und für mich wichtig, um die Dimension des Stückes zu erfassen, ist, dass die NSDAP ein halbes Jahr vor der Machtergreifung Hitlers ein Wahlergebnis von 38 % hatte. Heute wissen wir, wohin das führte, Horváth hat das nicht mehr erlebt, aber es schien ihm zu dämmern. Klein ist der Totentanz nur zu nennen, weil er sich um Kleinbürger dreht. Horváth meint «dass 90 Prozent der europäischen Staaten aus vollendeten oder verhinderten Kleinbürgern besteht», tatsächlich hat er sich dem Schicksal einer einfachen Angestellten angenommen. In Kasimir und Karoline lässt Horváth seine beiden Protagonisten übers Oktoberfest bummeln, in Deinen konzeptionellen Überlegungen zu Glaube Liebe Hoffnung finden sich auch immer wieder Jahrmarkts- und Geisterbahn-Assoziationen wie kommt das? Es ist überliefert, dass Horváth Jahrmärkte, insbesondere Geisterbahnen mochte, ausgestellte Kreaturen davon war er wohl fasziniert. Um den Figuren in unserem Stück einen Auftritt zu verschaffen, sprechen sie gelegentlich ihre Regieanweisung mit, sie kündigen sich quasi selbst an, ihre Show im Kuriositätenkabinett. 15

Manchmal scheint auch die Sprache den Figuren weniger zu gehören, als von ihnen vorgestellt zu werden. Die Situation soll wie aus dem Stegreif entwickelt entstehen, nicht in Bilder gebannt, sondern in Sketchen gestaltet werden. Sketches hier im Sinne von schnellen scharfen Menschen-Zeichnungen, nicht ausgemalt zum Milieu-Bild. Ein Autor, der sich nicht scheut, einen Liebhaber im Schrank zu verstecken, wird schnell missverstanden. Als läge die Latte so niedrig, als wäre das schon das Niveau des Textes. Wenn man da nicht eine weitere Volte herauspräpariert, dann wäre es albernes Volkstheater. Das ist eben die Gefahr, aber auch das Schöne beim Proben mit Horváth, dass man herausfindet, «ah, das geht ja eigentlich so», dass man oft noch eine neue Dimension entdeckt. Das ist Freud und Leid zu gleich. Alfred Polgar hat der Humorlage Horváths «eiskalte Witzigkeit» bescheinigt. Das ist uns ein guter Orientierungspunkt. Wenn die Figuren, Situationen und Dialoge eine kalte Klarheit bekommen, dann stimmen manche Szenen. Wenn sich so eine Kälte einstellt, sich Abgründe, jetzt in Form von Rissen, die sich in dem Eis, auf dem die Figuren zu stehen scheinen, bilden, und ich mich erfreuen kann: «Ist das böse grad.» Wo sind für Dich die konkreten Bezüge des Stückes zur Gegenwart? Wie gesagt, wie es ist, als Selbstständige in eine Institution zu geraten, in eine Mühle von Zwängen. Mit der Euro-Krise hat das Stück jedenfalls nichts zu tun. Aber ich bin oft erstaunt, wie empfindlich Menschen werden, wenn sie fürchten, etwas zu verlieren. 16

Ich habe amerikanische Reportagen (H.R. Knickerbocker: Deutschland, So oder so?, 1932) aus der Entstehungszeit des Stückes gelesen; damals war die Weltwirtschaftskrise auf ihrem Höhepunkt, und der Faschismus versprach demnach, im Gegensatz zum Kommunismus, die Rückzahlung der Schulden, die Deutschland wegen der Reparationszahlungen aufgenommen hatte. Mir fiel auf, dass politische Entscheidungen in der heutigen Schuldenkrise «alternativlos» genannt werden und die Schere zwischen Arm und Reich in den letzten 20 Jahren (sic!) aufgegangen ist. Dann las ich, etwas ganz anderes: Berichte über saleswomen, die heute für Danone in Bangladesch arbeiten. Aber ein Stück in einen andern Kontext zu verlegen, oder es historisch zu belassen das widerstrebt mir, ist mir zu absichtsvoll. Ich möchte eine Existenzparabel anbieten, die der Zuschauer auf sich beziehen kann. Der Vorteil von Horváth ist, dass seine Stücke eben nicht wie die von Brecht funktionieren, dass er seinen Text nicht ideologisch vereinnahmt, sie individualistischer, irrationaler belebt werden, Menschen eher in ihren Triebstrukturen blossgelegt werden. Unsere Unternehmung darf gerne als Unterhaltung genossen werden, man darf Freude daran haben, wie böse Menschen sein können. «Ich erwarte niemals, dass man mich irgendwo mit offenen Armen empfängt, aber es wäre für mich mehr als ein schmerzliches Erlebnis, wenn man es mir untersagen würde, am Wiederaufbau Deutschlands mitzuarbeiten, soweit dies mir meine Kräfte erlauben.» ÖDÖN VON HORVÁTH (in einem Brief an den Reichsdramaturgen Rainer Schlösser, 26. Juni 1934) 17

Nachweise Impressum aufführungsrechte Thomas Sessler Verlag Wien, in der Schweiz vertreten durch Procedere-Verlag AG Zürich BILD- UND TEXTNACHWEISE Fotos: Horváth-Porträt Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek, Wien. Der Artikel zu Glaube Liebe Hoffnung wurde für dieses Programmheft geschrieben. Die biographische Notiz stammt aus: Ödön von Horváth, Gesammelte Werke, kommentierte Werkausgabe in 15 Einzelbänden, hg. von Traugott Krischke, Bd. 11, Suhrkamp, 1988. Das Horváth-Zitat ist entnommen aus: Traugott Krischke, Horváth Chronik, Daten zu Leben und Werk, Suhrkamp, 1988, S. 109. Das Gespräch mit Matthias Kaschig wurde am 26. September 2012 für dieses Programmheft geführt. Probenfotos: Philipp Zinniker konzert Theater bern direktor Stephan Märki schauspieldirektorin Iris Laufenberg spielzeit 2012 /2013 glaube liebe hoffnung premiere 12. Oktober 2012, Vidmar 1 redaktion Jan Stephan Schmieding konzept & Gestaltung formdusche, Berlin layout Murielle Bender druck Haller + Jenzer AG, 3400 Burgdorf redaktionsschluss 05. Oktober 2012 Änderungen vorbehalten. 18

henriette blumenau, stefano wenk 19

«Oberinspektor: Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie unschuldig sind? Elisabeth: Oh nein, das habe ich mir schon längst abgewöhnt. Entschuldigens, aber jetzt muss ich lachen»