Germanistik Maike Heimeshoff Das Motiv der Blauen Blume in Novalis' "Heinrich von Ofterdingen" Essay
Das Motiv der Blauen Blume von Maike Heimeshoff Die Blaue Blume ist das prägende Symbol der Romantik. Ausgehend von Novalis Heinrich von Ofterdingen findet sie Einzug in diverse spätere Werke. Eichendorff, Chamisso, Goethe, jeder dieser Autoren wird die Blaue Blume aufgreifen, Eichendorff sogar in einem Gedicht gleichen Titels. Doch dauert es eine Weile bis sie die Beachtung findet, die ihr heute zuteil wird. Novalis hat wenige weitere Zeugnisse über sie hinterlassen, spätere Schriften anderer Autoren über sein Werk widmen ihr keine Aufmerksamkeit. Erst Heines Romantische Schule lässt die Blaue Blume hervortreten. 1 Es stellt sich deshalb die Frage was an dieser Blume so außergewöhnlich ist, welches Bild Novalis geschaffen hat, das an so vielen Stellen in der Literatur gefunden werden kann. Dieser Essay stellt das Motiv der Blauen Blume in Novalis Heinrich von Ofterdingen vor. Novalis hat die Blaue Blume nicht vollständig neu geschaffen. Blumen, die mehr sind als reine Pflanzen, finden sich bereits in Ovids Metamorphosen 2. Novalis hat vermutlich die thüringische Sage über die Wunderblume des Kyffhäusers als Quelle verwendet. Ein Schäfer findet diese Blume, pflückt sie und nimmt sie mit sich. Vor ihm tut sich eine Höhle mit Schätzen auf. Er füllt sich die Taschen, lässt die Blume jedoch zurück, weil er die Warnung, er habe das Beste vergessen, nicht versteht. Die Höhle schließt sich hinter ihm und die wundersame Blume bleibt darin verschlossen. 3 Neben dieser Sage hatte Jean Pauls Die unsichtbare Loge einen bleibenden Einfluss auf Novalis. 4 Die Blaue Blume ist in diesem Werk das Medium zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. 5 1 Des Weiteren findet sie sich in Tiecks Der Traum. 6 Erst Novalis Werk gibt der Blauen Blume jedoch die Stellung, die ihre Bedeutung für die Romantik prägen wird. Eingeführt wird die Blaue Blume bereits zu Beginn des Heinrich von Ofterdingen. Der junge Heinrich trifft einen Fremden, der ihm von seiner Sehnsucht nach der Blauen Blume erzählt hat. In der folgenden Nacht träumt er von einer Blume, die ihn mit aller Macht anzieht. Sie steht inmitten vieler anderer Blumen, doch hat er nur Augen für sie. Als er sich ihr nähert, verändert sie sich und neigt sich zu ihm. In ihr kann er ein Gesicht ausmachen. Dieser Traum wird kurz darauf wiederholt. Diesmal ist es Heinrichs Vater, der die Blume ebenfalls in einem früheren Traum gesehen hat und ebenso verzaubert und von ihr 1 Vgl. Best, O.F. (1998), S. 189. 2 Vgl. Karabegowa, H. (2008), S. 32. 3 Vgl. Hecker, J. (1931), S. 29. 4 Vgl. Freund, W. (2001), S. 69. 5 Vgl. Hecker, J. (1931), S. 31. 6 Vgl. Ritzenhoff, U. (2004), S. 9.
angezogen war. Dieser misst ihr aber keine Bedeutung zu und kann sich nicht an ihre Farbe erinnern. 7 Sie hat demnach auf ihn einen kleineren Eindruck hinterlassen. Wenn man die Blaue Blume als Aussicht auf Heinrichs Entwicklung zum Dichter, zum poetischen Menschen, verstehen möchte 8, zeigt sich, dass auch sein Vater diese Anlagen besessen, sie aber nicht weiter verfolgt hat. Heinrich begegnet der Blume wieder als er mit seiner Mutter Thüringen verlässt, um seinen Großvater in Augsburg zu besuchen. Der Abschied von der vertrauten Heimat lässt ihm zum ersten Mal Trauer spüren und gibt ihm eine Ankündigung des Todes 9. Wieder steht die Blume für eine Sehnsucht, die in der Ferne liegt. Heinrich musste sich lange Zeit mit der vertrauten Umgebung begnügen. Vorher hat er nie eine Reise unternommen. Unterwegs folgt ihm die Blume und zeigt sich ihm wie ein Wetterleuchten 10 bevor er die aus dem Morgenland entführte Zulima trifft. Am Ziel seiner Reise lernt er Mathilde kennen, die Tochter des Dichters Klingsohr, der ein Freund seines Großvaters ist. In diesem Mädchen erkennt er die Person wieder, deren Gesicht sich ihm in der Blume, von der er geträumt hat, zeigte. Beide verlieben sich und sind kurze Zeit später einander versprochen. Bereits in der folgenden Nacht ahnt Heinrich im Traum den Tod Mathildes voraus. Wieder zeigt sich auch das Motiv des Todes, das neben dem Motiv der Blauen Blume zentral in diesem Roman ist. 11 Später taucht die Blume verändert im Märchen auf, das von Klingsohr erzählt wird, als wunderschöne Blume, die auf einem milchblauen Strom schwimmt. 12 Auch der nie vollendete zweite Teil des Heinrich von Ofterdingen beinhaltet die Blaue Blume. Abgesehen vom Blumenmotiv, kommt die Farbe Blau an unzähligen Stellen in diesem Werk vor. Für Goethe handelt es sich dabei um die Farbe, die wie keine andere den Göttern und Geistern zu eigen sei. 13 Dies fügt sich in Novalis Verwendungsweise ein. Die Blaue Blume steht als Symbol für die Sehnsucht, die Liebe. In Mathilde, ihrem Erscheinen in der Blume und ihrem geträumten Tod, wird die Deutung der Blume als Verbindung zwischen dem irdischen und dem jenseitigen Leben gezeigt. Sicherlich wird hier der frühe Tod von Novalis erster Verlobten Sophie von Kühn hineinspielen. Nach ihrem Tod trauert der Dichter in ihrem Zimmer und richtet ihr blaues Kleid auf dem Bett aus als lebte sie noch. 14 In Sophie verliebt er sich ebenso schnell wie Heinrich sich in Mathilde verliebt. Novalis scheint sie jedoch zu 7 Vgl. Novalis (2006), S. 9ff. und S. 17. 8 Vgl. Schmitz-Emans, M. (2007), S. 95. 9 Vgl. Novalis (2006), S. 20. 10 Vgl. Ebd., S. 55. 11 Vgl. Ebd., S. 98-107. 12 Vgl. Ebd., S. 132f. 13 Vgl. Best, O.F. (1998), S. 199. 14 Vgl. Safranski, R. (2007), S. 119. 2
idealisieren. Die reale Sophie wird von ihm wesentlich weniger euphorisch beschrieben, wie es bei einer großen Liebe zu erwarten wäre. 15 In Sophie findet er ein Ziel für seine philosophische Liebe, auch wenn das wirkliche Mädchen seinen Vorstellungen gar nicht gerecht wird und sie das in ihrem Alter auch nicht kann. Mag Mathilde für Heinrich die Verkörperung der Blauen Blume sein, so ist es Sophie für den jungen Dichter. Ihr Tod führt dazu, dass er den Plan fasst, ihr Nachsterben zu wollen, um in der Unendlichkeit mit ihr vereint zu sein. Auch dieses Element findet seinen Platz im Traum Heinrichs. 16 Die Blaue Blume ist ein Traumbild, das die Sehnsucht und die Suche der Figuren und des Dichters symbolisiert. 17 Zunächst verkörpert sie das Streben nach Unbekanntem, das nicht näher bezeichnet ist, und wird im Verlauf des Romans konkreter. Durch das Gesicht in der Blume wird klar, dass es sich um die Suche nach einer noch entfernten Geliebten 18 oder der Liebe selbst handelt. Erst am Ziel der Reise wird Heinrich schließlich dieser Liebe begegnen. Durch den Tod der Geliebten und die ebenfalls geträumte Vereinigung im Tod wird das romantische Streben nach Unendlichkeit ausgedrückt. Der Tod wird nicht als bedrohlich, sondern als höhere Form des Seins beschrieben, die die Liebenden für immer zusammen sein lässt. Ebenso kann gesagt werden, dass derjenige, der die Blaue Blume gefunden hat, zu sich selbst gefunden hat. Die Blume ist eine Pflanze, also ein Teil der Natur. In ihr zeigt sich jedoch auch Mathildes Gesicht. Dies lässt die Blume zum Teil menschlich werden. Der Traumcharakter und ihre Funktion als Mittlerin zwischen Diesseits und Jenseits gibt der Blume eine geisterhafte Komponente. Wenn alles das zusammen kommt, kann die Blaue Blume als ein Sinnbild für Erkenntnis verstanden werden. Die Person, die die Natur, das menschliche Sein und die Welt der Geister und Träume durchdringen kann, hat höchstes Wissen erlangt und wird sein eigenes Ich verstehen. Hier kann ein Zusammenhang zu Goethes Die Leiden des jungen Werther gesehen werden, der in sich selbst zurückkehrt und dort eine Welt vorfindet. 19 Die Blaue Blume repräsentiert dies im Roman, sie steht für poetisches Handeln, welches das Ziel verfolgt, eine neue Welt zu erschaffen, die neue Werte besitzt. 20 Die Blaue Blume stellt den Mittelpunkt des Romans dar. Einerseits ist sie der Anlass für den Beginn von Heinrichs Streben nach einer nie gekannten Wunderwelt, andererseits Ziel der Suche und der Sehnsüchte. Sie tritt sowohl in der Erzählung des Fremden als auch in Kling- 15 Vgl. Freund, W. (2001), S. 46ff. 16 Vgl. Novalis (2006), S. 107. 17 Vgl. Hiebel, F. (1951), S. 287. 18 Vgl. Schulz, G. (1996), S. 68. 19 Vgl. Goethe, J.W. (2002), S. 12. 20 Vgl. Grützmacher, C. (1964), S. 19. 3