ADHS OHNE HYPERAKTIVITÄT DAS TRÄUMERCHEN. Wir helfen Helfen MEDICE ISERLOHN. Cordula Neuhaus

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Geschrieben von: Administrator Donnerstag, den 25. Februar 2010 um 18:22 Uhr - Aktualisiert Donnerstag, den 25. Februar 2010 um 18:25 Uhr

Transkript:

ADHS OHNE HYPERAKTIVITÄT DAS TRÄUMERCHEN Cordula Neuhaus Wir helfen Helfen MEDICE ISERLOHN

DAS TRÄUMERCHEN von Cordula Neuhaus Dipl.-Psychologin Dipl.-Heilpädagogin Kinderpsychologin Alleenstraße 29, 73730 Esslingen Telefon: 0711/36 7014, Fax: 0711/36 78 73 Herausgegeben von MEDICE Chem.-pharm. Fabrik Pütter GmbH & Co. KG Kuhloweg 37 58638 Iserlohn

ADHS OHNE HYPERAKTIVITÄT - DAS TRÄUMERCHEN Ganz anders als das Zappelkind? Als Baby ist das Kind mit ADHS ohne Hyperaktivität oft ausgesprochen sonnig und fröhlich, wenn auch manchmal eigenwillig. Beim Stillen und Füttern kann es eigenwillig sein: Bisweilen schläft es ein oder bevorzugt Brei, später z. B. aus der Flasche mit extragroßem Loch im Nucki. Später schmecken manche Speisen sehr gut, so dass man sie immer essen will, manche gar nicht, mit entsprechender Ablehnung. Das Träumerchen hat als Kleinkind vielerlei Ideen und stellt alles mögliche an, was aber im frühen Kleinkindalter meist noch als lustig und kleinkindhaft belächelt wird. Mittagsschlaf wird oft schon bald abgestellt, am besten schläft auch dieses Kind z. B. im Auto im Sitzen, beim Fahrradfahren im Buggy, den Kopf seitlich abgekippt. Auffallend ist aber auch beim Träumerchen wie beim Hypie, dass es gar nicht so gut aus Erfahrung lernen kann. Es kann auch einen ausgeprägten Dickkopf bekommen, wenn es sich etwas in den Sinn gesetzt hat, sehr verzweifelt überreagieren, wenn man seine Ideen, Wünsche oder Vorstellungen nicht sofort erkennt. Heftiges Brüllen kann auch hier die Folge sein. Ebenso wie das ADHS-Kind mit Hyperaktivität ist es mit Worten nicht zu beruhigen, sondern wird dann eher noch aufgeregter, verzweifelter. 3

Das Träumerchen hat als Baby und Kleinkind wie der Hypie bei Überreizung schnell genug, schreit dann ohne Unterlass auch mal eine Nacht durch - beruhigt sich nur durch langsames, ruhiges, rhythmisches Schaukeln und liebevoll ruhiges Murmeln über Stunden... durch eine gelassene, ruhige Bezugsperson. Insgesamt ist es aber pflegeleichter. Das Träumerchen zeichnet sich im Vorschulalter besonders dadurch aus, dass es immer wieder die gleiche Kassette oder die gleiche Geschichte hören will, so dass man sich als Mutter und Vater Sorgen zu machen beginnt oder sogar unwillig reagiert, weil das ja eigentlich nicht besonders entwicklungsförderlich erscheint. Aber hier hilft sich das Kind eigentlich selbst, denn es braucht zur Verautomatisierung von Abläufen die 8- bis 18fache Zeit (wie der Hypie ebenfalls). Malen mag es meistens nicht so sehr - oder seltener sogar extrem gern - am liebsten mit der Hauptbezugsperson, die vielleicht auch ein bisschen vormalt. Allein spielen erfolgt weniger, mehr Spaß hat das Kind am Mitarbeiten mit der Mama in der Küche, beim Putzen und Bettenmachen. Am liebsten werden Rollenspiele gespielt, gern auch immer wieder dieselben, gern oder sogar fast am liebsten, mit einer erwachsenen Bezugsperson. Fasziniert von einer Sache kann auch für das Träumerchen die Welt um es herum versinken - es reagiert dann nicht auf Ansprache und Aufforderung, versteht überhaupt nicht die Aufregung des Gegenübers. Ewiges Spielen mit Badewasser, Brotkrumen, etc. nervt. Wenn es die Eltern richtig eilig haben, geht gar nichts mehr. Alles scheint auf charmante, manch- 4

mal rätselhafte Weise ein bißchen anders zu sein. Der Kloß wird lange oft nur in die Windel gemacht, Schlafen geht nur in Hockstellung oder nur mit 2 Schnullern im Mund, mit Schmusetuch oder Lieblingsbär (oder auch ganz vielen Kuscheltieren). Das haben viele Kinder als Eigenheit - entzieht man dies dem Träumerchen, gerät es in sofortige, heftigste Panik. Auch das Träumerchen hat Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen, wenngleich auch nicht so auffällig, vor allen Dingen im Vorschulalter wie der Hypie. Zunehmend fällt aber auf, dass es irgendwie immer etwas neben der Mütze ist. Es bekommt Instruktionen nicht richtig mit, hört im Stuhlkreis im Kindergarten offensichtlich oft nicht richtig zu, weiß hier schon oft nicht, dass es an der Reihe ist, reagiert zu spät oder falsch, wird schon früh zum Gespött der anderen. Das Träumerchen ist überzufällig häufig weiblich und hat somit mit einer anderen Rollenerwartung zu tun. Ein bißchen schusselig zu sein wird beim Mädchen leichter akzeptiert, ebenso wie Verträumtheit und Langsamkeit. Gleich ab Schuleintritt wird dies allerdings als unakzeptabel bewertet. Fein- und graphomotorisch ebenfalls etwas ungeschickt, wenngleich nicht so schlimm eingeschränkt wie die zappeligen kleinen Buben, sieht den schmierigen Hausaufgaben niemand an, mit wieviel Mühe sie verbunden sind. Das größte Problem ist, sich genau daran zu erinnern, was aufgegeben wurde, und dann dranzugehen. Es ist so mühsam, etwas fertig zu bekommen, was 5

zu schwierig oder was langweilig ist, und bei dem man irgendwie so eine schlechte Laune bekommt, und auch einfach müde wird. Wenn dann die Mama oder der Papa noch versuchen, möglichst ausführlich einem zu erklären, um was es geht, driftet das Träumerchen ab, gähnt, räkelt sich, reibt die Äuglein. Es wird dafür aber beschimpft, weil es wohl offensichtlich nicht will, bockig ist, etc. Das tägliche kleine Drama: Das Träumerchen bekommt einen Auftrag, etwas zu holen, vergisst aber unterwegs die Hälfte. Es verläuft sich unter Umständen anfangs auch noch oft im Schulhaus oder auf dem Weg zur Oma, bekommt Vorhaltungen gemacht, weil es so viel verliert, vergisst und ein so teures Kind ist. Was es nicht sagen kann, ist, dass es zunehmend Angst bekommt vor den vielen Vorhaltungen und dem vorwurfsvollen Tonfall und dabei immer angespannter und immer vergesslicher und trödeliger wird. Hochsensibel wie es ist, trifft ein unfreundliches Wort, ein böser Blick es bis ins Mark. Die Tränen kommen viel zu schnell, das Träumerchen kann sie gar nicht anhalten. Heulsuse hört es dann, oder fang doch nicht gleich schon wieder an zu plärren, oder ähnliches mehr. Das Träumerchen will ja lieb sein und auch gut und schnell, aber es scheint einfach nicht zu gehen. Auch das Träumerchen kann ausflippen, den Ärger über die Ungerechtigkeit in der Welt herausschrei- 6

en, oder beleidigt einfach zuklappen. Das geht aber so schnell, als ob man einen Rolladen rasselnd herunterläßt. Dieses Verhalten wird als Trotz oder Verweigerung interpretiert und niemand hat so richtig den Anlass mitbekommen! Das Träumerchen kann auch nicht direkt nach einer Situation abgefragt flüssig und stimmig etwas berichten. Es scheint ihm unmöglich, seine Eigenleistung realistisch einzuschätzen. Immer wieder kommt weiß ich nicht oder hab ich vergessen oder nur ein Schulterzucken. Die Umgebung wird unsicher: ist das Träumerchen vielleicht einfach nur ein bißchen dumm? Immer wieder versucht der Erwachsene, dem Träumerchen geduldig die Regeln zu erklären, den Zehnerübergang, das schriftliche Dividieren, die Orthographieregeln - aber irgendwie scheint nichts hängen zu bleiben. Je mehr man versucht, noch mal die Grundprinzipien darzustellen - desto weniger bleibt hängen. Auch Versprechungen und Belohnungen scheinen nicht zu reizen. Hat man dann beim Üben das Gefühl, es klappt jetzt doch, kann man als Mutter oder Vater völlig in den Abgrund stürzen, wenn man dann das Ergebnis der Klassenarbeit sieht. Fehler über Fehler - wozu hat man geübt? Prüfungsangst wird aber verneint. Als Erwachsener sieht man sich dann oft schwierigen Situationen ausgeliefert: das Kind erklärt (nach sich wiederholendem Misserfolg), die Arbeit nicht herausbekommen zu haben. Wenige Minuten später wird sie aber im Buch gefunden, das Matheheft im Kleiderschrank unter den Strumpfhosen. Auf die Frage nach dem Warum, 7

kommt immer wieder weiß ich nicht. Auch auf Strafandrohungen hin kommt oft nur ein etwas leerer, verständnisloser, langer Blick. Wird das Träumerchen im Unterricht aufgerufen, erscheint es oft so, als ob es gerade von einem anderen Stern käme. Besteht der Lehrer auf der Beantwortung der Frage, fängt nicht selten die Klasse an zu kichern. Nach oft quälend langer Zeit kommt dann eine recht naive oder auch schlicht dumm anmutende Antwort - wobei der Lehrer zu einem anderen Zeitpunkt vom selben Kind in einer anderen Situation, die es interessiert (ganz wach und eingeschaltet erscheinend) eine sehr treffende Antwort bekommt. Er versteht dann oft die Welt nicht mehr. Kann ein Kind so unterschiedlich sein? Ja, das Träumerchen sehr wohl! Wie beim Kind mit Hyperaktivität kann ein Träumerchen, das sich gemeldet hat, nichts mehr zum Unterricht beitragen, wenn es eigentlich etwas sagen wollte, der Lehrer dann aber erst ein anderes Kind drangenommen hat. Es hat dann nämlich einfach vergessen, was es sagen wollte. Passiert das öfter, wird es dabei ausgelacht oder hört es schwierige, abwertende Kommentare, wird es sich bald nicht mehr melden. Kommt es dran, wenn es sich nicht meldet, gerade, wenn etwas nicht faszinierend ist, ist das Träumerchen oft vollkommen desorientiert, wo die Klasse gerade im Heft/Buch/Text ist.... Dasselbe Kind kann aber plötzlich ungeheuer kreativ und phantasievoll bei Themen seiner Wahl sein. 8

Es ist daneben ausgesprochen liebevoll und fürsorglich, mit oft ausgeprägter Tierliebe und vielen Spielideen beim Spielen mit wesentlich jüngeren Kindern. Mitmenschen, die das Träumerchen nur ab und zu erleben, sind oft beeindruckt von der freundlich stillen Art, dem Bemühen um andere, dem spontanen Engagement für andere - Mutter und Vater desselben Kindes sind oft einfach nur noch entnervt und halten die Verträumtheit für einen passiven Widerstand, zäh, gummiartig, unüberwindlich und unumgehbar. Eltern sind sehr frustriert, weil sie in einem ausführlichen Gespräch, das sie mit dem Kind zu führen versuchen, immer wieder den Eindruck bekommen, dass das Kind gar nicht reden will. Die Eltern haben irgendwie das Gefühl, an das Kind einfach nicht richtig herankommen zu können. Es wirkt oft ängstlich oder auch verstimmt - aber man erfährt den Grund nicht. Was in der Schule wirklich passiert, erzählen andere Kinder, die Lehrer - warum nicht das eigene Kind, hat es kein Vertrauen? Doch - nur, es fällt ihm gerade nicht ein.... In der Schule wird das Kind immer häufiger als faul oder dumm bezeichnet, zu blöd zu allem und/oder desorientiert, desorganisiert -ausgegrenzt von den Gleichaltrigen, obwohl ganz sicher nicht aggressiv und provokativ. Viele Träumerchen fallen früh auf durch Kopf- und Bauchschmerzen - eine Folge der zunehmenden 9

inneren Anspannung. Manchmal bekommen sie sogar Migräne. Und es fällt immer mehr auf, dass sie eigentlich weder mit Lob noch mit Tadel umgehen können. Träumerchen werden oft erst recht spät nachts sauber. Sie schlafen ebenso wie die Zappelphilippe, wenn sie schlafen, tief und fest, sind durch nichts mehr weckbar. Auch nicht durch ihre eigene Blase. Schimpfen macht die Sache nur noch schlimmer, unter Umständen beginnt dann ein Einnässen sogar über Tag. Träumerchen beißen oft Nägel oder kauen an irgend etwas herum, pulen die Tapete neben dem Bett ab, bohren ein Loch in die Wand, drehen die Haare als Zeichen der Selbststimulation, Spannungsabfuhr. Bei großem Schmerz neigen Träumerchen nicht selten dazu, ohnmächtig zu werden (wenn ihnen Schmerz zugefügt wird - woher allerdings der blaue Fleck kommt, wissen sie eher nicht, missachten wie der Hypie aus Schusseligkeit selbst zugefügten Schmerz). Viele reagieren genauso wie die Hypies paradox auf beruhigende Medikation vor einer Operation, z. B. mit vermehrter Unruhe. Was kann man tun? Das Wichtigste ist, diese Art, die Welt zu sehen und auf sie zu reagieren zu erkennen und zu akzeptieren. Manche Kinder kommen von sich aus schon mit z. T. verblüffenden Vergleichen, mit denen sie 10

versuchen, ihr Problem zu beschreiben: Benjamin, 6 Jahre, erläutert der Mama Ich habe heute bei der Mathematik-Hausaufgabe so viel Mist gemacht, weil in meinem Kopf Vollmond war. Oder Tanja, 9 Jahre, Mama, ich weiß auch nicht, was das ist, mein Gehirn hat immer wieder Bildschirmschoner an (wenn etwas nicht interessant oder schwierig ist). Bei der zentralen Dysregulation der autonomen Selbststeuerung ist das Hauptproblem des Träumerchens bei zu geringer Kurzzeitspeicherkapazität die Stimmungslabilität und vor allen Dingen die Dysregulation der gleichmäßigen inneren Wachheit. Das Gehirn scheint bei Schwierigem oder Langweiligem blitzartig auf Sparschaltung zu gehen. Wie beim Hypie reift die verbale und nonverbale Arbeitsspeicherkapazität nicht richtig aus, inneres, beim Handeln planend anleitendes Sprechen mit sich erfolgt evident nicht, es kommt ebenso leicht vom Thema ab. Die wichtigste Einstellungsänderung ist, sich nicht persönlich über die Vergesslichkeit und die Trödeligkeit zu ärgern. Je heftiger die erzieherische Reaktion wird, desto angespannter und unsicherer wird das Kind, es kann sich dann erst recht nichts merken, produziert eine Erwartungsängstlichkeit - und Angst macht bekanntlich dumm. Instruktionen werden von ADHS-Kindern, egal welchen Subtypus, auf den ersten Anhieb keinesfalls sinnerfassend und bedeutungsstiftend verstanden. Bevor ein Kind eine Aufgabe machen soll, muss es 11

erst einmal mit seinen eigenen Worten kurz erklären, was es tun soll, wobei Geduld und gegebenenfalls eine nochmalige Wiederholung der Instruktion im selben Wortlaut mit freundlichem Tonfall und freundlichem Blick ausschlaggebend ist. Notfalls bleibt man einfach neben dem Kind kurz stehen, auch ohne etwas zu sagen. Oder man berührt das Kind kurz an der Schulter, legt kurz den Arm um es. Übergänge von einer Situation in die nächste sind so schwierig - emphatische Signalgabe hilft beim Einschalten. Die Formulierungen müssen einfach und knapp bleiben. Viel kurzes, prägnantes Feedback zum Lob oder zur Korrektur ist notwendig, zeitnah und ausreichend häufig. Auch Träumerchen brauchen eindeutige, klare, ausreichend starke Reize, um sie als Hinweisreize erkennen zu können. Sie brauchen wie die anderen ADHS- Kinder die 8- bis 18fache Zeit, bis sie eine Regel verautomatisiert haben, manchmal sogar länger! Das Träumerchen profitiert sehr viel von Ermutigung und vom höflichen Umgang mit seinen Problemen. Muss man es jetzt mal wieder einfangen aus seinem Wegdriften, beginnt man einen Satz am besten mit Sabine, ich habe gerade gesagt, dass ich gerne von Dir gewusst hätte... statt Sabine, wo hast Du schon wieder Deinen Kopf!? Mit dem Stundenplan als Stütze sollte allabendlich das Ranzenpacken erfolgen. Es muss klar sein, dass 12

das Kind seine Pflichten erledigt, wenn jemand auch präsent ist, sonst geht von allein leider viele Jahre gar nichts. Genauso wie das hyperaktive Kind kann das Träumerchen eigentlich immer erst im letzten Moment seine Vorbereitungen treffen, und dann auch richtig reagieren, weil es nur unter Druck des Ereignisses aktiviert ist (was aber keinesfalls heißen darf, ihm im negativen Sinn Dampf zu machen!). Ganz anders als das hyperaktive Kind bewertet das Träumerchen zunehmend seine Eigenanteile an Missgeschicken über. Es kommt sich früh schon schlecht vor, hat ein ständig schlechtes Gewissen, fühlt sich ständig ertappt und schämt sich. Humorigfreundliches Benennen des Schusselns ohne Bloßstellen oder kurzes Thematisieren der Missbefindlichkeit hilft sehr ( Heute ist gar nicht Dein Tag, gell? ) Genauso wie das hyperaktive Kind folgt es zunächst der ersten spontanen Idee seines Gehirns, wird in der Unsicherheit durch die Misserfolge dann aber immer zögerlicher und vermeidet dann lieber aus Angst, das Falsche zu tun oder zu sagen. Je intelligenter es ist, desto besser kann es sich in der Schule durchmogeln, erleidet aber spätestens bei Steigerung von Komplexität und Geschwindigkeitsanforderung auch Schiffbruch (meist ab der 3. oder 7. Klasse). Es ist sehr gefährdet, im Jugendlichenalter selbstschädigende Verhaltensexzesse zu entwickeln, wie Rauchen, Trinken, süchtig Essen und sich des Essens wieder entledigen, sich Hineinstürzen in Beziehungen mit einer wahren Affen- 13

liebe und verbunden dann später mit unendlich viel Leiden. Es profitiert wie das hyperaktive Kind sehr von Einschätzbarkeit, Struktur, Ankündigung, Kontrolle - und unendlich viel Geduld. Wahrscheinlich hat es den viel schwierigeren Subtyp von ADHS gewählt. Es wird oft übersehen, vergessen, fehldiagnostiziert. Und es definiert sich häufiger später über das Gebrauchtwerden bis zur Selbstaufgabe - und achtet dabei viel zu wenig auf sich selbst. Das liebevoll-konsequente Unterstützen, auch bei Lernblockaden mit Zusatzunterricht ausreichend früh (nicht abwarten nach dem Motto es wird schon noch! ), ggf. auch funktionelle und medikamentöse Therapie, sorgfältiges Beobachten von Entwicklungsstörungen (viele Träumerchen entwickeln leider eine Rechenschwäche) vermindert das Abrutschen in die heftigen emotionalen Störungen. Diese irgendwann mal dann im Fokus einer therapeutischen Bemühung allein anzugehen, bringt leider keinerlei Erfolg. Medikation hilft Träumerchen richtig eingesetzt und sorgfältig beobachtet genauso gut wie Hypies - die Einstellung ist nur mühevoller. Zielsymptomatik ist eine gleichmäßigere innere Wachheit, stabilere Stimmung, größere Beobachtungsgenauigkeit und schnelleres Reagieren - das Kind wirkt erreichbarer. Oft greift Therapie nur bei Medikation, auch und gerade in der Pubertät in unserer heutigen, leider immer schwierigeren, schnelllebigen, diffusen Zeit. 14