Gletscherschwund und Klimawandel an der Zugspitze und am Vernagtferner (Ötztaler Alpen)

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Transkript:

Gletscherschwund und Klimawandel an der Zugspitze und am Vernagtferner (Ötztaler Alpen) Gletscher und Klima Nach dem Ende der kleinen Eiszeit erreichten die Gletscher der Alpen um 1850 ihren letzten Höchststand. Seither sind sie mit einer kleinen Unterbrechung in den 1920er und den 1970er Jahren in den Alpen und auch weltweit kontinuierlich zurückgeschmolzen. Dabei ging über 50% der Eismasse in den Alpen verloren. Dies war verbunden mit einer weltweiten Temperaturerhöhung um 0.8 C, in der Alpenregion lag er sogar um ca. 1.5 C. Dieser Wert erscheint zunächst klein, er entspricht aber einem Anstieg der mittleren Frostgrenze im Sommer um ca. 250 m von 2800 m auf über 3000 m. Massenverlust des Vernagtferners in den letzten 150 Jahren und die Änderung der bodennahen Lufttemperatur gemittelt über die Nordhalbkugel, auf der Zugspitze (2962 m) und an einer Klimastation im hinteren Ötztal (2640 m). Gletscher entstehen, wenn innerhalb eines Jahres mehr Niederschlag in Form von Schnee fällt als geschmolzen wird. Ähnlich einem Bankkonto bleibt etwas übrig, wenn die Einnahmen (Schneefall) größer sind als die Ausgaben (Schnee- und Eisschmelze). Geschmolzen wird überwiegend im Sommer, wenn die Schneefallgrenze oberhalb der Bereiche mit dem größten Flächenanteil des Gletschers liegt. Mit der Klimaerwärmung hat sich die Schneefallgrenze im Sommer generell nach oben verschoben, d. h. die Anzahl der Tage mit Ausgaben aller Gletscher sind gestiegen. Dagegen sind die Einnahmen durch die Schneefälle im Winter und an den immer weniger werdenden Tagen mit Schneefall im Sommer in der Summe praktisch gleichgeblieben. Deshalb sind inzwischen praktisch alle Gletscher im Minus, leben also bildhaft gesehen nur noch von der Substanz. Dieser Trend wird sowohl in den mittleren Breiten und auch in den Tropen weltweit beobachtet. Die Größenordnung der Verluste ist aber wegen der komplexen Zusammenhänge zwischen der Reaktion der Gletscher und dem Klima nicht bei allen Gletschern gleich. 1/10

Warum schmilzt ein Gletscher? Der Gletscher schmilzt durch Aufnahme von Energie durch die Sonneneinstrahlung und aus der Atmosphäre. Die Menge der aufgenommenen Sonnenstrahlung hängt von dessen Oberflächenhelligkeit ab. Schnee oder Firn erscheinen hell, es wird zwischen 80 und 60% der Sonnenenergie wie ein Spiegel zurückgeworfen. Eis ist dagegen dunkel, besonders wenn es verschmutzt ist. Dies ist besonders nach langen Schmelzperioden der Fall. Dann wird über 80% der Sonnenenergie zum Schmelzen benutzt. Deren Angebot ist dann am größten, wenn die Sonne vom weitgehend wolkenlosen oder nur gering bewölkten Himmel steil auf den Gletscher scheint. Der Gletscher schmilzt nur an der Oberfläche. Dort beträgt seine Temperatur dann die ganze Zeit 0 C. Ist die Luft wärmer, wird sie durch den Gletscher abgekühlt. Diese Wärme wird ebenfalls der Gletscheroberfläche zugeführt. Je höher die Lufttemperatur, desto mehr. Der Wärmeübergang wird durch die Luftbewegung ermöglicht bzw. noch verstärkt. Die Größenordnung dieser Wärmemenge beträgt in der Regel zwischen etwa 10 bis 20% der Strahlungsenergie der Sonne. Wichtig ist außerdem der Wasserdampfgehalt der Luft. Er kann bei einer bestimmten Temperatur einen gewissen Maximalwert nicht überschreiten, ansonsten wird der überschüssige Teil in Wasser verwandelt und dabei Wärme abgegeben. Warme Luft kann mehr Wasserdampf enthalten als kalte. Im Sommer beträgt der Wasserdampfgehalt der Luft daher das 10 bis 20fache wie im Winter. Direkt über der schmelzenden Eisoberfläche kann die Luft aber immer nur so viel Wasserdampf aufnehmen, bis der Sättigungsdampfdruck bei einer Temperatur von 0 C erreicht ist. Liegt der Wasserdampfgehalt in der darüber befindlichen Luftschicht über diesem Grenzwert, kondensiert der Überschuss an der Oberfläche und gibt dabei zusätzliche Wärme zum Schmelzen ab. Die Gletscheroberfläche wird dann gefährlich glatt und kann ohne Steigeisen nur schwer begangen werden. Ist die Luft dagegen sehr trocken, verdunstet die Eisoberfläche, es wird dabei Wärme verbraucht und es schmilzt weniger Eis. Durch die Veränderung der Oberfläche durch das Verdunsten erscheint außerdem das Eis heller und reflektiert mehr Sonnenenergie. Die Oberfläche wird rau und griffig. Daher leuchten die Gletscher in den Trockengebieten der Erde wie etwa im Pamir oder den Anden sehr viel heller und schmelzen auch bei hohen Temperaturen sehr viel langsamer als in den Alpen. Durch die Klimaerwärmung wird auch der Wassergehalt der Luft größer, daher wird das Schmelzen der Gletscher weiter beschleunigt. Für die tägliche Gesamtmenge des gebildeten Schmelzwassers ist die Größe der Fläche entscheidend. Je größer der Gletscher, desto mehr Schmelzwasser wird in die Gletscherbäche abgegeben. Ursprünglich sehr dicke Gletscher verlieren dabei kaum an Fläche, aber durchaus beträchtlich an Masse. Das Zugspitzplatt mit den Resten des Südlichen Schneeferners (links) und dem Nördlichen Schneeferner im August 2003 (Foto: M. Weber) 2/10

Die Gletscher an der Zugspitze Die Zugspitze ist mit 2964 m der höchste Berg Deutschlands. Gegen 1850 konnten sich in Regionen bis zu 2700 m hinab noch Gletscher bilden. Gegenwärtig ist dies erst oberhalb des Zugspitzgipfels möglich. Daher sind die deutschen Alpen praktisch unvergletschert. Trotzdem gibt es in Deutschland noch 5 Gletscher, welche als solche bezeichnet werden können, davon sind 3 an der Zugspitze gelegen, die anderen beiden am Watzmann und Hochkalter bei Berchtesgaden. Die Aussage auf dem Plakat der Bayerischen Zugspitzbahn, dass die Fahrt zum einzigen Gletscher Deutschlands führt, ist somit falsch. Der Höllentalferner im oberen Teil des Höllentals vom Zugspitzgifel am 10.8.2003 (Foto: M. Weber). Die Zugspitzgletscher sind jedoch nur noch Relikte aus der Zeit vor 1850. Der nur vom Gipfel der Zugspitze erkennbare Höllentalferner ist ein Kargletscher, er verdankt seine Existenz seiner Lage in dem engen, steilen Kessel des Höllentals, wo er durch Lawinen zusätzliche Einnahmen erhält und vor direkter Sonnenbestrahlung weitgehend geschützt ist. Er hat seine Fläche in den letzten 150 Jahren von ursprünglich 50ha nur halbiert, aber deutlich an Dicke verloren. In diesem Jahr schmilzt er durch die vielen warmen Tage besonders stark, deutlich sichtbar an dem wabenförmigen Netz an Schmelzwasserbächen. Der Nördliche und der Südliche Schneeferner sind Reste eines ehemals 300 ha großen Gletschers, der große Teile des Zugspitzplatts bedeckt hat. Heute beträgt die Fläche beider Teilflächen zusammen nur noch 45 bis 50 ha, wobei 34ha auf den Teil unterhalb des Schneefernerkopfes entfallen. Die Fläche ist also auf weniger als 1/5 der ursprünglichen Größe geschrumpft. Die Verluste am Südlichen Schneeferner sind höher, weil dieser mehr Strahlung empfängt. Der nördliche Schneeferner wird dagegen künstlich durch die Liftbetreiber bewirtschaftet, es wird Schnee aus dem umliegenden Gelände herbeigeschafft und ihm daher größere Einnahmen als durch die natürlichen Niederschläge verschafft. Über den Sommer wird zudem versucht, im Bereich der Half-Pipe die Schmelze durch Abdeckung mit weißer Folie zu verringern. Ansonsten würde der Gletscher noch viel schneller abschmelzen. Damit ist jedoch seine weitere Entwicklung teilweise von den natürlichen klimatischen Randbedingungen entkoppelt, so dass er las Objekt für die Gletscherforschung immer mehr an Bedeutung verliert. Er ist aber dennoch ein gutes Beispiel für das Endstadium eines Gletschers. 3/10

Vergleichsansichten des Zugspitzplatts 1890 und 2003 (oben) (Fotos: M. Weber / Archiv KfG) Die dunkle Fläche des Nördlichen Schneeferner mit dem Gipfel des Schneefernerkopf (rechts) und dem Restaurant Sonnalpin. Deutlich sichtbar die Spuren der Bewirtschaftung durch das Anhäufen von Schnee und die Schutzabdeckungen. Bedeutung der Gletscher Gletscher sind wichtige Süßwasserspeicher in den Alpen. Sie Speichern nicht nur Schnee sondern auch einen Teil des Regens und schützen so vor Hochwasser. In Trockenzeiten geben sie kontinuierlich Wasser ab. An heißen Tagen mit viel Sonnenschein schmelzen an tief gelegenen Gletschern bis zu 11 cm Eis über die Fläche ab, was einer Wasserspende in der Größenordnung von 100 mm Regen/Tag entspricht, also in etwa der Menge Niederschlag, die bei dem Hochwasser im August 2002 in Bayern und dem Erzgebirge gefallen ist. Sie ist allerdings auf die Fläche des Gletschers beschränkt. Der nördliche Schneeferner gab damit im 4/10

August 2003 etwa 35 Millionen Liter Wasser täglich ab, was etwa einem 10tel des Wasserverbrauchs der Region München entspricht. Der etwa 20fach so große Vernagtferner im Ötztal könnte an einem solchen Sommertag München allein versorgen. Allerdings hält die Spende in der Regel nur an wenigen Tagen im Jahr in dieser Größenordnung an. Dennoch ist am Vernagtferner in den letzten 15 Jahren immerhin ein Jahresverbrauch von München abgeschmolzen. In diesem Jahr wurde dort mit einer Dauer der Schmelzperiode von 93 Tagen gegenüber einem Mittelwert von ca. 50 Tagen innerhalb der letzten Dekade und 13 extremen Schmelztagen gegenüber normalerweise etwa 3 bis 5 ein neuer Rekord erreicht (Tabelle unten). Jahr Jun..Sep Maximum T max >10 C T max >15 C T max <0 C T min <0 C T mean <0 C 1992 6.02 17.50 50 9 143 248 167 1993 4.69 15.90 40 1?? 154 1994 5.95 15.10 62 1 128 238 178 1995 3.94 16.30 45 4 156 266 153 1996 3.80 16.90 33 1 163 273 143 1997 5.51 15.10 54 1 149 242 158 1998 5.64 16.20 52 5 141 259 152 1999 5.73 15.30 40 1 138 225 182 2000 5.90 16.30 52 5 143 238 174 2001 4.74 16.50 54 7 147 247 174 2002 5.29 16.94 46 3 135 250 168 2003 7.61 16.00 93 13??? Klimastatistik an der Klimastation Vernagtbach (2640 m) auf der Basis von Stundenmittelwerten der in 2 m Höhe gemessenen Lufttemperatur für die Jahre 1992 bis 2003. Die Eisreserven halten daher in der Folge nicht ewig. In den letzten 10 Jahren sind an der Zugspitze jährlich durchschnittlich etwa 80cm Eis abgeschmolzen. Da der Schneeferner aber heute im Durchschnitt schätzungsweise nur noch 10 bis 20 m dick ist, wird er bei anhaltender Schmelze in 15 bis 25 Jahren völlig verschwunden sein. Dieses Jahr dürften die Verluste sogar mehrere Meter betragen. Bei diesem Tempo wäre Deutschland spätestens in einem Jahrzehnt gletscherfrei! Dann würde die Partnach in ähnlich trockenen Sommern wie 2003 zeitweise zu einem Rinnsaal verkümmern. Der Vernagtferner im Sommer 2003 Die Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften führt ihre Forschungsarbeiten zum Zusammenhang zwischen Klima und Gletscherverhalten besonders intensiv am Vernagtferner in den Ötztaler Alpen (Tirol) aus. Dieser nahe der Ötztaler Wildspitze (3772 m) gelegene Gletscher ist bereits seit 1600 Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und daher mit einer der am gründlichsten erforschten Alpengletscher. Neben Genauen Vermessungen in regelmäßigen Abständen und der kontinuierlichen Erhebung von Klimadaten und Abflussmengen wird auch die jährliche Massenänderung bestimmt. Gegenwärtig erstreckt sich die Eisbedeckung im Wesentlichen auf ein ca. 8 km 2 großes, flach nach Süden geneigtes Hochplateau auf über 3000 m. Die zuletzt um 1850 bis in das Rofental reichende Gletscherzunge hat er bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verloren. 5/10

Zwei Ansichten des Vernagtferners zum Vergleich aus dem Jahren 1898 und 1992 vom selben Standpunkt am Gipfel der Kreuzspitze am Ötztaler Kreuzkamm (Fotos: Würthle & Sohn (oben), B. Heucke) Daher verliert der Gletscher gegenwärtig weniger spektakulär an Fläche, sondern überwiegend an Eisdicke. Die besonderen Umstände in diesem Jahr führten ähnlich wie 1991 und 1992 zu einer extremen Ausdehnung des schneefreien (aperen) Eisgebietes, in dem besonders große Eismengen abgeschmolzen werden. Die umfasste 2003 praktisch die gesamte Gletscherfläche. Damit ein Gletscher seine Masse erhält, sollte es nur das untere Drittel der Gletscherfläche einnehmen. Da das Eisgebiet in den letzten 20 Jahren immer einen größeren Anteil annahm, verlor der Gletscher kontinuierlich an Masse. 6/10

Größe des Eisgebietes (dunkel) am Vernagtferner üblicherweise (links) und im Extremjahr 2003 Die Ausdehnung des Eisgebiets zusammen mit der langen Andauer der Schmelzperiode führte im Jahr 2003 zu bislang noch nicht beobachten Abschmelzraten, die inzwischen anhand der am Vernagtferner mittels in das Eis eingelassenen Pegelstangen quantifiziert werden können. Mittlere Beträge der Eisabschmelzung am Vernagtferner über den Bereich der Höhenerstreckung über den Zeitraum 1969 bis 2002 (Kurve Mittel) in m Wasseräquivalent (1 m w.e entspricht ca. 1.1 m Eis ). Die vertikalen Linien geben den in diesem Zeitraum beobachteten Schwankungsbereich an. Der grüne Punkt rechts umfasst Daten bis 1982, danach ist der Gletscher in diesem Höhenbereich verschwunden. Die Dreiecke zeigen die Messwerte der Abschmelzung an den Pegeln bis Ende September 2003, die Rauten stellen Schätzwerte dar. Im Hintergrund ist die dem Höhenbereich zugeordnete Fläche in ha aufgetragen. 7/10

Demnach sind in den tiefsten Bereichen der Gletscherzunge bis zu 5.5 m Eis abgeschmolzen, deutlich mehr als im Jahr 1991, dem mit der bislang extremsten Schmelze, verloren ging. Auffallend sind auch die extremen Verluste von 1 bis 3 m vor allem auch in den höheren Lagen des Gletschers, welche den Hauptanteil seiner Fläche ausmachen. Da die Eisdicke in diesem Bereich gegenwärtig noch maximal etwa 30 bis 50 m beträgt, wäre der Gletscher nach einer Serie von 20 bis 25 derartigen Jahren verschwunden. Gefahren der Gletscher Gegenwärtig kommt wegen der heißen Witterung sehr viel Wasser von den Gletschern. Der Flächenanteil der Zugspitzgletscher am Gesamteinzugsgebiet ist zwar gering, bei den Gletschern im Ötztal ist er aber mit bis zu 80% teilweise noch groß. Die Wasserspende entspricht dort der eines Starkregens. Die Gebirgsbäche sind daher randvoll und am Rande ihrer Transportkapazität. Tritt infolge eines großflächigen Gewitters ein Starkregen hinzu, können die Bäche die damit verbundene zusätzliche Wasserflut nicht mehr aufnehmen und es kommt lokal zu verheerenden Hochwässern wie zuletzt im Ötztal 1998 und 1987. Die Wasserfluten können in Gebirgsregionen deshalb so verheerende Wirkung haben, da die Bewegungsenergie wegen des starken Gefälles sehr hoch ist und die Fließwege sehr eng begrenzt sind. Somit genügt relativ wenig Wasser für eine Katastrophe, wie es bereits die Ereignisse im letzten Jahr in den Mittelgebirgen vorgeführt haben. Überschwemmung an der Pegelstation Vernagtbach am 4.8.1998 als Folge der Überlagerung großen Schmelzwasserabflüssen mit einem Gewitterregen (Fotos.: T. Schuler) Die schmelzenden Gletscher hinterlassen Geröllhalden. Die Gebirgskämme werden teilweise nur durch den Permafrost zusammengehalten und durch die Gletscher gestützt. Durch das Auftauen des Permafrost einerseits, die immer dünner werdenden Gletscher und der damit nachlassenden Stützwirkung anderseits, brechen immer mehr Teile der Berge ein und Bergstürze häufen sich (siehe zuletzt am Matterhorn). Mit dem Abschmelzen der Gletscher verlieren die Berge nicht nur den schönen Schmuck, der zu großem Anteil den Charakter des Hochgebirges ausmacht, sondern auch ihren wichtigsten Wasserspeicher. 8/10

Zukunftsperspektiven Die großen Gletscher in den Alpen werden selbst bei einem Ende der Klimaerwärmung zunächst noch ein paar Jahre weiter schrumpfen. Das hängt mit der Trägheit des Systems Klima- Gletscher zusammen. Die kleineren aber zeigen uns unmittelbar, wie es mit dem Klima weitergeht. Bleiben sie im gegenwärtigen Zustand erhalten, scheint der Klimawandel vorläufig beendet zu sein. Schrumpfen sie aber weiter, ist es ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich unsere Atmosphäre weiter erwärmt. Wenn diese Erwärmung aber mit dem selben Tempo wie in den letzten 20 Jahren fortschreitet, werden zumindest die Ostalpen in 70 bis 100 Jahren völlig eisfrei sein und im wesentlichen so aussehen wie heute das Zugspitzplatt. Dann könnte auch der Region um Garmisch Partenkirchen das Wasser ausgehen. Prognose des weiteren Verlaufs der Massenabnahme des Vernagtferners auf der Basis verschiedener Szenarien der weiteren Entwicklung der globalen Mitteltemperatur und einer regressiven Analyse Es gilt zu bedenken, dass der Ersatz von jedem verlorenen Zentimeter Eis eine zusätzliche Regenmenge von 100 mm in Form von Schnee bedarf, also etwa 5% des heutigen Jahresniederschlags in den Nordalpen. Gleichzeitig müsste die Mitteltemperatur einige Grad unter dem gegenwärtigen Wert liegen, damit die Eisverluste in der Ablationsperiode reduziert werden. Aber auch dann würde es doch mindestens 200 bis 300 Jahre mit äußerst unwirtlichen kühlen und verregneten Sommern erfordern, bis die Zugspitze wieder so aussehen würde wie 1890. Zu bedenken gilt ferner, dass die weitere Klimaerwärmung nach den bisherigen Erkenntnissen der Klimaforscher mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen im Flachland und auch den Alpen verbunden sein wird. Bislang kann ein Teil des Wassermangels in den Flüssen durch das Schmelzwasser der Gletscher ausgeglichen werden. Sind diese verschwunden, könnte es nicht nur zu Trinkwassermangel, sondern auch zu Engpässen bei der Energieversorgung kommen. Und dies nicht nur wegen dem Ausfall von Wasserkraftwerken, sondern auch ther- 9/10

mische Kraftwerke benötigen erhebliche Wassermengen zur Dampferzeugung und vor allem zum Abtransport überschüssiger Wärme. Dass dieses Problem keinesfalls eine Fiktion ist, konnte man im letzten Sommer erstmals erfahren, als Kraftwerke ihre Leistung drosseln mussten. Autor: Markus Weber November 2003 Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Marstallplatz 8 80539 München Tel.: 089 23031 201 od. 089 23031 195 (Büro des wiss. Leiters Dr. L. Braun) wasti.weber@lrz.badw-muenchen.de www.glaziologie.de 10/10