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Transkript:

SWR2 Musikstunde mit Wolfgang Sandberger Musikerbriefe (2) " Sendung: Redaktion: Dienstag, 15. September 2009, 9.05 10.00 Uhr Martin Roth M a n u s k r i p t Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Einen Mitschnitt dieser Sendung können Sie bestellen unter der Telefonnummer 07221 / 929-6030

Musikstunde mit Wolfgang Sandberger Musikerbriefe II Willkommen zur Musikstunde, meine Damen und Herren, die heute einem der berühmtesten Briefe der Musikgeschichte gewidmet ist: Beethovens Brief an die Unsterbliche Geliebte, diese große Unbekannte. 10 Seiten mit Bleistift beschrieben, leserlich immerhin und das will schon etwas heißen, hat doch Beethovens Handschrift in Sachen Frauenzimmer durchaus für Verwirrung gesorgt: Die berühmte Bagatelle "Für Elise" ist eigentlich für Therese bestimmt, genauer für die 19jährige Therese Malfatti; Elise ist der Lesefehler eines Beethoven-Forschers, verzeihlich bei der notorisch schlechten Handschrift dieses Komponisten. Nicht Elise, sondern Therese hätte Beethoven also im Frühjahr 1810 wohl gerne geheiratet und so wurde diese Dame immer mal wieder auch als Adressatin gehandelt, des großen Liebesbriefes an die Unsterbliche Geliebte : Musik 1 CD Track 2 2.43'' "Für Elise" Rudolf Buchbinder Teldec 9031-73868-2 LC 3706 "Für Elise" alias "Für Therese" - Rudolf Buchbinder spielte die Bagatelle in a- moll von. Beethoven an eine unbekannte Adressatin so lautet der Titel lapidar und wissenschaftlich korrekt in der neuen Beethoven-Briefausgabe. Doch was dann unter der Briefnummer 582 folgt, hat es in sich: Mein Engel, mein alles, mein Ich so beginnt der immer noch berühmteste Beethoven-Brief, bei dem der Komponist leider keine namentliche Anrede verwendet hat, leider das gilt nur aus der Perspektive des um Sachlichkeit bemühten Historikers, ansonsten dürfte diese dreifache Anrede alles übertreffen, was die Konventionen der damaligen Briefkultur nahe legten: Mein Engel, mein alles, mein Ich. - nur wenige Worte heute, und zwar mit Bleistift (mit deinem) [ ] warum dieser Gram, wo die Nothwendigkeit spricht Kann unsere Liebe anders bestehen als durch Aufopferungen, durch nicht alles verlangen, kannst Du es ändern, dass du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin Ach Gott blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das müssende die Liebe fordert alles und ganz mit Recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir nur vergisst du so leicht, dass ich für mich und für dich leben muß, wären wir ganz vereinigt, du würdest dieses schmerzliche eben so wenig als ich empfinden.

Musik 2 Track 17 2.08 Zärtliche Liebe WoO 123 Fritz Wunderlich, Tenor Hubert Giesen, Klavier DGG 429 933-2 Fritz Wunderlich war das begleitet von Hubert Giesen mit dem Beethoven-Lied Zärtliche Liebe WoO 123. Das Rätsel um den Brief an die Unsterbliche Geliebte hat die Beethoven- Forschung bis heute in Atem gehalten. Nur wenige biographische Fragen wurden so intensiv diskutiert, wie die Frage nach der Adressatin dieses großen Liebesbriefes. Ja mit geradezu voyeuristischer Lust waren Biographen diesem Rätsel auf der Spur. Dieser Brief bedeutet indes auch für den um Sachlichkeit bemühten Philologen eine Herausforderung, das beginnt bereits beim Datum: Beethoven hat die drei Teile des Briefes jedes Mal datiert, allerdings ohne Ort und Jahreszahl zu nennen, da heißt es zunächst: am 6ten Juli Morgends, dann: Abends Montags am 6ten Juli und schließlich: guten Morgen am 7ten Juli. Immerhin hat Beethoven also verraten, an welchem Wochentag er schreibt: an einem Montag, ein wichtiger Anhaltspunkt, denn so lässt sich das Jahr ermitteln. Der 6. Juli fiel nämlich in dem Zeitraum, der für den Brief in betracht kommt, nur fünf Mal auf diesen Wochentag: Ziemlich sicher erscheint das Jahr 1812, denn Beethoven schrieb den Brief auf ein Papier, das er nur in diesem Sommer verwendet hat das Wasserzeichen der Briefbögen verrät es. 6. Juli 1812 soviel scheint sicher. Beethoven war damals gerade in dem böhmischen Badeort Teplitz angekommen, nicht weit von Karlsbad entfernt. Die Reise dorthin war abenteuerlich, und die innere Erregung ist in dem Brief an die unsterbliche Geliebte noch sehr lebendig: Meine Reise war schrecklich ich kam erst Morgens 4 uhr gestern hier an, da es an Pferden mangelte, wählte die Post eine andere reiseroute, aber welch schrecklicher Weg, auf der vorletzten Station warnte man mich bey nacht zu fahren, machte mich einen Wald fürchten, aber das Reizte mich nur und ich hatte Unrecht, der wagen musste bey dem schrecklichen Wege brechen. Ohne 2 solche Postillione, wie ich sie hatte, wäre ich liegengeblieben Unterwegs. Jedoch hatte ich zum Theil wieder vergnügen, wie immer, wenn ich etwas glücklich überstehe Musik 3 Track 4 3.42 Gewitter, Sturm aus der Sinfonie Nr. 6 F-dur op. 68 Pastorale NDR-So Günter Wand RCA 09026 61930 2

Die Unsterbliche Geliebte ist bis heute nicht wirklich entzaubert: definitiv gefunden ist sie immer noch nicht, auch wenn sich der Kreis der Kandidatinnen reduziert hat. Wer sich auf die Suche nach der großen Unbekannten begibt, hat immerhin einige Anhaltspunkte, die sich aus dem Brief ergeben. Die Frau lebte in der Regel in Wien, Beethoven hat sie dort kennen gelernt. Der Komponist muss sie erst wenige Tage vor seiner Ankunft in Teplitz getroffen haben, denn in dem besagten Brief berichtet er ihr nur von der letzten, abenteuerlichen Etappe von Prag in den böhmischen Badeort. Die Unsterbliche Geliebte hat sich damals ebenfalls auf Reisen befunden Beethoven vermutete sie während der Niederschrift des Briefes in K. was wahrscheinlich Karlsbad bedeutet. Neben solchen Details wird aber aus dem Brief vor allem eins deutlich: Der Vereinigung der beiden Liebenden stehen unüberwindliche Hindernisse entgegen: Kannst Du es ändern, dass du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin heißt es da oder: Mache dass ich mit dir leben kann. Diese Formulierungen zeigen, dass die Frau leider schon vergeben ist verheiratet eben. Überhaupt deutet die ganze Diktion des Stils auf diesen Umstand hin: Beethoven als Goethes Werther. Dass das Rätsel um die unsterbliche Geliebte bis heute so schwer zu lösen ist, liegt schließlich auch an Beethovens Frauenbeziehungen: Nach Ferdinand Ries war der Komponist sehr häufig verliebt, aber meistens nur auf kurze Dauer. Das heißt nicht, dass er einer dauerhaften Bindung in Form der Ehe aus dem Wege gegangen wäre im Gegenteil: zweimal immerhin hat Beethoven Heiratsanträge gestellt, beide Male jedoch wurde er abgewiesen. In den 1790er Jahren schon hatte es ihm die Sängerin Magdalena Willmann angetan, dann Giulietta Guicciardi, die alsbald jedoch einen Grafen heiratete. Ab 1804 interessierte sich der Komponist für Josephine Brunswik, deren erster Mann, Graf Joseph Deym gerade gestorben war. Die Pianistin Marie Bigot darf auf der Kandidatinnen-Liste nicht fehlen, ebenso wenig wie Therese Malfatti oder auch die Gräfin Erdödy, bei der Beethoven ab Herbst 1808 immerhin für einige Zeit wohnte. Sie alle gehören zum Kreis der vermuteten Adressatinnen; am häufigsten genannt wird mittlerweile jedoch eine Frau, die 1972, also erst recht spät ins Spiel gebracht wurde durch den Beethoven-Forscher Solomon. Ihr Name: Antonie Brentano Musik 4 CD 3 Track 25 1.19 An die Geliebte, WoO 140 Dietrich Fischer Dieskau, Tenor Gerald Moore, Klavier DGG 453 782-2

An die Geliebte : Dietrich Fischer Dieskau sang dieses Beethoven-Lied aus dem Jahr 1811 das Lied entstand also ein Jahr bevor Beethoven den berühmten Brief an die Unsterbliche Geliebte schrieb. Wenige Monate zuvor hat Antonie Brentano das Autograph dieses Liedes von Beethoven erbeten und sie notierte darauf: Den 2ten März 1812/ mir vom Author erbeten. Die Tatsache, dass sich Antonie Brentano gerade dieses Lied erbeten hat, hat sie zur heißen Kandidatin werden lassen: die unsterbliche Geliebte erbittet sich das Manuskript des Liedes An die Geliebte. Doch man sollte sich davor hüten, in diesen Vorgang zu viel hineinzuinterpretieren. Dennoch hat sich die Beethoven-Forschung inzwischen mehrheitlich auf Antonie Brentano festgelegt. Der Brief jedenfalls scheint auf sie zugeschnitten, gerade weil auch sie bereits durch eine Ehe gebunden war, ihre Ehe mit dem Bankier Franz Brentano, ein Halbbruder übrigens der sicher prominenteren Bettina Brentano. Antonie Brentano also mag die Unsterbliche Geliebte gewesen sein. Mehrere male hat Beethoven ihr neu erschienene Werke geschenkt: Im Spätherbst 1811 etwa die Erstdrucke der drei Goethe-Lieder op. 83. Und nur 10 Tage vor seinem berühmten Liebes-Brief hatte Beethoven sogar für die kleine Tochter der Brentanos ein Stück komponiert, den Klaviertriosatz WoO 39. Die Aufschrift auf der originalen Notenhandschrift lautet: Wien am 26ten Juni 1812. Für meine kleine Freundin Maxe Brentano zu ihrer Aufmunterung im Klavierspielen.. Musik 5 Track 9 7.09 Klaviertriosatz WoO 39 Beaux Arts Trio Philips 438 948-2 Das Beaux Arts Trio spielte den Klaviertriosatz B-dur WoO 39, den Ludwig van Beethoven für eine Tochter von Antonie Brentano geschrieben hat. Um den wohl berühmtesten Liebesbrief der Musikgeschichte geht es heute in der Musikstunde zum Thema Musikerbriefe: um Beethovens legendären Brief an die Unsterbliche Geliebte. Antonie Brentano könnte die Adressatin gewesen zu sein; kein Zweifel kann jedenfalls daran bestehen, dass die Frau, an die dieser Brief gerichtet ist, von Beethoven geliebt wurde. Und: dass Sie den Komponisten ebenfalls liebte. Endlich schien erreichbar, woran sich Beethovens Hoffnungen klammerten, nämlich eine dauerhafte Bindung auf der Grundlage wechselseitiger Liebe. Doch die unsterbliche Geliebte, wie Beethoven die Frau im dritten Teil seines Briefes nennt, die Unsterbliche Geliebte war wie gesagt gebunden: durch Ehe und - sollte es tatsächlich Antonie Brentano gewesen sein - durch Mutterschaft.

Für Beethoven war dies ein großer moralischer Konflikt, der ihn dazu treib, in diesem Brief jeder Liebesbeteuerung und begehrlichen Aufforderung sofort das Gegenteil folgen zu lassen: Formulierungen der Abwehr und des Verzichts. Gegen Ende des Briefes heißt es. Deine Liebe macht mich zum glücklichsten und unglücklichsten zugleich in meinen Jahren jetzt bedürfte ich einiger Einförmigkeit, Gleichheit des Lebens, kann diese bei unserem Verhältnisse bestehen? Im Hintergrund stehen hier sicher die von ihm hochgehaltenen republikanischbürgerlichen Tugenden: die eheliche Treue und die eheliche Liebe waren jedenfalls hohe Werte, das zeigt nicht zuletzt Beethovens einzige Oper "Fidelio", die ja in der Fassung von 1806 heißt: "Leonore oder der Triumph der ehelichen Liebe." Und diese Leonore ist - bezogen auf Beethovens eigenes Leben - sicher auch so etwas gewesen wie eine Idealfigur: Musik 5 CD 2 Track 13 5.58 Leonore (1806), daraus: Recitativ und Duett O namenlose Freude Pamela Coburn, Leonore Mark Baker, Florestan Orchester der Beethovenhalle Bonn Ltg. Marc Soustrot MDG 337 0826-2 Absage Das Ehe-Happy-End der Oper blieb Beethoven persönlich verwehrt. Im Sommer 1816, vier Jahre nach dem Brief an die Unsterbliche Geliebte, schrieb Beethoven durchaus resigniert an einen Freund: "Alles Schöne an ihre Frau, leider habe ich keine. Ich fand nur eine, die ich wohl nie besitzen werde, bin aber deswegen kein Weiberfeind." In diesem Jahr 1816 muss die Erinnerung an die Unsterbliche Geliebte wieder sehr präsent gewesen sein; eine späte Kronzeugin für diese leidenschaftliche, aber glücklose Affäre ist eine gewisse Fanny Giannastasio, die im September 1816 - ganz zufällig versteht sich - ein Gespräch belauscht hat zwischen Beethoven und ihrem Vater. Und die junge Dame muss doch sehr genau zugehört haben, denn den Wortlaut notierte sie immerhin in ihrem Tagebuch. Beethoven sprach demnach von einer intimen Beziehung, die er einst unterhalten habe und beteuerte, dass seine Gefühle heute noch so seien wie am ersten Tag. Damals scheint Beethoven also den Verzicht auf die Unsterbliche Geliebte neu thematisiert zu haben und er hat diesen Verzicht so scheint es jedenfalls in seinem Liederzyklus an die ferne Geliebte verarbeitet zu haben. Selbst kritische Beethovenforscher stellen einen realen Zusammenhang her, zwischen diesem einzigartigen Liederkreis und seiner unerfüllten Liebe. In

diesem Sinne ist auch eine weitere Tagebucheintragung von Fanny Giannastasio zu lesen: Das neue Lied,An die entfernte Geliebte entlockte mir Tränen. Das Herz hat es geschrieben! Wie interessant muß dies Wesen sein! Doch leiht seine Phantasie ihr vielleicht so viel Interesse? Nein, nein, er sagt ja, nie habe er mehr Harmonie gefunden! Musik 6 CD 1 Track 14-16 6.00 An die ferne Geliebte, op. 98, Lieder Nr. 1-3 Dietrich Fischer Dieskau, Bariton Jörg Demus, Klavier DGG 453 782-2 Dietrich Fischer Dieskau und Jörg Demus mit den ersten drei Liedern aus der Liederzyklus an die ferne Geliebte op. 98 von. Ziemlich wahrscheinlich ist es, dass die Ferne Geliebte, die in diesem Liederkreis besungen wird, die gleiche Person ist, der Beethoven vier Jahre zuvor den emphatischen Liebesbrief geschrieben hat: Mein Engel, mein alles, mein Ich. Den Verzicht auf die Unsterbliche Geliebte hat Beethoven fraglos in diesem Liederzyklus verarbeitet. Es liegt jedenfalls nahe, dass Beethoven, als er die Gedichte des 21jährigen Poeten Alois Jeitteles in Händen hielt, eben an die "ferne Geliebte" in Frankfurt dachte, an Antonie Brentano. Die Zeit heilt alle Wunden so heißt es und der Abstand ist auch diesen Liedern abzuspüren. Es gibt keine unreflektierten Affekte, der Verlust wird nicht leidenschaftlich beklagt, sondern aus der zeitlichen Distanz heraus bleibt die Liebe in der Erinnerung unangetastet bestehen. Nimm sie hin denn, diese Lieder : Der Textanfang des letzten Liedes ist so etwas wie die Quintessenz des gesamten Zyklus, der die Klage überwindet und zur Liebesgabe wird. Die angesprochene Geliebte muss die Lieder jedoch erst selbst gesungen haben, bevor die reale Trennung in einer spirituellen, metaphysischen Vereinigung überwunden werden kann: "Nimm sie hin denn, diese Lieder, die ich dir, Geliebte sang, Singe sie dann abends wieder zu der Laute süßem Klang." Musik 7 CD 1 Track 19 4.14 An die ferne Geliebte, op. 98 Nimm Sie hin denn, diese Lieder, Nr. 6 Dietrich Fischer Dieskau, Bariton Jörg Demus, Klavier DGG 453 782-2

Morgen, meine Damen und Herren, geht es in der SWR2-Musikstunde nicht um einen einzigen Brief, sondern um die zahllosen Briefe, die Robert und Clara Schumann gewechselt haben Robert Schumann, der übrigens als erster eine Gesamtausgabe der Beethoven-Briefe geplant hat. Auch das eben gehörte Schlusslied aus dem Liederzyklus an die ferne Geliebte wurde von Schumann aufgegriffen in seiner Fantasie op. 17 bezeichnenderweise in einer Lebenssituation, die Beethoven nicht ganz unähnlich war: In der Auseinandersetzung mit Vater Wieck schien die geliebte Clara in weite Ferne gerückt. Nur aus dieser Perspektive wird klar, warum das Motiv Nimm Sie hin denn, diese Lieder der rote Faden ist, der die drei Sätze der Fantasie musikalisch zusammenhält. Clara ist die ferne Geliebte und das Nimm Sie hin denn Widmung und Aufforderung zugleich: Schreib mir so heißt es in einem Brief an Clara, schreib mir, was Du bei dem erste Satz der Phantasie Dir denkst. Musik 8 Robert Schumann Fantasie op. 17, Ende erster Satz SWR-Aufnahme (M0-027020 W01)