Der Erste Weltkrieg als Schrittmacher der Entkirchlichung

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Transkript:

Der Erste Weltkrieg als Schrittmacher der Entkirchlichung Der Erste Weltkrieg als Zäsur der Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte Prof. Dr. Traugott Jähnichen 06.11.2014

Gliederung Einleitung I. Von der religiösen Euphorie bei Kriegsausbruch zu religiös getönten Durchhalteparolen II. III. Die Erfahrung der absoluten Sinnlosigkeit und die Entkirchlichung nach 1918/19 Die Vertiefung der religiösen Entfremdung im 2. Weltkrieg und die Haltung der skeptischen Generation Ausblick

1. Von der religiösen Euphorie bei Kriegsausbruch zu religiös getönten Durchhalteparolen Allwöchentlicher Einschub in das Fürbittengebet am Ende der Gottesdienste

1. Von der religiösen Euphorie bei Kriegsausbruch zu religiös getönten Durchhalteparolen Theologische Verklärung des Krieges in den ersten Kriegsmonaten: - Gott als Garant des deutschen Sieges - Die gerechte Sache der Deutschen - Der Glaube als innere Kraft - Christliche Lieder und Gebete als Brücke zur Heimat

1. Von der religiösen Euphorie bei Kriegsausbruch zu religiös getönten Durchhalteparolen Der Krieg und die Intensivierung des religiösen Lebens: - Neues Fragen nach Gott angesichts der Unsicherheiten - Gottesbegegnungen im Krieg - Vaterlandsliebe/Natio nalismus und Glaube als neue Verkündigungsstrategie - Kraft zum Ertragen Prof. Dr. Traugott Jähnichen der Opfer 06.11.2014

2. Die Erfahrung der absoluten Sinnlosigkeit und die Entkirchlichung nach 1918/19 Mensch und Kreatur als Kriegsmaterial ; Glaubensverlust als Thema in Predigten; Entindividualisierung /Funktionalisierung der Soldaten im Kontrast zum religiösen Trost

2. Die Erfahrung der absoluten Sinnlosigkeit und die Entkirchlichung nach 1918/19 Nach Tillich bedeutete der Erste Weltkrieg die Erfahrung eines Abgrundes, eines Abgrundes der sich für mich und meine ganze Generation so auftat, dass er sich nie mehr schließen konnte.

2. Die Erfahrung der absoluten Sinnlosigkeit und die Entkirchlichung nach 1918/19 Nach Bonhoeffer ist der totale Vernichtungskrieg gekennzeichnet durch die Degradierung des Feindes zum Verbrecher, wodurch die Idee der Einheit einer einheitlich christlich verstandenen Kultur in Europa faktisch beseitigt ist.

2. Die Erfahrung der absoluten Sinnlosigkeit und die Entkirchlichung nach 1918/19 Totale Mobilmachung (E. Jünger) als eine Zeit, in der die Mittel bedeutender sind als der Mensch, Auflösung der Persönlichkeit, Kontrast zum Empfinden der christlichen Seele.

2. Die Erfahrung der absoluten Sinnlosigkeit und die Entkirchlichung nach 1918/19 Ein Infanterist mit einem Bauchschuss, der einem qualvollen Ende entgegengeht und an keinerlei Fortleben nach dem Tod glaubt, bringt in dieser Lage durch heitere Anekdoten den ganzen Krankensaal zum Lachen. Er lebt bis zur letzte Stunde ganz im Augenblick Es ging mir während des Kriegs immer deutlicher auf, dass es nicht bloß den flachen Säkularismus gibt, der genießen will, nein es gibt auch einen heroischen Säkularismus, einen Humor auf dem Sterbebett, bei dem sich der Mensch alle hinterweltlichen Zukunftsgedanken versagt, um ganz der Stunde zu leben. (Karl Heim, Säkularismus und Mystik, Berlin 1932, 11f)

2. Die Erfahrung der absoluten Sinnlosigkeit und die Entkirchlichung nach 1918/19 Untertitel

3. Die Vertiefung der religiösen Entfremdung im 2. Weltkrieg und die Haltung der skeptischen Generation Verlust und Wiedererlangung der Deutungskompetenz im Zweiten Weltkrieg: - Der Krieg wird ebenfalls religiös instrumentiert, allerdings ohne größere Bedeutung in der Öffentlichkeit. - Die Rolle von Militärgeistlichen wird zurückgedrängt, noch relativ stark in der (kaiserlichen) Marine, präsent im Heer, ohne Bedeutung bei der Luftwaffe. - Die Siege werden kaum noch religiös gefeiert, Deutung und Zuschreibung der Siege allein durch die NS-Propaganda - Kriegsopfer in den ersten drei Kriegsjahren werden vorrangig durch NS-Stellen gewürdigt Ende der Glaubwürdigkeit der NS-Propaganda mit der sich abzeichnenden Niederlage: Neue Nachfrage nach religiösem Trost in der Not der letzten Kriegsjahre (Restabilisierung der Volkskirchen)

3. Die Vertiefung der religiösen Entfremdung im 2. Weltkrieg und die Haltung der skeptischen Generation Beobachtungen von Bonhoeffer in der Haft in Tegel bei Luftangriffen: - Wunsch, dass es andere treffen möge - Aberglauben: Holz anrühren u.a. (Handeln, wo kein Handeln mehr möglich ist) - Drück mir die Daumen (teilnehmendes Gedenken) - keiner entgeht seinem Schicksal (Reste christlicher Gerechtigkeitsvorstellung?) - Keine explizit christlichen Vorstellungen über Gnade, ewiges Leben, Gericht u.a. werden geäußert.

3. Die Vertiefung der religiösen Entfremdung im 2. Weltkrieg und die Haltung der skeptischen Generation Wiedererstarken der Volkskirche nach 1945 (bis zum Ende der 1950er Jahre): - Wiedereintritts-Welle - Konservative Deutungen der Lebensführung dominant - Kaum Ansätze der Verarbeitung der Kriegserfahrungen und der Schuld (Stuttgarter Schulderklärung der EKD) - Deutungen des NS als Abfall von der christlichen Zivilisation, Folge der Neuzeit

Ausblick Säkularisierung beschleunigt sich in den langen 1960er Jahren: Basis: Massenwohlstand, veränderte Normen, Infragestellung der Tradition, Emanzipation und Fortschritt! Kirche im Modus der Anpassung Gegenwart: Religion als Option

3. Die Vertiefung der religiösen Entfremdung im 2. Weltkrieg und die Haltung der skeptischen Generation Untertitel