Peter Cremer-Schaeffer. Cannabis. Was man weiß, was man wissen sollte

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Transkript:

Peter Cremer-Schaeffer Cannabis Was man weiß, was man wissen sollte

Marihuana wird in Deutschland häufiger konsumiert als Haschisch; je nach kulturellen Gewohnheiten wird in anderen Ländern mehr Haschisch verwendet. Die in Deutschland wohl bekannteste Form der Anwendung von Haschisch oder Marihuana ist der Joint. Dabei handelt es sich um eine trichterförmig gerollte Zigarette, die mit Haschisch oder Marihuana gemischten Tabak oder Knaster (tabakfreie getrocknete Blättermischung) enthält. Cannabis die Pflanze 19

Cannabis, die Droge 3 Aktuelle Situation Mit illegal angebautem Cannabis lässt sich viel Geld verdienen. Ein Milliardenmarkt, der weiter wächst. Cannabis ist die am weitesten verbreitete Droge. Weltweit konsumieren 130 bis 230 Millionen Menschen mindestens einmal jährlich Cannabis. 41 Einer der größten Märkte ist Europa. Cannabis wird über Nachbarländer eingeschmuggelt oder in den jeweiligen Ländern selbst angebaut. 42 In Deutschland wurde zuletzt Albanien als eines der wichtigsten Herkunftsländer für Marihuana identifiziert. 43 Haschisch jedoch stammt vor allem aus Marokko und gelangt über Spanien und Portugal nach Europa. 44 Asien hat sich als weiterer Herkunftsmarkt etabliert. Neben dem illegalen Import der Ware spielt der illegale Anbau in Deutschland eine immer bedeutendere Rolle. 2015 wurden 154 621 Pflanzen beschlagnahmt 45 im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um mehr als 17 %. Mehr als die Hälfte aller Rauschgiftdelikte in Deutschland steht im Zusammenhang mit Cannabis: 2014 waren das mehr als 161 000. 46 Deutschland liegt beim Verbrauch von Cannabis in der EU im Mittelfeld. Schätzungsweise drei Millionen Einwohner haben im Jahr 2013 mindestens einmal zum Joint oder zu anderen Anwendungsformen von Cannabis gegriffen. Am weitesten verbreitet ist der Konsum in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen. 15,8 % dieser Altersgruppe haben 2013 Cannabis konsumiert. In kürzlich veröffentlichten Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist der Anteil im Jahr 2014 auf 17,6 % ange stiegen, bei den Männern gar auf 22,1 %. 47 Besonders besorgniserregend ist die Zahl der unter 18-Jährigen, die schon regelmäßig Cannabis anwenden. Nach dem Drogen- und Suchtbericht 2015 waren das im Jahr 2013 1,3 % der 12- bis 17-Jährigen. Die Untersuchungen der BzGA aus dem Jahr 2014 weisen eine Erhöhung der Quote auf 2,2 % in dieser Altersgruppe aus, also etwa 90 000 Jugendliche, die sich einer massiven Gefährdung ihrer Gesundheit aussetzen. 48 Deutlich zugenommen hat die Zahl derer, die sich wegen einer Cannabisproblematik in Behandlung begeben. Cannabis schädigt die Gesundheit. Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche, wie wir später noch sehen werden. Aktuelle Situation 21

Wie Cannabis zur Droge wurde Wie schon beschrieben, ist Cannabis eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt. Auch ihre Geschichte als Rauschmittel nahm ihren Ursprung in Asien. Im Hinduismus in Indien war Cannabis heilig. Es wurde in religiös kultische Handlungen einbezogen. 49 Die Anwendung als psychoaktive Substanz breitete sich im Hinduismus und Islam aus. Alkohol hingegen war verboten. In Europa fand die Anwendung von Cannabis ihren ersten Höhepunkt im 19. Jahrhundert. Neben Ärzten, die Erkenntnisse zur Anwendung der Pflanze als Heilmittel gewannen, befassten sich vor allem Intellektuelle mit dessen berauschender Wirkung. 50 Ganz wunderbare Texte sind aus dieser Zeit überliefert, die einen Blick auf die Freuden und auch das Leid beim Konsum von Cannabis erlauben. Dem Klub der Haschischesser in Paris gehörten Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler an, u. a. der Psychiater Jacques-Joseph Moreau und der Schriftsteller Theophile Gautier. In zahlreichen Selbstversuchen probierten sie die Wirkung von Cannabis. Moreau versprach sich davon Erkenntnisse für die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen. 1846 beschrieb Theophile Gautier, welche Erlebnisse er nach dem Genuss von Haschisch hatte. 51 Seine blumigen Schilderungen der Halluzinationen und phantastischen Darstellungen entführen den Leser in eine andere Welt. So schrieb Gautier: Ich für meinen Teil empfand vollkommene Umstellung des Geschmacks. Wasser, das ich trank, schien mir der herrlichste Wein zu sein, Fleisch wandelte sich mir im Munde zu Himbeeren, und umgekehrt. Ich hätte ein Kotelett nicht von einem Pfirsich zu unterscheiden vermocht. Meine Nachbarn fingen an mir sehr merkwürdig vorzukommen; sie rissen riesige Uhuaugen auf, ihre Nase längte sich zu Elefantenrüssel, ihr Mund zog sich endlos in die Breite. Die Färbung der Gesichter nahm unmenschliche Töne an. Bemerkenswert an Gautiers Bericht sind auch Hinweise auf die Assassinen, die später noch eine Rolle spielen werden. Es handelte sich um einen islamischen Geheimbund, der sich im 11. Jahrhundert von den Ismaeliten abgespalten hat. Ihr Oberhaupt wurde als der Alte vom Berge bezeichnet, der seine Mannen beauftragte Morde zu begehen. Bekannt waren sie für Giftmorde und den Mord mit dem Dolch. 52 Sie folgten den Befehlen ihres Oberhauptes ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben. Auch wenn sich die Quellen nicht einig sind, welche Funktion Haschisch in diesem Zusammenhang spielte, 53 ist Gautier davon überzeugt, dass der Gleichmut der Assassinen durch Haschisch bewirkt wurde: Die von ihm 22 Cannabis, die Droge

[dem Haschisch, Anmerkung des Autors] gekostet hatten, fanden beim Erwachen aus ihrem Rausch die Wirklichkeit so trüb und farblos, daß sie sich mit Freuden opferten, um ins Paradies ihrer Träume zurückzugelangen; denn jeder, der in Ausführung der Befehle des Scheiks fiel, kam geradewegs in den Himmel oder ward, wenn er entkam, neuerdings der Glückseligkeiten geheimnisvoller Speisung teilhaftig. Der Lyriker und Schriftsteller Charles Baudelaire, der sowohl dem Alkohol als auch Opium und Haschisch sehr zugetan war, veröffentlichte 1860 das Werk: Die künstlichen Paradiese. Darin findet sich eine ausführliche Beschreibung des Cannabisrausches. Baudelaire interessierte sich aber nicht nur für die Wirkung des Haschisch, er war auch Experte für die verschiedenen Sorten und Zubereitungsformen. Obwohl Künstler, erhob er den Anspruch, eine wissenschaftliche Abhandlung über Haschisch zu schreiben. Er selbst bezeichnete diese als eine Art Monografie. Dabei hat er versucht, die vielen Mythen, die sich auch damals schon um Cannabis rankten, zu relativieren und zu versachlichen. Beispielsweise heißt es dort: So sollten denn die Weltleute und die Toren, die begierig sind, außerordentliche Freuden kennenzulernen, sich ganz klar darüber werden, dass sie im Haschisch keinerlei Wunder finden werden, sondern nichts als eine gesteigerte Natur. Das Hirn und der Organismus werden auch unter der Haschwirkung nur ihre gewöhnlichen individuellen Phänomene aufweisen, freilich an Zahl und Energie in gesteigerter Form, aber immer noch ihrem Ursprung treu. Der Mensch kann dem Schicksal seines physischen und moralischen Temperaments nicht entschlüpfen. Der Haschisch wird für die Eindrücke und die dem Menschen eigentümlichen Gedanken zum Vergrößerungsspiegel, aber zu einem Spiegel eben nur. 54 Der Mensch wird sich demnach im Rausch nicht in einer anderen Welt bewegen; er wird lediglich die ihm eigene Welt intensiver erleben, ohne ihr entfliehen zu können. An anderer Stelle macht Baudelaire daher auch deutlich, wie wichtig der richtige Ort und die richtige Stimmung sind, um den Haschischrausch tatsächlich positiv erleben zu können. In Deutschland fand Cannabis als Rauschmittel keine große Verbreitung. Aus diesem Grund befasste sich die Politik lange Zeit fast gar nicht damit. Überhaupt war das Interesse Deutschlands an der weltweit aufkommenden Drogenproblematik bis nach der Wende zum 20. Jahrhundert eher gering. Die Notwendigkeit, den internationalen Handel mit Betäubungsmitteln zu regulieren, sahen aber andere Staaten. Diese setzten auch die Maßstäbe für eine internationale Drogenpolitik. Doch Cannabis spielte dabei zunächst keine Rolle. Wie Cannabis zur Droge wurde 23