Gutachten AG Stolzenau

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Transkript:

Gutachten AG Stolzenau 13.7.2005 Fragen 1. Richtet sich die Erbfolge nach dem am 27.1.2005 verstorbenen türkischen Staatsangehörigen Haydar B. nach türkischem oder nach deutschem Erbrecht? 2. Von wem ist der am 27.1.2005 verstorbene türkische Staatsangehörige Haydar B. in welchem Umfang beerbt worden? 3. Ist hinsichtlich der Erbfolge nach unbeweglichem und beweglichem Vermögen, nach in der Bundesrepublik Deutschland befindlichem und in der Türkei befindlichem Vermögen zu unterscheiden? 4. Ist die rechtliche Würdigung im Erbscheinsantrag der Ehefrau des Erblassers vom 28.4.2005 (Nr. 300 der Urk. Rolle für 2005 des Notars R. S., Stolzenau) zutreffend und können die beantragten Erbscheine daher erteilt werden?

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 2 Stellungnahme I. Vorbemerkung 1 Dieses Gutachten wird ausschließlich auf der Grundlage von Rechtsprechung und Literatur erstattet, wie sie sich in der Türkei vorfindet. Die Nachverfolgung türkischer Zitate zum schweizerischen Recht wurde nicht für erforderlich erachtet, da hieraus keine zusätzlichen Erkenntnisse zu ziehen sind, die für die Praxis des türkischen Rechts Bedeutung haben könnten. Soweit die hier zitierten Entscheidungen des Kassationshofs keine Fundstellenangabe enthalten, wurden sie der kostenpflichtigen Datenbank des Kazanci-Verlages entnommen. II. Sachverhalt 1. Tatbestand Aus der in der Akte befindlichen notariellen Urkunde ergibt sich folgender Sachverhalt: 1 Abkürzungen: IPRG (türk. IPR-Gesetz); RG (Resmî Gazete Amtsblatt); ZGB (Zivilgesetzbuch). Literatur: (nicht zitiert): Antalya, Gökhan: Miras Hukuku (Erbrecht), İstanbul 2003; Aybay, Aydın: Miras Hukuku (Erbrecht), İstanbul 2000; Ayiter, Nuşin: Miras Hukuku (Erbrecht), Ankara 1978; Çelikel, Aysel: Milletlararası Özel Hukuk (IPR), erw. 6. Aufl., Istanbul 2000; Dural, Mustafa/Öz, Turgut: Türk Özel Hukuku IV Miras Hukuku (Das türkische Privatrecht Bd. 4 Erbrecht), 2. erneuerte Aufl., Istanbul 2003; İnan, Ali Naim: Miras Hukuku (Erbrecht), Ankara 1969; Kocayusufpaşaoğlu, Necip: Miras Hukuku, 2. Aufl. İstanbul 1978; Oğuzman, Kemal: Miras Hukuku Dersleri (Lehrbuch des Erbrechts), 2. Aufl. İstanbul 1978; Öztan, Bilge: Miras Hukuku Temel Bilgiler (Erbrecht Grundkenntnisse), Ankara 2001; Rumpf, Christian: Einführung in das türkische Recht, München 2004; Serozan, Rona/Engin, Baki İlkay: Miras Hukuku (Erbrecht), Ankara 2004; (zitiert): İmre, Zahit/Erman, Hasan: Miras Hukuku (Erbrecht), Istanbul 2003; Kuru, Baki/Arslan, Ramazan/Yılmaz, Ejder: Medenî Usul Hukuku (Zivilverfahrensrecht), erw. 14. Aufl., Ankara 2002; Nomer, Ergin/Şanlı, Cemal: Devletler Hususi Hukuku (IPR), 13. Aufl., İstanbul 2003; Staudinger-Dörner (2000) Vorbem zu Art 25 f.

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 3 Die Antragstellerin, Sabriye B., geb. am 2.3.1943, hat einen Erbschein beantragt, gegenständlich beschränkt für im Inland in der Bundesrepublik Deutschland befindliches unbewegliches Vermögen sowie eines Erbscheins, gegenständlich beschränkt für im Inland in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen beweglichen Nachlass. Erblasser ist der am 8.9.1937 geborene und am 27.1.2005 in Minden verstorbene Haydar B.. Neben der Ehefrau als weiterer Erbe ist Herr Hikmet Barabaros, geb. am 2.6.1970, aufgeführt. Weitere Kinder Nuran Benli und Nuriye Keserci-Bas haben die Erbschaft, auch mit Wirkung für ihre minderjährigen Kinder, ausgeschlagen. Gegenstand des Erbscheins soll Grundbesitz in Loccum sein. Zum beweglichen Nachlass wurden keine Angaben gemacht. Der Gegenstandswert des Nachlasses beträgt nach Angaben des Notars Euro 5.000,00. 2. Besondere Probleme des Sachverhalts Die Problematik des Sachverhalts spielt sich ausschließlich im rechtlichen Bereich ab. Hier ist ein Fall der sog. Nachlassspaltung gegeben, was zu der Einschränkung der Anträge des Notars geführt hat. III. Internationales Privatrecht 1. Deutsches internationales Privatrecht Für die Fragen des deutschen internationalen Privatrechts, die vom Gericht selbst zu klären sind, kann auf die Ausführungen von Dörner im Staudinger verwiesen werden. Hiernach ist für die Frage der Rechtsnachfolge von Todes wegen einschließlich der gesetzlichen Erbfolge das Heimatrecht des Erblassers

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 4 anzuwenden, also türkisches Recht (Art. 25 Abs. 1 EGBGB). Dies ergibt sich auch aus dem Deutsch-türkischen Nachlassabkommen 2, wo es in Zif. 14 Abs. 1 heißt: Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des beweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zurzeit seines Todes angehörte. Für den unbeweglichen Nachlass gilt dann Zif. 14 Abs. 2: Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zurzeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre. Ergänzend ist Zif. 12 Abs. 3 des Nachlassabkommens zu lesen: Das Recht des Staates, in dem sich der Nachlass befindet, entscheidet darüber, was zum beweglichen und zum unbeweglichen Nachlass gehört. Hiernach ist für das Grundstück in Loccum das deutsche Recht anzuwenden. Insoweit ist die rechtliche Würdigung von Notar S. richtig. Für den beweglichen Nachlass gilt dann ohne Rücksicht auf die Belegenheit das türkische Recht. 2. Rückverweisung und türkisches internationales Privatrecht Nachdem das deutsche internationale Privatrecht für den beweglichen Nachlasse von der Anwendbarkeit des türkischen Rechts ausgeht, ist zunächst zu prüfen, ob hier eine Rückverweisung in Betracht kommt. Hilfreich ist zunächst der Blick auf Art. 22 IPR-Gesetz 3. Die Bestimmung lautet: 2 Anhang zum Konsularvertrag zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reiche v. 28.5.1929, RGBl 1931 II, S. 538 (abgedruckt bei Ferid-Firsching-Hausmann-Dörner, Internationales Erbrecht, Türkei ). 3 Gesetz Nr.2675 v. 20.5.1982, RG Nr.17701 v. 22.5.1982; zum IPRG Krüger IPRax 1982, S. 252 ff.; G. Tekinalp RabelsZ 47 (1983), S. 74 ff.

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 5 Die Erbschaft unterliegt dem Heimatrecht des Erblassers. Auf das in der Türkei belegene unbewegliche Vermögen ist türkisches Recht anwendbar. Die Eröffnung, der Erwerb und die Auseinandersetzung des Nachlasses unterliegen dem Recht des Ortes, an dem sich der Nachlass befindet. Nachlassvermögen ohne Erben, das sich in der Türkei befindet, fällt dem Staat zu. Die Form der Verfügungen von Todes wegen unterliegt der Bestimmung des Art. 6. Wirksam sind auch solche Verfügungen von Todes wegen, die der Erblasser in der seinem Heimatrecht entsprechenden Form getroffen hat. Die Testierfähigkeit unterliegt dem im Zeitpunkt der Verfügung von Todes wegen geltenden Heimatrecht des Testierenden. Die wichtigste Aussage dieser Bestimmung ist, dass zwischen der Erbenstellung und dem Erwerb der Erbschaft unterschieden wird. Während sich die Erbenstellung nach dem Heimatrecht des Erblassers bestimmt (Art. 22 I IPRG), richtet sich der Erwerb nach dem Recht der Belegenheit des Nachlasses (Art. 22 II IPRG). Die hier eingehaltenen und nicht weiter interessierenden Formen des Erwerbs können ausgeklammert werden, es geht hier nur noch um die Frage, ob in Bezug auf die Erbenstellung (wer folgt zu welchen Anteilen nach) eine Rückverweisung stattfindet. Dies ist dem offenkundigen Wortlaut des türkischen IPRG zufolge nicht der Fall. IV. Intertemporales Privatrecht Da seit dem 1.1.2002 ein neues ZGB gilt, ist kurz zu prüfen, inwieweit dies Auswirkungen auf die Beantwortung der vorliegenden Frage hat. Der einschlägige Art. 17 EinfG zum türk. ZGB 4 lautet: 4 Gesetz Nr. 4722 v. 3.12.2001, RG Nr. 24607 v. 8.12.2001.

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 6 Auf Erbschaft und Erbgang sind die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers geltenden Bestimmungen anwendbar. Aus dieser Bestimmung ergibt sich ohne weiteres, dass für die Beantwortung der hier gestellten Fragen die Rechtslage unter dem neuen ZGB gültig ist, da der Erblasser im Jahre 2005 verstorben ist. V. Türkisches Recht 1. Erbfolge a) Allgemein Die Erbschaft kann aufgrund Gesetzes (gesetzliche Erbfolge) oder aufgrund letztwilliger Verfügung übergehen. Wie das deutsche Recht kennt das türkische Recht das Testament (vasiyetname), den Erbvertrag (miras sözleşmesi) und das Vermächtnis (vasiyet). Die gesetzliche Erbfolge ist durch letztwillige Verfügung nur unter Vorbehalt des Pflichtteils (mahfuz hisse, saklı pay) abdingbar. Durch letztwillige Verfügung können auch Ersatzerbschaft, Vor- und Nacherbschaft angeordnet werden. Wie und auf wen das Vermögen des Erblassers (mirasbırakan, alt: muris, müteveffa) auf die Berechtigten übergeht, regelt grundsätzlich das Gesetz. Gesetzliche Erbfolge ist Gesamtrechtsnachfolge, die Erben haften auch für die Verbindlichkeiten. Letzteres gilt allerdings nicht, soweit infolge des Fehlens sonstiger gesetzlicher Erben der Nachlass an den Staat fällt (Art. 594 ZGB). b) Blutsverwandte Gesetzliche Erben erster Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers (füru). Gesetzliche Erben zweiter Ordnung sind die Eltern und die Abkömmlinge der Eltern (usûl). In der dritten und letzten Ordnung folgen die Großeltern und deren Abkömmlinge (Art. 497 ZGB).

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 7 Im vorliegenden Fall sind der Sohn und die Töchter erbberechtigt, wobei letztere und ihre Nachkommen infolge der Ausschlagung ausscheiden. c) Ehegatte Der überlebende Ehegatte tritt neben die blutsverwandten Erben. Mit abnehmendem Rang der Letzteren erhöht sich sein Anteil (Art. 499 ZGB). Neben den direkten Abkömmlingen erhält der Ehegatte ein Viertel, neben den Eltern und deren Abkömmlingen z.b. den Geschwistern die Hälfte und neben den Großeltern und deren Abkömmlingen drei Viertel des Nachlasses. In welchem Güterstand die Eheleute gelebt haben, spielt für den Erbschein als solchen keine Rolle. Vielmehr ist dieser lediglich für die hier nicht zu prüfende Frage erheblich, was eigentlich in die Erbauseinandersetzung gehört und was sich die Ehefrau vor der Erbauseinandersetzung aufgrund güterrechtlicher Zuweisung aneignen darf. Soweit sich aus der insoweit teilweise widersprüchlichen Urkunde ersichtlich, haben die Eheleute keinen Güterrechtsvertrag geschlossen. Die Folge hiervon ist, dass bis zum 31.12.2001 der Güterstand der Gütertrennung, danach der Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft gegolten hat. Dies braucht hier jedoch nicht vertieft zu werden. d) Verteilung der Anteile Nicht geprüft worden ist, ob die Ausschlagung wirksam erfolgt ist. Sie wird hier als wirksam unterstellt. Da das Gesetz ausdrücklich zwischen Ehegatten und den Abkömmlingen hier ungeachtet ihrer Anzahl unterscheidet, gilt, dass die Ausschlagung keine Wirkung zugunsten oder zulasten der Ehefrau hat, sondern sich lediglich auf den Umfang des Anteils eines Abkömmlings gleicher Ordnung auswirkt. Wenn also die Töchter ausgeschlagen haben, so fallen deren Anteile dem verbleibenden Bruder zu. Damit erbt die Ehefrau zu einem Viertel, der Bruder zu drei Viertel.

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 8 2. Erbscheinserteilung Da die Erteilung des Erbscheins auch nach türkischer Sichtweise zu den Gegenständen der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehört 5, stellt sich die Frage, auf welche Weise ein in Deutschland ausgestellter Erbschein in der Türkei umgesetzt werden kann. a) Unbewegliches Vermögen in der Türkei Soweit ein ausländischer Erbschein einen Nachlass betrifft, der in der Türkei belegenes Grundvermögen umfasst, kann der Erbschein schon deshalb nicht anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden, weil hier eine ausschließliche Zuständigkeit türkischer Gerichte besteht, was nach der Rechtsprechung des türkischen Kassationshofs auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit gilt. 6 Für in der Türkei belegenes Grundvermögen ist daher ein Erbschein in der Türkei zu beantragen. b) Bewegliches Vermögen in der Türkei An sich gilt dies auch für das in der Türkei belegene bewegliche Vermögen. Aus türkischer Sicht gilt in Nachlassangelegenheiten national die Zuständigkeit des Ortes, an welchem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte (Art. 11 ZPO); befindet sich dieser nicht in der Türkei, ist ersatzweise auch das Gericht der Belegenheit des beweglichen Nachlasses zuständig (Art. 30 IPRG). Intern behält das türkische Recht also die Zuständigkeit in jedem Falle in der Türkei. Art. 11 II ZPO beschränkt die Ausnahmen von der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichts am letzten Wohnort, welche Bestandteil des ordre public ist 7, auf die Herausgabeklage, die auch am Ort der Belegenheit des Nachlassvermögens erhoben werden kann, sowie auf den Nachweis des Vorliegens eines Testaments sowie die Feststellung von Erbteilen, bei welchen auch der Gerichtsstand des Erben gegeben ist. 5 İmre/Erman S. 316. 6 Nomer/Şanlı S. 454 mwn. 7 Kuru/Arslan/Yılmaz S. 183.

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 9 Für deutsch-türkische Fälle ist jedoch Ziff. 15 des deutsch-türkischen Nachlassabkommens zu beachten, das für das bewegliche Vermögen die internationale Zuständigkeit an die Staatsangehörigkeit des Erblassers anknüpft. Diese Zuständigkeit gilt jedoch nur für Streitigkeiten zwischen Erben. 8 Für periphere Streitigkeiten mit Dritten als Partei Nachlass gegen Dritte oder Dritte gegen Nachlass sind daher wieder die nationalen Zuständigkeitsbestimmungen zu beachten (Türkei: Art. 11 ZPO). Gleiches gilt auch für Streitigkeiten um das unbewegliche Vermögen (Türkei: ausschließlicher Gerichtsstand des Art. 23 IPRG, der insoweit den zum türkischen ordre public gehörenden Art. 13 ZPO wiedergibt). Der deutsche Erbschein für einen türkischen Staatsangehörigen fällt allerdings nicht unter das Deutsch-türkische Niederlassungsabkommen. Er wird in der Türkei als Strengbeweismittel anerkannt, ersetzt also nicht den ordnungsgemäß erteilten türkischen Erbschein für das in der Türkei belegene Vermögen türkischer Staatsangehöriger, sondern kann bei Beantragung eines türkischen Erbscheins dort als Beweismittel vorgelegt werden. Aus dem Dilemma unklarer Zuständigkeiten für das bewegliche Vermögen ausländischer Erblasser in Deutschland hilft für Deutschland 2369 Abs. 1 BGB. Hiernach kann die Erteilung eines Erbscheins verlangt werden, wenn zu einer Erbschaft Gegenstände gehören, die sich im Inland befinden, ausländisches Recht anwendbar ist und es an einem zur Erteilung des Erbscheins zuständigen deutschen Nachlassgericht fehlt. Der Wirkungsbereich des Fremdrechtserbscheins ist sowohl gegenständlich (auf den Nachlass) als auch territorial (auf die Bundesrepublik) begrenzt. Diesen Weg hat Notar S. offenbar gewählt, als er den Antrag auf einen territorial beschränkten Nachlass gestellt hat. VI. Zusammenfassung Die gestellten Fragen sind daher wie folgt zu beantworten: 8 Vgl. Staudinger-Dörner (2000) Vorbem zu Art 25 f Rdn 179 ff.

Gutachten v. 13.07.2005 AG Stolzenau 10 1. Die Erbfolge richtet sich für das unbewegliche Vermögen nach deutschem, für das bewegliche Vermögen nach türkischem Recht. Für in der Türkei belegenes unbewegliches Vermögen ist in der Türkei ein Erbschein zu beantragen. Daher ist der Antrag des Notar S. zu Recht auf das deutsche unbewegliche Vermögen beschränkt. 2. Bezüglich des unbeweglichen Nachlasses ist Herr B. von seiner Ehefrau zu Hälfte und von seinem Sohn ebenfalls zur Hälfte beerbt worden, nachdem die übrigen Miterben ausgeschlagen haben. Bezüglich des beweglichen Nachlasses ist er von der Ehefrau zu einem Viertel, von seinem Sohn zu drei Viertel beerbt worden. 3. Für das bewegliche Vermögen macht es im Hinblick auf die materiellrechtlichen Folgen keinen Unterschied, ob das Vermögen in der Türkei oder in Deutschland belegen ist. Für in der Türkei belegenes unbewegliches Vermögen gilt das türkische Recht, so dass anders als beim Grundstück in Loccum in der Türkei die Ehefrau zu einem Viertel und der Sohn zu drei Viertel erbt. 4. Gegen die gegenständliche und territoriale Beschränkung des Erbscheins, wie durch Notar S. beantragt, bestehen keine Bedenken. Diese Stellungnahme erging nach bestem Wissen und ohne Gewähr. Prof. Dr. Christian Rumpf