Das Tiroler Lechtal auf seinem Weg zum naturnahen Qualitätstourismus

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Transkript:

Das Tiroler Lechtal auf seinem Weg zum naturnahen Qualitätstourismus Günter Salchner, Regionalmanager für den Bezirk Reutte/Tirol Unter der aufrüttelnden Überschrift Aufstieg oder Talfahrt? widmet sich die 8. Mostviertler Nachhaltigkeitskonferenz den Herausforderungen und Perspektiven für nachhaltigen Tourismus in peripheren Regionen. Dabei gilt das Interesse auch anderen Destinationen und deren Strategien, um in sensiblen alpinen oder anderen peripheren und strukturschwachen Regionen touristisch erfolgreich zu sein und dennoch der Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Ziel dieser Veranstaltung ist jedenfalls, als Initialzündung für eine dauerhafte Regionalentwicklung mit nachhaltigem Tourismus als starkem Standbein zu wirken. Es sollen fundierte Antworten auf die Fragen, was es dabei zu beachten bzw. zu vermeiden gilt, gefunden werden. Nun, welchen Beitrag können dabei die Erfahrungen im Tiroler Lechtal leisten? Das Lechtal ist eine atypische Tourismusregion in Tirol. Die großen schitouristischen Erschließungen blieben hier aus. Als Ende der 1990er Jahre, angestoßen durch Kraftwerkspläne, auch noch eine Natura 2000 Ausweisung weiter Teile des Lech, seiner Auwälder und Seitenbäche anstand, schienen in der Wahrnehmung vieler regionaler Akteure im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter auszugehen. Die Kritiker eines allzu restriktiven Naturschutzes prophezeiten der Region endgültig einen wirtschaftlichen Niedergang. Eine sehr emotional geführte Auseinandersetzung pro und contra Nationalpark endete schließlich mit der Ausweisung eines Naturparks und der Installation eines Entwicklungsprogramms. Die Einschränkungen durch die Natura 2000 Ausweisung sollten durch dieses Programm kompensiert werden. Gleichzeitig galt es, den besonderen Naturraum touristisch in Wert zu setzen. Viele Entwicklungen, die im Lechtal eben nicht stattgefunden hatten, mussten nun als Chance uminterpretiert werden. Man entschied sich, eine Entwicklung hin zu einem naturnahen Qualitätstourismus einzuschlagen. Dieser Entwicklungsprozess wurde begleitet durch das Regionalmanagement und gefördert mit Mitteln des Landes Tirol, des Bundes und der EU. Nach einigen Jahren intensiver Projektarbeit scheint heute die Rechnung aufgegangen zu sein. Die Tourismusbetriebe haben erkannt, dass man auch mit dieser Form des Tourismus gutes Geld verdienen kann. Das Leuchtturmprodukt des naturnahen Qualitätstourismus ist der Lechweg ein 125km langer Weitwanderweg von der Quelle des Lech nahe Lech am Arlberg bis zum Lechfall in Füssen im Allgäu. Dieses Produkt füllte in bisher ungekannter Art und Weise die Betten. Die Region erfuhr eine mediale Aufmerksamkeit innerhalb weniger Jahre, die es in Summe in den letzten 20 Jahren nicht gab. Bei den Beherbergungsbetrieben herrscht eine große Aufbruchsstimmung. An vielen Hotels stehen wieder die Baukräne. Doch die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt noch viel zu tun und zuweilen sind Dilemmata zwischen Innovation und Konsens aufzulösen. Die Steuerung regionaler Entwicklung stößt auch an Grenzen. Aus den im Lechtal gewonnenen Erfahrungen lassen sich einige Erfolgsfaktoren und Stolpersteine ableiten, die auch für andere Regionen von Relevanz sind. Die 8. Mostviertler Nachhaltigkeitskonferenz thematisierte Herausforderungen und Perspektiven für nachhaltigen Tourismus in peripheren Regionen. Bezogen auf den Tourismus im Alpenraum ist festzuhalten, dass es sich hierbei um einen weitgehend gesättigten Markt handelt. Es dominiert ein Verdrängungswettbewerb von oft austauschbaren Destinationen und Angeboten. In Tirol beispielsweise kritisieren Tourismusexperten immer wieder ein Überangebot von Betten von rund 20%. Die Folge davon sind schwache Auslastungszahlen insbesondere in der Sommersaison. Um die Betten zu füllen und um für ausreichend Beschäftigung für das Personal zu sorgen, senken viele Betriebe auch in höheren Kategorien drastisch die Preise. Destinationen ohne starke Wintersaison können die mit Dumpingpreisen einhergehende Ertragsschwäche in der Sommersaison in der kalten

Jahreszeit nicht kompensieren. Die starken Destinationen mit ihrem ausgeprägten Winterschwerpunkt versuchen wiederum, in einem Streben nach dem Immer-mehr und dem Immergrößer ihre Marktposition zu halten. Auf den Punkt gebracht haben diese Destination alles und davon zu wenig. In diesem Wettrüsten der Destinationen tun sich periphere, strukturschwache Regionen schwer. Sie verfügen über eine geringe Bekanntheit und über keine mit positiven Assoziationen belegte Marke. Die Tourismustradition und damit auch die Tourismusgesinnung in der Bevölkerung sind zumeist schwach ausgeprägt. Für eine adäquate Bearbeitung von Märkten fehlt es am entsprechenden Marketingbudget. Die Betriebe bieten oft nicht mehr die geforderte Qualität und kämpfen aufgrund fehlenden Eigenkapitals erfolglos gegen den von Jahr zu Jahr anwachsenden Investitionsstau. Die öffentliche Infrastruktur ist aufgrund der angespannten Haushaltslage ebenso nicht mehr auf einem wettbewerbsfähigen Niveau. Im Gegensatz zu hochgerüsteten Tourismusdestinationen zeichnen sich periphere, strukturschwache Regionen zunächst durch ein Nichts aus, das aber unter Umständen Potential haben kann, dann nämlich, wenn dieses Nichts verbunden ist mit den immer knapper werdenden Gütern intakte Natur und Landschaft sowie Ruhe. Daraus leitet sich die Frage ab, ob sanfter Tourismus eine Entwicklungschance für periphere Regionen darstellt. Das Wirtschaftsblatt fragte den Seilbahnsprecher und Tourismuspolitiker Franz Hörl in einem Interview im März 2007 nach dem Potential von sanftem Tourismus. Hörl sah im sanften Tourismus eine Drohung. Das Zillertal hat seit 1990 eine Nächtigungssteigerung von 18,3 %, die Nationalparkregion Hohe Tauern in Osttirol hat mit sanftem Tourismus einen Rückgang um 26,3 %. Darum ist es richtig, dass die Landespolitik jetzt Unterstützung für die Skiverbindung Kals-Matrei gibt, so die Schlussfolgerung des Tiroler Touristikers. Sanfter Tourismus verstanden als ein bisschen Tourismus und davon nicht zu viel, stellt nach den Erfahrungen im Tiroler Lechtal jedenfalls keinen tauglichen Ansatz dar, um die Entwicklung einer peripheren, strukturschwachen Region anzukurbeln. Ein Tourismus allerdings, der Natur und Landschaft in einer nachhaltigen Form wirtschaftlich in Wert setzt und sich dabei an zeitgemäßen Qualitätsstandards orientiert, kann als alternatives Modell zum harten Erschließungstourismus durchaus einen Entwicklungsschub auslösen. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen: Sanfter Tourismus ist tot. Lang lebe der naturnahe Qualitätstourismus. Einen Weg hin zu einem naturnahen Qualitätstourismus hat in den letzten Jahren das Tiroler Lechtal eingeschlagen. Dabei war die Ausgangssituation keine einfache. Der Tourismus spielte hier wie auch im restlichen Land Tirol immer eine Rolle. Während andere Regionen in den letzten Jahrzehnten im großen Stil in schitouristische Erschließungen investierten, gefolgt vom Bau großer Hotels, blieben diese Entwicklungen im Lechtal weitgehend aus. Nach den letzten Nächtigungsspitzen im Zuge des Falls der Berliner Mauer Anfang der 1990er Jahre erlebte der Tourismus im Lechtal einen kontinuierlichen Rückgang. Unter den 34 Tiroler Destinationen (Tourismusverbände) rangierte das Lechtal bis vor wenigen Jahren bei vielen Indikatoren an der letzten oder vorletzten Stelle. So lag der Beherbergungsumsatz pro Bett über alle Kategorien gerechnet im Jahr 2011 bei lediglich 2.677 (letzter Platz). Der Mittelwert war bei 6.672. Die Transportkapazität bei den Seilbahnen beschränkte sich im Jahr 2010 auf rund 1.500 Personen pro Stunde (letzter Platz). Dieser Indikator liegt in den Tiroler Destinationen im Mittel bei rund 44.000. Das jährliche Budget des Tourismusverbands (TVB) Lechtal betrug 2013 951.999 (vorletzter Platz). Tiroler TVBs hatten im Schnitt ein Budget von rund 3,9 Mio. Die stärkste Destination in Tirol, das Ötztal, verfügte 2013 über ein Budget von rund 11,7 Mio. Der touristische Turn around des Tiroler Lechtals hat seinen Ursprung zunächst in einer als sehr bedrohlich empfundenen Lage. Neben einer immer stärker ins Hintertreffen geratenden Tourismuswirtschaft stand eine Natura 2000 Ausweisung weiter Teile des Tales ins Haus. Aufgrund

des Vorkommens vieler auf den Listen der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie geführten Tier- und Pflanzenarten (Kreuzkröte, Laubfrosch, gefleckte Schnarrschrecke, Bileks Azurjungfer, Flussuferläufer, Flussregenpfeifer, Zwergrohrkolben, deutsche Tamariske, Frauenschuh, etc.) mahnte die Europäische Kommission die Unterschutzstellung des Tiroler Lech, seiner Auwälder und Seitenarme ein. Nach langen und sehr kontrovers geführten Diskussionen rund um die Natura 2000 Ausweisung und in weiterer Folge um die Art des Schutzes (Nationalpark versus Naturschutzgebiet) verordnete die Tiroler Landesregierung im Jahr 2004 ein Naturschutzgebiet mit dem Prädikat Naturpark. Ein solches Prädikat kann für jene Gebiete vergeben werden, die sich in besonderer Weise für das Naturerleben und die Umweltbildung eignen, was für die Wildflusslandschaft am Tiroler Lech der Fall ist. Während die größeren Schutzgebiete in Tirol zu diesem Zeitpunkt vor allem in abseits gelegenen Landesteilen zu finden waren, liegt jenes am Tiroler Lech mitten in einem seit Jahrhunderten besiedelten Tal. Die damit verbundenen Ängste der Bevölkerung, wonach die Unterschutzstellung keine weitere wirtschaftliche Entwicklung zulasse, waren groß und mangels Erfahrungen nicht zuletzt auch nachvollziehbar. Im Wissen um zu erwartende Einschränkungen installierte die Tiroler Landesregierung im Jahr 2004 ein eigenes regionalwirtschaftliches Programm für all jene Gemeinden, die Anteil am Natura 2000 Gebiet hatten. Dieses Programm hatte eine Laufzeit von zehn Jahren und war dotiert mit 10,9 Mio. Dieses Programm verfolgte das Ziel, die Einschränkungen der Unterschutzstellung zu kompensieren und gleichzeitig den einzigartigen Naturraum im Einklang mit den Schutzzielen in Wert zu setzen. Damit begann der Lechtaler Weg hin zu einem naturnahen Qualitätstourismus. Nach zahlreichen Projekten und intensiver Strategie- und Netzwerkarbeit war im Jahr 2012 der so genannte Tipping Point erreicht. Die Bemühungen rund um den Aufbau einer neuen Form des Tourismus abseits des gängigen Tiroler Erfolgsmodells der Schigebietserschließung fingen zumindest in der Sommersaison an zu fruchten. Während in den Jahren 2009 bis 2011 die Sommernächtigungen im Tiroler Lechtal rund um 290.000 stagnierten, setzte 2012 und noch stärker 2013 ein markantes Wachstum ein. Das um rund 11% erhöhte Niveau konnte auch 2014 gehalten werden, sodass zunächst von einer nachhaltigen Steigerung ausgegangen werden kann. Eine zweistellige Erhöhung der Sommernächtigungen innerhalb von nur zwei Jahren bei gleichbleibender Bettenzahl ist in Tirol ein sehr seltenes Phänomen. Wie lässt sich diese Entwicklung erklären? Es sind im Tiroler Lechtal primär vier Faktoren, deren Zusammenwirken diesen Turn around bewirkten. Unter diesen Faktoren ist zuallererst die Entwicklung eines Leuchtturmprodukts zu nennen. Es handelt sich hierbei um den Lechweg, ein 125 km langer Weitwanderweg von der Quelle des Lech nahe Lech am Arlberg (Bundesland Vorarlberg) bis zum Lechfall in Füssen im Allgäu. Dieser Abschnitt markiert gleichzeitig die weitgehend naturnahe Fließstrecke des Lech. Der Lechweg begleitet den Fluss manchmal direkt an seinem Ufer, manchmal verläuft er auf einer mittleren Höhenlage mit beeindruckenden Panoramablicken hinunter auf die Flusslandschaft. Er führt zum Teil durch die Orte, manchmal an ihnen vorbei. Es besteht immer eine gute Anbindung an die Infrastruktur des Tales sowie an den öffentlichen Personennahverkehr. Der Weg führt vorbei an zahlreichen Highlights wie dem Simmswasserfall und der längsten Fußgängerhängebrücke Österreichs in der Gemeinde Holzgau, dem größten Frauenschuhgebiet Europas in Martinau, der Burgenwelt Ehrenberg mit der Highline 179, der längsten Fußgängerhängebrücke der Welt (Tibet Style), und den Königschlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau im Allgäu. Die Entwicklung des Weges erfolgte entlang einer touristischen Dienstleistungskette mit den Leistungsbestandteilen Information, Buchung, An-/Abreise, Übernachtung, Einkehrmöglichkeiten und weitere begleitende Dienstleistungen wie Gepäcktransport, Wegeinfrastruktur, Souvenirs und

Stammkundenpflege. Sämtliche Informations- und Kommunikationsmaßnahmen (Print und Online), das Markierungszeichen und das Mobiliar (Bänke und Rastplätze, Stelen und Informationstafeln) basieren auf einem einheitlichen Corporate Design. Neben den eigenen Informations- und Kommunikationsinstrumenten (Lechweg-Serviceheft, Übersichtskarte, Busfahrpläne, Website) gibt es mittlerweile eine Reihe von Wanderführern in Buchform sowie Kartenmaterial. Der Vertrieb des Weges erfolgt zu einem wesentlichen Anteil über Reiseveranstalter allen voran Wikinger Reisen, dem größten Veranstalter von Wanderreisen in Deutschland. Über 100 Lechweg-Partnerbetriebe treten als Quartiergeber auf. Die Gastgeber müssen sich verpflichten, Einnächtler aufzunehmen und den Betrieb an den Bedürfnissen von Wandergästen auszurichten. Mit dem Lechweg versuchten die Touristiker gezielt, die Dreisternbetriebe zu stärken. Dieser Kategorie gehört die Mehrheit der Betriebe im Tiroler Lechtal an. Der Weg selbst besteht vor allem aus Pfaden und Forstwegen. Der Anteil an asphaltierten Wegabschnitten wurde so gering wie möglich gehalten. Zur Infrastruktur des Weitwanderweges im engeren Sinn zählen auch Hängebrücken, Holzstege direkt über dem Lech, Bänke und Rastplätze im Lechweg-Design. Das charakteristische L auf Bäumen, Felsen und auf der bestehenden Wanderwegbeschilderung markiert den Weg. Der Lechweg hat mittlerweile einen großen Freundeskreis. Darunter sind auch viele Einheimische, die ihn schon gegangen sind und dadurch ihre Heimat einschließlich der Nachbarregionen neu entdeckten. Die Fanpage auf Facebook erreicht mittlerweile an die 4.000 Personen. Der Lechweg ist seit seiner Markteinführung im Juni 2012 zu einer starken Produktmarke geworden. Über spezielle Lechweg-Produkte wird versucht, auch andere Sektoren, allen voran die Landwirtschaft, von der Stärke der Marke mitprofitiere zu lassen. Lechweg-Produkte stehen wie auch der Weitwanderweg selbst für Qualität und Genuss. Sie zeichnen sich darüber hinaus durch Regionalität und handwerkliches Können aus. Alle haben auch einen Bezug zum Wandern. Dadurch zahlen sie in die Marke Lechweg ein. Zu diesen Produkten zählen das Lechweg-Bier der kleinen Privatbrauerei Vilser Bergbräu und der Lechweg-Kramat, ein Edelbrand aus Wacholderbeeren, die ganz charakteristisch für die Trockenauen am Lech sind. Diese Art von Gin produziert die kleine Schaubrennerei Lechtaler Haussegen aus Elbigenalp. Weitere Produkte sind die Hartwürste Chrommi Chämmiwürza von Bezirksbäuerin und Lechweg-Partnerin Lisbeth Fritz aus Gehren, das Lech-Lüfterl, eine Art Bündnerfleisch vom Reuttener Gorihof, der beerige Lechtler ein spezieller Käse der Naturkäserei Sojer aus Steeg, der Lechweg-Brettlkäse der Reuttener Wildberg-Käserei, das Lechweg-Brot der Reuttener Bäckerei Ihrenberger, die Lechweg-Praline der Konditorin Susanne Matzner aus Lechaschau und die Lechweg-Seife der Seifenmanufaktur Leovinus Naturkosmetik aus Hopferau im Allgäu. Als Leuchtturmprodukt hat der Lechweg in den ersten vier Jahren eine große Strahlkraft für die Region erlangt. Auf die Markteinführung folgte eine umfangreiche medialer Berichterstattung in allen wichtigen Print- und Online-Medien im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Zudem gab es zuletzt mehrere Fernsehproduktionen über den Lech (Servus TV) bzw. den Lechweg (BR, arte). Eine solche Konzentration an medialer Aufmerksamkeit war zum einen völlig neu für die Region und machte zum anderen viele Gäste auf die besondere Wildflusslandschaft am Lech aufmerksam. Darunter waren natürlich viele Lechweg-Wanderer aber auch solche, die die Natur auf andere Weise genießen (Standortwanderungen, Bergwanderungen, Radtouren, etc.). Der Lechweg füllte in der Sommersaison wieder die Betten und sorgte für eine Aufbruchsstimmung in der Region. Nicht unerheblich für das wieder erstarkte Selbstvertrauen der heimischen Tourismuswirtschaft waren zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Gleich in seiner ersten Saison wurde der Lechweg mit dem

Wander-Award des Wandermagazins geadelt. Im Jahr 2013 gewannen die Touristiker mit dem Lechweg den Tirol Touristica in der Kategorie Angebotsentwicklung. Im gleichen Jahr gab es zudem den dritten Platz beim Leader-Innovationspreis des Ministeriums für ein lebenswertes Österreich. Für die Lechweg-Produkte gab es auch einen Designpreis des internationalen Instituts für Informationsgestaltung in der Rubrik Sustainability. Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor des Lechtaler Wegs steht in enger Verbindung mit dem Leuchtturmprodukt Lechweg. Es ist die Kooperation, über welche die periphere, strukturschwache Region eine starke Hebelwirkung auslöste. So wird der Lechweg getragen von den fünf Tourismusorganisationen Lech/Zürs Tourismus GmbH, Warth/Schröcken Tourismus, TVB Lechtal, TVB Naturparkregion Reutte und Füssen Tourismus und Marketing. Diese fünf Organisationen gründeten im Jahr 2011 die Werbegemeinschaft Lech-Wege, ein Verein, der ein jährliches Budget für den Lechweg aufstellt und auch ein eigenes Produktmanagement beschäftigt. Wichtige weitere Partner sind über 100 Beherbergungsbetriebe (Lechweg-Partnerbetriebe), die Produzenten der Lechweg- Produkte (Lizenznehmer), Reiseveranstalter, ein lokales Taxiunternehmen (Gepäcktransport), der Naturpark Tiroler Lech sowie die Outdoor-Unternehmen LOWA und TATONKA. Um Marketingsynergien zu nutzen gründeten die Lechweg-Akteure zusammen mit weiteren Partnern in Oberösterreich, Niederösterreich und dem Burgenland die Angebotsgruppe Best Trails of Austria. Neben dem Lechweg gehören auch der Donausteig, der Welterbesteig und der alpannonia zu den Best Trails. Mit der Leader-Region Mullerthal - Kleine Luxemburgische Schweiz begründete man eine Entwicklungspartnerschaft im Wandertourismus. Mit dem Mullerthal Trail gibt auch in dieser Region einen attraktiven Weitwanderweg. Im Rahmen eines transnationalen Leader-Projekts beschäftigen sich die Touristiker intensiv mit dem Thema Qualität im Wandertourismus. Die Grundlage für die Entwicklung eines Leuchtturmprodukts bildete eine regionale Tourismusstrategie für den Naturpark Tiroler Lech, welche bereits 2008 im Rahmen der Initiative Modellregion für den österreichischen Tourismus, lanciert vom Wirtschaftsministerium, mit Hilfe externer Begleitung erarbeitet wurde. Zu den zentralen Akteuren zählten hier neben dem Naturparkverein auch die beiden TVBs Lechtal und Naturparkregion Reutte. Als Initiator und Prozessbegleiter trat das Regionalmanagement für den Bezirk Reutte auf. Ein wichtiges Resultat der Strategiearbeit besteht darin, dass öffentliche und betriebliche Investitionen ineinander greifen. Die Entwicklung des Lechwegs wurde zu einem Gutteil mit Mitteln aus dem regionalwirtschaftlichen Programm für die Naturparkregion finanziert. Ein im Jahr 2015 in Kraft getretenes Folgeprogramm legt nun einen Schwerpunkt auf Investitionen in der Hotellerie und Gastronomie. Mit zusätzlichen Förderungen versucht man nun, die Dynamik der Aufbruchsstimmung für einen Qualitätsschub im Beherbergungssektor zu nutzen. Dabei werden nur jene Investitionen gefördert, die zur Destinationsstrategie passen. Der jeweilige TVB muss vor jeder Förderentscheidung eine Stellungnahme zum Strategie-Fit der betrieblichen Investitionen abheben. Ein weiterer Faktor betrifft die konsequente Ausrichtung auf einen Qualitätstourismus. So werden nur klassifizierte (mindestens drei Sterne oder Edelweiß) als Lechweg-Partner aufgenommen. Dies hatte vor allem im Segment der Privatzimmervermietung im Lechtal einen Klassifizierungsboom ausgelöst. Begleitend zu diesem Investitionsprogramm bieten die TVBs Lechtal und Naturparkregion Reutte ein umfangreiches Qualifizierungsprogramm an (Vermieterakademien). Anhand des Lechwegs wurde in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wanderverband und der Europäischen Wandervereinigung ein Zertifizierungsmodell entwickelt, das in ganz Europa zur Anwendung kommen soll. Der Lechweg erfüllte schließlich die strengen Qualitätskriterien und wurde als erster

Weitwanderweg als Leading Quality Trail Best of Europe ausgezeichnet. Mittlerweile gibt es eine Reihe nach diesem internationalen Verfahren zertifizierte Weitwanderwege (Mullerthal Trail, Albtraufgänger, Escapardenne-Eisleck Trail, Gendarmstien, Kullaleden, Menalon Trail, Moselsteig, Veldez Wanderweg, Zeugenbergrunde). Die Entwicklungen im Tiroler Lechtal hin zu einem naturnahen Qualitätstourismus über das Leuchtturmprodukt Lechweg, über Kooperationen und eine strategische Konsequenz sind vielversprechend. Die Steuerung einer solchen Entwicklung ist jedoch nur eingeschränkt möglich. Insofern werden die kommenden Jahre zeigen, ob dieser Aufschwung auch nachhaltig ist. Der Lechtaler Weg ist natürlich nicht ohne Stolpersteine. So sieht sich die Region auch mit Entwicklungen konfrontiert, die im Widerspruch stehen zu einer strategischen Ausrichtung auf einen naturnahen Qualitätstourismus. Als Beispiel hierfür sei der rasant steigende Motorradausflugsverkehr genannt. Für viele Betriebe sind die Biker willkommene Gäste, zumal man diese Gruppe nicht mit Marketingmaßnahmen in die Region locken muss. Sie kommen von selbst und das in Scharen. Die Bergstraßen im Lechtal sowie in den Nachbarregionen stellen eine große Verlockung dar, die Motorleistung des Bikes auszureizen. Das Ergebnis davon ist ein Lärmpegel, der bis in die Gipfel der Lechtaler und Allgäuer Alpen hinaufreicht sowie zahlreiche schwere Unfälle, leider zu oft auch mit tödlichem Ausgang. Ein weiterer Stolperstein liegt im teils fehlenden Bewusstsein für den Umgang mit Landschaft. Gäste, für die Natur und intakte Landschaft bzw. Nachhaltigkeit insgesamt ein wichtiges Buchungsargument darstellen, fühlen sich von groben Eingriffen in die Landschaft ohne jegliche ökologische Begleitmaßnahmen abgeschreckt. So manches Gewerbegebiet ließe sich etwa durch eine landschaftsgerechtere Gestaltung (Bsp. Bepflanzungen, etc.) durchaus harmonischer in die Landschaft integrieren.