bürgerbegehren in schleswig-holstein

Ähnliche Dokumente
VOLKSBEGEHREN UND VOLKSENTSCHEIDE IM JAHR 2010 AUF LANDESEBENE. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Schleswig-Holstein

Der Innen- und Rechtsausschuss möge die Annahme des Gesetzentwurfs unter Berücksichtigung der folgenden Änderungen empfehlen:

DIREKTE DEMOKRATIE IN DEN GEMEINDEN

KATA LOGO Politik - Direktdemokratische Verfahren

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern

RUBRIK. bürgerbegehren. bericht 2014

Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie

LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/ Wahlperiode

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

Institutionen direkter Demokratie in den Gemeinden Deutschlands und der Schweiz

Weiterentwicklung der direkten Demokratie in Hessens Kommunen. Sieben Reformvorschläge für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide

Volksbegehren gegen Privatisierung

Direkte Demokratie in Deutschland Wo stehen wir, wo soll es hingehen?

Kommunalwahlquiz Zu P&U aktuell 17 Kommunalwahlen in Baden- Württemberg

Bürgergesellschaft - direkte Demokratie? Österreich im Vergleich zur Schweiz

Synopse der vorgeschlagenen Änderungen des 16g der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!

BESONDERES VERWALTUNGSRECHT II (KOMMUNALRECHT, BAURECHT)

Bürgerentscheide ohne Bürgerresonanz Zur geringen Akzeptanz direktdemokratischer Verfahren in den Kommunen

Bürgerbegehren, Einwohnerantrag, Einwohnerversammlung?! Bürgerbeteiligung vor Ort gemeinsam gestalten.

DIREKTE DEMOKRATIE IN DER KOMMUNE Zur Theorie und Empirie von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

Kommunalverfassung des Landes Brandenburg Auch neuer Rechtsrahmen für Seniorenbeiräte

Digitales Archiv Mehr Demokratie e.v. paper 29

"Mehr Demokratie wagen"

Gesetzentwurf der Volksinitiative mehr Demokratie in Schleswig-Holsteins Gemeinden und Kreisen

17. Wahlperiode Drucksache 17/1363

Mehr Direkte Demokratie - ein Mittel gegen Politikverdrossenheit?

Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie in Baden-Württemberg

Bürgerbeteiligung in Deutschland mehr Demokratie wagen? VORANSICHT

SUCHMASCHINE TUNINGEN. Informationen und Bilder aus Tuningen. 11. Jahrgang Schwarzwald-Baar-Kreis

LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 14. Wahlperiode. Gesetzentwurf. Drucksache 14/3080. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

KOMMUNALWAHL IN NIEDERSACHSEN AM Wählen - einfach erklärt

Gründungszuschuss und Einstiegsgeld

Art.3 des Gesetzes regelt sodann die Abstimmungsmodalitäten, welche den Regelungen des BWahlG entsprechen.

Gesetzentwurf. Sächsischer Landtag 6. Wahlperiode DRUCKSACHE 6/4853. AfD-Fraktion. Gesetz zur Änderung der Sächsischen Landkreisordnung (SächsLKrO)

Kommunalreform in Dänemark

Zufriedenheit mit der Verwendung von Studiengebühren in Deutschland

BURGER für BÜRGER Newsletter 10/2015 Klaus Burger MdL Wahlkreis 70 Sigmaringen Liebe Parteifreundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

Für starke Städte, Gemeinden und Landkreise. Für eine lebenswerte Heimat.

Dies gilt auch für das Verhältnis Landtag Regierung bzw. Volksabstimmung Regierung.

Allgemeine bildungsökonomische Rahmenbedingungen in Deutschland

INFORMATIONSSTELLE BÜRGERBEGEHREN

Evaluation von Partizipationsvorhaben mit Jugendlichen

Bürgerbeteiligung in rechtlichen Strukturen verankern Erfahrungen, Voraussetzungen, Möglichkeiten

Die Entwicklung der Pflegebedürftigen in Thüringen bis 2020

Die Zukunft der Europäische Union

Spannungsverhältnis Demokratie. Menschenrechte versus Volksrechte in der Schweiz

BÜRGERBETEILIGUNG UND KOMMUNALPOLITIK

STATUS DES WINDENERGIEAUSBAUS

Nachhaltigkeitsprozesse in Kommunen steuern: Die Bedeutung der Bürgerbeteiligung

Schuldenbarometer 1. Halbjahr 2013

Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften beschlossen

Untersuchung der Homepages der Städte und Gemeinden des Landkreises Böblingen

Bevölkerung nach demografischen Strukturmerkmalen

Ausgewählte Ergebnisse aus der Studie von GMS im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung vom Frühjahr 2016

Der ruhigste Bürgerentscheid aller Zeiten

Mitbestimmung im Staat /Aktuelle Politik

Erfahrungen und Beispiele aus der beteiligungsorientierten Kommunalentwicklung. Thomas Ködelpeter Ökologische Akademie e.v.

IVD: Büromieten wachsen in Einwohner-Städten am stärksten

AMTSBLATT. Amtliche Bekanntmachungen der Stadt Schrobenhausen

Arbeitsmarkt Münchner Statistik, 2. Quartalsheft, Jahrgang Tabelle und Grafiken: Adriana Kühnl

Tourismustag Schleswig-Holstein 2016 Wie international ist der echte Norden? Wie international kann

Statistische Erhebung erlebnispädagogischer Gruppenprogramme und Anbieter

In Sachsen-Anhalt kann das Volk ein Gesetz oder andere Fragen der politischen Willensbildung mittels dreier Schritte beschließen:

Fachtagung: Kommunale Finanzpolitik zwischen Verantwortung, Partizipation und Parteienkonkurrenz

Stationäre Hospize für Erwachsene, stationäre Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sowie Palliativstationen in Deutschland

Schuldenbarometer 2012

Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung 3. Bericht: Ländervergleich ambulante Pflegedienste

Entwicklung der Ehescheidungen in Thüringen

Föderalismus in Deutschland

1 Der Zeitpunkt der Betriebsratswahlen

Die Landkarte der Angst 2012 bis 2016

Schuldenbarometer 2015: Privatinsolvenzen sinken um 6,4 Prozent vierter Anstieg in Folge bei den älteren Bundesbürgern

Mitbestimmung im Staat /Aktuelle Politik

Protokoll Bürgergespräch

Bürgerentscheid

Deutsche werden sesshaft

(Neu)Land gestalten!

Starke Zunahme der Anbieter in Berlin: Anzahl der Hotels, Kongresszentren, Locations

11. Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht Ergebnisse der repräsentativen Wahlstatistik in der Landeshauptstadt Hannover

Möglichkeiten und Formen der Bürgerbeteiligung - Ratsfrau Gaby Niemann-Cremer -

September Akzeptanz von Projekten in Wirtschaft und Gesellschaft

Aber Halt! Vorher solltet ihr euch noch den folgenden Text über den Bayerischen Landtag genau durchlesen!

Firmeninsolvenzen 2015

Grußwort Marion Reinhardt Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz; Referatsleitung Pflege

Schriftliche Kleine Anfrage

Antrag auf Förderung interner Weiterbildungen von Jugendeinrichtungen

Neue Fakten zur Lohnentwicklung

Versorgung mit Briefkästen und Paketshops in Deutschland

sonstige gefährliche und schwere Körperverletzung Fälle; 10,3 % (vorsätzliche leichte) Körperverletzung Fälle; 68,7 %

STAR: Kostenstrukturen in Anwaltskanzleien 1994 und 1998

Aktuelle Entwicklung der geringfügigen Beschäftigungen

Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung 2012

Geschätzte Kosten von Maßnahmen der EU zur Terrorismusbekämpfung

SEPA-Umstellung: Mittelstand sieht sich auf gutem Weg

VOR ALLEM GROSSE ARCHITEKTURBÜROS PROFITIEREN VOM WIRT- SCHAFTLICHEN AUFSCHWUNG

Geborene und Gestorbene

Analyse Volksbefragung Wehrpflicht 2013

Satzung des BürgerEnergie Thüringen e. V (BETh e.v.)

Finanzlage der Länderhaushalte

Transkript:

bürgerbegehren in schleswig-holstein 1990 2015

inhalt Inhalt Einleitung 3 1. Zusammenfassung der Ergebnisse 4 2. Analyse der Praxis: 1990 2015 5 2.1. Anzahl und Häufigkeit 5 2.2. Häufigkeitsverteilung und Gemeindegröße 7 2.3. Ergebnisse und Erfolgschancen 9 2.4. Abstimmungsbeteiligung und Auswirkungen des Zustimmungsquorums 13 2.5. Zielrichtungen von Bürgerbegehren 16 2.6. Themenbereiche 18 3. Wirkungen 20 4. Zusammenfassung und Ausblick 22 Tabellen und Abbildungen Abbildung 1: Anzahl neu eingeleiteter Verfahren im Jahresvergleich 6 Abbildung 2: Anzahl Bürgerentscheide im Jahresvergleich 6 Abbildung 3: Verhältnis Bürgerbegehren zu Ratsreferenden 7 Abbildung 4: Unzulässigkeitsquote nach Jahren 11 Abbildung 5: Themenbereiche 19 Impressum Herausgeber Mehr Demokratie e. V. Landesverband Schleswig-Holstein Osterstr. 2, 25821 Bredstedt sh@mehr-demokratie.de sh.mehr-demokratie.de Tabelle 1: Verfahrensanzahl nach Jahren 5 Tabelle 2: Verteilung nach Gemeindegröße 7 Tabelle 3: Häufigkeit nach Gemeindegröße 8 Tabelle 4: TOP 11 der Gemeinden und Städte mit den meisten Verfahren 9 Tabelle 5: Ergebnisse 10 Tabelle 6: Ergebnisse der Bürgerentscheide 12 Tabelle 7: Abstimmungsbeteiligung 13 Tabelle 8: Zustimmungsquorum und Gemeindegröße 15 Tabelle 9: Unecht gescheiterte Bürgerentscheide in drei Zeiträumen 16 Tabelle 10: Zielrichtung der Bürgerbegehren 17 Tabelle 11: Themenbereiche 18 Autoren Frank Rehmet, Rolf Sörensen, Tim Weber Redaktion und Layout Neelke Wagner Erstellungsdatum 15. Dezember 2016 Gestaltung Liane Haug (www.lianehaug.de) 2 www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016

einleitung Einleitung Schleswig-Holstein führte 1990 als zweites Bundesland nach Baden-Württemberg Bürgerbegehren und Bürgerentscheide ein. Die Regelung war im Vergleich zu Baden- Württemberg relativ fortschrittlich und anwendungsfreundlich. So war es nicht verwunderlich, dass andere Bundesländer sie sich zum Vorbild nahmen und ebenfalls ein Unterschriftenquorum von zehn Prozent beim Bürgerbegehren oder ein Zustimmungsquorum von 25 Prozent beim Bürger entscheid festlegten zumindest bis Bayern 1995 die Vorreiterrolle übernahm. Schleswig-Holstein selbst modernisierte seitdem zwei Mal seine kommunale Direktdemokratie: 2003 und 2013. Beide Male wurden Hürden abgebaut und die Fairness und Anwendungsfreundlichkeit verbessert. Der vorliegende Bürgerbegehrensbericht liefert Daten zur direktdemokratischen Praxis in den schleswig-holsteinischen Städten und Gemeinden von 1990 bis 2015. Gefragt wird nach der Anzahl, der Häufigkeit ebenso wie nach den Themen und den Erfolgsaussichten der 460 Verfahren. Mehr Demokratie setzt sich seit 1988 für faire Regeln für direkte Demokratie ein und berät Bürger/innen bei der Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. Ein bundesweiter Bürgerbegehrensbericht erscheint alle zwei Jahre. Datengewinnung Daten zu kommunaler Direktdemokratie werden nicht offiziell erfasst, eine Meldepflicht der Gemeinden und Städte besteht nicht. Für die Erhebung und zur Pflege der Daten kooperiert Mehr Demokratie mit dem Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Bergischen Universität Wuppertal sowie der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie der Philips Universität Marburg. Gemeinsam verwalten und gestalten wir die Datenbank Bürgerbegehren 1, in der die Verfahren erfasst werden. Untersuchungszeitraum Die Untersuchung beginnt mit dem 1. April 1990, dem Datum des Inkrafttretens der Regelung und endet am 31. Dezember 2015. Sie umfasst somit nahezu 26 Jahre. Wir hoffen, dass der Bürgerbegehrensbericht Schleswig-Holstein 2016 einen lebendigen Eindruck der Praxis politischer Partizipation vermittelt und somit den Diskussionen über eine mögliche Weiterentwicklung der Regelungen wertvolle Informationen liefert. Bredstedt, im Dezember 2016 1 Die Datenbank steht unter www.mehr-demokratie.de/ bb-datenbank.html zur Verfügung. www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 3

zusammenfassung 1. Zusammenfassung der Ergebnisse Anzahl der Verfahren und Häufigkeit Von 1990 bis 2015 gab es insgesamt 460 Verfahren auf kommunaler Ebene, von denen 263 zum Bürgerentscheid gelangten. Im Durchschnitt wurden 18 Verfahren pro Jahr neu eingeleitet. In den letzten fünf Jahren stieg diese Zahl auf 22 pro Jahr. Die 460 Verfahren unterteilen sich in zwei Typen: 407 Bürgerbegehren wurden per Unterschriftensammlung durch die Bürger/innen eingeleitet, 53 Ratsreferenden wurden vom Gemeinderat initiiert. Größere Städte erleben im Durchschnitt häufiger Verfahren als kleinere Gemeinden. Die meisten Verfahren erlebten Timmendorfer Strand und Barsbüttel (jeweils 8) sowie Ahrensburg (7). Timmendorfer Strand führt auch bei der Anzahl der Bürger entscheide (5), gefolgt von Weddelbrook (Kreis Segeberg) und Henstedt-Ulzburg (jeweils 4). Abstimmungsbeteiligung Die Beteiligung an den Bürgerentscheiden lag im Durchschnitt bei 57,1 Prozent. Kleinere Gemeinden weisen eine höhere Beteiligung auf als größere Städte wie bei Wahlen auch. Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung in Gemeinden bis zu 2.000 Einwohner/innen lag bei 70,7 Prozent. Erfolgschancen Die Erfolgsquote eines Verfahrens betrug 42,8 Prozent, wobei Erfolg definiert ist als im Sinne der Vorlage ausgegangen. Dafür braucht es nicht zwingend einen Bürgerentscheid: 44 der 407 Bürgerbegehren (11 Prozent) gelang es, den Gemeinderat zu einem Beschluss im Sinne der Initiator/innen zu bewegen. Betrachtet man nur die Bürgerentscheide, liegt die Erfolgsquote bei 55,5 Prozent. Bürgerinitiierte Abstimmungen wiesen mit 56,1 Prozent eine etwas höhere Erfolgsquote auf als Ratsreferenden mit 52,9 Prozent. Zahlreiche Bürgerbegehren insgesamt 120 von 407 (29,5 Prozent) wurden für unzulässig erklärt. Die Reformen 2003 und 2013 haben dazu beigetragen, dass diese Quote im Sinken begriffen ist: So wurden in den Jahren 2014 und 2015 lediglich 10,0 beziehungsweise 8,3 Prozent für unzulässig erklärt. Zustimmungsquorum Für Bürgerentscheide in Schleswig-Holstein galt lange Zeit ein Zustimmungsquorum von 25 Prozent. Es wurde 2003 auf 20 Prozent reduziert. Seit der Reform 2013 richtet sich das Quorum nach der Einwohnerzahl und reicht von 20 Prozent in kleinen Gemeinden bis 8 Prozent in Großstädten. Insgesamt erreichten 30 Entscheide (11,4 Prozent) dieses Zustimmungsquorum nicht und scheiterten unecht das heißt, obwohl sie in der Abstimmung eine Mehrheit erhielten. Dieser Prozentsatz der unecht gescheiterten Bürgerentscheide ist jedoch seit 2003 rückläufig. Besonders stark zeigt sich diese Wirkung in Städten mit 20.000 bis 50.000 Einwohner/innen, in kleinen Gemeinden bis 5.000 Einwohner/innen stellt das Quorum dagegen nur sehr selten ein Problem dar. Themenschwerpunkte Mit Wirtschaftsprojekten beschäftigten sich 27,6 Prozent der Verfahren. Es folgen öffentliche Infrastruktur und Versorgung mit 19,8 Prozent und öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen mit 17,6 Prozent. Viele Verfahren betrafen Windkraftprojekte und Tourismus, was zur Spitzenstellung der ersten beiden Themenbereiche wesentlich beitrug. 4

2. Analyse der Praxis: 1990 2015 2.1. Anzahl und Häufigkeit Dieser Bericht betrachtet sowohl Bürgerbegehren als auch Ratsreferenden. Letztere stellen entweder eine vom Gemeinderat initiierte Abstimmung oder eine Konkurrenzvorlage zu einem Bürgerbegehren dar. Bürgerbegehren und Ratsreferenden, die nur angekündigt oder öffentlich diskutiert wurden, wurden bei den Auswertungen nicht mitgezählt. 2 Insgesamt 460 Verfahren fanden zwischen dem 1. April 1990 und dem 31. Dezember 2015 in in Schleswig-Holstein statt. Diese unterteilen sich in 407 bürgerinitiierte Verfahren (Bürgerbegehren) und 53 vom Gemeinderat initiierte Ratsreferenden. Davon gelangten 263 zu einem Bürgerentscheid (212 Bürgerbegehren und 51 Ratsreferenden 3 ). Insgesamt führten von 407 bürgerinitiierten Verfahren 212 zu einem Bürgerentscheid, was einer Quote von 52,1 Prozent entspricht. Somit erreichte jedes zweite eingeleitete Bürgerbegehren die Abstimmung. Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl aller Verfahren vom 1. April 1990 bis zum 31. Dezember 2015. 4 Als maßgeblich für die Zuordnung zu einem Jahr gilt dabei das Jahr, in dem das Verfahren eingeleitet wurde. Bei einem Bürgerbegehren war dies das Jahr, in dem die Unterschriftensammlung für das Begehren gestartet wurde. Tabelle 1: Verfahrensanzahl nach Jahren Jahr der Einleitung Verfahren gesamt Davon Bürgerbegehren Davon Ratsreferenden Bürgerentscheide gesamt 1990 17 17 0 9 1991 26 26 0 12 1992 18 17 1 7 1993 22 21 1 13 1994 21 18 3 14 1995 26 24 2 16 1996 19 17 2 13 1997 16 15 1 9 1998 7 7 0 3 1999 10 10 0 4 2000 2 2 0 1 2001 13 11 2 10 2002 6 6 0 2 2003 17 16 1 5 2004 17 16 1 5 2005 16 15 1 3 2006 15 10 5 6 2007 19 19 0 7 2008 8 7 1 3 2009 30 23 7 20 2010 23 17 6 20 2011 25 19 6 19 2012 20 17 3 15 2013 16 13 3 12 2014 22 20 2 15 2015 29 24 5 20 Gesamt 460 407 53 263 www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 2 Diese Vorgehensweise ent spricht der des bundesweiten Bürgerbegehrensberichts, damit Landes-Daten mit bundesweiten Werten verglichen werden können. Den aktuellen Bürgerbegehrensbericht finden Sie zum freien Download unter www.mehr-demokratie.de/ fileadmin/pdf/2016-06-16_ BB-Bericht2016.pdf 3 Zwei der 53 Ratsreferenden gelangten nicht zum Bürgerentscheid. Sie wurden zwar eingeleitet, aber vor der Abstimmung zurückgezogen. 4 Die Datenbank Bürgerbegehren, aus welcher das Zahlenmaterial auch in den Vorjahren generiert wurde, wird stetig aktualisiert. Daher stimmen die Daten aus früheren Berichten nicht immer mit den hier vorgestellten Daten überein. 5

Der langjährige Durchschnitt (1990-2015) betrug 17,7 Verfahren pro Jahr. Betrachtet man die letzten fünf Jahre (2011-2015) sozusagen einen etwas aktuelleren Zustand steigt der Durchschnitt auf 22,4 Verfahren pro Jahr. Dieser nicht unerhebliche Anstieg dürfte zwei Ursachen haben: Erstens wurden 2003 und 2013 die gesetzlichen Regelungen reformiert: Seit 2013 sind beispielsweise mehr Themen zulässig und das Unterschriftenquorum ist nach Gemeindegröße gestaffelt. Hinzu kommt zweitens eine bestimmte Themenkonjunktur: Zahlreiche Verfahren fanden in den letzten Jahren zur Windkraft-Planung statt. Die folgende Abbildung illustriert diese Verteilung. Abbildung 1: Anzahl neu eingeleiteter Verfahren im Jahresvergleich 30 25 Davon Ratsreferenden Davon Bürgerbegehren 20 15 10 5 0 20 1990 1991 1992 1993 1994 Die Abbildung zeigt: 2000 war das Jahr mit den wenigsten Verfahren (zwei), 2009 und 2015 verzeichnen bislang die meisten Verfahren (29 bzw. 30). Die Zahl der Abstimmungen also die Zahl der Verfahren, die zum Bürger entscheid gelangten hat sich ähnlich entwickelt (siehe folgende Abbildung). Betrachtet man den kompletten Untersuchungszeitraum, liegt der Durchschnitt bei 10,1 Abstimmungen pro Jahr. In den Jahren 2011 bis 2015 sind es deutlich mehr, nämlich 16 pro Jahr. Abbildung 2: Anzahl Bürgerentscheide im Jahresvergleich 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 6 15 10 5 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Verhältnis Bürgerbegehren zu Ratsreferenden In Schleswig-Holstein kann neben der Bevölkerung auch der Gemeinderat einen Bürgerentscheid initiieren, wenn er eine Entscheidung durch den Souverän selbst für sinnvoll hält (so genanntes Ratsreferendum ). Von den 460 Verfahren waren 407 Bürgerbegehren und 53 Ratsreferenden. Dies entspricht einem Verhältnis von Bürgerbegehren zu Ratsreferenden von 88,5 zu 11,5 und damit ungefähr dem Bundesdurchschnitt (83 zu 17). Die meisten Verfahren haben also die Bürger/innen selbst initiiert. Die folgende Abbildung illustriert dieses Verhältnis. Abbildung 3: Verhältnis Bürgerbegehren zu Ratsreferenden Ratsreferenden 11,5 % Bürgerbegehren 88,5 % 2.2. Häufigkeitsverteilung und Gemeindegröße Wie häufig finden Bürgerbegehren in kleinen und großen Kommunen statt? Gibt es Unterschiede zwischen kleinen Gemeinden und Großstädten? Die folgende Tabelle zeigt die Verteilung der Bürgerbegehren im Zusammenhang mit der Gemeindegröße: Tabelle 2: Verteilung nach Gemeindegröße Gemeindegröße (Einwohnerzahl) Anzahl Verfahren Anteil in % bis 2.000 218 47,4 2.001 bis 5.000 49 10,7 5.001 bis 10.000 61 13,3 10.001 bis 20.000 61 13,3 20.001 bis 50.000 48 10,4 50.001 bis 100.000 11 2,4 100.001 bis 200.000 2 0,4 Mehr als 200.000 10 2,2 Gesamt 460 100,0 Anmerkung: Die Auswertung umfasste auch Landkreise. In kleineren Gemeinden finden insgesamt mehr Verfahren statt als in größeren Städten. Gemeinden bis 5.000 Einwohner/innen (Zeilen 1 und 2) verzeichneten 267 Verfahren und somit fast 60 Prozent aller 460 Verfahren. In Städten und Landkreisen mit mehr als 50.000 Einwohner/innen ließen sich insgesamt 23 Verfahren (fünf Prozent) beobachten. www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 7

Die obige Tabelle 2 zeigt die absoluten Zahlen. Um ein genaueres Bild zu erhalten, ob kleine oder große Gemeinden mehr Bürgerbegehren erleben, muss deren Zahl mit berücksichtigt werden. Denn in den meisten Gemeinden in Schleswig-Holstein leben weniger als 2.000 Einwohner/innen. Um die vielfältigen Verwaltungsaufgaben zu bewältigen, haben sich diese Gemeinden, aber auch Städte, in Ämtern zusammengeschlossen 5 Die folgende Tabelle berücksichtigt dies, so dass die Häufigkeit pro Gemeindegrößenklasse differenzierter beurteilt werden kann. Tabelle 3: Häufigkeit nach Gemeindegröße Gemeindegröße (Einwohnerzahl) Anzahl Verfahren Anzahl Gemeinden/Städte/ Landkreise Verfahren pro Jahr Durchschnittl. Häufigkeit der Verfahren pro Gemeinde/Stadt bis 2.000 218 897 8,4 107 Jahre 2.001 bis 5.000 49 117 1,9 62 Jahre 5.001 bis 10.000 61 43 2,3 18 Jahre 10.001 bis 20.000 61 32 2,3 14 Jahre 20.001 bis 50.000 48 16 1,8 9 Jahre 50.001 bis 100.000 11 3 0,4 7 Jahre mehr als 100.000 12 13 0,5 28 Jahre Gesamt 460 1.121 17,7 63 Jahre davon gesamt 457 1.110 20,8 53 Jahre Städte/Gemeinden davon gesamt Landkreise 3 11 0,1 81 Jahre Anmerkung: Die Berechnungen erfolgten mit dem gerundeten Wert von 26 Jahre Praxis. Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (Stand: 31.12.2014). Die elf Landkreise verteilen sich wie folgt: 100.001 bis 150.000 Einwohner/innen: 3, 150.001 bis 200.000 Einwohner/innen: 4, mehr als 200.000 Einwohner/innen: 4. Die Auswertung ergab, dass statistisch betrachtet in einer schleswig-holsteinischen Kommune alle 63 Jahre ein Verfahren stattfand. In einer Gemeinde oder Stadt betrug dieser Wert 53 Jahre, in einem Landkreis 81 Jahre. Wie die Tabelle zeigt, gibt es in größeren Städten relativ mehr Bürgerbegehren und Ratsreferenden als in kleineren Gemeinden. In kleineren Gemeinden bis 2.000 Einwohner/innen starteten durchschnittlich 8,4 Verfahren pro Jahr (insgesamt 218 Begehren bei 897 Gemeinden). Pro Gemeinde findet also durchschnittlich nur alle 107 Jahre ein Verfahren statt. In den Gemeindegrößenklassen ab 5.000 Einwohner/innen beträgt dieser Wert 18 Jahre oder weniger. Am häufigsten sind direktdemokratische Verfahren in Kommunen, deren Einwohnerzahl zwischen 50.000 und 100.000 liegt. Dort kommt es durchschnittlich alle sieben Jahre zu einem Verfahren statt. Ähnliche Werte kennen auch andere Bundesländer. Dies sind mögliche Gründe: 5 Eine Übersicht findet sich bei www.schleswig-holstein.de/de/ Fachinhalte/K/kommunales/ verwaltungen.html (Zugriff am 2.08.2016). Kleine Gemeinden prägt oft eine politische Kultur der Bürgernähe: Bürger/innen und Politiker/innen pflegen mehr und direktere Kontakte als in größeren Städten. Oft kennt man sich in Gemeinden persönlich, kann Probleme direkt ansprechen und frühzeitig nach Lösungen suchen. So entstehen Konflikte gar nicht erst. Vereine spielen in kleinen Gemeinden eine wichtige Rolle. Oft sind sie im Gemeinderat vertreten oder auf anderem Wege an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt. 8

Mit der Einwohnerzahl wachsen Probleme und mögliche Konfliktbereiche, zum Beispiel durch die größere Zahl öffentlicher Infrastruktureinrichtungen (etwa Bäder, Kindergärten, Schulen). Deshalb sind in größeren Gemeinden und Städten mehr Themen für Bürgerbegehren und -entscheide vorhanden. Durch die in Schleswig-Holstein vorhandene Ämterstruktur sind einige Fragen zum Beispiel des Schulstandortes oder der Schulschließung oft dem Bürgerentscheid entzogen. Spitzenreiter In welchen Gemeinden gab es die meisten Bürgerentscheide? Betrachtet man nur die Abstimmungen, dann liegen Timmendorfer Strand (fünf Bürgerentscheide), Weddelbrook (Kreis Segeberg) und Henstedt-Ulzburg (je vier Bürgerentscheide) vorne. Betrachtet man alle eingeleiteten Verfahren, heißen die Spitzenreiter Timmendorfer Strand und Barsbüttel mit je acht Verfahren und Ahrensburg mit sieben Verfahren. Tabelle 4: TOP 11 der Gemeinden und Städte mit den meisten Verfahren Platz Gemeinde/Stadt Anzahl Abstimmungen Platz Gemeinde/Stadt Anzahl Verfahren 1 Timmendorfer 5 1 2 Timmendorfer 8 Strand Strand 2 3 Weddelbrook 4 1 2 Barsbüttel 8 2 3 Henstedt-Ulzburg 4 3 Ahrensburg 7 4 11 Kronshagen 3 4 7 Bad Oldesloe 6 4 11 Kuddewörde 3 4 7 Lübeck 6 4 11 Barmstedt 3 4 7 Neumünster 6 4 11 Barsbüttel 3 4 7 Reinbek 6 4 11 Oersdorf b 3 8 11 Barmstedt 5 Neumünster 4 11 Schenefeld 3 8 11 Pinneberg 5 4 11 Westerland 3 8 11 Schleswig 5 4 11 Ellerau 3 8 11 Henstedt-Ulzburg 5 2.3. Ergebnisse und Erfolgschancen Welche Erfolgschancen haben Bürgerbegehren und Ratsreferenden? Um das herauszufinden, wurden zunächst in Tabelle 5 alle Ergebnisse kategorisiert und dargestellt. Anschließend werden einzelne Verfahrens-Ergebnisse näher betrachtet: Unzulässige Bürgerbegehren (Abschnitt 2.3.1), Begehren, die vom Gemeinderat übernommen wurden (2.3.2) sowie die Ergebnisse der Bürgerentscheide (2.3.3). www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 9

Tabelle 5: Ergebnisse Ergebniskategorie Ergebnis Anzahl Verfahren Anteil in Prozent Offen/Unbekannt Offen 1 0,2 Unbekannt 0 0,0 BB nicht eingereicht 15 3,3 BB zurückgezogen 3 0,7 Bürgerbegehren gelangt nicht zum Kompromiss 14 3,0 Bürgerentscheid Positiv erledigt durch neuen 44 9,6 Gemeinderatsbeschluss Unzulässig 120 26,1 BE im Sinne des Begehrens 146 31,7 Bürgerentscheid BE nicht im Sinne des 87 18,9 findet statt Begehrens BE unecht gescheitert 30 6,5 Gesamt 460 100,0 Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren, BE = Bürgerentscheid Bürgerbegehren haben direkte und indirekte Erfolge und Wirkungen. Während indirekte Wirkungen etwa auf die Öffentlichkeit oder die politische Agenda von Gemeinderäten nur schwer zu messen und zu quantifizieren sind, ist die direkte Erfolgsquote als messbare Größe darstellbar. Erfolg heißt in dieser Betrachtung eine Entscheidung im Sinne der Vorlage. Die direkte Erfolgsquote betrug 42,8 Prozent und setzt sich aus folgenden Werten zusammen: 146 Bürgerentscheide im Sinne der Vorlage, 44 positiv erledigte Bürgerbegehren sowie 14 Kompromisse, die als halber Erfolg gewertet wurden (= 7), das sind zusammen 197 Begehren (von 460). Diese formale Erfolgsquote bedeutet nicht zwangsläufig einen faktischen Erfolg. So kam es vereinzelt dazu, dass Ergebnisse von Bürgerentscheiden im Nachhinein nicht beachtet wurden. Umgekehrt können aber auch formal erfolglose Verfahren de facto erfolgreich sein etwa wenn der Gemeinderat nach der Ablehnung doch noch beschließt, ein ähnliches Vorhaben umzusetzen. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebniskategorien genauer analysiert. Zunächst werden die unzulässigen Begehren betrachtet, gefolgt von jenen Fällen, bei denen der Gemeinderat die Forderungen des Bürgerbegehrens übernahm. Ein vertiefender Blick auf die Bürgerentscheide schließt den Abschnitt ab. 2.3.1 Unzulässige Bürgerbegehren Von 407 (bürgerinitiierten) Bürgerbegehren wurden 120 für unzulässig erklärt. Damit betrug die Unzulässigkeitsquote im gesamten Untersuchungszeitraum 29,5 Prozent. Dieser hohe Wert entspricht ungefähr dem bundesweiten Durchschnitt (28,8 Prozent). In manchen Bundesländern liegt er jedoch deutlich niedriger, etwa in Bayern bei 16 Prozent. Die häufigsten Unzulässigkeitsgründe (Mehrfachnennungen waren möglich): 1. Themenausschlusskatalog (29 Prozent) 2. zu wenige Unterschriften / Frist abgelaufen (27 Prozent) sowie 3. Formfehler (19 Prozent) 10

Im Vergleich zu anderen Bundesländern fällt der hohe Anteil des Themenausschlusskatalogs auf (bundesweiter Durchschnitt: 20 Prozent). Der Grund hierfür ist höchstwahrscheinlich, dass bis 2013 in Schleswig-Holstein die Bauleitplanung komplett ausgeschlossen war. Denn seitdem ist die Unzulässigkeitsquote gesunken. In beiden Reformschritten wurden unter anderem folgende Aspekte reformiert, die sich auf die Zulässigkeit/Unzulässigkeit auswirken 6 : der Themenkatalog wurde 2013 um Teile der Bauleitplanung erweitert das Unterschriftenquorum (vorher: zehn Prozent) wurde 2013 gesenkt und beträgt nun, gestaffelt nach Gemeindegröße, vier bis zehn Prozent die Frist zur Sammlung von Unterschriften bei Begehren gegen Gemeinderatsbeschlüsse wurde 2003 von vier auf sechs Wochen verlängert. 2013 wurde diese Frist dann abgeschafft und durch eine generelle Sammelfrist von 6 Monaten ersetzt seit 2013 müssen Initiativen keinen Kostendeckungsvorschlag mehr vorlegen, er wurde durch eine staatliche Kostenschätzung ersetzt die Kommunalaufsicht muss seit 2013 Initiator/innen von Bürgerbegehren beraten. Abbildung 4: Unzulässigkeitsquote nach Jahren 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Die Unzulässigkeitsquote ist seit 2009 stark gesunken, bis auf Werte von 10,0 und 8,3 Prozent für die Jahre 2014 und 2015 ein deutliches Indiz für die Auswirkungen der Reform 2013. Beratung durch Mehr Demokratie Viele Initiativen nutzen das Beratungsangebot des schleswig-holsteinischen Landesverbands von Mehr Demokratie. Die Bürger/innen begeben sich oftmals auf Neuland, wenn sie ein Bürgerbegehren planen. Ihre Fragen reichen von Begriffserklärungen ( Was ist denn eine Kommunalaufsicht? ) über Zuständigkeiten und Abläufe beim Bürgerbegehren bis hin zur Klärung der formalen Voraussetzungen etwa bei der Gestaltung der Unterschriftenlisten. Gelegentlich vergessen die Initiator/innen die Spalte für das Geburtsdatum oder das Datum der Unterschrift ohne diese Daten wären die Un- www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 6 Die Reformen des Zustimmungsquorums 2003/2013 werden hier nicht aufgeführt, da dies nicht die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens betrifft. Siehe hierzu Kapitel 2.4.2 (Zustimmungsquorum). 11

Insgesamt war mehr als die Hälfte aller kommunalen Bürgerentscheide erfolgreich (146 von 263 = 55,5 Prozent) im Sinne der Initiator/innen. Bürgerinitiierte Abstimmungen schnitten mit 56,1 Prozent (119 von 212) etwas besser ab als Rats referenden mit 52,9 Prozent (27 von 51). Bürgerentscheide, die keine Abstimmungsmehrheit erhielten, werden als nicht im Sinne des Begehrens bezeichnet (Zeile 2 der Tabelle). Sie werden auch echt gescheianalyse terschriften ungültig und das Bürgerbegehren damit unzulässig. Oftmals half Mehr Demokratie auch bei der Formulierung der Abstimmungsfrage. Auch vor 2013 haben Bürger/innen immer wieder versucht, mit einem Bürgerbegehren gegen Bauvorhaben vorzugehen. Die Beratung konnte verhindern, dass diese Initiativen gegen die Wand laufen, denn Bürgerbegehren, die die Bauleitplanung auch nur berührten, wurden stets für unzulässig erklärt. Die Gemeindeordnung schloss die Bauleitplanung komplett von diesem Instrument aus. Erst die Volksinitiative von Mehr Demokratie 2011/2012 konnte dies ändern. Seit 2013 erlaubt die Gemeindeordnung zumindest Bürgerbegehren und -entscheide zum Aufstellungsbeschluss der Bauleitplanung. Diese Erweiterung des Themenkatalogs neben der neuen Verpflichtung der Kommunalaufsichten zur Beratung der Initiativen haben zu einer deutlich geringeren Zahl von unzulässigen Bürgerbegehren geführt, wie die obige Auswertung bestätigt. 2.3.2 Positiv erledigte Bürgerbegehren und Kompromisse Tabelle 5 zeigte bereits, dass nahezu jedes zehnte Verfahren positiv erledigt, also vom Gemeinderat übernommen wurde (44 von 460 Verfahren). Bezieht man dies auf die Bürgerbegehren und lässt die Ratsreferenden außen vor, dann betrug der Anteil elf Prozent (44 von 407 Bürgerbegehren). Zudem einigten sich in immerhin 14 Fällen die Initiator/innen der Begehren mit dem Gemeinderat auf einen Kompromiss, so dass ein Bürgerentscheid ebenfalls entfiel. Diese Zahlen widerlegen Behauptungen von Kritiker/innen direktdemokratischer Verfahren, die Bürgerbegehren Kompromissfeindlichkeit unterstellen. Die Praxis zeigt deutlich, dass Gemeinderäte in nicht wenigen Fällen den Initiator/innen entgegen kamen, beide Seiten Gespräche führten und gemeinsam nach Kompromissen suchten. Dies zeigt sich im Übrigen auch auf der Ebene der Bundesländer sowie in der Schweiz. 2.3.3 Ergebnisse der Bürgerentscheide Welche Erfolgsaussichten hat ein Bürgerbegehren, wenn es zur Abstimmung gelangt? Und weichen die Erfolgsaussichten eines Ratsreferendums hiervon ab? Tabelle 6: Ergebnisse der Bürgerentscheide Ergebnis Anzahl BE nach BB Anzahl Ratsreferenden Gesamt BE im Sinne des 119 27 146 Begehrens BE nicht im Sinne 64 23 87 des Begehrens BE unecht 29 1 30 gescheitert Gesamt 212 51 263 Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren, BE = Bürgerentscheid 12

terte Verfahren genannt. Als unecht gescheitert gelten hingegen Bürgerentscheide, die zwar eine Abstimmungsmehrheit erreichten, jedoch am Zustimmungsquorum scheiterten. Von den 263 Abstimmungen scheiterten 30 unecht (11,4 Prozent). 2.4. Abstimmungsbeteiligung und Auswirkungen des Zustimmungsquorums 2.4.1 Abstimmungsbeteiligung Im Untersuchungszeitraum lag die Abstimmungsbeteiligung durchschnittlich bei 57,1 Prozent. In der folgenden Tabelle wird sie nach Gemeindegröße differenziert. Tabelle 7: Abstimmungsbeteiligung Gemeindegröße (Einwohnerzahl) Anzahl Abstimmungen Beteiligung in % bis 2.000 137 70,7 2.001 bis 5.000 29 53,2 5.001 bis 10.000 32 47,3 10.001 bis 20.000 31 42,7 20.001 bis 50.000 23 35,8 50.001 bis 100.000 3 23,6 100.001 bis 200.000 2 28,5 mehr als 200.000 3 33,1 Gesamt 260 57,1 Anmerkung: Von 260 der 263 Bürgerentscheide lagen detaillierte Daten vor. Die Abstimmungsbeteiligung sinkt mit zunehmender Gemeindegröße ein Phänomen, das auch aus anderen Bundesländern bekannt ist. Sie liegt in Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohner/innen bei 70,7 Prozent, in größeren Städten weit darunter. Schleswig-Holstein hat nur acht Städte und Kreise, in denen mehr als 50.000 Menschen leben. Diese niedrige Fallzahl erschwert verlässliche statistische Aussagen. Auch die Beteiligung an Kommunalwahlen verringert sich mit zunehmender Gemeindegröße. Dies könnte dieselben Ursachen haben: In größeren Städten ist die Anonymität größer und die Informationswege sind länger. Zudem konkurrieren Bürgerentscheide in Großstädten mit anderen Informations- und Freizeitangeboten, während sie in kleinen Gemeinden oft die Agenda beherrschen und viele Menschen mobilisieren. Bei brisanten Themen beteiligen sich auch in Großstädten mehr Menschen. An einem Bürgerentscheid zum Bau eines Möbelmarkt-Zentrums in der Landeshauptstadt Kiel 2014 nahmen 45,6 Prozent der Stimmberechtigten teil die Mehrheit sprach sich übrigens für den Bau aus. Kiel zählt 233.000 Einwohner/innen. Zum Vergleich: Bei der Kommunalwahl 2013 betrug die Wahlbeteiligung in Kiel 37,2 Prozent. Bei den vier Abstimmungen mit der höchsten Beteiligung gingen jeweils mehr als 90 Prozent der Bürger/innen an die Urnen. Sie fanden in Schmalfeld (Kreis Segeberg), Bönebüttel (Kreis Plön), Kankelau und Wiershop (jeweils Kreis Herzogtum Lauenburg) statt. Auffällig sind zwei Eigenschaften dieser Entscheide, welche die hohe Abstimmungsbeteiligung beeinflusst haben dürften: Gemeindegröße: Zwei dieser Gemeinden sind Kleinstgemeinden mit weniger als 250 Einwohner/innen, Thema: In drei der vier Gemeinden ging es um das Thema zentrale versus unabhängige Wasserversorgung, das sehr viele Menschen direkt betraf. www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 13

Alle vier Entscheide profitierten dabei noch nicht einmal von einem Termin, an dem zugleich Wahlen stattfanden. Der gemeinsame Termin so zeigt die Erfahrung in anderen Bundesländern erhöht die Beteiligung normalerweise ebenfalls. 2.4.2 Auswirkungen des Zustimmungsquorums Die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen reicht in Schleswig-Holstein nicht, damit ein Bürgerbegehren im Entscheid Erfolg hat. Zusätzlich muss ein Mindestanteil aller Stimmberechtigten zustimmen (= Zustimmungsquorum). Regelungsentwicklung Das Zustimmungsquorum betrug in Schleswig-Holstein zunächst (ab 1990) für alle Gemeinden 25 Prozent. Am 1. April 2003 wurde es dann auf 20 Prozent gesenkt. In einem zweiten Reformschritt wurde es zum 1. März 2013 nach Gemeindegröße gestaffelt und beträgt derzeit: in Kommunen bis 10.000 Einwohner/innen: 20 Prozent 10.001 bis 20.000 Einwohner/innen: 18 Prozent 20.001 bis 30.000 Einwohner/innen: 16 Prozent 30.001 bis 50.000 Einwohner/innen: 14 Prozent 50.001 bis 100.000 Einwohner/innen: 12 Prozent 100.001 bis 150.000 Einwohner/innen: 10 Prozent mehr als 150.000 Einwohner/innen: 8 Prozent Mit der Staffelung nach Gemeindegröße wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein Zustimmungsquorum in größeren Städten schwerer zu erreichen ist als in kleineren Gemeinden. Zustimmungsquoren lehnt Mehr Demokratie ab. In der Schweiz und nahezu allen Bundesstaaten der USA, die auf eine langjährige direktdemokratische Tradition und damit einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken können, gibt es keine Zustimmungsquoren, sie werden als kommuni kationsfeindlich angesehen. Das Ziel von direktdemokratischen Verfahren sollte es sein, Bürger/innen zur aktiven Teilnahme, zur Diskussion und Mitbestimmung zu ermuntern. Zustimmungsquoren dagegen belohnen Passivität und Boykottstrategien, denn Enthaltungen werden dann wie Nein- Stimmen gewertet. 7 Praxis Seit dem 1. April 1990 fanden 263 Abstimmungen statt, von denen 30 (11,4 Prozent), die Mehrheit der Stimmen erhielten, jedoch das Zustimmungsquorum nicht erreichten und somit unecht scheiterten. Dieser Wert liegt unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von 12,8 Prozent. Dies könnte daran liegen, dass es in Schleswig-Holstein sehr viele kleinere Gemeinden gibt und ab 2003 das Zustimmungsquorum niedriger war als in anderen Bundesländern. 7 Vergleiche ausführlicher hierzu das Positionspapier Nr. 8 von Mehr Demokratie, frei abrufbar unter: www.mehr-demokratie.de/ positionen.html Zustimmungsquorum wirkt in größeren Städten stärker negativ Da wir gesehen haben, dass die Abstimmungsbeteiligung mit zunehmender Gemeindegröße sinkt, ist anzunehmen, dass größere Städte häufiger Opfer des Zustimmungsquorums werden. Die folgende Auswertung bestätigt dies eindeutig. 14

Tabelle 8: Zustimmungsquorum und Gemeindegröße Gemeindegröße (Einwohnerzahl) Anzahl Abstimmungen Anzahl unecht gescheiterter Abstimmungen Anteil in % bis 5.000 169 5 3,0 5.001 bis 10.000 32 6 18,8 10.001 bis 20.000 31 6 19,4 20.001 bis 30.000 14 7 50,0 30.001 bis 50.000 9 3 33,3 50.001 bis 100.000 3 2 66,7 mehr als 100.000 5 1 20,0 Gesamt 263 30 11,4 Das Zustimmungsquorum wurde in kleineren Gemeinden bis 5.000 Einwohner/innen in fast allen Fällen erreicht (Zeile 1). Lediglich 5 der 169 Bürgerentscheide (3 Prozent) waren betroffen. In Gemeinden und Städten mit 5.000 bis 20.000 Einwohner/innen (Zeilen 2 und 3) wird es schon problematischer: Jeder fünfte Bürgerentscheid (12 von 63) scheiterte unecht. In Städten ab 20.000 Einwohner/innen (Zeilen 4 bis 7) war die Situation jedoch am dramatischsten mehr als 40 Prozent der Bürgerentscheide scheiterte unecht am Zustimmungsquorum (13 von 31 = 42 Prozent). Wirkung unterschiedlich hoher Zustimmungsquoren Der Landtag Schleswig-Holsteins hat auf diese Problematik reagiert und in zwei Reform-Schritten das Zustimmungsquorum abgesenkt. Zunächst wurde es 2003 auf 20 Prozent gesenkt. Mit der jüngsten Reform 2013 wurde es nach Gemeindegröße gestaffelt und beträgt nun 20 bis 8 Prozent. Dies ermöglicht, die Auswirkungen unterschiedlich hoher Zustimmungsquoren in einem Bundesland im Zeitverlauf zu untersuchen. Dazu werden die 30 am Zustimmungsquorum gescheiterten Bürgerentscheide nach Zeiträumen zusammengefasst. Drei Zeiträume werden unterschieden: 1. Vor dem 1. April 2003: Es galt ein einheitliches Zustimmungsquorum von 25 Prozent 2. Vom 1. April 2003 bis zum 28. Februar 2013: Es galt ein einheitliches Zustimmungsquorum von 20 Prozent 3. Seit dem 1. März 2013: Es galt ein gestaffeltes Zustimmungsquorum von 8 bis 20 Prozent. Wenn sich ein niederigeres Zustimmungsquorum positiv auswirkt, müssten im zweiten und dritten Zeitraum weniger Bürgerentscheide unecht gescheitert sein. Tabelle 9 gibt einen Überblick. www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 15

Tabelle 9: Unecht gescheiterte Bürgerentscheide in drei Zeiträumen Zeitraum 1990 2015 01.04.1990 31.03.2003 01.04.2003 28.02.2013 01.03.2013 31.12.2015 Gemeindegröße (Einwohnerzahl) Anzahl BE Davon am 25 %-Quorum Davon am 20 %-Quorum Davon am 8-20 %-Quorum gesamt gescheiterte BE gescheiterte BE gescheiterte BE bis 5.000 167 5 0 0 (20 %-ZQ) 5.001 bis 10.000 33 4 0 2 (20 %-ZQ) 10.001 bis 20.000 31 4 0 2 (18 %-ZQ) 20.001 bis 30.000 14 5 2 0 (16 %-ZQ) 30.001 bis 50.000 9 1 1 1 (14 %-ZQ) 50.001 bis 100.000 3 2 N.N. 0 (12 %-ZQ) 100.000 bis 150.000 1 0 N.N. 0 (10 %-ZQ) mehr als 150.000 5 1 0 0 (8 %-ZQ) Gesamt 263 22 3 5 Anzahl BE 263 114 103 38 Anteil unecht gescheiterter BE in % 11,4 % 19,6 % 2,9 % 10,9 % Abkürzungen: BE = Bürgerentscheid, N.N. = kein Fall vorhanden, ZQ = Zustimmungsquorum Folgendes ist aus der Tabelle ersichtlich: Insgesamt scheiterten deutlich mehr Bürgerentscheide am Zustimmungsquorum von 25 Prozent als an den niedrigeren Zustimmungsquoruen: Bis 2003 betrug der Wert 19,6 Prozent (22 von 114 Bürgerentscheiden), von 2003 bis 02/2013 betrug er 2,9 Prozent (3 von 103 Bürgerentscheiden) und ab 2013 betrug er 10,9 Prozent (5 von 38 Bürgerentscheiden). Das bedeutet: Die Reformen haben gewirkt. Deutlich weniger Bürgerentscheide scheiterten unecht am Zustimmungsquorum. Legt man die beiden Zeiträume 2 und 3 zusammen, so sank ihr Anteil von 19,6 Prozent (1990-03/2003) deutlich auf 5,7 Prozent (8 von 141). In kleineren Gemeinden bis 5.000 Einwohner/innen scheiterte seit 2003 kein Bürger entscheid mehr am Zustimmungsquorum. In den größeren Städten gibt es noch zu wenige Fälle, um verlässliche Aussagen zu erzielen. So gab es beispielsweise in Städten ab 20.000 Einwohner/innen im gesamten Zeitraum von 1990 bis 2015 insgesamt nur 32 Bürgerentscheide. Die Vergleichbarkeit wird auch dadurch eingeschränkt, dass der dritte Untersuchungszeitraum mit etwas weniger als drei Jahren deutlich kürzer ist als die ersten beiden Zeiträume (14 und 11 Jahre). Hier wird die Zukunft mit einem längeren Zeitraum eine bessere Vergleichbarkeit bieten. 2.5. Zielrichtungen von Bürgerbegehren Mit einem Bürgerbegehren können die Bürger/innen erstens eigene Vorschläge in die Kommunalpolitik einbringen. Dann spricht man von einem Initiativbegehren. Zweitens können sie Planungen des Gemeinderates zur Disposition stellen oder stoppen, indem sie ein so genanntes Korrekturbegehren starten. Und drittens kann in einem Korrekturbegehren ein alternativer Vorschlag enthalten sein. Für Schleswig-Holstein konnte folgende Verteilung auf die verschiedenen Zielrichtungen ermittelt werden: 16

Tabelle 10: Zielrichtung der Bürgerbegehren Verfahren Anzahl Initiativbegehren (Gaspedal) 50 Korrekturbegehren (Bremse) 252 Korrekturbegehren mit Alternativvorschlag (alternative Route) 62 Gesamt 364 Anmerkung: Von 364 der 407 Bürgerbegehren war die Zielrichtung bekannt bzw. bestimmbar. In etwa einem Drittel der Fälle, zu denen Details vorlagen (112 von 364), wurden eigene Vorschläge und / oder alternative Pläne auf die politische Agenda gesetzt. Etwa zwei Drittel der Verfahren stellten ein Vorhaben des Gemeinderates in Frage beziehungsweise forderten den Erhalt des Status Quo (Korrekturbegehren). Typische Beispiele sind Bürgerbegehren gegen den Neubau eines Supermarkts. In allen Fällen auch bei den Korrekturbegehren wurden Alternativen ernsthaft und öffentlich diskutiert. Bürgerbegehren, die eine Blockade um der Blockade willen anstrebten, wurden nicht beobachtet. Um beim Beispiel des Supermarkt-Neubaus zu bleiben: Solche Fälle sind als Korrekturbegehren klassifiziert ( gegen den Neubau des Supermarktes in der Musterstraße ), beinhalten aber sehr oft implizit Alternativen, etwa die Beibehaltung der Gemeinde-Infrastruktur mit mehr Einzelhandel oder den Wunsch nach einem anderen Standort, was nicht immer in den Daten erfasst werden kann. www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 17

2.6 Themenbereiche Zu welchen Themen werden Bürgerbegehren initiiert? Gibt es besondere Schwerpunkte? Die erfassten Bürgerbegehren wurden einer von 12 Kategorien zugeordnet und sind so bundesweit vergleichbar (vgl. Bürgerbegehrensbericht 2016). Tabelle 11: Themenbereiche Themenbereich Beispiele Anzahl Verfahren Anteil in % Anteil in % (bundesweit) Wirtschaftsprojekte Hotels, Einkaufszentren, Windparks 127 27,6 18,9 Öffentliche Infrastruktur- Rathausneubau, Bürgerhäuser, 91 19,8 14,5 und Versorgungseinrichtungen Privatisierung von Stadtwerken Öffentliche Sozial- und Schulen, Kindergärten, 81 17,6 18,3 Bildungseinrichtungen Sportstätten, Bäder Verkehrsprojekte Umgehungsstraßen, 64 13,9 16,6 Fußgängerzonen Entsorgungsprojekte Abwasserprojekte 19 4,1 3,8 Gebietsreform Gemeindezusammenschlüsse 19 4,1 10,7 Kulturprojekte Museen, Kunstprojekte, 12 2,6 3,7 Denkmäler Hauptsatzung oder Haupt- oder ehrenamtliche/r 12 2,6 2,0 andere Satzung Bürgermeister/ in, Baumschutzsatzung Planungssatzungen Veränderungssperren in 11 2,4 5,0 (Bauleitplanung) Bebauungsplänen, Festlegung der Höhe von Gebäuden Sonstiges Straßennamen 11 2,4 3,5 Wohngebietsprojekte Wohngebiete (Gestaltung, 10 2,2 2,0 Größe) Gebühren und Abgaben Abwassergebühren, Müllgebühren 3 0,7 1,1 Gesamt 460 100,0 100,0 Quelle für die bundesweiten Zahlen (letzte Spalte): Bürgerbegehrensbericht 2016 von Mehr Demokratie 7 Vergleiche ausführlicher zur Windkraft den Bürgerbegehrensbericht Schleswig-Holstein 2011, S. 20 ff.: www.mehr-demokratie.de/ fileadmin/pdf/2011_schleswig- Holstein_Bilanz_BB.pdf (Zugriff am 08.08.2016). Am häufigsten waren Bürgerbegehren im Themenbereich Wirtschaftsprojekte (27,6 Prozent), gefolgt von öffentliche Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen (19,8 Prozent) und öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen (17,6 Prozent). In diesen Kernbereichen der kommunalen Selbstverwaltung war das größte Interesse und Mitsprachebedürfnis zu erkennen. Die Spitzenstellung des Bereichs Wirtschaftsprojekte erklärt sich zum einen durch zahlreiche Bürgerbegehren und Ratsreferenden zur Windparkplanung/Windkraftnutzung, 7 zum anderen durch Tourismus-Projekte wie etwa Hotelneubauten. Die folgende Abbildung illustriert diese Themenverteilung: 18

Abbildung 5: Themenbereiche Sonstiges 2,4 % Wohngebietsprojekte 2,2 % Planungssatzungen (Bauleitplanung) 2,4 % Hauptsatzung oder andere Satzung 2,6 % Gebühren und Abgaben 0,7 % Kulturprojekte 2,6 % Gebietsreform 4,1 % Entsorgungsprojekte 4,1 % Wirtschaftsprojekte 27,6 % Verkehrsprojekte 13,9 % Öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen 17,6 % Öffentliche Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen 19,8 % Ein typisches Beispiel eines Wirtschaftsprojekts stellt das Bürgerbegehren 2013/2014 in Kiel Gegen den geplanten Bau eines Möbelmarkt-Zentrums dar. 9.000 Bürger/innen der Landeshauptstadt beantragten einen Bürgerentscheid über diese Frage. Sie wollten einen diesbezüglichen Gemeinde ratsbeschluss aufheben und die Planungen für das Möbelmarkt-Zentrum stoppen. Im Oktober 2013 reichten sie die Unterschriften ein. Das Begehren war zulässig. Am 23. März 2014 kam es zum Bürgerentscheid. 45,6 Prozent der rund 200.000 Stimmberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung, die gemeinsam mit der Oberbürgermeister-Direktwahl durchgeführt wurde. 52,5 Prozent sprachen sich gegen das Bürgerbegehren und somit für das neue Möbelmarkt-Zentrum aus. Das geforderte Zustimmungsquorum von 8 Prozent wurde erreicht, so dass der Bürgerentscheid gültig war. 8 9 Mehr Hintergrundinformationen sind auf der Homepage der Initiative zu finden unter http://buergerentscheid-kiel.de (Zugriff am 5.09.2016), in der Chronologie der Stadt Kiel unter www.kiel.de/rathaus/ wahlen/fruehere_wahlen/_ buergerentscheid_moebel marktzentrum/index.php (Zugriff am 4.09.2016) und in einem Bericht der SHZ: www.shz.de/regionales/kiel/ moebel-kraft-darf-in-kielbauen-id6084971.html (Zugriff am 5.09.2016). Zum Abstimmungsergebnis bietet eine Publikation der Stadt Kiel detaillierte Zahlen (unter http://tinyurl.com/h67uqa7, Zugriff am 4.09.2016). www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 19

Wirkungen 3. Wirkungen Aus der vorliegenden Analyse und unserer Beratungspraxis lassen sich einige Trends bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Schleswig-Holstein erkennen. Vor allem das Verfahrensdesign ist von großer Bedeutung. Je bürger- und anwendungsfreundlicher die Regelungen, desto größer sind die Wirkungen und umso positiver können die Effekte sein. Solange der zentrale kommunalpolitische Politikbereich Bauleitplanung für Bürgerbegehren nicht zugelassen war von 1990 bis 2013 konnten Bürgerbegehren zu Bauvorhaben gar nicht erst stattfinden und wirken. Und je mehr Schleswig-Holstein die Unterschriften- und Zustimmungsquoren gesenkt hat, desto mehr nutzen die Menschen die direkte Demokratie, um auf kommunaler Ebene mitzugestalten. Deshalb ist es inzwischen möglich, erste Effekte der direkten Demokratie zu beobachten und einzuordnen. Belebung der Kommunalpolitik Bürgerbegehren beleben die Kommunalpolitik, weil die Menschen sich projektbezogen politisch beteiligen können. Sie bringen so frischen Wind und neue Ideen in die Politik. In Bürgerbegehren treten oftmals neue Akteure auf. Mitunter bleiben sie der Kommunalpolitik auch langfristig treu: Zuweilen kandidieren Personen, die einst aktiv in Bürgerbegehrensprojekten mitgearbeitet haben, später für den Gemeinderat oder treten mit eigenen Listen zur Kommunalwahl an. Beteiligungswirkung Bürgerbegehren und Bürgerentscheide bieten die Möglichkeit, sich zusätzlich zu Wahlen sachbezogen politisch zu beteiligen. Dass dies auch rege geschieht, zeigt die Abstimmungsbeteiligung von durchschnittlich 57,1 Prozent in Schleswig-Holsteins Kommunen. Neue politische Kultur Die Instrumente Bürgerbegehren und Bürgerentscheid sind nach 26 Jahren Praxis in weiten Teilen Schleswig-Holsteins bekannt, geschätzt und nicht mehr wegzudenken. Seit der Reform des Themenausschlusskatalogs 2013 ist auch der zentrale kommunalpolitische Bereich der Bauleitplanung wenn auch nur sehr eingeschränkt zulässig, was die Anzahl der Verfahren erhöht hat und weiter erhöhen wird. Je mehr Verfahren angestoßen werden, desto bekannter werden die Instrumente. Und sie stiften eine neue, kommunikativere politische Kultur. Im Vorfeld von politischen Entscheidungen informieren Gemeinderat und Verwaltung mehr und besser und beziehen die Bevölkerung stärker ein. Das Risiko eines Bürger entscheids verhindert, dass Projekte ohne vorherige Information und Rücksprache mit den Bürger/ innen umgesetzt werden. Und umgekehrt können Bürgerentscheide die Positionen des Kommunalparlaments auch bestätigen. Dies stärkt die Kommunalparlamente und die Verwaltung. Responsivität Direkte Demokratie motiviert die Regierenden dazu, die Bürger/innen stärker in den Willensbildungsprozess mit einzubeziehen. Das erleichtert legitime Entscheidungen, die von der Bevölkerung mitgetragen werden. Wenn ein Bürgerentscheid stattgefunden hat, betonen Gemeinderäte und Bürgermeister/innen oft, dass sie zukünftig mehr und besser informieren werden. Die 44 Bürgerbegehren, die vom Gemeinderat übernommen wurden sowie die 14 erzielten Kompromisse sind angesichts einer Gesamtzahl von 460 Verfahren beachtlich. 20

Wirkungen Befriedungsfunktion Bürgerentscheide haben neben der Protestfunktion auch eine Befriedungsfunktion. Wichtige Gegenstände der Gemeindepolitik werden dem parteipolitischen Streit und dessen Konfliktaustragung entzogen und übrigens auch aus Wahlkämpfen heraus gehalten (siehe oben, Beispiel Kiel). Damit stehen bei Wahlkampfdebatten Personen und die Leitlinien der Politik verstärkt im Vordergrund und bei Bürgerentscheiden das jeweilige Sachthema. Wichtige Grundlage für eine echte Befriedungsfunktion bleibt jedoch der umfassende Diskussionsprozess im Vorfeld, dem ausreichend Raum gegeben werden sollte. Ein bekanntes Beispiel aus dem Süden der Bundesrepublik für die Befriedungsfunktion ist der landesweite Volksentscheid in Baden-Württemberg 2011 zum Projekt Stuttgart 21, der einen Schlussstrich unter jahrelange (Graben-)Kämpfe und Proteste zog und den Konflikt befriedete. 10 Dies heißt nicht, dass die öffentliche Diskussion vorbei sein muss. Stuttgart 21 steht nach wie vor unter Beobachtung, aber die Unversöhnlichkeit der Auseinandersetzung ist seit dem Volksentscheid vorbei. Bürger- und Volksentscheide genießen eine hohe Akzeptanz. 10 Zeit-Thema mit zahlreichen Artikeln zu Stuttgart21, darunter die historische Fehleinschätzung von Robert Leicht, dass der Volksentscheid von vornherein zum Scheitern verurteilt sei : www.zeit. de/themen/politik/ stuttgart-21/ (Zugriff am 5.09.2016). www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 21

Zusammenfassung und ausblick 4. Zusammenfassung und Ausblick 26 Jahre Bürgerbegehren in Schleswig-Holstein haben gezeigt, dass das Instrument maßvoll und verantwortungsbewusst eingesetzt wird. In den ersten Jahren waren die Hürden noch vergleichsweise hoch. Mit den zwei Reformen 2003 und 2013 hat die Politik darauf reagiert und eine recht fortschrittliche Regelung verankert. Inzwischen haben insgesamt 407 Bürgerbegehren und 53 Ratsreferenden die Kommunalpolitik belebt, viele Handlungsoptionen und politischen Alternativen wurden dadurch öffentlich und intensiv diskutiert. Es sind vor allem drei Aspekte, welche die besondere Qualität von direkter politischer Beteiligung in Sachfragen ausmachen: Bürger/innen erleben, dass sie durch Beteiligung und Engagement in der Kommunalpolitik durchaus etwas bewegen können: Das Gefühl eigener Ohnmacht wird so reduziert. Dies ist besonders wichtig in Zeiten, in denen sich Menschen von der Politik abwenden und immer häufiger behauptet wird, dass es zu bestimmten politischen Entscheidungen keine Alternative gäbe. Bürgerbegehren und Ratsreferenden laden zum politischen Diskutieren, zur sachpolitischen Information, zum Gespräch ein. Informationsstände auf dem Marktplatz, Leserbriefe in der Lokalzeitung, ein Besuch einer Einwohnerversammlung oder der Gemeinderatssitzung all dies wird im Vorfeld eines Bürgerentscheids interessanter. Auch die etablierte Politik Gemeinderäte und Bürgermeister/innen profitieren von mehr Bürgerbeteiligung: Besonders umstrittene oder festgefahrene Projekte können konstruktiv durch einen Bürgerentscheid voran gebracht und Konflikte befriedet werden. Solche besonders heiklen Themen spielen überdies bei zukünftigen Wahlkämpfen keine große Rolle mehr, da sie ja in der politischen Arena des Bürgerentscheids intensiv debattiert wurden. Damit werden Wahlkämpfe entlastet und in diesen kann man sich auf andere Themen (Programme, Personen) konzentrieren. Schließlich ist ein sanfter Zwang zu früherer, zu umfassender Information über geplante Projekte vorhanden, der zu einem kommunikativeren Politikstil führt, der dann wiederum der gesamten politischen Kultur zu Gute kommt. 22

Zusammenfassung und ausblick Folgenden Reformbedarf sieht Mehr Demokratie in Schleswig-Holstein: Themen Seit 2013 sind Bürgerbegehren zu einem Teil der Bauleitplanung (Aufstellungsbeschlüsse) zulässig. Dies wirkte sich so zeigt der vorliegende Bericht positiv aus: Es gab mehr Verfahren und weniger unzulässige Bürgerbegehren. Doch es geht noch mehr. Zum Beispiel könnte wie in Bayern und Sachsen die Bauleitplanung komplett für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zugelassen werden. Als Alternative wäre es zumindest sinnvoll, neben dem verfahrenseinleitenden Beschluss auch den Offenlegungsbeschluss/Auslegungsbeschluss des Bebauungsplans zuzulassen. Zustimmungsquorum Das Zustimmungsquorum beim Bürgerentscheid sollte wie in Hamburg gestrichen werden. Aufschiebende Wirkung Diese tritt derzeit ab dem Moment in Kraft, in dem ein Bürgerbegehren für zulässig erklärt wurde. Sie sollte aber schon vorher, etwa nach Einreichen eines Drittels der benötigten Unterschriften, einsetzen. Kostenschätzung Die Kostenschätzung durch die Gemeinde sollte entweder ganz wegfallen wie etwa in Bayern oder innerhalb einer zeitlichen Frist erfolgen, um Verzögerungen zu vermeiden. Zwei weitere Problembereiche schränken den Anwendungsbereich von Bürgerbegehren in Schleswig-Holstein ein: 1. Die Ämterstruktur schränkt Bürgerbegehren ein, weil manche Beschlüsse zum Beispiel zu Schulfragen oder zu einem Kindergarten auf Amtsebene getroffen werden. Dieser Beschluss wird je nach zugrunde liegendem Vertrag von keiner gewählten Vertretung, sondern von der (Amts-)Verwaltung getroffen. 2. Zum Themenbereich Windkraft schränkte ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig vom 20. Januar 2015 zur Flächenplanung die kommunale Planung von Windkraft-Flächen ein. Beide Aspekte behindern nicht nur Bürgerbegehren, sondern auch die gewählten Gemeindevertretungen und sollten deshalb umfassend diskutiert und auf den Prüfstand gestellt werden. Aufmerksam machen wollen wir zum Abschluss auf einen weiteren problematischen Aspekt: Die Gemeindeordnung sieht eine Bindungswirkung des Bürgerentscheids von zwei Jahren vor. In der Praxis wird dieser Zeitraum mitunter als Verfallsfrist eines Bürgerentscheids fehlinterpretiert oder der Bürgerentscheid wird nicht umgesetzt. Beispiele hierfür sind Eutin ( Haus des Gastes ) oder Laboe (Schwimmbad). www.mehr-demokratie.de Schleswig-Holstein 2016 23

Newsletter bestellen www.mehr-demokratie.de/md-newsletter.html Unser Newsletter ist kostenlos und kann jederzeit abbestellt werden. Info-Paket anfordern: www.mehr-demokratie.de/infopaket.html Alles über die Arbeit von Mehr Demokratie und unsere Strukturen. Auch das Info-Paket bekommen Sie kostenfrei. Mitglied werden: www.mehr-demokratie.de/jetzt_mitglied_werden.html Für eine Person beträgt der Mitgliedschaftsbeitrag 78 Euro jährlich, eine Partnermitgliedschaft kostet 96 Euro jährlich. Sie möchten spenden? Mehr Demokratie, BfS München IBAN: DE14 700 2050 0000 885 8105, BIC: BFSWDE33MUE Haben Sie Fragen? Wenden Sie sich an uns! Mitgliederservice Carola Hadamovsky mitgliederservice@mehr-demokratie.de Tel.: 07957-9239-050