Filmskript zur Sendung Christa Wolf Sendereihe Autoren erzählen Stammnummer: :00 Autoren erzählen - Christa Wolf

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Transkript:

00:00 Autoren erzählen - Christa Wolf 1929-2011 Christa Wolf wurde in Landsberg an der Warthe im heutigen Polen geboren. Am Ende des zweiten Weltkriegs floh die Familie vor der sowjetischen Armee nach Mecklenburg. Christa Wolf studierte Germanistik, arbeitete bei Verlagen und wurde mit 32 Jahren freie Schriftstellerin. Nach den Schrecken der Nazi-Herrschaft setzte sie große Hoffnungen in die Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Sie war Parteimitglied und hatte wichtige Funktionen inne, doch stand sie dem Regime kritisch gegenüber. DER GETEILTE HIMMEL - CHRISTA T. - KEIN ORT. NIRGENDS Nach der Öffnung der Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik appellierte Christa Wolf an ihre Mitbürger, zu bleiben und unter neuer Führung eine demokratische sozialistische Gesellschaft zu gestalten. Das Werk von Christa Wolf ist autobiografisch geprägt. Immer wieder beschäftigte sie die Spannung zwischen der Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft und dem Anspruch des Einzelnen auf Selbstbestimmung. 01:20 Welche Beziehung haben Sie zu Ihren Lesern? Meine Beziehung zu dem Leser ist ganz eindeutig definiert als die eines gleichberechtigten Partners. Das ist für mich der Leser. Dass ich eine Botschaft hätte an den Leser, das könnte ich nicht sagen, denn wenn ich die hätte, dann würde ich also wie die Wissenschaftler das ja tun am Ende ihrer Artikel, Summary schreiben und dann in fünf Zeilen also Das haben mir übrigens Wissenschaftler manchmal bei den Lesungen gesagt: nun fassen Sie mal zusammen, was Sie meinen. Und genau das geht bei Literatur nicht. Wenn eine Zeile zu viel ist, dann ist es misslungen. 02:03 Bekommen Sie von Ihren Lesern eine Rückmeldung? Ich bin - leider muss ich schon fast sagen - so überschüttet von Kommunikation, dass ich mich derer kaum erwehren kann. Es ist aber gut für mich - ich meine jetzt Briefe oder Lesungen oder Gespräche - weil ich für mich das brauche. Es gibt mir also eine Möglichkeit mich selbst andauernd zu überprüfen, wahrscheinlich verändert es mich auch. Es kann nur über diesen Weg gehen. Es kann nie über den Weg gehen, dass ich mich anpasse. Dass ich also jetzt versuche, mit Antennen herum zu fühlen, was wird jetzt gebraucht, was wollen die? Was möchten zum Beispiel die 18jährigen in ihrer Schule? Können die das verstehen oder nicht verstehen? Das würde mich ja total blockieren. Denn immer dann, wenn ich nicht schreiben kann, wenn ich also mit einer Sache nicht weiterkomme, dann finde ich nach einiger Zeit heraus, dass solche Probleme - dass ich

angefangen habe etwa auf Andere zu hören dabei, oder nicht vollkommen aufrichtig zu mir zu sein - dass das mich blockiert. Also das so geht s eben nicht, über diesen Weg, dass man sich vorstellt, was der Leser etwa hören will, oder das geht nicht. 03:18 Wie ist es für Sie, wenn Sie Privates öffentlich machen? Es ist nicht leicht. Also ich hab da große Probleme manchmal, zum Beispiel bei dem letzten Buch von mir, das heißt Sommerstück, da hatte ich sehr große Probleme und hab es auch einige Zeit nicht publiziert, weil ich es etwas gescheut habe, diese sehr persönliche Offenbarung. Und habe dann aber gefunden wie gut und nobel eigentlich viele Leser damit umgehen. Das hat mich eigentlich jetzt wieder sehr bestärkt. 03:56 Warum sind Ihre späteren Bücher schwerer zu verstehen? Es ist glaube ich eher so, dass ich selbst nicht mehr so einfache Erklärungen habe, nicht mehr einfache Erklärungen habe für die Dinge, die mir geschehen, und dass ich nicht mehr in Schwarzweiß-Manier, dass ich keine Schematismen mehr habe. Und dabei werden dann Botschaften, die man so formulieren kann, auch immer schwieriger, oder sie schwinden, und es kommt für mich kommt immer mehr in den Vordergrund eigentlich - eine große Ehrfurcht vor dem, was wirklich geschieht: also Leben als Prozess, das ich auch versuche anzunehmen, ohne dass ich anderen oder mir jetzt das in Abstrakta erkläre. 04:53 Warum haben Sie die DDR-Bürger aufgefordert, nicht in den Westen zu gehen? Sie kennen ja sicher die Etappen, also das sehr viele DDR-Bürger, auch gerade Autoren, gerade Künstler, die DDR verlassen haben, in den - besonders dann in den - 70er Jahren, aber es fing auch schon früher an. Und das war ja nicht ohne Grund. Es gab ja durchaus Bedrückungen, Einschränkungen, zum Teil auch Schlimmeres, Schärferes, die sie dazu gebracht haben. Also ich habe mich anders entschieden, ganz bewusst, nicht ohne Konflikt, nicht ohne dass ich mir auch die andere Möglichkeit oft überlegt habe. Aber das bedeutete natürlich nicht, dass ich nun ausgenommen war von diesen Bedrängungen. Also ich habe das heißt, ich habe einfach ganz bewusst Widerstand dem entgegengesetzt. Und nun ergab es sich, dass ich in der Zeit, in der ich in der DDR nicht gedruckt wurde oder nicht eingeladen wurde oder nicht im Fernsehen und Rundfunk auftreten durfte, in keine Schule eingeladen wurde, viele Jahre lang, dass da der Westen meine Bücher druckte. Zum Beispiel Nachdenken über Christa T. wurde in der DDR zunächst zurückgehalten, dann in Auflagen sehr unterschiedlicher Art ausgeliefert, dann jahrelang nicht nachgedruckt. Da hatte aber der Luchterhand-Verlag die Rechte gekauft, und dadurch konnte es im Westen erscheinen und in westlichen Ländern. Damit begann ich bekannt zu werden. Wenn das nicht gewesen wäre, dann wäre es natürlich wiederum schwierig geworden. Ob ich dann weggegangen wäre, weiß ich nicht,

wahrscheinlich nicht, weil ich tatsächlich sehr an diesem Land hänge und an dem Experiment, das wir dort versucht haben, und das uns aber immer mehr allerdings durch das Misslingen in eine verzweifelte Situation gebracht hat. Klar, Sie sehen jetzt von außen, da sind Privilegien, wie können Sie andere dazu auffordern? Ich habe das Recht die anderen aufzufordern, weil ich es ganz bewusst auch gemacht habe und auch ganz bewusst bestimmte Dinge auf mich genommen habe und auch überhaupt keineswegs mich hier als verfolgt oder irgend sowas hinstellen möchte, das wäre ein totales Missverständnis, aber ich glaube schon, dass ich das Recht habe, jüngeren Leuten zu sagen, haltet mal kurz inne und überlegt mal, wohin ihr geht, und was ihr wirklich mit eurem Leben anfangen wollt. Das Recht kann ich mir nehmen. 07:18 Warum waren Sie 40 Jahre SED-Parteimitglied? Wissen Sie, es ist ich bin eingetreten, da war ich 20. 49. Und viele Jahre lang habe ich versucht, was zu versuchen war, innerhalb der Partei. Es gab auch damals eigentlich fast keine andere Möglichkeit, ich sah jedenfalls keine andere, gesellschaftlich wirksam zu sein, woran mir sehr lag. Es war ganz früh, war ich im Widerspruch zu sehr Vielem, was sich dort tat. Aber es war eine große Gruppe von Autoren und anderen Leuten, die in diesem Widerspruch eigentlich die ganzen Jahre lebten. Und die immer versuchten, aus diesem Wiederspruch heraus produktiv zu werden. Beendet wurde diese Möglichkeit eigentlich 1976. Nach der Ausbürgerung Biermanns war uns jede Möglichkeit öffentlich, auch innerhalb der Partei wirksam zu sein genommen. Und es gab auch natürlich sehr oft auch Perioden, in denen ich sehr im Zweifel war, ob das, was ich tat oder nicht tat, ob das nun das das Richtige war, ob das das Optimale war, ob das das war, was am weitesten ging. Also ich hab versucht immer wenigstens so weit zu gehen wie es mir möglich war. So weit in der Kritik, so weit in der Hilfe für andere, so weit Davon ist natürlich Vieles gar nicht bekannt, das soll s ja auch nicht sein, aber das ich glaube dass da auch jeder seine bestimmte Entwicklung hat. Mir lag sehr viel daran, in der DDR bleiben zu können. Und natürlich habe ich mich gefragt, ob das etwa bedeutet, dass ich dadurch in der Kritik schwächer werde, und ich weiß ganz genau, dass ich - ich kann mich noch ganz genau erinnern an den Moment, das war 1977, als mir klar wurde, worum es ging. Es gibt ja manchmal so Momente, wo man ganz genau weiß, was jetzt eigentlich der Konflikt ist, und worin er besteht, und was man eigentlich leisten müsste, um ihn zu lösen. Und da war mir klar, also wenn ich es nicht schaffen würde, mich vollkommen von jeder Abhängigkeit von der Partei, von ihren Instruktionen, von irgendwelchen Ängsten usw. beim Schreiben oder im Leben zu befreien, dass ich dann weggehen müsste. Viele sind ja deshalb weggegangen, weil sie sich im Land nicht davon befreien konnten. Wenn ich das nicht geschafft hätte, hätte ich weggehen müssen, hätte ich weiß ich nicht wie weiter schreiben müssen, aber jedenfalls hätte ich weggehen müssen. Das hat eine Weile gedauert, und es waren also ziemlich schwierige Jahre, aber ich glaube dass ich s geschafft hab. Und da war ich eigentlich dann ich will nicht sagen mit mir selbst im Reinen, das war ich also selten, aber ich hab dann gewusst, dass ich in dieser Spannung und diesem Konflikt leben kann und dort bleiben kann, und dass ich einfach dort gebraucht werde und das machen kann.

10:26 Wie kam es, dass sie vom Sozialismus so überzeugt waren? Das ist etwas sehr Merkwürdiges, wie lange Visionen sich halten, wenn man sie in der Jugend einmal hatte Diese Vision davon, dass eine solidarische, menschenmögliche, humane Gesellschaft - das war ja eigentlich der Kern der sozialistischen Ideale - auf diesem Boden zu schaffen ist. Heute frage ich mich selbst, wie konnten wir das glauben? Zum Beispiel mit Leuten die eben noch Hitler nachgelaufen waren. Die also zum Teil sich einfach drehten oder anpassten oder weggingen oder was auch immer. Und doch hat sich das Merkwürdige ereignet, dass bei den Jüngeren sich nach und nach eine Identifikation mit diesen Zielen, und auch mit dem Staat und dieser Gesellschaft, entwickelt hat. Und es ist also jetzt nicht ganz einfach, man kann es sich nicht sehr einfach machen und sagen, das waren von Anfang an stalinistische Strukturen und die können nicht auf die Dauer funktionieren, das ist richtig, und das weiß ich auch heute, und das wissen wir alle. Und wir sehen nun, wie schwer es ist, sie umzubauen. Es kommt leider auch wahrscheinlich zu spät. Aber dass es am Anfang anders war und dass andere, andere Impulse immer daneben noch lebendig waren, das können die bezeugen, die das damals schon bewusst miterlebt haben. Wissen sie, was z.b. für ein Zentrum der Lebendigkeit und der Auseinandersetzung und der Identifikationsmöglichkeit sowas wie das Berliner Ensemble war, als Brecht noch lebte, für uns ganz junge Leute damals. Oder was für eine Quelle von Geschichtskenntnis und Identifikationsmöglichkeit die älteren Schriftsteller, die aus der Emigration oder aus den Zuchthäusern oder Konzentrationslagern gekommen waren, also die alten Kommunisten, die ich ja sehr sehr deutlich und viele Jahre noch zum Teil als Freunde erlebt habe. Ich habe in meinem Leben nun mal keine interessanteren und mich näher berührenden Menschen kennengelernt. 12:40 Haben Sie Ihre Kritik am politischen System früher sorgfältig verpackt? Diese Kritik dort im geteilten Himmel, die ist überhaupt nicht verpackt, sondern sie entspricht meinen damaligen Meinungen. Ich habe ja immer, seit dem geteilten Himmel, auch schon in der Moskauer Novelle, die aber zum Glück niemand so recht kennt, habe ich immer Kritik geübt an den für mich schon damals ersichtlichen Deformationen des Systems. Damals in der Hoffnung, dass es sich um vorübergehende Deformationen handelt, das heißt, in der Hoffnung, dass die stalinistischen Strukturen, die ja bei uns den Sozialismus völlig mit der Zeit verdrängt haben, wie sich jetzt zeigt, also sehr schwer also nicht nur uns geschadet haben, sondern es ist einfach zerstört worden dadurch, die haben von innen her alles aufgefressen Und ich habe also versucht, in dem was ich schrieb, gerade an diesen stalinistischen Zügen und Strukturen und Verhaltensweisen immer Kritik zu üben. Viel offener als im geteilten Himmel, weil ich da auch selbst schon viel mehr erlebt hatte, ist es in Nachdenken über Christa T.. Also wenn das heute das Buch wird zur Zeit sicher wenig gelesen - aber wenn das heute lesen würden, ganz bestimmte Kapitel, da steht das drin was man heute von uns fordert, was wir schreiben sollen. Das hab ich schon 63 geschrieben. Es ging mir eigentlich nicht darum, Dinge, diese Art Dinge, also die Kritik

jetzt, zu bemänteln oder zu verhüllen oder einzukleiden, sondern es muss auch in der literarischen Form muss sie auch ihren bestimmten Platz haben, sie muss auch hineinpassen, sie muss auch formal bewältigt sein.