Schnittstellen - Die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis zur Verbesserung der Kommunikation im Asyl- undstrafverfahren Wie erklären Sie mir diesen Widerspruch? Dolmetschen im Asylverfahren Ao. Univ.-Prof. Dr. Franz Pöchhacker Univ.-Ass. Dr. Waltraud Kolb Zentrum für Translationswissenschaft, Universität Wien
Überblick Vorgeschichte Zielsetzungen, Methode Ergebnisse Widersprüche im Protokoll Protokollierung: selektiv, zusammenfassend Kontrolle? Dolmetschung: sprachliche Probleme Gestaltungsmöglichkeiten
Vorgeschichte Diskursanalytische Untersuchung am BAA Graz (2000-2001) Befragung unter UBAS-Mitgliedern (2003) Interdisziplinäre AG (Dez. 2003 Dez. 2004) Vorschlag: "Prozedurale Mindeststandards" Handbuch Dolmetschen im Asylverfahren Vorstellung des Projekts am UBAS (Aug. 2005) Datensammlung (Okt. 2005 Okt. 2006)
Zielsetzungen Beschreibung der Verständigung in UBAS- Verhandlungen mit Dolmetscherbeteiligung durch corpusbasierte Analysen Vergleich zwischen diskursanalytischen Befunden für BAA und UBAS Vergleich zwischen Erwartungen der VL und der konkreten Dolmetschpraxis Identifizierung von Problembereichen Gestaltungsmöglichkeiten
Methode Audio-Aufzeichnung von Verhandlungen unter teilnehmender Beobachtung anonymisierte Transkription Analyse im Hinblick auf dolmetschwissenschaftliche Fragestellungen Rollenverhalten ("normative Rolle", Gesprächssteuerung) Wiedergabe (Adressierung, Verständnisprobleme, Genauigkeit, Vollständigkeit, Terminologie, etc.)
Daten TeilnehmerInnen 5 VerhandlungsleiterInnen 7 DolmetscherInnen (5 weibl., 2 männl.) 14 BerufungswerberInnen 12 Nigeria 1 Gambia 1 Simbabwe
Daten Corpus 25 Stunden Audio-Aufzeichnung 14 Verhandlungen (Ø 100 Min.; Min. 26 Min., Max. 3,5 Std.) 7 ad-hoc-teams von VL + DolmetscherInnen kodiert als: T1H1, T1H2 T2H1 T3H1 T4H1, T4H2, T4H3, T4H4 T5H1, T5H2 T6H1, T6H2, T6H3 T7H1
Interaktionskonstellation SK VL D BW
T5H1 (52:52 53:37)
T6H2 (Protokoll, S. 9-10) VL: Wie viele Tage nach der Brandstiftung wurde Ihr Vater festgenommen? BW: Nach dem Tag, an dem die Brandstiftung stattgefunden hat, um 5 Uhr in der Früh. VL: Warum haben Sie vor dem BAA angegeben, dass die Polizei 2 Tage nach der Brandstiftung zu Ihrem Haus gekommen sei? BW: Ich habe gesagt, er wurde nach dem Tag des Brandes festgenommen? VL: Zu welcher Tageszeit? BW: Es war am Abend.
T6H2 (73:08 74:42)
T6H2 (73:08 74:42) cont.
Rückübersetzung T6H2: Protokoll: ("five o clock morning in the evening") Rückübers.: You were asked how many days after the house was burned your father was arrested, you said it was on the morning following the day of the burning down of the house, around five o clock in the morning they came, and you said- you were asked why last time you said it was 2 days after the burning of the house, and you said, no, I told them the same thing, I told them it was on the day after the burning down of the house, in the in the evening.
T2H1 (Protokoll, S. 16) VL: Hat er auch einen Zunamen? BW: Er hat einen Eingeborenen-Namen ( native name ), denselben wie meine Mutter. Ich kann mich daran aber nicht erinnern, weil ich ihn immer mit seinem englischen Namen Salomon angesprochen habe.
T2H1 (99:04 100:32)
T2H1 (99:04 100:32) cont.
T2H1 (99:04 100:32) cont. 25 D Mhm. 26 VL ( SK) einen ə Namen sch- Namen. Na na, passt schon, passt schon. Hintennach. Namen. Schreib n S hin Klammer Anführungszeichen native, also n-a-t-i-v-e, klein, klein N vorn, native, und dann name Anführungsszeichen Klammer zu. - Namen. ə Was hat er dann g sagt? 27 D ə 28 VL Eingeborenen-Namen ə s- 29 D Den- ( BW) You- but you don t recall- 30 VL Denselben wie die Mutter net oder so? 31 D Eig- o- wie meine Mutt- mhm. 32 VL Hat er das g sagt? 33 D Mhm. Ja.
T2H1 (99:04 100:32) cont. 34 VL ( SK) Beistrich denselben wie meine Mutter ( D) ə Hat er g sagt er kann sich net erinnern, den englischen- und weiß er nur den englischen? 35 D ə D- do you say you you do- you do not remember, you do not remember the native name or just that you only called him by the-? 36 BW I don t know a native name. I w- I w- I know a English name, so I don t know. 37 D dieselbe wie meine Mutter. Ich kann mich aber daran nicht erinnern weil ich ihn immer 38 VL nur mit seinem englischen Namen 39 D mit seinem englischen Namen Solomon 40 VL seinem englischen Namen Solomon 41 D angesprochen habe. 42 VL angesprochen habe. Na schön.
T5H1 (Protokoll, S. 6)
T5H1 (66:40 70:53)
T5H1 (66:40 70:53) cont.
T5H1 (66:40 70:53) cont.
T4H2 (32:07 33:35)
T4H2 (32:07 33:35) cont.
T4H2 (Protokoll, S. 5) VL: Wieso hatten Sie Angst vor welchem Mann? BW: Ich meine den Mann, der mich heiraten wollte. Und weil er ein Medizinmann ist. Auch ist es gefährlich, allein zu leben. Ich war ja immer mit meinem Vater zusammen.
Widersprüche im Protokoll Protokollierung selektive, zusammenfassende Protokoll. unklare Rollenverteilung fehlende Kohärenzkontrolle fehlende Protokollierung von Eigenkorrekturen durch D Dolmetschung mangelnde Englischkenntnisse der BW afrikanisches Englisch (+ afrikanische Kultur)
Gestaltungsmöglichkeiten Dolmetscherfortbildung für afrikanische Varianten des Englischen und afrikanische Kulturen Tonaufzeichnung aller Einvernahmen und elektronische Speicherung (s. Prozedurale Mindeststandards ) Optimierung der Protokollierung (Rollenverteilung, Qualifikation der SK, Kontrolle über Selektion und Kohärenz, Berücksichtigung von D-Korrekturen, ) Optimierung der Rückübersetzung (D-Strategie, Sit.)
Schlussbemerkungen Analyse aus dolmetschwissenschaftlicher Perspektive (deskriptiver Ansatz) Befunde als Hinweise auf mögliche Problemfelder Beschränkung auf eine ("transparente") Sprache Befunde vermutlich für andere Sprachen relevant
DANKE für Ihre Aufmerksamkeit!