Kolloquium: Aktuelle Fälle des Verwaltungsgerichts Sigmaringen



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Transkript:

Kolloquium: Aktuelle Fälle des Verwaltungsgerichts Sigmaringen Lösungsskizze zu Fall 7: Das videoüberwachte Volksfest Richter am Verwaltungsgericht Carsten Ulrich - Gutachten - Der von A angestrebte Rechtsschutz hat Aussichten auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens I. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen 1. Verwaltungsrechtsweg: 40 Abs. 1 VwGO Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs bestimmt sich nach 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Um den Verwaltungsrechtsweg zu eröffnen, müsste es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handeln, die nicht durch Gesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Maßgeblich ist die streitentscheidende Norm. Als streitentscheidende Norm kommt vorliegend u.a. die in 21 PolG geregelte Bildübertragung und -aufzeichnung in Betracht. Eine Rechtsgrundlage für eine Bildübertragung gibt es aber nicht ausschließlich im Polizeigesetz. U.a. nach 100c StPO ist eine strafprozessuale Bildaufzeichnung möglich, bei der der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Da die Polizei grundsätzlich nach beiden Rechtsgrundlagen eine Bildübertragung / -aufzeichnung durchführen kann, ist maßgeblich, in welcher Funktion sie im konkreten Fall tätig werden will. Ob sie zum Zweck der Verfolgung von Straftaten oder der Gefahrenabwehr und beseitigung (repressiv) (präventiv) handeln will.

Gemäß dem Sachverhalt handelt es sich vorliegend um eine sog. doppelfunktionale Maßnahme. Durch die offene Videoüberwachung soll einerseits allgemeinen Gefahren des Volksfestes entgegengewirkt werden (präventives Handeln), anderseits soll aber auch bei Erkennung von konkreten Straftaten oder massiven Ordnungswidrigkeiten eine Aufzeichnung der Bildübertragung zum Zwecke der späteren Strafverfolgung erfolgen (repressives Handeln). Bei doppelfunktionalem polizeilichem Handeln entscheidet sich die Rechtswegfrage danach, wo das Schwergewicht der polizeilichen Tätigkeit liegt. Dabei ist maßgebend, wie sich der konkrete Sachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt. Hierbei muss der Sachverhalt im allgemeinen einheitlich betrachtet werden, soweit nicht einzelne Teile objektiv abtrennbar sind. Bei der hier geplanten offenen Videoüberwachung zu einem festgelegten und öffentlich bekannt gegebenen Zeitpunkt liegt der Schwerpunkt im Bereich der Gefahrenabwehr. Die gleichsam bei Gelegenheit beabsichtigte Aufzeichnung von erkannten Straftaten und massiven Ordnungswidrigkeiten zur späteren Strafverfolgung tritt dahinter zurück. Bei der gebotenen einheitlichen Betrachtungsweise liegt der Schwerpunkt der Maßnahme hier auf dem präventiven Aspekt. Mithin kommen als streitentscheidende Normen solche des Polizeigesetzes in Betracht. Der Verwaltungsrechtsweg ist damit eröffnet. II. Statthafte Rechtsschutzform Das geeignete Rechtsmittel richtet sich nach dem tatsächlichen Begehren des A. Laut Sachverhalt begehrt der A die Unterlassung der geplanten Videoüberwachung des unmittelbar bevorstehenden Volksfestes. Da der Fall wenige Tage vor dem Fest spielt, kann dem Begehren des A nur im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Rechnung getragen werden. Entsprechend ist die Frage des statthaften Eilantrages zu klären. Die VwGO kennt zwei Formen des vorläufigen Rechtsschutzes: vorläufiger Rechtsschutz in der VwGO 80, 80a VwGO 123 VwGO die aufschiebende Wirkung die einstweilige Anordnung 2

123 Abs. 5 VwGO regelt die Abgrenzung zwischen beiden vorläufigen Rechtsschutzformen. Danach gehen die 80, 80a VwGO vor; 123 VwGO ist subsidiär. Entscheidend für die Anwendung der 80, 80a VwGO ist das Vorliegen eines VA, dessen Suspendierung begehrt wird. Als Faustformel gilt: 80, 80a VwGO finden Anwendung, wenn das jeweilige Hauptsacheverfahren eine Anfechtungsklage; 123 VwGO, wenn das jeweilige Hauptsacheverfahren eine Verpflichtungs- oder Leistungsklage ist. Hier begehrt der A Rechtsschutz gegen eine drohende Videoüberwachung. Die bloße Beobachtung öffentlicher Räume mittels Videokamera dient der Informationsgewinnung und ist deshalb unmittelbar nicht auf Herbeiführung einer Rechtsfolge, sondern lediglich eines tatsächlichen Erfolgs gerichtet. Es handelt sich daher um ein schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln, gegen den sich ein Kläger im Hauptsacheverfahren durch eine allgemeine Leistungsklage in der Form der Unterlassungsklage wenden kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.07.2003, - 1 S 377/02 -, NVwZ 2004, 498 m.w.nachw.). Der vorausgegangene Gemeinderatsbeschluss vom 16.05.2005 stellt gegenüber der tatsächlichen Durchführung der Videoüberwachung lediglich ein verwaltungsinterner Weisungsakt dar, ihm fehlt es an der unmittelbaren Außenwirkung. Damit ist kein VA vorhanden, um dessen aufschiebende Wirkung gestritten wird. Damit scheidet eine Anwendung von 80, 80a VwGO aus und 123 VwGO ist einschlägig. III. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen 1. Einlegung/Erhebung von Widerspruch oder Klage erforderlich? Nach h.m. ist es in dem Verfahren nach 123 VwGO nicht erforderlich, dass der Antragsteller gegen einen vorausgegangenen Versagungsbescheid bereits Widerspruch eingelegt hat. Das Erfordernis eines Vorverfahrens scheidet im Fall ferner aus, weil der A weder gegen einen VA vorgehen will, noch einen VA anstrebt (vgl. 68 VwGO). Dass eine vorherige Klageerhebung in der Hauptsache nicht erforderlich ist, regelt 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausdrücklich. 3

2. Antragsbefugnis Der Wortlaut von 42 Abs. 2 VwGO normiert das Erfordernis der Geltendmachung einer möglichen subjektiven Rechtsverletzung nur für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Nach h.m. ist die Zulässigkeitsvoraussetzung des 42 Abs. 2 VwGO und der darin zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke auch bei einer allgemeinen Leistungsklage entsprechend anzuwenden. Es gibt keinen Grund, weshalb bei der allgemeinen Leistungsklage eine Popularklage zulässig sein sollte. Das hat auch Auswirkungen auf das vorläufige Rechtsschutzverfahren. Berücksichtigt man, dass ein Eilverfahren nur der Sicherung des Hauptsacheanspruches dient, ist kein Grund ersichtlich, warum die Antragsbefugnis des Eilverfahrens weiter sein sollte, als die Klagebefugnis des jeweiligen Hauptsacheverfahrens. Entsprechend muss gemäß 42 Abs. 2 VwGO auch hier der Antragsteller die Möglichkeit einer Rechtsverletzung in einem subjektiven öffentlichen Recht durch die Nichterfüllung des von ihm erhobenen Unterlassungsbegehrens dartun. Als verletztes subjektives-öffentliches Recht kommt bei A sein durch Art. 2 Abs. 1 i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 15.12.1983, - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1 = NJW 1984, 419 - Volkszählung) in Betracht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er durch die geplante Videoüberwachung, insbesondere in der Form der Bildaufzeichnung, in diesem Grundrecht nachteilig betroffen ist. Dies erfordert grundsätzlich die schlüssige Darlegung, dass der A den überwachten Bereich im maßgeblichen Zeitraum betreten will. Dies ist laut Sachverhalt der Fall. Ggf. muss der A dies im gerichtlichen Eilverfahren eidesstattlich versichern. 3. Antragsfrist? Der Antrag nach 123 VwGO ist nicht fristgebunden. 4. Rechtsschutzbedürfnis Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht erforderlich ist. Hier ist auch zu prüfen, ob der Antragsteller das zu sichernde/regelnde Recht bereits vor der gerichtlichen Antragstellung bei der jeweiligen Behörde geltend gemacht haben muss. Die Frage ist strittig (vgl. hierzu Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 10. Ergänzungslieferung 2004, 123 Rdnr. 121). 4

Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn der Antragsteller sich nicht zuvor ohne Erfolg an die Behörde gewandt hat. Nach anderer Auffassung ist kein Hinderungsgrund für die Bejahung des Rechtsschutzinteresses gegeben, wenn der Antragsteller unmittelbar gerichtlichen Rechtsschutz sucht. Ggf. muss der A zunächst vom Polizeivollzugsdienst die Unterlassung der Videoüberwachung verlangen. 5. Zuständiges Verwaltungsgericht Gemäß 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Das ist bei noch nicht anhängiger Hauptsache das Gericht, das für die Hauptsache künftig zuständig wäre. B. Begründetheit des Eilantrages I. Passivlegitimation In Ermangelung einer anderweitigen Regelung ist für die Frage des richtigen Antragsgegners 78 Abs. 1 Ziffer 1 VwGO entsprechend maßgeblich (str. vgl. zur Nichtanwendbarkeit bei der allgemeinen Leistungsklage: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.o., 78 Rdnr. 21). In entsprechender Anwendung ist der Antrag gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft zu richten, deren Behörde die zu unterlassende Maßnahme durchführen will. Laut Sachverhalt wird die streitgegenständliche Videoüberwachung vom zuständigen Polizeivollzugsdienst durchgeführt. Nach den 70 ff. PolG ist das Land Baden-Württemberg für den Polizeivollzugsdienst (mit Ausnahme gemeindlicher Vollzugsbediensteter, 80 ff. PolG) zuständig. Folglich ist das Land Baden-Württemberg vorliegend der richtige Antragsgegner. Die Mitwirkung der Stadt S durch den der geplanten Videoüberwachung vorausgegangenen Gemeinderatsbeschluss beschränkt sich demgegenüber nur auf den verwaltungsinternen Wirkungskreis. 5

II. Prüfungsmaßstab Nach 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint ( 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Antragsteller müssen somit die Gefährdung eines eigenen Individualinteresses (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines Rechts oder rechtlich geschützten Interesses (Anordnungsanspruch) geltend und außerdem die dafür zur Begründung erforderlichen Tatsachen glaubhaft machen ( 123 Abs. 3 VwGO i.v.m. 920 Abs. 2 ZPO). Bei der Entscheidung ist auch zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach 123 VwGO von dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache beherrscht wird, d.h. dass dem Antragsteller im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht das zuzusprechen ist, was er im Hauptsacheverfahren erstrebt. III. Anordnungsanspruch Der A könnte einen Abwehranspruch aus seinen Grundrechten gegen die geplante Videoüberwachung des Volksfestes haben, wenn dadurch ohne Rechtfertigung in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen wird. Im Rahmen des Gutachtens ist daher der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, das Vorliegen eines Eingriffs und die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs zu prüfen. 1. Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung führt das BVerfG in seiner zitierten Entscheidung vom 15.12.1983 a.a.o. aus: 6

Individuele Selbstbestimmung setzt aber - auch unter den Bedingungen moderner Informationsverarbeitungstechnologien - voraus, dass dem einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Vom Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfasst sind dabei nicht nur personenbezogene Informationen, die die Privat- oder Intimsphäre des Einzelnen betreffen. Unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kann auch das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, also auch der Aufenthalt und das Verhalten an einem bestimmten öffentlichen Platz zu einer bestimmten Zeit eine vom Schutzbereich des Grundrechts grundsätzlich erfasste personenbezogene Information sein. 2. Grundrechtseingriff durch die Videoüberwachung Die Videoüberwachung in der Form der Bildaufzeichnung von Personen greift nach allgemeiner Auffassung in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Bei der Aufzeichnung werden die durch die Kamera übermittelten Bilddaten nicht nur am Monitor 7

beobachtet, sondern auf einem Datenträger gespeichert. Dies ermöglicht die technische Fixierung und jederzeitige Abrufbarkeit der beobachteten Lebensvorgänge am Bildschirm, aber auch die nachträgliche - gegebenenfalls computergestützte - Aufbereitung und Auswertung der Bilddaten anhand moderner Techniken. Anhand der Aufzeichnung lassen sich nachträglich detaillierte Informationen mit Personenbezug erlangen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.07.2003, a.a.o., m.w.nachw.). Str. ist, ob auch die Möglichkeit der bloßen Beobachtung mittels Bildübertragung - so genannte Kamera-Monitor-Prinzip - Eingriffscharakter hat. In seiner Entscheidung vom 21.07.2003 hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg den Eingriffscharakter bejaht. Vorliegend soll mit der Videoüberwachung (auch) überprüft werden, wie sich einzelne Personen im überwachten Bereich geben und ob ihr Verhalten Anlass für eine Videoaufzeichnung zur späteren Strafverfolgung gibt bzw. einen Polizeieinsatz vor Ort erfordert. Bei diesem Verfahren muss eine Person im Aufnahme- bzw. Schwenkbereich der Kamera damit rechnen, nicht nur als Teil einer Menschenmenge wahrgenommen, sondern auch als Individuum registriert zu werden. Damit unterscheidet sich die eingesetzte Technik von reinen sog. Übersichtsaufnahmen, bei denen keine personenbezogenen Daten übermittelt werden. Dass die Aufnahmen "flüchtig" sind und nur eine unmittelbare, zeitgleiche Auswertung des Bildmaterials am Monitor zulassen stellt das Kamera-Monitor-Prinzip nicht einem - einen öffentlichen Platz kurzfristig beobachtenden - Polizeibeamten gleich. Der beobachtende Polizeibeamte liegt unterhalb der Schwelle des Grundrechtseingriffs. Diese Schwelle wird durch die beschriebene Form der permanenten und mit besonderen technischen Möglichkeiten ausgestatteten Bildübertragung in quantitativer und qualitativer Weise überschritten. Auch der Möglichkeit der bloßen Beobachtung einzelner Personen mittels Bildübertragung kommt damit ein Eingriffscharakter zu. Davon geht augenscheinlich auch der Gesetzgeber aus, der in 21 Abs. 3 PolG ausdrücklich (auch) das mitels Bildübertragung Beobachten von Personen normiert hat. Folgt man dem, ist auch für einen derartigen Grundrechtseingriff eine entsprechende Rechtsgrundlage erforderlich. 3. verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet. Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat der Einzelne nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herschaft über seine Daten; er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Information, auch soweit sie personenbezogen ist, stellt ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Das Grundgesetz hat die 8

Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden. Grundsätzlich muss daher der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen (BVerfG, Urteil vom 15.12.1983, a.a.o.). Diese Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 GG einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Als gesetzliche Grundlage für den Eingriff kommt zunächst die Regelung in 21 Abs. 3 PolG in Betracht. Dies setzt voraus, dass die formellen und materiellen Voraussetzungen der Norm durch die konkrete Videoüberwachung eingehalten sind. a) Rechtfertigung durch 21 Abs. 3 PolG aa) formelle Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung nach 21 Abs. 3 PolG - Hinsichtlich der Zuständigkeit für die Beobachtung mittels Bildübertragung und zur Anfertigung von Bildaufzeichnungen von Personen i.s. von 21 Abs. 3 PolG spricht der Wortlaut der Norm von Polizeivolzugsdienst und Ortspolizeibehörde. Aufgrund dieses Wortlautes wird vertreten, dass die Kompetenz zur Anordnung und Durchführung der Videoüberwachung dem Polizeivollzugsdienst und der Ortspolizeibehörde nur gemeinsam zusteht (vgl. Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 5. Auflage, Rdnr. 604). Mit Verweis auf die amtliche Begründung (LT-Dr 12/5706, S. 8) geht der Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg davon aus, dass 21 Abs. 3 PolG eine alternativen Zuständigkeit normiert. Der Wortlaut steht dem nicht entgegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.07.2003, a.a.o., m.w.nachw.). Der Streit kann vorliegend offen bleiben, da die Videoüberwachung von der Stadt S mitgetragen wird. - Verfahrens- oder Formfehler sind nicht ersichtlich. 9

bb) materielle Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung nach 21 Abs. 3 PolG - Nach 21 Abs. 3 PolG können der Polizeivollzugsdienst und die Ortspolizeibehörde zur Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit bedroht wird, oder zur Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit die in 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG genannten Orte, soweit sie öffentlich zugängliche Orte sind, offen mittels Bildübertragung beobachten und Bildaufzeichnungen von Personen anfertigen. Orte im Sinne von 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG sind solche, an denen erfahrungsgemäß Straftäter sich verbergen, Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen oder der Prostitution nachgehen. Die Videoüberwachung einer Örtlichkeit nach 21 Abs. 3 PolG ist nicht bereits dann zulässig, wenn sie als gefährlicher Ort im Sinne des 26 Abs. 1 Nr. 2 PolG eingestuft wird. Vielmehr werden die zu überwachenden Orte durch das in 21 Abs.3 PolG enthaltene, an Gefahren bzw. Störungen für die öffentliche Sicherheit anknüpfende Erforderlichkeitskriterium weiter eingegrenzt. Dieses Merkmal bedeutet zwar nicht, dass insoweit das Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation vorausgesetzt wird, der Gesetzgeber bringt mit ihm aber in Ansehung des Zwecks und der Entstehungsgeschichte der Regelung hinreichend zum Ausdruck, dass die Örtlichkeit eine besondere Kriminalitätsbelastung aufweisen, es sich bei ihr um einen sog. Kriminalitätsbrennpunkt handeln muss. Die Annahme eines Kriminalitätsbrennpunktes setzt dabei grundsätzlich voraus, dass sich die Kriminalitätsbelastung des Ortes deutlich von der an anderen Orten abhebt. Ob die Voraussetzungen für die Qualifizierung einer Örtlichkeit als Kriminalitätsbrennpunkt vorliegen, hat die zuständige Behörde auf der Grundlage einer ortsbezogenen Lagebeurteilung zu ermitteln. Um den Gerichten eine tatsächlich wirksame Kontrolle der Lagebeurteilung zu ermöglichen, obliegt es der zuständigen Behörde, diese in nachvollziehbarer Weise zu dokumentieren (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.07.2003, a.a.o.). Die vorliegend überwachte C-Gasse stellt laut Sachverhalt keinen Kriminalitätsbrennpunkt dar. Dies um so mehr, da selbst die wenigen Beispiele von Straftaten auf dem Volksfest 2004 (BTM-Delikt, Diebstahl) nicht im geplanten Überwachungsbereich stattgefunden haben Zwischenergebnis: Damit scheidet 21 Abs. 3 PolG als Rechtsgrundlage für die geplante Videoüberwachung aus. 10

b) Rechtfertigung durch 21 Abs. 1 PolG aa) formelle Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung nach 21 Abs. 1 PolG - Nach dem eindeutigen Wortlaut von 21 Abs. 1 PolG ist für die hier normierte Bildaufzeichnung der Polizeivollzugsdienst allein zuständig. Verfahrens- oder Formfehler sind nicht ersichtlich. bb) materielle Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung nach 21 Abs. 1 PolG - Nach 21 Abs. 1 PolG kann der Polizeivollzugsdienst bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsgesetz unterliegen, Bild- und Tonaufzeichnungen von Personen anfertigen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie dabei Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung oder Straftaten begehen werden. Die Datenerhebung darf dabei auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betrofen werden. Die in der Norm genannten Tatsachen müssen dabei bei den Personen vorliegen, von denen Bild- und Tonaufnahmen gemacht werden. Das rein abstrakte Wissen, dass bei bestimmten Veranstaltungen regelmäßig Straftaten und erhebliche Ordnungswidrigkeiten begangen werden, reicht für Maßnahmen nach 21 Abs. 1 Satz 1 PolG nicht aus. Ebenso wenig kann die bloße Teilnahme an einer solchen Veranstaltung nicht als Tatsache im Sinne des 21 Abs. 1 Satz 1 PolG angesehen werden. Da von den Antragsgegnern die Bildüberwachung aller Besucher des Festes im Kamerabereich beabsichtigt ist, scheidet 21 Abs. 1 PolG vorliegend als Rechtsgrundlage aus. Zwischenergebnis: Auch 21 Abs. 1 PolG stellt keine Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung dar. c) Rechtfertigung durch 20 Abs. 2 PolG aa) formelle Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung nach 20 Abs. 2 PolG - Hinsichtlich Zuständigkeit (vgl. 60 Abs. 3 PolG), Verfahren und Form bestehen keine Bedenken. 11

bb) materielle Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung nach 20 Abs. 2 PolG - Str. ist, ob die Regelungen in 21 Abs. 1 und 3 PolG eine generelle Videoüberwachung von Veranstaltungen gestützt auf 20 Abs. 2 PolG ausschließen (verneinend Belz/Mussmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 6. Auflage 2001, 21 Rdnr. 19). Für die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs müssten aber auch hier die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm erfüllt sein. Nach 20 Abs. 2 PolG kann die Polizei Daten der in den 6 oder 7 PolG genannten Personen sowie anderer Personen erheben, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist und die Befugnis der Polizei nicht anderweitig geregelt ist. In Betracht kommt für die hier geplante Videoüberwachung nur die erste Variante der Norm, also die Datenerhebung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Ein Tätigwerden zum Zweck der Gefahrenabwehr im Sinne von 20 Abs. 2, 1. Var. PolG setzt eine konkrete Gefahr voraus (Belz/Mussmann, a.a.o., 20 Rdnr. 19). Die Datenerhebung muss ferner gerade erforderlich sein zur Gefahrenabwehr; dies ist der Fall, wenn sie zu diesem Zweck notwendig ist. Die vorausgesetzte konkrete Gefahr liegt vor, wenn ein bestimmter einzelner Sachverhalt, das heißt eine konkrete Sachlage oder ein konkretes Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen würde. Ein Beispiel für eine konkrete Gefahr für eine Volksfestveranstaltung wäre die eingehende Drohung eines Anschlages auf die Veranstaltung. Der Begriff der konkreten Gefahr ist abzugrenzen vom Begriff der abstrakten Gefahr. Eine abstrakte Gefahr liegt vor, wenn ein bestimmtes Verhalten oder eine Sachlage nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig und typischerweise zu konkreten Gefahren für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.07.1998, -1 S 2630/97 -, VBlBW 1998, 428). Auch der abstrakte Gefahrenverdacht ist auf tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen und setzt eine entsprechende Gefahrenprognose der Polizei voraus. Die von der Stadt S für die geplante Videoüberwachung abgegebene Gefahrenprognose bezüglich der Menschenmassen auf dem Volksfest ist der typische Fall für eine abstrakte Gefahr. Die Menschenansammlung als solche stellt in der Regel noch keine konkrete Gefahr dar. Derartige Ansammlungen sind vielmehr typisch für ein derartiges Volksfest. Zwar kann auch eine bloße Menschenansammlung zu einer konkreten 12

Gefahr werden, etwa wenn Panikreaktionen entstehen. Eine solche Gefahr ist aber hier nicht ersichtlich. Auch die von der Stadt aufgeführten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aus der Veranstaltung 2004 (BTM-Delikt, Diebstahl) sind nach der allgemeinen Lebenserfahrung typische Begleiterscheinungen eines Volksfestes. Die konkreten Straftaten im Jahr 2004 lassen nicht einmal den Schluss zu, dass im geplanten Überwachungsbereich regelmäßig Diebstähle oder Drogendelikte stattfinden. Eine allgemeine Videoüberwachung ganzer Straßen und Plätze ohne Anhaltspunkte für die konkrete Gefahr einer Straftatbegehung ist aber bereits nach dem Wortlaut von 20 Abs. 2 PolG unzulässig, da dieser Fall abschließend in 21 Abs. 3 PolG mit seinen besonderen Tatbestandsvoraussetzungen normiert ist (Belz/Mussmann, a.a.o., 20 Rdnr. 19). Bei dem von den Antragsgegnern geschilderten Gedränge in der C-Gasse ist es ferner nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu erwarten, dass Gläser zu Bruch gehen. Eine Abwehr dieser abstrakten Gefahr durch die geplante Videoüberwachung ist nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die von den Antragsgegnern nur vermuteten Verletzungen von jugendschutz- und gaststättenrechtlichen Normen. Zwischenergebnis: 20 Abs. 2 PolG stellt keine Rechtsgrundlage für die Videoüberwachung dar. d) Rechtfertigung durch 1, 3 PolG - Ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel gemäß den 1, 3 PolG ist unzulässig, da diese subsidiär ist gegenüber den Spezialermächtigungen in den 19 ff. PolG. Ergebnis: Eine Rechtfertigung für die konkrete Videoüberwachung ist nicht gegeben. Damit ist der gegebene Eingriff in das Grundrecht des A auf informationelle Selbstbestimmung nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der A kann sich im Rahmend des Anordnungsanspruchs auf die Abwehrfunktion seines Grundrechts berufen. IV. Anordnungsgrund Der Anordnungsgrund ergibt sich vorliegend daraus, dass wegen des temporären Charakters der Videoüberwachung eine abschließende Regelung in der Hauptsache zu spät käme. Der A kann Rechtsschutz ausschließlich im Verfahren nach 123 VwGO erlangen. 13

V. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache Grundsätzlich gilt, dass im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach 123 VwGO nicht bereits das zugesprochen werden darf, was mit der Hauptsacheklage erstrebt wird/werden soll. Denn es kann nicht Aufgabe eines Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sein, endgültige Befriedigung zu gewähren. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache kann allerdings zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes durchbrochen werden, wenn die zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht. Dies ist ein Gebot der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, dem auch bei der Gewährung von Eilrechtsschutz Rechnung zu tragen ist. Die Voraussetzungen für eine Durchbrechung sind vorliegend gegeben, da andernfalls der Grundrechtsschutz des A leer laufen würde. Endergebnis: Ein Eilantrag des A hätte Aussichten auf Erfolg. Der A könnte vor dem Verwaltungsgericht beantragen, dem Land Baden-Württemberg im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die beabsichtigte Videoüberwachung der C-Gasse während der Zeit des Volksfestes vom 10.06. 12.06.2005 in der Stadt S zu unterlassen. 14