Nosokomiale Infektionen in Deutschland Wo stehen wir?

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Transkript:

U N I V E R S I T Ä T S M E D I Z I N B E R L I N Nosokomiale Infektionen in Deutschland Wo stehen wir? Christine Geffers Nationales Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Charité, Universitätsmedizin-Berlin 1

Offenlegung potentieller Interessenskonflikte zum Vortragsthema und zur Podiumsdiskussion Anstellungsverhältnis im Institut für Hygiene der Charité welches die Aufgaben des NRZ für Surveillance nosokomialer Infektionen wahrnimmt Häufigkeit nosokomialer Infektionen Wie viele nosokomiale Infektionen gibt es in Deutschland? 2

Europaweite Prävalenzuntersuchung zu nosokomialen Infektionen Zielstellung von PPS Abschätzung der Prävalenz nosokomialer Infektionen und des Antibiotika Einsatzes in Akut Krankenhäusern in Europa 3

Ergebnisse Nosokomiale Infektionen Vergleich der Prävalenz Deutschland und Europa Deutschland Europa Krankenhäuser 46 947 - Prävalenz alle nosokomialen Infektionen - Prävalenz nosokomialer Infektionen aktueller KH-Aufenthalt 5,0% 3,4% 6,0 % 4,5% 4

Ergebnisse im Vergleich zur 1. nationalen Prävalenzstudie (1994) Prävalenz von nosokomialen Infektionen ALLE CI95 Repräsentative KH CI95 NIDEP 1 CI95 Krankenhäuser 132 46 72 Median Bettenzahl 359 216 < 400 Patienten 41 539 9 626 14 966 Prävalenz (Inhouse NI) 3,76 3,44 4,08 3,37 2,93 3,84 3,46 3,1 3,9 Verteilung nach Infektionsarten Verteilung der nosokomialen Infektionsarten 5% 10% 30% Infektionen der unteren Atemwege Harnweginfektionen 13% postoperative Wundinfektionen gastrointestinale Infektionen inkl. CDAD Primäre Sepsis 20% 22% Andere Infektionen PPS 2011 5

Häufigkeit nosokomialer Infektionen Wie viele nosokomiale Infektionen gibt es in Deutschland? Hochrechnung aus ECDC Prävalenzstudie Anzahl Patienten mit nosokomialer Infektion 601.161 6

Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern Mean 6,0% Median 5,7% Deutschland 5,0% 7

Folgen nosokomialer Infektionen Individuelle Folgen Schmerzen Behandlungserfolg wird nicht erreicht Körperliche Funktionseinschränkungen Invalidität und Frühberentung Tod 8

Einfluss nosokomialer Infektionen auf die Krankenhaussterblichkeit chirurgischer Patienten Gematchte Kohortenstudie attributable mortality bei chirurgischen Patienten 12.791 chirurgische Patienten Todesrate in der Patientengruppe (ohne matchen) ohne nosokomiale Geffers Infektion = 1,16 731 Patienten mit Infektion A B 731 Patienten ohne Infektion Tod A and B übereinstimmend in Alter, Geschlecht, OP und Erkrankungsschwere 3.14 B 5.74 A Rate verstorbener Patienten Differenz 2,6 = attributable mortality 9

Hochrechnung basierend auf... ~600.000 Patienten mind. eine NI/Jahr in BRD (PPS) attributable mortality 2,6% (2,6% von 600.000 versterben an der nosokomialen Infektion) ~ 15.600 Tote/Jahr Vermeidbarkeit nosokomialer Infektionen?! 10

Präventionspotential immer auch abhängig von Ausgangssituation! Einrichtungen mit hohen Ausgangsraten hatten evtl. Präventionsmaßnahmen ungenügend umgesetzt Einrichtungen mit unauffälligen oder niedrigen Infektionsraten haben evtl. bereits alle Präventionsmaßnahmen ausgeschöpft Vermeidungspotential abhängig von Ausgangssituation Noch im 17. Jh. war es üblich die Wunden aller Patienten mit einem Schwamm nacheinander zu reinigen 60% verstarben Pflege von Verwundeten im 15. Jahrhundert 11

Ergebnisse ITS KISS Reduktionspotential und Ausgangsrate Höhe der VAP- Rate im 1. Jahr Reduktion der VAP-Rate zwischen dem 1. und 3. Teilnahmejahr (TJ) stratifiziert nach der Höhe der BAP-Rate im 1. TJ ITS mit Reduktion % ITS mit Reduktion % ITS mit Reduktion <Q1 3/18 17% Q1-Median 10/18 56% Median-Q3 13/18 72% >Q3 13/17 76% 36% 74% Gesamt 39/71 55% 11% bis 55%ige Reduktion (Median der Studien = 28,5%) 12

Vermeidbare Todesfälle wegen nosokomialer Infektionen Eine Hochrechnung Hochrechnung Hypothese: Tote wegen nosokomialer Infektionen gleichverteilt auf vermeidbare und unvermeidbare Infektion =Präventionspotential von Todesfällen wegen nosokomialer Infektionen identisch mit Präventionspotential von nosokomialen Infektionen Anwendung des durchschnittlichen Präventionspotentials von nosokomialer Infektionen auf die durch nosokomiale Infektionen bedingten Todesfälle 13

Hochrechnung 15.600 Tote/Jahr wegen nosokomialer Infektionen Prävention von 20% 30% der Infektionen reduziert die Todesfälle ebenfalls um 20% 30% ca. 3.120 bis 4.680 vermeidbare Todesfälle 9 13 vermeidbare Todesfälle pro Tag in Deutschland! Zusammenfassung Pro Jahr ca. 600.000 Patienten mit nosokomialen Infektionen Keine relevante Häufigkeitsänderung über die Jahre Im europäischen Vergleich günstige Situation Ca. 15.600 Patienten versterben im Krankenhaus wegen nosokomialer Infektionen Täglich sind ca. 10 Todesfälle vermeidbar! 14