Ein verrückter Tag im Leben von Professor Kant
Ein verrückter Tag im Leben von Professor Kant Erzählt von Jean Paul Mongin Illustriert von Laurent Moreau Aus dem Französischen von Heinz Jatho Platon & Co. diaphanes
Als das achtzehnte Jahrhundert sich dem Ende zuneigte, war Königsberg eine friedliche kleine Stadt in Ostpreußen. Die Türme des berühmten Schlosses, in denen zahlreiche Eulen hausten und auch einige Gefangene ihr Dasein fristeten, warfen ihre Schatten. Die alte Stadt, die einst von den Deutschrittern erbaut worden war, hatte ihre besten Zeiten hinter sich. 4
Wohl kaum würden wir uns an jene ungemütliche Dämmerung erinnern, die den Spaziergänger umgab, der eben den weiten und trübseligen Ebenen Polens den Rücken gekehrt hatte und auf dem Heimweg war, wäre dieser Spaziergänger nicht Professor Immanuel Kant gewesen. Gott hatte, könnte man meinen, Immanuel Kant zur Existenz verholfen, weil er sich nach einem Partner zum Schachspielen sehnte. Dabei war Kant in Wirklichkeit gar keine Spielernatur. Darum wurde er Professor für Philosophie in Königsberg. Martin Heidegger, einer seiner jüngeren Kollegen, der ebenfalls für die Reize der polnischen Ebene empfänglich war, fasste seine Existenz einmal so zusammen:»kant wurde geboren, arbeitete und starb.«in Königsberg, könnten wir noch hinzufügen. 5
Ein strahlender Sommermorgen kündigte sich an, als Lampe, der Diener des Professors, in Kants Zimmer platzte, in dem dieser, in seine Laken gehüllt, einen traumlosen Schlaf schlief.»es ist Zeit!«, raunzte Lampe, an seinen Herrn gerichtet. Lampe war ein alter preußischer Soldat und hatte ziemlich rustikale Manieren. Aber er weckte den Professor zuverlässig und pünktlich jeden Morgen um fünf vor fünf, und das war, was zählte. Kant erhob sich wortlos, dann ließ er sich die Wangen rasieren und die Perücke pudern. Unter seiner Hose hielt ein kleines System von Hosenträgern, Bändern und komplizierten Verschlüssen seine Strümpfe fest, ohne den Blutkreislauf zu beeinträchtigen. Kant stellte seine Uhr und betrat würdevoll sein Arbeitszimmer, um eine Pfeife zu rauchen und sich mit seiner Korrespondenz zu beschäftigen. 6
Kant hatte vor dem Fenster, von dem man den Turm des alten Schlosses sah, neben dem Ofen Platz genommen. Zunächst machte er sich daran, auf die Modetorheiten seiner Zeit zu antworten. Dazu muss man wissen, dass die Zeitungslektüre, zu der ihn Verdauungsprobleme des Öfteren zwangen, ihm in letzter Zeit immer wieder Grund zum Ärger lieferte. Aber heute las er etwas, was nun wirklich der Gipfel war! Da gab es doch in Schweden einen Spinner, der behauptete, die Zukunft vorauszusehen und mit den Toten zu sprechen 7
Dieser angebliche Gelehrte namens Swedenborg erzählte jedem, der es hören wollte, dass er mit Gespenstern Umgang pflegte. Als Beispiel führte er an, die Witwe eines holländischen Gesandten habe mit seiner Hilfe die verlorene Quittung zu einer Rechnung für ein Silbergeschirr wiedergefunden, die ein betrügerischer Goldschmied zur Zahlung angemahnt hatte, obwohl ihr verstorbener Gatte diese doch bereits sieben Monate, bevor er das Zeitliche segnete, beglichen hatte.»du wirst sehen, Beine machen werde ich deinem fliegenden Holländergespenst mitsamt seinem Blechkrempel «, murmelte Kant. 8
»Was nützen alle Anstrengungen, uns zur Wissenschaft zu erheben, Vorurteil und Aberglauben zu bekämpfen und das Licht der Vernunft zu verbreiten, was nützen unsere Strenge, unsere Opfer wenn wir dann von solchem Hokuspokus lesen müssen!«, dachte unser Held.»Als ob ein Gespenst Einfluss auf die Dinge haben könnte! Als ob die Welt nur ein Geistergebilde wäre!«9
Mit einem Federstrich rechnete Professor Kant mit dem Schweden Swedenborg und seinen Visionen ab:»die Nutzlosigkeit von solcherart Erscheinungen«, schrieb er,»die zahlreichen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, die Betrügerei, in der sie oft ihren Ursprung haben, die Leichtgläubigkeit derer, die sie weitergeben wegen all dieser Gründe mache ich mir im Allgemeinen nicht die Mühe, mich damit überhaupt abzugeben, geschweige denn auf Friedhöfen Angst zu haben. Die einzigen Propheten, die ich kenne, sind solche, die die Zukunft machen«, schloss Kant nicht ohne eine gewisse Boshaftigkeit. 10