Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten

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Transkript:

Strahlenschutzkommission Geschäftsstelle der Strahlenschutzkommission Postfach 12 06 29 D-53048 Bonn http://www.ssk.de Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten Stellungnahme der Strahlenschutzkommission Verabschiedet in der 94. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 06. Dezember 1989 Veröffentlicht in: Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 15

Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten 2 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung... 3 2 Kriterien für die Beurteilung der möglichen Strahlenexposition durch nuklearbetriebene Satelliten... 3 2.1 Normalbetrieb... 4 2.2 Nicht bestimmungsgemäßer Betrieb... 5 3 Abschätzung möglicher Strahlenexpositionen... 6 3.1 Nutzung von Kernreaktoren... 6 3.2 Nutzung von Radionuklidbatterien... 7 4 Schlußfolgerungen und Empfehlungen... 8

Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten 3 1 Einleitung In Satelliten werden zur Energieversorgung im Weltraum je nach Aufgabe und Energiebedarf chemische Batterien, Solarzellen, Radionuklidbatterien oder Kernreaktoren verwendet. Die beiden letzteren enthalten radioaktive Stoffe, die bei nicht bestimmungsgemäßem Ablauf der Mission zu einer erheblichen Strahlenbelastung der Bevölkerung führen können. Eingesetzt werden diese nuklearen Energieversorgungssysteme bisher von den USA und der UdSSR. Beispielhaft sei darauf hingewiesen, daß derzeit von der UdSSR pro Jahr ca. zwei Aufklärungssatelliten mit Kernreaktoren an Bord in den Weltraum geschossen werden. Nach Ende ihrer Mission sollen sie in einen etwa 800 km hohen sog. Parkorbit geschickt werden. Dort sollen die Satelliten ca. 300 Jahre verweilen, um ein Abklingen der Radioaktivität auf geringe Reste sicherzustellen, ehe die Rückkehr zur Erde erfolgt. Das Anheben in den Parkorbit ist in der Vergangenheit nicht in allen Fällen gelungen. Darüber hinaus führt die steigende Zahl von Satellitenrückständen im Parkorbit (800-1000 km Höhe) dazu, daß Kollisionen der geparkten Satelliten mit diesen Trümmern abhängig von der Teilchengröße mit Wahrscheinlichkeiten bis zu 50 % je nach betrachteter Teilchengröße innerhalb von 300 Jahren möglich sind. 5 bis 50 Jahre nach einer solchen Kollision kehrt ein getroffener Satellit oder Bruchstücke davon vorzeitig zur Erde zurück. Als Beispiel für Satelliten mit Radionuklidbatterien sei der Forschungssatellit Galileo genannt, der mit einer Radionuklidbatterie als Energieversorgung an Bord im Oktober d.j. von den USA zu einer interstellaren Mission gestartet wurde. Der UNO-Weltraumausschuß bemüht sich seit einer Reihe von Jahren, Empfehlungen zu formulieren, bei deren Einhaltung der Einsatz von nuklearbetriebenen Satelliten akzeptiert werden kann. Die Strahlenschutzkommission ist vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gebeten worden, unter dem Aspekt des Strahlenschutzes eine Beurteilung der Verwendung von nuklearen Energieversorgungssystemen im Weltraum vorzunehmen. 2 Kriterien für die Beurteilung der möglichen Strahlenexposition durch nuklearbetriebene Satelliten Die SSK empfiehlt, sich bei der Beurteilung der möglichen Strahlenexposition durch nuklearbetriebene Satelliten an den Strahlenschutzgrundsätzen der ICRP für Normalbetrieb (ICRP- Veröffentlichung Nr. 26) und für unplanmäßige Abläufe an der ICRP-Veröffentlichung Nr. 40 zu orientieren. Bei der militärischen Nutzung von Satelliten ist zu unterscheiden zwischen Aufklärungssatelliten und Weltraumwaffensystemen. Die nachfolgenden Überlegungen können nicht für Weltraumwaffensysteme gelten, bei denen wegen des hohen Energiebedarfs der Einsatz größerer Leistungsreaktoren (1000 kw) erforderlich ist. Der Einsatz dieser Waffensysteme kann nicht durch die Prinzipien des Strahlenschutzes gerechtfertigt werden.

Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten 4 2.1 Normalbetrieb Die Empfehlungen der ICRP in ihrer Veröffentlichung Nr. 26 gehen von den drei Prinzipien Rechtfertigung, Optimierung und Dosisbegrenzung aus: A: Es darf keine Tätigkeit gestattet werden, deren Einführung nicht zu einem positiven Netto-Nutzen führt (Prinzip der Rechtfertigung). Satelliten werden derzeit für folgende Zwecke eingesetzt: Wetter- und Umweltbeobachtung, Telekommunikation, Grundlagenforschung, militärische Aufklärung. Die Anwendung des ICRP-Prinzips der Rechtfertigung führt für diese Einsatzgebiete zu folgenden Überlegungen: Der Einsatz von Satelliten zur Wetter- und Umweltbeobachtung, zur Telekommunikation und im Rahmen von Forschungsaufgaben bringt erheblichen Nutzen. Allerdings ist der Energiebedarf für diese Anwendungen oft auch nicht so groß, daß nuklearbetriebene Energiequellen erforderlich sind; in solchen Fällen sollte daher auf alternative Energieversorgungssysteme ausgewichen werden. Auch für interstellare Missionen stellt sich die Frage, ob nicht andere Energiesysteme als die zur Zeit verwendeten Pu- 238-Batterien entwickelt werden könnten, insbesondere langlebige chemische Batterien bzw. Radionuklidbatterien mit weniger radiotoxischen Nukliden. Die Nutzung militärischer Aufklärungssatelliten läßt sich aus dem Wunsch heraus rechtfertigen, Überraschungsangriffe auf das eigene Territorium auszuschließen. Da der Energiebedarf für Aufklärungsmissionen jedoch durch Solarzellen gedeckt werden kann, ist die Verwendung von Reaktoren für diesen Zweck zugunsten alternativer Energieversorgungssysteme zu vermeiden. Ganz allgemein ist die Ermittlung des Nettonutzens bei Weltraummissionen auch deshalb besonders problematisch, weil die Nutznießer im allgemeinen nicht mit dem Personenkreis identisch sind, der von möglichen Auswirkungen der Mission betroffen ist. Nur ein internationales Gremium kann daher die Nutzung nuklearbetriebener Satelliten im Einzelfall rechtfertigen. Sofern eine planmäßige Rückkehr des Satelliten zur Erde vorgesehen ist, sollte die Mission auf jeden Fall so geplant werden, daß etwa verbleibende Risiken nur das Land treffen können, das die Mission durchgeführt hat. (b) Alle Strahlenexpositionen müssen so niedrig gehalten werden, wie es unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialer Faktoren vernünftigerweise erreichbar ist (Prinzip der Optimierung).

Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten 5 Ist die Nutzung eines nuklearbetriebenen Satelliten im Einzelfall gerechtfertigt, ist die Auslegung des Systems zu optimieren. Hier ist zu unterscheiden zwischen dem Schutz, der an der Quelle möglich ist, wie mechanisch und thermisch sichere Kapselung der nuklearen Aggregate, und der Festlegung der Höhe des Parkorbits nach Ende des Mission, um mit dem Ziel des unmittelbaren Schutzes des Menschen ein möglichst weitgehendes Abklingen der Aktivität zu gewährleisten und damit den Menschen unmittelbar zu schützen. Bei Anwendungen, die mit weitreichenden oder sogar globalen Schadenspotentialen verbunden sind, muß besonderer Wert auf die Art und Wirksamkeit der Sicherheitsanforderungen gelegt werden. (c) Die Äquivalentdosis von Einzelpersonen darf die von der Kommission für die jeweiligen Umstände empfohlenen Grenzwerte nicht überschreiten (Prinzip der Dosisbegrenzung). Das letztgenannte Prinzip der Dosisbegrenzung hat die ICRP in ihrem Statement von 1985 in Ergänzung der Veröffentlichung Nr. 26 weiter konkretisiert. Sie fordert, daß die Strahlenexposition grundsätzlich so begrenzt werden sollte, daß für Mitglieder der kritischen Bevölkerungsgruppe insgesamt durch alle Quellen der Strahlenexposition (außer der natürlichen und der medizinischen) eine Jahresdosis von 1 msv nicht überschritten wird. Das heißt, daß die aus der Satellitennutzung resultierende Dosis nur Bruchteile eines msv betragen darf. Soweit sich die mögliche Exposition nicht auf eine relativ kleine Personengruppe, sondern auf größere Bevölkerungsgruppen bezieht, müssen die Kriterien noch weit strenger gefaßt werden. In Ergänzung hierzu sei darauf verwiesen, daß von der IAEA für Praktiken, die unter dem Aspekt des Strahlenschutzes unter Beachtung der Strahlenschutzprinzipien ggf. vernachlässigbar sind, ein Wertepaar von 10 µsv pro Individuum und 1 mansv für das Kollektiv angegeben wird (IAEA Safety Guides Nr. 89, Principles for the Exemption of Radiation Sources and Practices from Regulatory Control). 2.2 Nicht bestimmungsgemäßer Betrieb Bei einer Situation, die sich aus einem unplanmäßigen Ablauf der Mission ergibt, ist obiges Dosisbegrenzungssystem nicht anwendbar. Für die Planung von Strahlenschutzmaßnahmen in Situationen, bei denen die Strahlenquelle nicht unter Kontrolle steht, empfiehlt die ICRP in ihrer Publikation Nr. 40 folgende Grundsätze: (a) (b) (c) Vermeidung nichtstochastischer Effekte durch Begrenzung der Personendosis unterhalb von Schwellenwerten; Begrenzung des Risikos stochastischer Effekte unter Abwägung des strahlenbedingten Gesundheitsrisikos gegen das aus der Maßnahme resultierende gesundheitliche Risiko; Verringerung der kollektiven Äquivalentdosis soweit wie vernünftig durchführbar, d.h. unter Optimierung der Kosten für den strahlenbedingten gesundheitlichen Schaden der betroffenen Bevölkerung und der Kosten für weitere Gegenmaßnahmen.

Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten 6 Als Dosisbereich für die Begrenzung des Individualrisikos wird von der ICRP in der Publikation 40 ein Bereich von 5 bis 50 msv für das Verwerfen von kontaminierten Nahrungsmitteln bzw. 50 bis 500 msv für die Maßnahme Evakuierung bzw. Umsiedlung vorgeschlagen. Bei häufiger auftretenden unplanmäßigen Missionsabläufen können jedoch nur Bruchteile dieser Dosen zugelassen werden. 3 Abschätzung möglicher Strahlenexpositionen Im folgenden soll eine grobe Abschätzung der möglichen Strahlenexpositionen gegeben werden, wobei die mögliche Individualdosis als auch die Kollektivdosis abgeschätzt werden sollen. Diese Schätzungen sind mit großen Unsicherheiten behaftet und können nur zur Angabe von Größenordnungen führen. Allerdings kann bei diesen Überlegungen auf die Erfahrungen aus den folgenden beiden Ereignissen zurückgegriffen werden: 1978 stürzte der Satellit KOSMOS 954 mit einem Kernreaktor an Bord über Kanada ab. 1964 verglühte der Satellit SNAP-9A mit einer Radionuklidbatterie an Bord. 3.1 Nutzung von Kernreaktoren Im Normalfall ist geplant, daß der Satellit nach Ende seiner Mission in eine Parkbahn in etwa 800 km Höhe geschossen wird und von dort nach ca. 300 Jahren zur Erde zurückkehrt. Beim Satellit KOSMOS 954 mißlang dieses Anheben. Dies hatte zur Folge, daß der Satellit unmittelbar nach dem Ablauf seiner Mission zur Erde zurückkehrte und sich beim Eintritt in die Atmosphäre in mehr oder weniger große Partikel zerlegte. Dadurch kam es 1978 zu einer großflächigen Kontamination in Kanada. Die Erfahrungen aus diesem Ereignis lassen sich wie folgt skizzieren: Die schweren Bruchstücke (ca. 100 mit max. 20 kg) wurden über eine Länge von einigen hundert Kilometern und eine Breite von einigen Kilometern entlang der ursprünglichen Flugrichtung verteilt. Bei kleineren Massen machte sich zunehmend die Abdrift durch Winde bemerkbar. Die partikelförmigen Überreste von KOSMOS 954 (0,1-1 mm Durchmesser, ca. 250 pro km 2 ) waren bis zu einigen hundert Kilometern von der Aufschlagspur der schweren Teile verfrachtet worden. Eine nennenswerte Strahlenexposition durch äußere Gamma- und Betastrahlung von abgelagerten Bruchstücken oder Teilchen ist zu erwarten bei Personen, die sich unmittelbar nach Absturz längere Zeit in deren Nähe aufhalten, sowie bei direktem Körperkontakt mit den Teilchen. Bezüglich der seinerzeit in Kanada geborgenen Teilchen wurde abgeschätzt, daß dort etwa 250 Teilchen pro Quadratkilometer niedergegangen sind, die zu solch nennenswerten Strahlenexpositionen führen konnten. Als Gamma-Ortsdosisleistungen für Partikel aus Reaktorbrennstoff einschließlich der nichtflüchtigen Spaltprodukte in 1 m Abstand wurden folgende Werte abgeschätzt:

Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten 7 Partikeldurchmesser 1 mm: Partikeldurchmesser 0,1 mm: 0,5 msv/h 0,5 µsv/h Diese Werte gelten unmittelbar nach Abschaltung des Reaktors. Die Gamma-Ortsdosisleistungen an größeren Bruchstücken können entsprechend zu denjenigen, die in Kanada ca. 2 Monate nach dem Absturz von KOSMOS 954 gefunden wurden, Werte zwischen 0,1 und 2 msv/h in 1 m Abstand aufweisen. Obwohl die letztgenannten Dosisleistungswerte bei einem vergleichbaren Ablauf nur in wenigen Fällen zu erwarten sind, muß doch darauf hingewiesen werden, daß es bei einem Absturz auf ein dicht besiedeltes Gebiet wegen der großen möglicherweise betroffenen Fläche und der hohen Anzahl kleiner Partikel zu einer sehr großen Zahl von Betroffenen mit jeweils niedriger Strahlenexposition kommen kann. Kehrt der Satellit auslegungsgemäß erst nach 300 Jahren zur Erde zurück, so kann man davon ausgehen, daß, bedingt durch den radioaktiven Zerfall, die Ortsdosisleistungen auf etwa 0,1 % der obigen Werte absinken werden. Bei der Beurteilung der absoluten Zahlenwerte muß beachtet werden, daß es sich hierbei um einen 50 kw-reaktor handelte. 3.2 Nutzung von Radionuklidbatterien Bei planmäßig verlaufenden interstellaren Missionen ist mit keiner Strahlenexposition der Bevölkerung zu rechnen. Erdnah geparkte Satelliten werden nach langen Zeiträumen (ca. 1000 Jahre) zur Erde zurückkehren. Bei einem Verglühen wären die Folgen dann wesentlich geringer als die Auswirkungen, die durch das Verglühen von SNAP-9A verursacht wurden. Bei einer Fehlfunktion beim Start kann es zu einer mehr oder weniger kleinräumigen hohen Kontamination kommen, wenn die Kapselung der Radionuklidbatterie versagt. Erreicht der Satellit nicht die Parkbahn und kehrt vorzeitig zur Erde zurück, so ergeben sich bei Versagen der Kapselung mit SNAP-9A vergleichbare Auswirkungen. Diese Auswirkungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Durch das Verglühen der Radionuklidbatterie von SNAP-9A wurden ca. 6 10 14 Bq Pu-238 in die Atmosphäre verbracht. Zum Vergleich: Nach UNSCEAR gelangten durch die oberirdischen Atombombenversuche insgesamt 3,3 10 14 Bq Pu-238 in die Atmosphäre, was nach UNSCEAR zu einer effektiven Individualdosis von ca. 2 µsv führte. Für eine Radionuklidbatterie von der Größenordnung SNAP-9A lassen sich hieraus effektive Dosen von 4 µsv abschätzen. Bei der Bewertung dieser Zahlen muß berücksichtigt werden, daß heute z.t. wesentlich größere Radionuklidbatterien eingesetzt werden (die Radionuklidbatterie des schon erwähnten Forschungssatelliten Galileo hat eine um ca. 16fach höhere Aktivität). Im übrigen ergeben sich wegen der sehr homogenen Verteilung hohe Kollektivdosen (im Fall von SNAP-9A liegt sie in der Größenordnung von 2 10 4 mansv, wenn man von einer Weltbevölkerung von 5 10 9 Personen ausgeht).

Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten 8 4 Schlußfolgerungen und Empfehlungen Die Strahlenschutzkommission weist darauf hin, daß nach ihrer Kenntnis der Energiebedarf für die Nutzung von Satelliten zur Wetter- und Umweltbeobachtung, Telekommunikation, militärischen Aufklärung, Grundlagenforschung im allgemeinen nicht so groß ist, daß nuklearbetriebene Energiequellen unbedingt erforderlich sind; es sollten daher soweit wie möglich andere Energieversorgungssysteme verwandt werden. Sollte der Einsatz nuklearer Energiequellen dennoch erforderlich sein, so gibt die SSK nach Betrachtung der möglichen Strahlenexposition in der Folge eines solchen Einsatzes folgende Empfehlungen ab: (1) Höchste Priorität bei der Diskussion um nuklearbetriebene Satelliten muß die Frage der Rechtfertigung des Einsatzes solcher nuklearen Energiequellen haben. Die Rechtfertigung sollte in jedem Einzelfall durch ein internationales Gremium erfolgen. (2) Bei der Auslegung der Systeme sollte zur Begrenzung des Risikos im einzelnen folgendes beachtet werden: (2.1) Kernreaktoren a) Grundsätzlich ist eine thermisch und mechanisch sichere Kapselung zu fordern mit dem Ziel einer sicheren Landung bzw. einer gezielten Rückholung. b) Der Reaktor darf erst nach Erreichen der Operationsbahn in Betrieb genommen werden können. c) Die Subkritikalität muß auch beim Eintauchen in Wasser garantiert sein. d) Es sollte geprüft werden, ob nach Ablauf der Betriebsdauer des Satelliten der Reaktor soweit angehoben werden kann, daß er das Schwerefeld der Erde verläßt. e) Ist dies nicht möglich, sollten zur Erreichung der erforderlichen Zerfallszeiten sowie zur Reduzierung des Kollisionsrisikos möglichst hohe Parkbahnen gewählt werden. f) Für den Fall des Versagens des Anhebens sollte ein Back-up-System zur Verfügung stehen (z.b. Bergung durch Raumfahrzeug).

Strahlenschutzüberlegungen hinsichtlich des Absturzes von nuklearbetriebenen Satelliten 9 (2.2) Radionuklidbatterien a) Es sollte gefordert werden, bei erdnahen Missionen auf den Einsatz von Radionuklidbatterien zu verzichten. b) Wegen des Risikos eines unplanmäßigen Verlaufes sollte auch für interstellare Missionen geprüft werden, ob alternative Energiequellen, eventuell auch Radionuklidbatterien mit weniger radiotoxischen Nukliden, eingesetzt werden können. c) Generell ist auch hier die Verwendung von Kapselungen zu fordern, die bei der Rückkehr zur Erde eine Freisetzung der Radionuklide verhindern. d) Es sind Systeme vorzusehen, die bei Fehlfunktionen während der Mission eine Ortung und Bergung der Radionuklidbatterien ermöglichen. e) Die Möglichkeit, zu gegebener Zeit die bereits jetzt in großen Höhen geparkten Satelliten mit Radionuklidbatterien gezielt zurückzuholen, sollte ins Auge gefaßt werden. (3) Die SSK ist der Auffassung, daß die nuklearen Aggregate so konstruiert werden müssen, daß aus dem bestimmungsgemäßen Ablauf aller geplanter Missionen nur Strahlenexpositionen resultieren, die sich im Bereich von Bruchteilen von 1 msv bewegen. Sie empfiehlt daher, sich am Vorschlag der IAEA zu orientieren, der unter Beachtung der von der IAEA geforderten Randbedingungen zum Strahlenschutz auf eine Tolerierung von 10 µsv pro Individuum und eine Kollektivdosis von 1 mansv hinausläuft. Wegen des Risikos von Strahlenexpositionen infolge unplanmäßiger Abläufe von Missionen fordert die SSK - wegen der großen Zahl der möglicherweise betroffenen Personen - eine Auslegung der Sicherheitssysteme, die sicherstellt, daß auch in diesen Situationen keinesfalls eine Individualdosis von 1 msv überschritten wird und dieses regional eng begrenzt bleibt.