Interview mit Antonia (Nigeria)

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Transkript:

Interview mit Antonia (Nigeria) Antonia wurde 1983 in Nigeria als Neugeborenes von ihren leiblichen Eltern in einem Gebüsch ausgesetzt. Sie überlebte nur, weil sie Gipsy, der Hund eines deutschen Ingenieur-Paares, erschnüffelt hatte. Das deutsche Paar verliebte sich sofort in das Neugeborene und brachte es in das nächst gelegene Krankenhaus. Schnell war dem deutschen Paar klar, dass Antonia in Nigeria keine Überlebenschance haben könnte. Sie holten Antonia als staatenloses Baby nach Hamburg. Die damalige Ausreise nach Deutschland war nur durch eine gefälschte Adoptionsurkunde möglich. Innerhalb eines komplizierten Verfahrens wurde Antonia von dem deutschen Ingenieur-Paar adoptiert - die 28-Jährige besitzt erst seitdem sie 21 Jahre alt ist einen deutschen Pass. Gegenüber ihren leiblichen Eltern hegt Antonia keinen Groll. Zu ihrem Geburtsland hat sie keinen Bezug und war nie wieder dort. 1

Herzlich willkommen! Schön, dass du bei dem Projekt Geschichten des Ein- und Auswanderns dabei bist. Du hast ein Foto mitgebracht magst du beschreiben, was auf dem Foto zu sehen ist? Auf dem Foto ist mein Vater zu sehen, der einen Hund auf dem Schoß hat. Der Hund heißt Gipsy und ist auf dem Foto circa drei Monate alt. Und mit diesem Hund beginnt quasi meine Lebensgeschichte: Dieser Hund hat mich erschnüffelt, weil mich meine richtigen Eltern oder meine richtige Mutter wie auch immer man das so nennen kann ausgesetzt haben. Und dieser Hund hat mich aufgespürt und meine Eltern haben mich dann ins Krankenhaus gebracht. Mein Vater war damals mit meiner Mutter da, um dort ingenieurtechnisch eine Fabrik aufzubauen. In Nigeria? Genau. Das haben die dann auch gemacht und dann kam ich irgendwie dazwischen. Meine Mutter mochte mich von Anfang an so gern, weil ich so ein (lacht) kleines, niedliches Kind war. Sie haben mich dann ins Krankenhaus gebracht. Aber die Krankenhäuser sind da natürlich nicht so, wie man sich das hier vorstellt, dass da alles annehmlich und alles toll ist Irgendwie ist das da alles ein bisschen rückständiger. Ja, da haben sie mich dann jeden Tag besucht und ziemlich schnell hat meine Mutter dann beschlossen, dass sie mich adoptieren oder mitnehmen möchte. Was haben denn deine Eltern also deine Adoptiveltern in dem Fall dir genau erzählt? Kannst du ein bisschen detaillierter beschreiben, wie die Situation für sie selbst war? Eigentlich war es für sie total schnell klar, dass sie mich mitnehmen wollen, aber dass sie das auch in einem gewissen Zeitraum machen müssen, weil das Projekt meines Vaters schon in den nächsten fünf, sechs Monaten abgeschlossen war. Und dann mussten die beiden schon wieder zurück nach Deutschland. Also musste das alles sehr schnell gehen. Und wer so ein Adoptionsverfahren kennt, der weiß, dass es eigentlich mehrere Jahre dauert. Das ist nicht so einfach durchzudrücken. Es war nur dadurch möglich, dass mein Vater dort einige Beziehungen hatte, die unter anderem auch aus diesem Ort gekommen sind, die aber auch in Deutschland waren und die das dann teilweise mit den Behörden dort verhandelt und dadurch dieses Verfahren beschleunigt haben unter anderem dadurch, dass mein Vater und noch jemand anderes in meine offizielle Geburtsurkunde eingesetzt wurde: Es gibt halt zwei Geburtsurkunden eine Offizielle und eigentlich auch eine weitere Offizielle und in der einen Offiziellen sind meine Eltern als meine Eltern eingetragen und in der anderen Offiziellen, die für 2

die Ausreise nötig war, um denen vorzuspielen, dass es ein vorhandenes Elternteil gibt weil das ausfindig zu machen, ging ja nicht. Kannst du ein bisschen genauer schildern, wie das für deine Eltern war, dich nach Deutschland zu bekommen? Das war halt immer das Problem, dass ich bis zu einem gewissen Zeitpunkt eigentlich staatenlos war. Ich hatte zwar schon einen deutschen Pass der war auch anerkannt und alles war in Ordnung aber es war halt, so, dass ich eigentlich immer noch die ganze Zeit die andere Staatsbürgerschaft ablegen musste. Es war alles sehr kompliziert. Deswegen ist das natürlich alles ein bisschen schwierig. Da gibt es ja auch nicht so etwas wie Babyklappen. Ich würde mal nicht sagen, dass es dort an der Tagesordnung ist, aber es kommt einfach vor, dass Kinder ausgesetzt werden oder dass denen andere Sachen widerfahren, weil manche Familien oder Leute da einfach schon zu viele Kinder haben oder super arm sind und sich denken: Okay, wenn ich jetzt noch ein Kind mehr habe, was dann auch noch ein Mädchen ist, das kann vielleicht nicht ganz so viel machen wie meine fünf Jungs dann müssen wir es halt loswerden.. Wie viel zeit verging denn von dem Zeitpunkt, als deine Eltern dich gefunden hatten und dem Zeitpunkt, als sie dann mit dir nach Deutschland eingereist sind? Im Oktober 1983 bin ich in Deutschland gewesen. Die sind ja auch relativ korrupt dort. Ich würde nicht sagen, dass es alle sind, aber ich glaube, dass man dann doch viel mit Geld geregelt hat und einiges noch mit Beziehungen regeln konnte. Hätte mein Vater keine guten Beziehungen unter anderem zu Anwälten gehabt, die auch in Deutschland arbeiten, aber auch von dort kommen, hätte das glaube ich so in dem Maße nicht funktioniert. Und die deutsche Staatsbürgerschaft, die hast du seit wann? Die habe ich, seit ich sechzehn Jahre alt bin. Ich hatte einen bestimmten Pass, der meistens grau ist. Damit konnte ich mich schon frei bewegen. Wenn ich ins Ausland gehen wollte, war das kein Problem. Aber dieser Pass war eben immer nur eine bestimmte Zeit gültig. Also wenn jetzt ein normaler Personalausweis sechs, sieben, acht Jahre gültig ist, dann muss dieser spezielle Pass immer nach einem bis eineinhalb, zwei Jahren erneuert werden. Dieser ganze Papierkram dauerte von meiner Geburt bis ich 21 Jahre alt war. Bis dahin war das dann alles komplett abgeschlossen. 3

Wie war das für das Umfeld? Ich glaube, dass meine Großeltern am Anfang ein bisschen perplex waren. Aber die hatten sich ganz schnell daran gewöhnt. Für meine Oma war ich immer ihr abgöttisches, kleines Schätzilein. Ja, eigentlich haben die sich alle recht schnell daran gewöhnt. Inwiefern haben deine Eltern denn Unterstützung bekommen? Also staatlicherseits oder aus dem Privaten? Ich glaube staatlich hat man für mich auf jeden Fall Kindergeld bekommen, wie bei anderen Kindern auch, aber es gab jetzt keine Kasse oder so, wo man etwas raus bekommen hat. Also ich habe mich da nicht wirklich fremd gefühlt. Von meinen Eltern und deren Freunden oder in meinem Umfeld hat mir auch keiner das Gefühl gegeben, dass ich nicht dazu gehöre oder dass ich anders bin. Ich glaube, ich habe das erst in der Grundschule gemerkt, dass es da Unterschiede gibt. Kannst du dich daran erinnern, wann du angefangen hast, deine Eltern zu fragen, wo du herkommst? Ich brauchte die nicht wirklich fragen, weil meine Eltern alles von Anfang an sehr klar kommuniziert haben also wie das war, wie das passiert ist und wo sie mich her haben und welche Geschichte sich dahinter verbirgt. Das wussten auch alle. Ich glaube, dass ich es deshalb auch nicht wie andere, die auch adoptiert sind, habe: Oh Gott, ich will wissen, wo meine Eltern sind!. Ich meine: Das sind für mich zwei völlig fremde Personen! Auf welche Art und Weise hast du eine Verbindung zu Nigeria? Keine! Eigentlich habe ich keine, außer dass es halt in meinem Pass steht. Warst du denn schon einmal dort? Nein. Hast du Interesse, dort hin zu reisen? 4

Ich habe mit meinem kleinen Bruder verabredet, dass wir das irgendwann mal machen, wenn er mit seinem Studium fertig ist. Also wir wollen dann zu zweit mal angehen, weil er unbedingt hin wollte und ich dachte: Ja, was wollen wir denn da?. Würdest du Nigeria als dein Heimatland bezeichnen? Nein nein. Auf welche Art und Weise kannst du von Deutschland oder Hamburg sagen, dass es dein zu Hause geworden ist? Ja, also ich bin ja hier groß geworden, ich bin hier zur Schule gegangen, eigentlich alle meine Freunde leben hier. Klar bin ich auch um Hamburg herum umgezogen, aber ich habe eigentlich nie woanders gewohnt. Und für mich kam auch gar nichts anderes in Frage! Ich habe mich eigentlich mein Leben lang hier zu Hause und immer angekommen gefühlt. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich nicht richtig angekommen bin. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Faktor ist. Du hattest vorhin erwähnt, dass du in der Grundschule dann doch gemerkt hast, dass du keine blonden Haare hast und dass es doch Unterschiede gibt. (Lacht). Ja, das war ein bisschen deprimierend! Kannst du genau beschreiben, was du da genau meintest? Ich habe immer Bilder mit meiner Familie drauf gemalt. Ich habe mich da immer mit blonden Haaren gemalt, bis mein Vater dann zu mir meinte: Ja, du bist überhaupt nicht blond! (lacht). Und dann war ich halt total perplex und dachte mir: Hä, wie, was?. Ich glaube, dass man als Kind nicht dieses Gespür dafür hat, dass irgendetwas anders ist. Als Kind ist man halt einfach Kind. Dann sehen alle Kinder aus wie Kinder. Sie sehen alle gleich aus und du fühlst dich nicht anders als andere Kinder. Ich habe das dann halt auch anders wahrgenommen. Als ich dann älter wurde, hat man auch mal Leute aus Ghana oder so getroffen, die sich natürlich mehr mit einem identifiziert haben als ich mit ihnen. Es war dann schon so ein bisschen: Äh, ja, okay! Die haben mich dann gleich vollgetextet (lacht). 5

...Auf einer anderen Sprache? Ja. Und ich habe es nicht verstanden. Da ist mir schon deutlich geworden, dass die aufgrund meiner Hautfarbe und aufgrund meines Aussehens denken, dass ich Französisch kann. Das kann ich aber auch nicht. Hast du aufgrund deiner Hautfarbe auch schlechte Erfahrungen gemacht? Ja. Ich kann mich nur an eine Sache erinnern, die mir mein Vater erzählt hat. Wir waren irgendwann einmal in der Stadt, da war ich noch ganz klein, ich glaube vier Jahre oder so. Da hatte ich noch so einen kleinen Afro und meine Mutter hatte mir immer so kleine Haarspängchen und so einen ganzen Tüddelkram rein gemacht. Dann kam da eine Frau an und hat ungefragt in meinen Haaren rumgewühlt. Und das ist meinem Vater so auf den Geist gegangen (lacht), dass er sich heute noch darüber aufregt: Dass das nicht angehe! Und dann meinte er, er habe sie sich gleich geschnappt und in ihren Haaren rumgewühlt und gefragt, ob sie das denn gut finden würde und dass das jawohl gar nicht gehen würde. Ja, daran kann ich mich selber nicht erinnern. Und dann gibt es ab und zu auch so Sachen Ich komme aus einem relativ kleinen Ort. Da gibt es vielleicht sechs Apotheken. Und da wollte ich irgendwann einmal bei einer Apotheke etwas kaufen und habe den Produktnamen genannt. Und dann meinte die Frau: Ja, sie können aber gut Deutsch!. Dann meinte ich: Ja, ich habe auch Abitur!. Das sind halt immer so kleine Sachen, wo ich mir echt denke: Leute, das könnt ihr euch echt sparen! Da bedarf es überhaupt keinen Kommentars und darauf würde ich als Person nicht einmal kommen!. Aber wirklich attackiert wurde ich eigentlich noch nie. Weil ich immer ein sehr gefestigtes Umfeld hatte. Ich glaube dass es viel schwieriger für jemanden ist, der hier vielleicht keine Familie, nur wenig Familie oder nur seine Familie hat, mit Anfeindungen von außen umzugehen. Aber ich hatte ja immer mein Umfeld hier. Wenn mich irgendwer verletzt hatte oder ich im Bus einen doofen Spruch gehört hatte, dann ging das eben rein und hat mich in dem Moment auch verletzt. Aber wenn ich dann nach Hause gekommen bin und zu meiner Mama gesagt habe: (Weinerlich) Ja, die haben das und das gesagt und das ist irgendwie doof!, dann hat sie sich immer zu mir hingesetzt und gesagt: Ja, es gibt Menschen, die so etwas sagen und es gibt auch Leute, die so etwas nicht sagen. Du kennst ganz viele nette Menschen, die so etwas nicht sagen und das ist viel wichtiger. Wenn das heute passiert, dann nöle ich natürlich sofort rum oder (lacht) lass irgendwie sofort etwas verlauten, dass das so natürlich nicht geht. Und dann sind die meisten natürlich auch gleich so: Ööh?. Ich denke nicht, dass ich im Job dadurch Probleme hatte, dass ich jetzt woanders herkomme. Ich denke schon, dass da meine Leistung zählt. Man kommt halt daher, wo man her kommt und das ist ja auch gut so. Ich glaube, dass das kein Nachteil ist. Auch wenn man einen schweren Start hatte. Ich meine: Ich kann froh sein, dass meine Eltern das alles mit mir gemacht haben 6

und mir dadurch den besten Staat der Welt ermöglichen konnten oder ermöglicht haben! Ich glaube aber auch, dass man trotzdem etwas daraus machen kann, dass es nicht alles davon abhängt, wo man her kommt. Oder: Wenn man ein bisschen arbeitet und kämpft und sich auch integrieren will, dass man das dann auch hin kriegt. Mir wurde es jetzt nicht schwer gemacht, mich zu integrieren, weil ich von Anfang an da war. Aber ich glaube, dass es für jemanden, der noch nicht so lange wie ich in Deutschland ist, deutlich schwieriger ist. Aber wenn man etwas möchte, dann kriegt man das auch hin. Es gibt ja auch ganz viele andere Leute, die das auch tagtäglich so leben und es auch schaffen. Wenn du an deine Reise nach Nigeria denkst Was glaubst du, inwiefern dich die Reise beeinflussen könnte? Ich glaube, dass sie interessant wird. Aber ich glaube nicht, dass sie mich in den grundlegendsten Dingen, wie mein Leben ist, beeinflussen wird. Wenn ich unzufriedener wäre, dann würde ich mir von dieser Reise vielleicht etwas versprechen. Aber ich verspreche mir nichts von dieser Reise. Ich würde mir höchstens wünschen, ein wenig Begeisterung mit nach Hause zu bringen. Du hast vorhin gesagt, dass du gar nicht weißt, wer deine leiblichen Eltern sind und dass du darüber auch nicht groß nachdenkst. Hegst du gar keinen Groll? Wie denkst du darüber nach Du bist gerade frisch geboren und du warst offensichtlich eine ganz Süße siehst du das im Kontext der Situation des Landes? Du sagtest vorhin zum Beispiel, dass es keine Babyklappe gegeben habe. Ich glaube, dass es einfach mega schwierig ist, dort mit mehreren Kindern zu leben. So oder so: Hätte unser Hund mich nicht gefunden, dann könnte ich keinen Groll hegen, weil sich dann die ganze Sache erledigt hätte, wenn ich es einfach mal so sagen kann. Dann hätte ich gar nicht großartig darüber nachdenken können, was hätte anders laufen können. So muss ich sagen: Egal wer irgendwer wollte, dass ich dieses Glück habe und dass ich bis hier meinen Weg gehen kann! Und deshalb hege ich gar keinen Groll. Ich bin nicht besonders gläubig, aber für mich ist ja alles mehr als gut gegangen, ich kann es ja nicht anders sagen! Mir ist nichts passiert. Mir geht es total gut, ich stehe hier auf meine eigenen Beinen, ich kann alles machen, was ich möchte. Ich kann natürlich nicht sagen, was sich jetzt wirklich dahinter verbirgt, aber ich glaube: Ganz egal, wie ich mir das zurecht denke ich glaube, dass es immer schwierig ist, ein Kind irgendwo hinzutun, wegzugeben oder es zu verlassen. Wahrscheinlich oder vielleicht werden sich meine leiblichen Eltern viel mehr Gedanken darüber machen, was aus mir geworden ist, als ich über sie. Im Grunde geht es mir ja total gut. Im Prinzip geht es mir wahrscheinlich besser als wenn sie mich behalten hätten. Ich kann meinen Adoptiveltern dankbar sein, dass sie mich mitgenommen haben und ich kann unserem Hund dankbar sein, dass er 7

mich erschnüffelt hat. Ich kann egal, wie das alles jetzt gelaufen ist dafür dankbar sein, dass ich hier bin! Also es ist jetzt nicht so, dass ich mich da gräme. 8