Morphologie lebendiger Gewässer

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Transkript:

Oberhausen, 13.04.2016 Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf, Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft, RWTH Aachen University Die Internetversion des Vortrags wurde gegenüber dem tatsächlichen Vortrag gekürzt! 1

Begriffsdefinitionen Morphologie von altgriechsch: morphé Gestalt, Form ; lógos = Wort, Lehre, Vernunft Hydromorphologie von altgriechisch: ὕδωρ, hydōr = Wasser; μορφή, morphé = Gestalt / Form und λόγος, lógos = Wort, Lehre, Vernunft Morphodynamik von altgriechisch morphé = Gestalt / Form; δύναμις, dýnamis = Kraft 2

Begriffsdefinitionen Nach EU-WRRL werden folgenden Qualitätskomponenten für die Betrachtung der Hydromorphologie verwendet: Wasserhaushalt (Abfluss und Abflussdynamik, Verbindung zu Grundwasserkörpern) Durchgängigkeit des Flusses Morphologische Bedingungen (Tiefen- u. Breitenvariation, Struktur u. Substrat des Flussbettes, Struktur der Uferzone) 3

Die 10. Missverständnisse der Morphodynamik 1.) Natürliche Gewässer befinden sich in einem Gleichgewichtszustand 2.) Erosion und Sedimentation haben immer anthropogene Ursachen 3.) Natürliche Gewässer sind komplett durchgängig für Sedimente 4.) In natürlichen Gewässern werden keine Feinsedimente transportiert 5.) Kolmation findet in natürlichen Gewässern nicht statt 6.) Eine Rückkehr zum natürlichen Ausgangszustand ist möglich 7.) Die Wiederherstellung der Durchgängigkeit ermöglicht eine natürl. Morphodynamik 8.) Maßnahmen an Querbauwerken reichen für die Sedimentdurchgängigkeit aus 9.) Maßnahmen am Gewässer sind lokal begrenzt 10.) Zur Beschreibung der Morphodynamik / Morphologie reichen Indikatoren aus 4

Abiotik versus Biotik? 5 Foto: Schüttrumpf, 2015

Morphologie von Gewässern 6 Foto: Frings, 2010

Morphologie von Gewässern 7 Foto: Schüttrumpf, 2012

Morphologie von Gewässern 8 Foto: Schüttrumpf, 2012

Morphologie von Gewässern 9 Foto: Schüttrumpf, 2012

Morphologie von Gewässern 10 Foto: Schüttrumpf, 2011

Morphologie von Gewässern 11 Foto: Schüttrumpf, 2016

Verminderte Morphodynamik durch Stauseen Lalla Tasserkout, Marokko 12 Foto: Schüttrumpf, 2013

Verminderte Morphodynamik durch Stauseen 13 Sedimentation von Stauseen hat Folgen für : 1.) den Hochwasserschutz 2.) das Stauvolumen 3.) die Trinkwasserversorgung 4.) die Bewässerung 5.) die Wasserkrafterzeugung 6.) Biodiversität, -produktivität und Ökosysteme 7.) Hydrologie und Gewässerhydraulik 8.) Gewässergüte und Gewässerstruktur 9.) Flussmorphologie und morphodynamik 10.) Flusserosion und Küstenerosion 11.) Sozio-ökonomische Faktoren World Bank: Last century was used to build reservoirs. This one will be used to solve sediment problems.

Verminderte Morphodynamik durch Stauseen Sedimentation rate (%/year) 14 Quelle: ICOLD, 2009

Verminderte Morphodynamik durch Stauseen Sedimentdefizit: 20 Mio. t/jahr 15 Quelle: Walling, 2015 http://www.iww.rwth-aachen.de/download/pdf/symposium/proceeding/iwasa2015/iwasa2015_tagungsbeitrag_walling.pdf

Verminderte Morphodynamik durch Stauseen Sedimentdefizit: 0,15 Gt/Jahr 16 Quelle: Walling, 2015 http://www.iww.rwth-aachen.de/download/pdf/symposium/proceeding/iwasa2015/iwasa2015_tagungsbeitrag_walling.pdf

Verminderte Morphodynamik durch Stauseen Sedimenttransport: ca. 20% 17 Quelle: Walling, 2015 http://www.iww.rwth-aachen.de/download/pdf/symposium/proceeding/iwasa2015/iwasa2015_tagungsbeitrag_walling.pdf

Erhöhte Morphodynamik Zunahme Sedimenttransport: 150% Ursache: Goldabbau 18 Quelle: Walling, 2015 http://www.iww.rwth-aachen.de/download/pdf/symposium/proceeding/iwasa2015/iwasa2015_tagungsbeitrag_walling.pdf

Globales Sedimentbudget Anthropogene Einflüsse auf Sedimentfrachten Talsperrenbau Sandabbau Landwirtschaft Forstwirtschaft Landnutzung Klimawandel (?) Globales Sedimentbudget Große Unsicherheiten! 19 Quelle: Walling, 2015 http://www.iww.rwth-aachen.de/download/pdf/symposium/proceeding/iwasa2015/iwasa2015_tagungsbeitrag_walling.pdf

Forschung Shields ca. 1936 (1908-1974) 20 Preussische Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau, 1936

Forschung Hans Albert Einstein 1904-1973 Wichtigstes Werk: The Bed-Load Function for Sediment Transportation in Open Channel Flows Professor of Hydraulic Engineering California Institute of Technology 21 Foto: Frings, 2010

Forschung Forschungsfragen Wie verändern anthropogene Maßnahmen die Sedimentdynamik? Was sind natürliche Gewässer? Welche Maßnahmen sind nachhaltig? 22

From Source to Mouth Unbekannt: Menschlicher Einfluss auf Kies- und Sandtransport im Flusseinzugsgebiet Notwendigkeit z.b. für Gewässerunterhaltung, Gewässerökologie 23

From Source to Mouth Dem Sediment auf den Grund gehen! Untersuchungen zur Sohlstruktur auf der Sohle des Rheins 24 Foto: Frings, 2010

From Source to Mouth Kies Sand 25 Rhein Quelle: IWW, 2015 Rhein-km 690: Köln Rhein-km 743: Düsseldorf Rhein-km 865: Grenze D-NL

From Source to Mouth 26 Quelle: IWW, 2015

From Source to Mouth 27 Quelle: IWW, 2015

From Source to Mouth Sedimentsenke: Bodensee Volumen: 50 Mrd. m³ Sedimentfracht: 3 Mio. m³ 28 Hinweis: In 20.000 Jahren ist die Sedimentdurchgängigkeit wiederhergestellt! Quelle: IWW, 2015

From Source to Mouth 29 Starker anthropogener Einfluss auf Sedimenttransport Sedimente fehlen unterstrom Sedimentdurchgängigkeit wird ein wichtiges Thema der Zukunft sein Quelle: IWW, 2015

Gewässerstrukturgüte 30

Dynamische Prozesse Meteorologie Hydrologie 31 Komplexe Wechselwirkungen Abflussdynamik, Strömungsdynamik Sedimentdynamik (Im- und Export Sedimente) Morphodynamik (Im- und Export Sedimente)

32 Die 10. Regeln der Morphodynamik 1.) Gewässer sind dynamische Systeme. (Statische Indikatoren sind ungeeignet zur Bewertung der Morphodynamik eines Gewässers) 2.) Morphodynamisch aktive Gewässer sind räumlich und zeitlich variabel! 3.) Eine reduzierte Abflussdynamik reduziert die Sediment- und Morphodynamik 4.) Erosion und Sedimentation sind Bestandteil jeder morphodynamischen Entwicklung 5.) Unterschiedliche Korngrößen sind Bestandteil jedes Gewässers. 6.) Feinsedimente können sich bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten nicht ablagern. 7.) Maßnahmen am Gewässer beeinflussen das gesamte Gewässersystem (Integrale Gewässerbetrachtungen sind notwendig!). 8.) Building with Nature und nicht Building against Nature 9.) Daten, Daten, Daten!!! 10.) Hydronumerische Modellverfahren sind notwendig, um die Entwicklung eines Gewässers zu beschreiben. Viel Forschungsbedarf!

Oberhausen, 08.04.2016 dynamik Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf, Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft, RWTH Aachen University 33

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 34