Evaluation der Bürgerentscheide und Bürgerbegehren im Jahr 2016 in Baden-Württemberg

Ähnliche Dokumente
LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN Drucksache 6/ Wahlperiode

Positionspapier zur Reform von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bremerhaven

Öffentliche Anhörung Ausschussvorlage INA/18/18 Teil 2 Stand: Mehr Demokratie e. V S. 60

Bürgerbeteiligung vor Ort gemeinsam gestalten!

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Grundlagen Risiken und Nebenwirkungen

15 Jahre Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Niedersachsen

zur direkten Demokratie in Bayern

Der Innen- und Rechtsausschuss möge die Annahme des Gesetzentwurfs unter Berücksichtigung der folgenden Änderungen empfehlen:

zur direkten Demokratie in Bayern

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Grundlagen Risiken und Nebenwirkungen

DIREKTE DEMOKRATIE IN DEN GEMEINDEN

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

12. Wahlperiode Möglichkeiten zur Bürgermeisterabwahl in den neuen Bundesländern

BÜRGERBEGEHREN und BÜRGERENTSCHEID

Gesetz zur Erleichterung der Bürgerbeteiligung auf Gemeindeebene und zur Änderung kommunalrechtlicher Rechtsvorschriften

Institutionen direkter Demokratie in den Gemeinden Deutschlands und der Schweiz

Beratungsvorlage für die öffentliche GR-Sitzung am 22. September Sind Sie gegen die Aufstellung eines Bebauungsplanes für die Käppelematten?

Gesetzentwurf der Volksinitiative mehr Demokratie in Schleswig-Holsteins Gemeinden und Kreisen

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern

Kurz-Übersicht: Wie funktioniert ein Bürgerbegehren?

Digitales Archiv Mehr Demokratie e.v. paper 29

Kommunalwahlquiz Zu P&U aktuell 17 Kommunalwahlen in Baden- Württemberg

Synopse der vorgeschlagenen Änderungen des 16g der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein

Kurz-Übersicht: Wie funktioniert ein Bürgerbegehren?

VOLKSBEGEHREN UND VOLKSENTSCHEIDE IM JAHR 2010 AUF LANDESEBENE. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Schleswig-Holstein

Direkte Demokratie in Thüringer Kommunen Ein Bürgerbegehrens-Bericht mit Reformvorschlägen

Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (Landtagsdrucksache 15/7178)

Wie funktioniert ein Bürgerbegehren?

Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie

Fünf-Jahresbericht. bayerischer Bürgerbegehren und Bürgerentscheide

L a n d e s g e s e t z über die Einrichtung von kommunalen Beiräten für Migration und Integration Vom 26. November 2008 GVBl. S. 294.

Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften beschlossen

DIREKTE DEMOKRATIE IN DEN BUNDESLÄNDERN

Sachverhalt: In seiner öffentlichen Sitzung vom fasste der Gemeinderat unter TOP 5 einstimmig folgenden Beschluss:

Gesetz zur Erleichterung der Bürgerbeteiligung auf Gemeindeebene und zur Änderung kommunalrechtlicher Rechtsvorschriften

Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 14 /

"Mehr Demokratie wagen"

17. Wahlperiode Drucksache 17/1363

Für faire Bürger- und Volksentscheide in Brandenburg

Dies gilt auch für das Verhältnis Landtag Regierung bzw. Volksabstimmung Regierung.

Direkte Demokratie im parlamentarischen System

Bürgerentscheide ohne Bürgerresonanz Zur geringen Akzeptanz direktdemokratischer Verfahren in den Kommunen

Bürger können Planung stoppen

Weiterentwicklung der direkten Demokratie in Hessens Kommunen. Sieben Reformvorschläge für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide

Bürgerversammlung - Bürgerbegehren Bürgerentscheid

IQB-BILDUNGSTREND 2015 HAMBURG IM LÄNDERVERGLEICH

LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 14. Wahlperiode. Gesetzentwurf. Drucksache 14/3080. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bürgerbegehren in Rheinland-Pfalz

RUBRIK. bürgerbegehren. bericht 2016

Aktuelle Grundgehaltssätze der Besoldungsordnung A im Bund und in den Ländern

SUCHMASCHINE TUNINGEN. Informationen und Bilder aus Tuningen. 11. Jahrgang Schwarzwald-Baar-Kreis

Volksbegehren gegen Privatisierung

Thüringer Landesamt für Statistik

DIREKTE DEMOKRATIE IN DER KOMMUNE Zur Theorie und Empirie von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

Mehr Demokratie e.v Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Bayern Auswertung nach zwei Jahren Praxis

Bürgerentscheid

DEUTSCHES SPORTABZEICHEN

BÜRGERBETEILIGUNG UND KOMMUNALPOLITIK

bürgerbegehren in schleswig-holstein

Gesetzentwurf zur Erleichterung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden

Führerschein mit 17 / Begleitetes Fahren Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Deutschen zwischen 14 und 64 Jahren

volksentscheidsranking 2016

Die kommunale Beteiligung an Windenergieprojekten: Voraussetzungen und Gestaltungsoptionen

Bürgerbegehren, Einwohnerantrag, Einwohnerversammlung?! Bürgerbeteiligung vor Ort gemeinsam gestalten.

GEMEINDE STEINACH Amt: Hauptamt Verz. Nr. Beschlussvorlage der Verwaltung

Satzung der Stadt Chemnitz über die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden

Bürger-Handbuch zur erfolgreichen Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden

SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/ Wahlperiode

Verfügungsfonds im Zentrenprogramm

Stellungnahme zur Reform der Volksgesetzgebung in Schleswig-Holstein

Direkte Demokratie in Thüringer Kommunen. Anforderungen an eine Reform des Regelwerkes für Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

Abkommen über die erweiterte Zuständigkeit der Polizei der Länder bei der Strafverfolgung

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid im Ländervergleich

Die Positionen der Parteien bei der Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg zum Thema Bürgerbeteiligung und direktdemokratische Mitbestimmung

GEMEINDE BENEDIKTBEUERN

Die Kommunalwahlen. 1. Welche Textstelle ergibt, dass in Gemeinden regelmäßig Wahlen stattfinden?

Themenpapier 26 Bürgerbegehren und Bauleitplanung

LANDTAG RHEINLAND-PFALZ 16.Wahlperiode. G e s e t z e n t w u r f. Drucksache 16/5578 neu. der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

RUBRIK. bürgerbegehren. bericht 2014

Abbildung 1: Entwicklung der Wahlbeteiligung bei Europawahlen in Deutschland , ,3. Wahlbeteiligung bei Europawahlen in %

TAUGT DIE DIREKTE DEMOKRATIE! DER SCHWEIZ AlS VORBILD?!

Gewerbliche Unternehmensgründungen nach Bundesländern

Die Unterrepräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik: Ursachen und Handlungsempfehlungen

Gewerbeanmeldungen nach Bundesländern

Lösungs- und Bewertungsbogen für Prüfungsklausuren. 1. Prüfungsklausur Stoffgebiet: Kommunalrecht. Kenn- Nr.: Lösungsschritte

1.493 Spielhallenkonzessionen Spielhallenstandorte Geldspielgeräte in Spielhallen

Der ruhigste Bürgerentscheid aller Zeiten

Gesetzentwurf. 16. Wahlperiode der Fraktion der PIRATEN. Gesetz zur Abschaffung der Quoren bei Bürgerentscheiden

Änderungstarifvertrag Nr. 5 zum Tarifvertrag über die Arbeitsbedingungen der Personenkraftwagenfahrer der Länder (Pkw-Fahrer-TV-L) vom 28.

Stellungnahme. Mehr Demokratie e.v. Greifswalder Str Berlin

Merkblatt Rheinland - Pfalz. Die Durchführung von. Bürgerbegehren und entscheiden. in Rheinland Pfalz. Stand: 09/2010

Liebe Bürgerinnen und Bürger von Neuhofen,

BÜRGERBETEILIGUNG IN DEN KOMMUNEN

Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg

KATA LOGO Politik - Direktdemokratische Verfahren

Leitfaden zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid im Saarland

Entwicklungschancen für und durch direkte Demokratie in den Kommunen Baden-Württembergs

Mehr Demokratie e.v Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Bayern - Auswertung von drei Jahren Erfahrungen

MERKBLATT ZUR DURCHFÜHRUNG VON BÜRGERBEGEHREN UND BÜRGERENTSCHEIDEN IN NIEDERSACHSEN (Stand: )

Spielhallenkonzessionen Spielhallenstandorte Geldspielgeräte in Spielhallen

Transkript:

Evaluation der Bürgerentscheide und Bürgerbegehren im Jahr 2016 in Baden-Württemberg Dr. Edgar Wunder Mehr Demokratie e.v. in Baden-Württemberg

Eingereichte Bürgerbegehren und durchgeführte Bürgerentscheide in Baden- Württemberg 2016

2016 hatten 3,7 % der wahlberechtigten Bevölkerung Baden-Württembergs die Gelegenheit, an einem Bürgerentscheid teilzunehmen. 2016 Im Durchschnitt der Jahre 2006-2015 (=Geltungszeitraum der vor der Reform wirksamen Regelungen) betrug dieser Wert 3,0 %.

Die Beteiligung bei Bürgerentscheiden ist höher als bei Kommunalwahlen Durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung Bürgerentscheide 2016: 51,2 % Durchschnittliche Wahlbeteiligung bei Gemeinderatswahlen in den gleichen Gemeinden: 50,6 % Durchschnittliche Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen in den gleichen Gemeinden: 43,6 %

Bürgermeisterwahlen Bürgerentscheide Landesverband Baden-Württemberg r = - 0,38 r = - 0,59 Gemeinderatswahlen r = - 0,76 Reformbedarf: Angesichts des Zusammenhangs zwischen Beteiligung und Einwohnerzahl ist es angemessen, Abstimmungsquoren (falls diese überhaupt sinnvoll sind) nach der Gemeindegröße zu staffeln (wie z.b. in Bayern, NRW, Schleswig- Holstein, Thüringen).

Beteiligung bei Bürgerentscheiden und Bürgermeisterwahlen im Vergleich Höhere Beteiligung bei Bürgermeisterwahl Höhere Beteiligung Landesverband Baden-Württemberg beim Bürgerentscheid Würde bei Bürgermeisterwahlen das gleiche 20%-Zustimmungsquorum gelten wie bei Bürgerentscheiden, wären z.b. folgende Bürgermeister nicht im Amt: Christoph Traub (Filderstadt): 19,8 % Michael Pfaff (Alpirsbach): 18,9% Hans Jürgen Pütsch (Rastatt): 17,2% Peter Kurz (Mannheim): 14,5 %

Zusammenhang zwischen dem Prozentsatz der beim Bürgerbegehren eingereichten Unterschriften (von allen Stimmberechtigten) und der Abstimmungsbeteiligung beim darauf folgenden Bürgerentscheid

Zusammenhang zwischen dem Prozentsatz der beim Bürgerbegehren eingereichten Unterschriften (von allen Stimmberechtigten) und dem beim darauf folgenden Bürgerentscheid erreichten Zustimmungsquorum

Durchschnittliche Zeit von der Einreichung des Bürgerbegehrens bis zur Zulässigkeitsentscheidung des Gemeinderats Vor der Reform (2013-2016, N=32): Nach der Reform (2016, N=17): 72 Tage 40 Tage Durchschnittliche Zeit von Zulässigkeitsentscheidung des Gemeinderats bis zum Bürgerentscheid Vor der Reform (2013-2016, N=32): Nach der Reform (2016, N=17): 76 Tage 81 Tage

Die 27 Bürgerentscheide im Jahr 2016 kamen zustande durch: Bürgerbegehren: Eigenständiger Beschluss des Gemeinderats (Ratsreferendum): Beschluss des Gemeinderats (Ratsreferendum) nach unzulässigem Bürgerbegehren: 20 Bürgerentscheide 6 Bürgerentscheide 1 Bürgerentscheid Reformbedarf: Das Beispiel Crailsheim zeigt, dass Gemeinderäte oft von sich aus einen Bürgerentscheid mehrheitlich wünschen, dies sich aber aufgrund der hohen Hürde (Zwei-Drittel-Mehrheit aller Gemeinderäte) nicht verwirklichen lässt. Am 20.7.2016 stimmten in Crailsheim 25 Gemeinderäte für einen Bürgerentscheid, 14 dagegen, 2 enthielten sich.

Von 27 Bürgerentscheiden im Jahr 2016 bezogen sich 6 auf den einleitenden Beschluss zu einem Bauleitplanverfahren (davon einer nicht durch Bürgerbegehren, sondern durch eigenständigen Gemeinderatsbeschluss eingeleitet). Diese 6 Bürgerentscheide wären vor der Gemeindeordnungsreform nicht zulässig gewesen. Die Zahl der verbleibenden 21 Bürgerentscheide liegt in der Größenordnung des Vorjahres (2015: 17 Bürgerentscheide). Unter dem Aspekt der Wirksamkeit der Reform können von diesen 21 allerdings nur 15 berücksichtigt werden, weil davon 6 bereits vor dem 1.12.2015 von den Gemeinderäten beschlossen oder zugelassen wurden, also unter den Zulassungsbedingungen vor Inkrafttreten der Reform. Nur die Öffnung für einleitende Beschlüsse zu Bauleitplanverfahren hat die Zahl der Bürgerentscheide im Jahr 2016 etwas erhöht. Andere Reformelemente hatten auf die Zahl der Bürgerentscheide keinen maßgeblichen Effekt.

Die 27 Bürgerentscheide im Jahr 2016 erreichten folgende Zustimmungsquorum: > 25 % (= Quorumshöhe vor der Reform): 19 Bürgerentscheide 20-25 % (= Senkung des Quorums durch die Reform): 5 Bürgerentscheide > 20 % (= heutige Höhe des Quorums): 3 Bürgerentscheide Die Reform hat die Quote der gültigen Bürgerentscheide verbessert (von 73% auf 89%). Von den drei am Quorum gescheiterten Bürgerentscheiden hätten zwei das Quorum erreicht, wenn die in Schleswig-Holstein geltenden Regelungen auch in Baden-Württemberg gelten würden.

Wer hat die gültigen Bürgerentscheide gewonnen? Gemeinderats-Mehrheit: 7 Bürgerentscheide (= 29 %) Bürgerbegehrens-Initiative: 13 Bürgerentscheide (= 54 %) Keine klare Pro/Kontra- Positionierung im Vorfeld: 4 Bürgerentscheide (=17 %)

Themen der Bürgerentscheide Besondere öffentliche Einrichtungen: Abschaffung der Unechten Teilortswahl: Bebauung von Freiflächen: Verkehrs-Projekte: Standorte von Energiewende-Projekte: Kommunale Schulpolitik: Standorte von Flüchtlingsunterkünften: Positionierung der Gemeinde gegenüber Dritten als eigentliche Entscheidungsträger: 7 Fälle 4 Fälle 4 Fälle 4 Fälle 2 Fälle 2 Fälle 2 Fälle 2 Fälle

Von den 44 eingereichten Bürgerbegehren im Jahr 2016 wurden 4 in der Sache vom Gemeinderat übernommen, führten 24 zu einem Bürgerentscheid, wurden 14 für unzulässig erklärt, wurde 1 als unzulässig erklärt, dann aber ein Ratsreferendum zum gleichen Thema durchgeführt, Die Unzulässigkeitsquote von 34 % hat sich gegenüber den Vorjahren kaum verändert. In Bayern beträgt die langjährige Unzulässigkeitsquote aufgrund der dortigen wesentlich bürgerfreundlicheren Regelungen lediglich 15%.

Unzulässigkeitsgründe von Bürgerbegehren im Jahr 2016 Begründung unrichtig / irreführend / unvollständig 5 Fälle Reformbedarf: Über die Begründung wird nicht abgestimmt. Sie sollte deshalb nicht zur Unzulässigkeit führen können. Fragestellung mangelhaft / zu unbestimmt 5 Fälle Reformbedarf: Der Gemeinderat sollte in solchen Fällen die Fragestellung für den Bürgerentscheid selbst formulieren können, statt alles insgesamt für unzulässig zu erklären. Nicht vollziehbar / gesetzeswidrig 4 Fälle Reformbedarf: Am Fall Häusern wird deutlich, dass auch hier Reformbedarf besteht, wenn diese Unzulässigkeit erst durch das Handeln der Gemeindeverwaltung während des laufenden Bürgerbegehrens entsteht.

Unzulässigkeitsgründe von Bürgerbegehren im Jahr 2016 Einreichungsfrist schon seit längerer Zeit verstrichen 3 Fälle Reformbedarf: Durchläuft ein Projekt mehrere Planungsphasen, in denen sich das Projekt immer weiter konkretisiert, ist die gegenwärtige Fristenregelung problematisch. Sinnvoller wäre eine allgemeine Sammelfrist nach dem Beispiel von Schleswig-Holstein, unabhängig von Gemeinderatsbeschlüssen. Kostendeckungsvorschlag mangelhaft / fehlend 4 Fälle Reformbedarf: Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben das formale Erfordernis eines Kostendeckungsvorschlags beim Bürgerbegehren im zurückliegenden Jahr abgeschafft. Sinnvoller wäre es wie in Rheinland-Pfalz eine Kostenschätzung für die Informationsbroschüre zum Bürgerentscheid zu fordern.

Unzulässigkeitsgründe von Bürgerbegehren im Jahr 2016 Bauleitplanverfahren ist zu weit fortgeschritten 3 Fälle Reformbedarf: Nach dem Vorbild von Bayern wäre eine weitere Öffnung für Bauleitplanungsfragen möglich, ohne die nach dem Baugesetzbuch allein dem Gemeinderat zustehende Abwägungsentscheidung zu tangieren. Unterschriftenzahl nicht ausreichend 3 Fälle Reformbedarf: Der Fall Spaichingen zeigt, dass auch hier noch Reformbedarf besteht. Hier hatte die Gemeindeverwaltung die Bürgerbegehrens-Initiative falsch informiert, welche Unterschriftenzahl notwendig ist. Auf dieser Basis hatte die Initiative im guten Glauben, die notwendige Unterschriftenzahl erreicht zu haben, das Bürgerbegehren eingereicht.

Im Jahr 2016 gelangten 37 Bürgerbegehren zum Verfahrensabschluss (teilweise noch anhängig aus Vorjahren). Letztlich waren davon 54% in der Sache erfolgreich (=20 Fälle): 14 durch gewonnenen Bürgerentscheid, 4 durch freiwillige Übernahme durch den Gemeinderat, 2 durch teilweises Entgegenkommen trotz Unzulässigkeit. In der Sache letztlich nicht erfolgreich waren 46% (=17 Fälle): 7 durch verlorenen Bürgerentscheid, 2 durch unechtes Scheitern beim Bürgerentscheid (Quorum verfehlt) 8 durch Unzulässigkeit.

Folgende Reformelemente haben zu keiner quantitativen Veränderung, aber zu einer qualitativen Verbesserung geführt: Verlängerung der Sammelfrist für Bürgerbegehren auf 3 Monate und Senkung des Unterschriftenquorums auf einheitlich 7%. Die Bürgerinitiativen haben mehr Zeit für eine sorgfältige Vorbereitung und einen Dialog mit der Gemeindeverwaltung. Dies wirkt tendenziell konfliktentschärfend.

Folgende Reformelemente haben zu keiner quantitativen Veränderung, aber zu einer qualitativen Verbesserung geführt: Einführung einer Auskunftspflicht der Gemeindeverwaltung zum Kostendeckungsvorschlag Oft kommen dadurch frühzeitige Kontakte zwischen Bürgerinitiative und Gemeindeverwaltung zustande, die vor der Reform fehlten. Auch dies wirkt tendenziell konfliktentschärfend. Nach wie vor sind viele Bürgerinitiativen allerdings überfordert, einen formal korrekten Kostendeckungsvorschlag zu erbringen, zumal sich die meisten Gemeinden weigern, vorgelegte Entwürfe zu beurteilen. Reformbedarf: Die geltende Regelung reicht nicht aus. Auf Wunsch der Vertrauenspersonen sollte die Gemeindeverwaltung eine Vorprüfung der Zulässigkeit des gesamten Bürgerbegehrens anhand des Entwurfs des Unterschriftenformulars vornehmen, noch bevor eine Unterschriftensammlung beginnt.

Folgende Reformelemente haben zu keiner quantitativen Veränderung, aber zu einer qualitativen Verbesserung geführt: Klare Fristenregelung: 2 Monate von der Einreichung des Bürgerbegehrens bis zum Zulässigkeitsentscheid, 4 Monate vom Zulässigkeitsentscheid bis zum Bürgerentscheid, nur einvernehmlich auch länger. Hat sich sehr positiv auf Transparenz und gegenseitige Vertrauensbildung ausgewirkt, da nun das früher manchmal übliche taktische Verschleppen von Bürgerbegehren nicht mehr möglich ist. Dies stellt einen wesentlichen Beitrag zur Entschärfung von Konflikten dar.

Folgende Reformelemente haben zu keiner quantitativen Veränderung, aber zu einer qualitativen Verbesserung geführt: Informationsbroschüre zum Bürgerentscheid, in dem die Organe der Gemeinde und die Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens gleichberechtigt zu Wort kommen. Auch dies hat sich als wertvoller Beitrag zur Konfliktentschärfung, zur Versachlichung und zur gegenseitigen Vertrauensbildung erwiesen, indem ein faires Miteinander gepflegt und Kontakte zur Vorbereitung und Erstellung der Informationsbroschüre gesucht werden. Fazit: Ob Bürgerentscheide eher befriedend oder eher konfliktverschärfend wirken, hängt wesentlich von der Ausgestaltung der Verfahren ab.

Weiterer Reformbedarf Zur Konfliktentschärfung dienlich wäre auch eine institutionelle Stärkung von Kompromissmöglichkeiten. Dazu sollte dem Gemeinderat die Möglichkeit gegeben werden, bei einem durch Bürgerbegehren ausgelösten Bürgerentscheid auch einen (kompromissorientierten) Alternativvorschlag mit zur Abstimmung zu stellen. Bürgerbegehren, Bürgerentscheide und Einwohneranträge sollten auch auf der Ebene der Landkreise (für den Kompetenzbereich der Kreistage) ermöglicht werden, wie dies in fast allen anderen Bundesländern längst geschehen ist. Dazu müssten die Regelungen der Gemeindeordnung lediglich in die Landkreisordnung mit übernommen werden.