GEMEINSAME STELLUNGNAHME des Kommissariats der deutschen Bischöfe Katholisches Büro in Berlin - und des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union zum Entwurf einer Mitteilung der Europäischen Kommission über staatliche Beihilfen für Filme und andere audiovisuelle Werke vom 13.4.2012 1. Vorbemerkung Die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland engagieren sich in breitem Umfang für Kultur in ihren unterschiedlichen Ausprägungen. Nach dem Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages Kultur in Deutschland vom Dezember 2007 liegen die beiden Kirchen mit ihren Aufwendungen für Kultur im Vergleich der öffentlichen Ebenen gleichauf mit Ländern und Kommunen. Zu den Bereichen des kirchlichen kulturellen Engagements gehört auch der Film. Die Kirchen geben die beiden ältesten und bedeutendsten deutschen Filmzeitschriften heraus ( film-dienst, epd Film ). Sie verleihen in ihren landeskirchlichen und diözesanen Medienzentralen Filme für die nichtgewerbliche Medienarbeit, haben eigene Filmvertriebseinrichtungen und Filmproduktionsfirmen, organisieren Filmveranstaltungen in Kinos, Akademien, Gemeinden usf. und geben Filmbücher heraus. Sie tragen mit entsprechenden Einrichtungen anderer Länder die internationalen kirchlichen Filmorganisationen SIGNIS und INTERFILM, die sich an zahlreichen internationalen Filmfestivals mit eigenen oder ökumenischen Jurys beteiligen. Sie beteiligen sich am Jugendmedienschutz in der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und in den entsprechenden Einrichtungen für andere audiovisuelle Medien. Schließlich unterstützen sie mit ihrer Mitarbeit in der Filmförderungsanstalt (FFA) die Filmpolitik und Filmförderung in Deutschland. Vor dem Hintergrund dieses umfangreichen Engagements in der Filmkultur und sowie im kulturellen Bereich insgesamt sehen sich die beiden Kirchen veranlasst, zu dem Entwurf der europäischen Kommission einer Mitteilung über staatliche Beihilfen für Filme und andere audiovisuelle Werke (Mitteilungsentwurf) Stellung zu nehmen. Die endgültige Mitteilung soll die noch gültige Mitteilung der Kommission vom Jahr 2001 (Kinomitteilung) ablösen. 2. Zusammenfassung Die beiden Kirchen erkennen in dem Mitteilungsentwurf eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die audiovisuelle Industrie in der Europäischen Union gegenüber der gültigen Kinomitteilung, die der ausdrücklich formulierten Absicht einer Stärkung des audiovisuellen Sektors zuwiderläuft. Dies trägt den Zielsetzungen des Art. 167 AEUV, EKD Büro Brüssel Kommissariat der Deutschen Bischöfe 166, rue Joseph II Katholisches Büro in Berlin 1000 Brüssel Hannoversche Straße 5 Kennnummer: 61973396926 78 10115 Berlin
insbesondere der in dessen Abs. 4 genannten Wahrung und Förderung der nationalen und regionalen Vielfalt der Kulturen, nicht hinreichend Rechnung. Diese Verschlechterung ergibt sich vor allem aus der Neufassung der Bestimmungen zu den Territorialisierungsmöglichkeiten von Beihilfen, also der Verpflichtung von Beihilfeempfängern, bestimmte Teile ihrer Ausgaben für die geförderte Produktion auf dem Territorium des Staates oder der Region zu verwenden, der oder die die Beihilfe gewährt. Zusätzliche Unsicherheiten in der Anwendung der im Mitteilungsentwurf getroffenen Bestimmungen zur Territorialisierung hat die ergänzende Erläuterung der Kommission in Form eines Memos zu häufig gestellten Fragen (FAQs) betr. Staatliche Beihilfen: Kommission setzt Konsultation zum Thema Filmförderung fort vom 14. März 2012 herbeigeführt. Die Kirchen empfehlen deshalb, mindestens diese Bestimmungen grundsätzlich zu überarbeiten und dabei Einschränkungen der derzeit gültigen Bedingungen zu vermeiden. 3. Zur Einleitung des Mitteilungsentwurfs (Ziffer 1.) Die Kirchen stimmen den Feststellungen in der Einleitung des Mitteilungsentwurfs ausdrücklich zu, dass insbesondere Filme eine wichtige identitätsstiftende Rolle für Europa spielen (Randziffer 1); dass sie einen Doppelcharakter als Wirtschafts- und Kulturgüter tragen (ebd.); dass auf dem Filmmarkt die außereuropäische Konkurrenz besonders stark ist (Rz. 2); dass der Filmsektor von staatlichen Beihilfen abhängig ist (Rz. 4) und die Förderung der audiovisuellen Produktion künstlerische Freiräume schafft (ebd.); und dass sich die Unterstützungsmaßnahmen der Mitgliedsstaaten für die audiovisuelle Produktion in erster Linie auf die Entfaltung der nationalen und regionalen Kultur richten, sie als deren Voraussetzung jedoch zugleich auf eine wirtschaftlich solide Grundlage der Produktionsunternehmen achten müssen. Diese Feststellungen lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass eine vielfältige, kreative und wettbewerbsfähige europäische Filmkultur ohne staatliche Beihilfen nicht möglich ist. Deshalb sind nach Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV staatliche Beihilfen zur Filmproduktion grundsätzlich zulässig, es sei denn sie beeinträchtigen Handel und Wettbewerb der Union in einem dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden Maß. Nur bedingt können die Kirchen jedoch der Feststellung folgen, dass europäische audiovisuelle Werke kaum außerhalb ihres Ursprungslandes vertrieben werden (Rz. 2). Erstens gibt es eine wenn auch nur kleine Anzahl von Filmen, die durchaus eine europaweite Verbreitung finden. Zweitens gibt es einen für die kulturelle Kommunikation der Mitgliedsstaaten hoch bedeutsamen und vitalen Vertriebsbereich für Filme unterschiedlichster Herkunft und Ausprägung, nämlich die europäischen Filmfestivals. Nach Schätzungen einer älteren, leider nicht aktualisierten Studie der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle belaufen sich Zahlen der Besucher von Filmvorführungen auf Festivals immerhin auf 10% der Gesamtzahl von Kinobesuchern in 33 europäischen Ländern. Die ungebrochene, wenn nicht gar gestiegene Attraktivität von Filmfestivals lässt eher auf einen gewachsenen als auf einen gesunkenen Anteil an der Gesamtzahl der Kinoeintritte schließen. Drittens lässt der Mitteilungsentwurf den Bereich der Sekundärauswertung von Filmen über DVD, Fernsehen und Internet außer Acht, der angesichts des geringeren Finanzierungsaufwands größere Verbreitungschancen als die Kinos bietet. Nichtsdestoweniger teilen auch die Kirchen die Auffassung, dass eine größere Verbreitung von europäischen Filmen außerhalb ihres Ursprungslandes wünschenswert wäre.
Der Mitteilungsentwurf identifiziert die begrenzte Verbreitung europäischer Filme mit einer Zersplitterung des gesamten Sektors in nationale oder sogar regionale Märkte und deutet diese Identifizierung zugleich als Ursache jener Begrenztheit ( resultiert aus, Rz. 3). Die Kirchen bemängeln den logischen Zirkelschluss dieser Argumentation und widersprechen zugleich der Deutung des Phänomens als Zersplitterung, die einen ursprünglich existierenden Gesamtraum freier Verbreitung voraussetzt. Der Mitteilungsentwurf selbst räumt die sprachliche und kulturelle Vielfalt Europas als Ursache für die schwierige Verbreitung europäischer Filme an gleicher Stelle ein. Er gesteht ihr jedoch nicht den Charakter eines für die europäische Kultur konstitutiven Ursprungsphänomens zu, sondern macht zugleich die nationalen, regionalen und lokalen Finanzierungsregeln der öffentlichen Filmförderung für sie verantwortlich. Die Kirchen können den damit unterstellten Zusammenhang nicht nachvollziehen. Der Mitteilungsentwurf selbst führt keine Belege für diesen Zusammenhang an, der eine Kausalität zwischen den Strukturen der Produktionsförderung und Distributionsbeschränkungen behauptet. Vielmehr ist es so, dass die existenten Strukturen der Filmförderung auf bereits bestehende nationale, regionale und lokale Kulturen und Identitäten reagieren. Diese sind gerade in ihrer Vielfalt als gemeinsames kulturelles Erbes Europas zu schützen. Den nichtkommerziellen und sekundären Auswertungsformen von europäischen Produktionen kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Die fehlende Perspektive einer kommerziellen Auswertung von Filmproduktionen auf einem weitgehend fiktiven europäischen Gesamtkinomarkt oder gar internationalen Markt für europäische Filme unterstreicht die Notwendigkeit nationaler etc. Fördersysteme. Eine ausdrückliche Hervorhebung verdient die Feststellung, dass der kommerzielle Charakter eines Films nicht ausschließt, dass es sich dabei um ein kulturelles Produkt handelt (Rz. 12). Sie ergänzt den Grundsatz, dass Filme ein Wirtschafts- und ein Kulturgut zugleich sind. Die Kirchen halten jedoch die Präzisierung für angebracht, dass Kommerzialität im Status der Planung und Produktion eines Films nur eine Hoffnung darstellt und erst in der Auswertung ein Faktum werden kann. Auch deshalb lassen sich daraus keine Regelungen ableiten. Der Mitteilungsentwurf formuliert als Zielsetzung für die Veränderung der Kinomitteilung die Absicht, dem europäischen Publikum ein vielfältigeres Angebot an audiovisuellen Werken zugänglich zu machen. Dazu soll u.a. die Möglichkeit der Territorialisierung von Beihilfen eingeschränkt werden. Auch bei dieser Zielbeschreibung kehrt die bereits weiter oben problematisierte Verknüpfung von Produktions- und Distributionssphäre wieder. Da die Kirchen die Veränderung der Territorialisierungsbestimmungen der Kinomitteilung für das gravierendste Element des Mitteilungsentwurfs halten, wird sich die Stellungnahme im Weiteren auf diesen Punkt konzentrieren. 4. Zur Neufassung der Territorialisierungsmöglichkeiten (Ziffer 3.) Nach der Kinomitteilung war es bisher möglich, die Gewährung einer Beihilfe an die Territorialisierung der Ausgaben für eine Produktion bis zu einer Höhe von 80% des Produktionsbudgets zu knüpfen. Aus der Sicht der Förderer sind Territorialisierungsauflagen notwendig, um sicherzustellen, dass Beihilfen eine bestimmte Hebelwirkung entfalten, also wirtschaftliche Effekte, die deutlich höher sind als die gewährte Beihilfe selbst. Nach dem Mitteilungsentwurf sollen Territorialisierungsauflagen künftig nur bis zu 100% der gewährten Beihilfe selbst zulässig sein. Da bei public spend-systemen die Beihilfen aus den öffentlichen
Haushalten entnommen werden, begrenzt eine solche Regelung die wirtschaftlichen Effekte in einem Ausmaß, dass sie die Fördersysteme ihrer Grundlage zu berauben drohen. Zur Begründung führt der Mitteilungsentwurf an, dass territoriale Auflagen den Binnenmarkt für audiovisuelle Produktionen zersplittern würden (Rz. 22). Er wiederholt damit eine These, die bereits oben grundsätzlich angezweifelt worden ist. Im Weiteren entkräftet der Mitteilungsentwurf die eigene Argumentation durch den Hinweis auf eine im Auftrag der Kommission erstellte Studie zu den Auswirkungen territorialer Auflagen in Filmfördersystemen, die keine negativen Auswirkungen nachweisen konnte, allerdings auch keine positiven (Rz. 24). Die Fragestellung der Studie schließt freilich von vornherein aus, in der Gewährung der Förderung selbst den positiven Effekt auf die Filmproduktion zu erkennen. Eine beträchtliche Anzahl europäischer Fördersysteme beruht auf der Hebelwirkung von Territorialisierungsklauseln, daher gefährden die beabsichtigten Veränderungen der Kinomitteilung im Mitteilungsentwurf die europäische audiovisuelle Produktion, insbesondere die Filmproduktion, in erheblichem Umfang. Die bestehenden Fördersysteme zersplittern keineswegs den Binnenmarkt oder verzerren den Wettbewerb, sondern sie setzen an der originären Diversität und Vielfalt der europäischen Kulturen an, um eine wettbewerbsfähige und überlebensfähige audiovisuelle Industrie in Europa überhaupt erst zu gewährleisten. Wettbewerbsfähigkeit bezieht sich dabei in erster Linie auf die starke Konkurrenz nichteuropäischer Produktionen. Aus Sicht der Kirchen können die europäischen Fördersysteme deutliche Erfolge in Bezug auf dieses Ziel vorweisen. Diese Erfolge würden durch eine Veränderung der Territorialisierungsbestimmungen in der beabsichtigten Form voraussichtlich zerstört, weil sie den Zusammenhang zwischen der europäischen kulturellen Vielfalt und den darauf aufbauenden Fördersystemen verkennen. 5. Förderung ausländischer Produktionen (Ziffer 4.) und besondere Kriterien für die Zulässigkeit von Beihilfen nach Art. 107 Abs. 3 lit. d AEUV (Ziffer 6.2.) Seit der Gültigkeit der Kinomitteilung (ab 2001) hat eine Reihe von Mitgliedsstaaten Förderinstrumente entwickelt, die neben der unmittelbaren Unterstützung nationaler und europäischer Produktionen und Koproduktionen auch die Förderung nichteuropäischer, internationaler Filmproduktionen ermöglicht. Der Zweck dieser Instrumente ist die Stärkung der filmkulturellen und filmwirtschaftlichen Infrastruktur in den Förderländern, insbesondere durch die Beteiligungsmöglichkeit an hoch budgetierten internationalen Filmprojekten. Insbesondere werden dadurch den Beschäftigten der Filmwirtschaft in den Förderländern unschätzbare berufliche Erfahrungen ermöglicht. Die traditionellen Fördersysteme der Mitgliedsstaaten sind weder von ihren internen Regelungen noch von ihrem Volumen geeignet, für solche hoch budgetierte Projekte relevante Fördermittel bereitzustellen. Mit den neuen Instrumenten stellen sich die Mitgliedsstaaten dem globalen Wettbewerb. Bereits die vorgesehene Neuregelung der Territorialisierungsmöglichkeiten würde den Bestand dieser neu eingericheteten Fördersysteme unmittelbar gefährden. Darüber hinaus hält es der Mitteilungsentwurf für geboten, weitere Regelungen einzuführen, um den Wettbewerb zwischen den Fördersystemen der Mitgliedsstaaten im Sinne eines Subventionswettlaufs zu kontrollieren. Der Mitteilungsentwurf sieht deshalb erstens vor, als Bezugsgröße der Förderintensität alle Produktionsausgaben im gesamten EWR festzulegen (Rz. 30), und zweitens eine Degression der Förderintensität in drei Stufen einzuführen (RZ
32, erg. RZ 44 (5), also für Produktionsbudgets resp. deren Anteile bis 10 Mio EUR 50%, 10 Mio 20 Mio EUR 30% und mehr als 20 Mio EUR 10% Beihilfehöchstintensität). Die Kirchen können den befürchteten bzw. unterstellten Subventionswettlauf nicht erkennen. Er wird durch die Förderpraxis nicht belegt. Außerdem setzt das vorhandene Volumen der Fördermittel einem solchen Wettlauf von vornherein enge Grenzen. Da es sich bei den betroffenen Fördersystemen um automatische Förderungen handelt, würden umgekehrt bei einem Bezug der Förderintensität auf die Produktionsausgaben im gesamten EWR die vorhandenen Fördermittel schon nach wenigen hoch budgetierten Projekten aufgezehrt werden, es sei denn, die Förderintensität würde erheblich abgesenkt. Beide Folgewirkungen erscheinen den Kirchen als kontraproduktiv. Die vorgeschlagene Degression wiederum hätte zwar für die bisherige Praxis etwa des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) keinerlei Auswirkungen, würde aber künftige Entwicklungen im Einzel- und Sonderfall unnötigerweise unterbinden. Die Kirchen können deshalb die Vorschläge des Mitteilungsentwurfs nicht unterstützen.