Grußwort von Frau Justizministerin Uta-Maria Kuder anlässlich der Eröffnung des Offenen Vollzuges in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stralsund am 2. Juli 2009 Es gilt das gesprochene Wort! Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Gäste, die Eröffnung der Abteilung des Offenen Vollzuges in der Justizvollzugsanstalt Stralsund ist mir eine besondere Freude. Heute fügen wir den letzten Baustein in die Umsetzung verschiedener Projekte im Justizvollzug und in den Sozialen Diensten der Justiz ein. Den letzten Baustein von Projekten im Justizvollzug, die einem Ziel dienen: Den Schutz der Bevölkerung durch die Verhinderung von Wiederholungstaten zu verbessern. Es lohnt sich, einige Schlaglichter auf die verschiedenen Bausteine zu werfen. Der wichtigste Baustein ist die Einführung der Integralen Straffälligenarbeit, die wir seit Oktober 2007 praktizieren. Ein einheitliches, durchgängiges und in sich abgestimmtes Informations-, Kontroll- und Unterstützungssystem zwischen der Bewährungshilfe und dem Justizvollzug ist das wichtigste Element zur Verbesserung der Behandlungs- und Kontrolldichte zum Schutz der Bevölkerung. Ich kann mit Stolz sagen, dass das Akronym InStar über unsere Landesgrenzen hinaus und auch im europäischen Ausland bekannt ist. InStar steht für ein beispielgebendes standardisiertes System zur Unterstützung straffällig gewordener Menschen. Ein weiterer Baustein ist der Wechsel der Zuständigkeit für die Vollstreckung von langen Freiheitsstrafen von der Justizvollzugsanstalt Bützow zur Justizvollzugsanstalt Waldeck zum Jahresbeginn 2008. Damit sollen den Sicherheitsanforderungen während der dringenden Baumaßnahmen in der Justizvollzugsanstalt Bützow Rechnung getragen werden. Zukünftig soll die Justizvollzugsanstalt Bützow für das gesamte Land die Aus- und Fortbildung erwachsener Gefangener übernehmen. In der Bausteinreihe möchte ich auch die Einrichtung der sozialtherapeutische Abteilung in der Jugendanstalt Neustrelitz erwähnen. Die sozialtherapeutische Behandlung dort ist auf jugendspe-
zifische Besonderheiten ausgerichtet. Mit Hilfe der Sozialtherapie haben wir jetzt auch in der Jugendanstalt alle Voraussetzungen geschaffen, das individuelle Rückfallrisiko bei besonders gefährlichen Straftätern erheblich zu senken. Hervorzuheben ist ebenfalls, - neben dem Wechsel der Zuständigkeit für nach Jugendstrafrecht verurteilten jungen Frauen von Bützow nach Neustrelitz - die Einrichtung der Mutter-Kind-Station in der Jugendanstalt. 2 Mütter die dem Jugendstrafrecht unterliegen können nunmehr ihre Kinder bis maximal zum dritten Lebensjahr mit in die Anstalt nehmen. Voraussetzung ist natürlich, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Damit haben wir speziell die Resozialisierungschancen von inhaftierten Müttern verbessert. Und, soweit wir uns gerade im Bereich des Jugendstrafrechts bewegen, darf natürlich die Eröffnung des neuen Jugendarrestes bei der Jugendanstalt Neustrelitz im letzten Monat nicht vergessen werden. Mit dieser weiteren Jugendarrestanstalt ist in unserem Flächenland gesichert, neben Wismar auch im östlichen Landesteil den Jugendarrest wohnortnah und vor allem schnell vollziehen zu können. In die Reihe dieser bereits in die Praxis erfolgreich umgesetzten Maßnahmen fügt sich die Eröffnung des Offenen Vollzuges hier in Stralsund nahtlos ein: Vor allem wirtschaftliche Gründe machten es erforderlich, den offenen Vollzug nach Stralsund zu verlagern. Die Justizvollzugsanstalt Ueckermünde, die bis zu ihrer Schließung eine hervorragende Arbeit geleistet hat, musste in ihrer Geschichte stets um die Erhaltung der baulichen Voraussetzungen für den Justizvollzug ringen. Die aufgrund des problematischen Zustands der Gebäude dringend notwendige Investition eines zweistelligen Millionenbetrages war jedoch auch angesichts reduzierter Gefangenzahlen schlicht nicht zu rechtfertigen. Hier in Stralsund sind die Voraussetzungen gut, die Justizvollzugsanstalt um eine Abteilung des Offenen Vollzuges zu ergänzen und damit auch die Wirtschaftlichkeit der Anstalt zu verbessern. Die vorhandenen 80 Plätze für männliche erwachsene Gefangene werden überwiegend durch Verurteilte aus den Landgerichtsbezirken Stralsund und Neubrandenburg belegt werden. Die umfangreichen organisatorischen Vorbereitungen sowie die baulichen Maßnahmen gingen ebenso vorbildlich und zügig voran, wie der Umzug der Gefangenen sowie des Personals aus Ueckermünde. Seit dem 11. Mai werden Gefangene aus dem geschlossenen Vollzug anderer Anstalten oder auch unmittelbar in den offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Stralsund aufgenommen. Dank gebührt deshalb der Anstaltsleitung, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der JVA Stralsund sowie den Verantwortlichen des BBL Mecklenburg-Vorpommern für die geleistete Arbeit. Mein besonderer Dank gilt zudem den Bediensteten aus Ueckermünde, die nunmehr hier in Stralsund ihren Dienst tun. Sie bringen ihre Erfahrungen, ihr Engagement und ihre Kenntnis bei der Gestaltung des offenen Vollzuges in Stralsund ein.
Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Einrichtung des Offenen Vollzuges hat es auch kritische Stimmen in Stralsund gegeben. Gestatten Sie mir einige Anmerkungen zum offenen Vollzug: Oft wird gefragt, ist der offenen Vollzug überhaupt als Form der Freiheitsstrafe geeignet? In der Öffentlichkeit wird er meist als bloße Übernachtungsmöglichkeit gesehen. Schließlich ist der Gefangene nicht mal hinter einer Mauer. Und vor den Fenstern gibt es keine Gitter. 3 Meine Damen und Herren, ich will es ganz deutlich sagen: Justizvollzug ohne offenen Vollzug geht nicht! Natürlich muss der Vollzug zunächst mal für die Umsetzung des staatlichen Strafanspruchs Sorge tragen. Er hat aber auch die Aufgabe alles ihm Mögliche dafür zu tun, dass der Gefangene zukünftig ein Leben ohne Straftaten führt. Das Ziel des Vollzuges ist also auch die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft. Der Inhaftierte muss deshalb stufenweise auf das Leben draußen, auf das Leben ohne Mauern, vorbereitet werden. Hierfür muss der Gefangene Gelegenheit erhalten, Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Verantwortungsübernahme zu lernen und zu erproben. Das kann man hinter Mauern schlecht üben. Hierfür ist der offene Vollzug unverzichtbar. Dabei versteht es sich natürlich von selbst, dass sorgfältig geprüft wird, welcher Inhaftierte für den offenen Vollzug in Frage kommt. Das verlangt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zu Recht. Wer kommt also konkret in den offenen Vollzug? Da sind zum einen die Erstinhaftierten mit einer Freiheitsstrafe bis zu 18 Monaten. Hier muss von Gesetzes wegen zwingend geprüft werden, ob sie die Anforderungen für den offenen Vollzug erfüllen. Das sind beispielsweise Täter, die wegen eines Verkehrsdelikts oder eines Eigentumsdelikts verurteilt wurden. Also Menschen, die keine klassische kriminelle Karriere hinter sich haben. Hier, davon bin ich überzeugt, hat die Gesellschaft mehr davon, wenn diese Gefangenen weiterhin ihrer Arbeit nachgehen und somit zum Beispiel den entstandenen materiellen Schaden wiedergutmachen können. Zu denken ist auch an Jugendliche, die so die Schule weiter besuchen können. Die zweite Gruppe der Inhaftierten, denen der offene Vollzug angeboten wird, sind diejenigen, die sich diesen Vertrauensbeweis nach einem langen Prozess erarbeitet haben. Ich frage Sie: Was soll dabei herauskommen, wenn der Inhaftierte nach fünf Jahren Freiheitsstrafe entlassen wird, ohne sich vorher außerhalb der Mauern geübt zu haben? Vor der Verlegung in den offenen Vollzug muss der Gefangene ein gestuftes Verfahren bestehen. Hierbei spielen verschiedene Formen der Lockerungen wie der erste Ausgang oder Urlaub eine wichtige Rolle. Nur wenn der Gefangene das in ihn gesetzte Vertrauen Stück für Stück rechtfertigt, erfolgt die Verlegung in den offenen Vollzug. Diesen Gefangenen wird damit die Chance eingeräumt, wieder in kleinen Schritten das Laufen im Alltag zu erlernen. Während die Inhaftierten mit einer kurzen Freiheitsstrafe das Laufen erst gar nicht verlernen dürfen.
4 Entscheidend ist, dass die Gefangenen unter möglichst weitgehender Angleichung an die Lebensbedingungen außerhalb des Vollzuges auf ihr Leben nach der Entlassung vorbereitet werden. Auf die für den geschlossenen Vollzug typische baulich-technische Sicherung wird dabei weitgehend verzichtet. Natürlich müssen dabei die berechtigten Sicherheitsinteressen der Bürger berücksichtigt werden. Und das werden sie auch. Denn die Auswahl geeigneter Gefangener erfolgt höchst verantwortungsbewusst. Das Strafvollzugsgesetz gibt hierzu folgendes vor: Bei dem Gefangenen dürfen keine Anhaltspunkte gegeben sein, die Flucht- oder Missbrauchsbefürchtungen begründen. Das ist Grundvoraussetzung einer Unterbringung im offenen Vollzug. Soweit Zweifel bestehen, kommt für den betroffenen Gefangenen der offene Vollzug nicht in Frage. Der Gefangene verbleibt dann im geschlossenen Vollzug. Ungeeignet für den offenen Vollzug sind außerdem Gefangene, die alkohol- und/oder drogenabhängig sind. Oder Gefangene, die bereits einmal aus einer Justizvollzugsanstalt entwichen, oder aus einem Urlaub oder Ausgang nicht zurückgekehrt sind. Auch diejenigen, gegen die weitere ausländeroder strafrechtliche Verfahren anhängig sind sowie Gefangene, die bei anderen Gefangenen das Erreichen des Vollzugsziels gefährden würden, kommen für den offenen Vollzug nicht in Betracht. Meine Damen und Herren, ich kann versichern, dass hierzulande besonders gründlich und verantwortungsvoll mit derartigen Vollzugsentscheidungen umgegangen wird. Nur handverlesene Gefangene kommen in den offenen Vollzug! Dies lässt sich durch einen Blick in die Statistik auch schnell belegen. Die sog. Versagensquote bei Gefangenen, die im Offenen Vollzug untergebracht sind, betrug im Jahr 2007 unter 0,2%. Das heißt, in weniger als zwei Fällen von 1.000 gewährten Lockerungen aus dem offenen Vollzug kehrten Gefangene nicht rechtzeitig zurück bzw. standen in Verdacht, eine neue Straftat begangen zu haben. Nur am Rande: Mit diesem Wert nimmt der Justizvollzug in Mecklenburg-Vorpommern im Bundesvergleich einen positiven Spitzenplatz ein. Meine Damen und Herren, die vereinzelt in Stralsund geäußerten Vorbehalte haben meine Mitarbeiter und ich stets ernst genommen. Wir haben deshalb mit großer Transparenz über die Gestaltung des Offenen Vollzuges informiert und mehrere Informationsveranstaltungen für die Bevölkerung hier vor Ort durchgeführt. Auf diese Weise konnten viele Missverständnisse ausgeräumt werden. Die Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Stralsund und auch ich selbst sind sehr daran interessiert, die traditionell enge Einbindung des Justizvollzuges in die Region Stralsund noch weiter zu festigen. Den Bürgern der Hansestadt Stralsund möchte ich an dieser Stelle versichern, dass wir an einem guten nachbarschaftlichen Miteinander interessiert sind und für ihre Sorgen und Probleme stets ein offenes Ohr haben werden. Nutzen Sie die Möglichkeit, bei Problemen die JVA-Mitarbeiter direkt anzusprechen. Vieles lässt sich im guten nachbarschaftlichen Einvernehmen beheben.
Meine Damen und Herren, jetzt wünsche ich Ihnen einen interessanten Rundgang durch die Einrichtung. Herr Grotjohann und seine Mitarbeiter stehen Ihnen gerne für Fragen zur Verfügung. 5