Initiative Tierwohl. Position und Forderungen der Verbraucherzentrale Niedersachsen e.v. zur Brancheninitiative Tierwohl. Stand:

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Transkript:

Initiative Tierwohl Position und Forderungen der Verbraucherzentrale Niedersachsen e.v. zur Brancheninitiative Tierwohl Stand: 11.11.2016 Verbraucherzentrale Niedersachsen e.v. Herrenstraße 14 30159 Hannover info@vzniedersachsen.de www.verbraucherzentrale-niedersachsen.de

Initiative Tierwohl: Wenig Fortschritt für den Tierschutz Tierschutz ist als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Damit ist Tierschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die in der Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Verbrauchern liegt. Das Tierschutzgesetz regelt die Grundsätze der Nutztierhaltung. Werden die gesetzlichen Anforderungen eingehalten, darf mit Begriffen wie Tierschutz, Tierwohl, artgerecht, tiergerecht u.ä. geworben werden. Die derzeitigen gesetzlichen Anforderungen verhindern aber nicht, dass tierschutzrelevante Probleme weit verbreitet sind. Denn das Tierschutzgesetz regelt die Nutztierhaltung nur unzureichend, vieles bietet Interpretationsspielräume und für einige Tierarten wie Puten und Rinder gibt es überhaupt keine gesetzlichen Regelungen. Zudem wird das Tierschutzgesetz seit langem aufgeweicht, weil es zahlreiche Ausnahmeregelungen (zum Beispiel schmerzhafte Eingriffe bei Tieren ohne Betäubung wie das Kastrieren der Ferkel und das Kupieren der Schwänze bei Schweinen oder der Schnäbel bei Geflügel) gibt. Laut Wissenschaftlichem Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (WBA) gibt es in der Nutztierhaltung in Deutschland erhebliche Defizite vor allem im Bereich Tierschutz. Dies hat zu einer verringerten gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung geführt. Vor diesem Hintergrund hält der (...) WBA die derzeitigen Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztiere für nicht zukunftsfähig [1]. Initiative Tierwohl ein erster kleiner Schritt für das Tierwohl Die Initiative Tierwohl, ein branchenübergreifendes Bündnis aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel hat sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, die Standards in der Haltung von Schweinen, Masthühnern und Puten möglichst flächendeckend zu verbessern. Alle teilnehmenden Schweine-, Hühner- und Putenbetriebe müssen verpflichtend bestimmte Grundanforderungen erfüllen, wie z.b. Sicherstellung der gesetzeskonformen Haltung der Tiere, Durchführung von Stallklima- und Tränkewasserchecks und Dokumentation der Befunddaten aus der Schlachtung. In der Schweinemast muss zudem eines der beiden Wahlpflichtkriterien 10% mehr Platzangebot oder ständiger Zugang zu Raufutter umgesetzt werden. Darüber hinaus ist mindestens eine weitere Maßnahme aus einer Liste von Wahlkriterien auszuwählen und umzusetzen (z.b. zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial, Scheuermöglichkeit). Alle Geflügelhalter müssen zusätzlich zu den Grundanforderungen ihren Tieren ein größeres Platzangebot und zusätzliches Beschäftigungsmaterial anbieten. 2/6

Für die gewählten Tierwohl -Kriterien erhalten die Tierhalter Tierwohlentgelte in unterschiedlicher Höhe je nach Aufwand. Dazu haben nahezu alle Handelsketten einen Fonds gegründet, in den sie 4 Cent je Kilogramm verkauftem Schweine- und Geflügel-Fleisch und -Wurst abführen. Das Interesse der Tierhalter zur freiwilligen Teilnahme an der Initiative ist sehr groß. Es haben sich deutlich mehr Landwirte beworben, als Fondsmittel zur Verfügung stehen. [2] In die Entwicklung der Initiative Tierwohl waren von Beginn an der Tierschutzverband PROVIEH und lange Zeit auch der Deutsche Tierschutzbund eingebunden. Mitte September 2016 verkündete der Deutsche Tierschutzbund aber, dass er seine Mitarbeit im Beraterausschuss der Initiative Tierwohl (ITW) beendet: Die Projektgruppe Schwein hatte getagt, die dort gefassten Beschlüsse bieten allerdings keine langfristige Perspektive für den Tierschutz. Aus Sicht des Verbandes setzt die ITW weiterhin auf Quantität statt Qualität. Zudem bleibt auf nicht absehbare Zeit die Transparenz für den Verbraucher auf der Strecke [3]. Der Deutsche Tierschutzbund hatte wiederholt gefordert, dass die Kriterien bei den Grundanforderungen höher sein müssen als bisher vorgesehen. Außerdem seien die verschiedenen Einzelmaßnahmen, aus denen der Landwirt frei wählen kann, nicht zielführend, sondern konkrete Kriterien-Pakete notwendig. Am 24.10.2016 kündigte auch der zweite Tierschutzverband PROVIEH der Initiative Tierwohl seine Mitarbeit auf, obwohl PROVIEH Mitinitiator der Initiative Tierwohl war [4]. Damit steht die Initiative Tierwohl ohne Vertreter aus Kreisen des Tierschutzes da. Bewertung der Initiative Die Verbraucherzentrale Niedersachsen begrüßt grundsätzlich jede Verbesserung der Tierhaltungsbedingungen, kritisch sehen wir aber die Kommunikation und Werbung der Initiative Tierwohl und der beteiligten Handelsunternehmen. Tierschutz ist ein wichtiges Anliegen vieler Verbraucher, wie beispielsweise eine Umfrage im Auftrag der Europäischen Union zeigte [5]: 95 Prozent der befragten Deutschen ist der Tierschutz von Nutztieren wichtig bzw. sehr wichtig. 83 Prozent sind der Meinung, dass der Tierschutz von Nutztieren besser sein sollte, als das derzeit der Fall ist. Den Ansatz, Verbesserungen der Tierhaltungsbedingungen für eine möglichst große Zahl von Tieren zu etablieren, sehen wir als notwendige Ergänzung zu bestehenden Initiativen für tiergerechtere Nutztierhaltung. Denn die bisherigen Angebote wie Biofleisch, Fleisch mit Tierschutzlabeln und einzelne Markenfleischprogramme bieten zwar deutlich mehr Tierschutz für die Tiere, stellen jedoch gerade auch wegen der hohen Anforderungen nur kleine Nischensegmente im Markt dar. Aufgrund geringer Verfügbarkeit und hoher Preise können sie weder den wachsenden Bedarf der Verbraucher nach Fleisch aus verbesserter Haltung noch den Wunsch nach besserem Tierschutz von Nutztieren in Deutschland im Allgemeinen [3] befriedigen. Doch das Konzept der Initiative Tierwohl greift hier zu kurz gemessen an den Versprechungen, die in der Werbung gemacht werden. Die verpflichtenden Grundanforderungen sollten selbstverständliche gute fachliche Praxis sein und gehen wenn überhaupt nur in geringem Maß über die gesetzlichen Mindeststandards (oder den Branchenstandard QS) hinaus. Damit sind sie weit von einer wirklich tiergerechten Haltung entfernt, die den Tieren das Ausleben wesentlicher arttypischer Verhaltensweisen ermöglicht. 3/6

In der Geflügelhaltung ändern auch die Zusatzkriterien daran wenig. So dürfen 18 (statt 20) Masthühner pro Quadratmeter Stall gehalten werden, das sind noch deutlich zu viele. Und pro 150 Quadratmeter Stallfläche reicht ein Strohballen aus: diesen müssen sich also bis zu 2.700 Hähnchen teilen. Bei Mastschweinen kritisiert die Verbraucherzentrale Niedersachsen, dass nicht beide Wahlpflichtkriterien verbindlich sind, da sie unerlässlich für eine tiergerechte Schweinehaltung sind. Unter den zusätzlich wählbaren Kriterien sind zwar auch weitreichende Maßnahmen wie Außenklimareize, bis zu 40 Prozent mehr Platzangebot und Auslauf der Tiere im Freien. Tatsächlich wurden aber am häufigsten geringfügige Verbesserungen ausgewählt wie 10 Prozent mehr Platz und zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial : hier ist beispielsweise ein Hanfseil pro 20 Schweine ausreichend zusätzlich zu dem gesetzlich geforderten Beschäftigungsmaterial. Die Auswahl der Kriterien orientiert sich offensichtlich mehr daran, was möglichst einfach und mit geringen Kosten umsetzbar ist, als an spürbaren Verbesserungen des Tierwohls. Sinnvoll aufeinander abgestimmte Maßnahmenpakete fehlen völlig. Angesichts der nur geringen Verbesserungen ist die Werbekampagne der Initiative Tierwohl völlig überzogen. Die Initiative spricht auf ihrer Internetseite von einem umfassenden Programm zu objektiven Verbesserungen in der Schweine- und Geflügelhaltung. Ein Video zeigt ländliche Idylle in einem Initiative Tierwohl -Betrieb: Schweine mit viel Stroh und 20 Prozent mehr Platz im Stall. Dieser Betrieb ist keinesfalls typisch für die Initiative, wie die am häufigsten gewählten Kriterien zeigen. Die Branche sollte sich von ihrer unrealistischen Bilderbuch-Kommunikation verabschieden. Zudem vermittelt die pauschale Werbung in Kundenmagazinen und den Läden des teilnehmenden Lebensmitteleinzelhandels den Eindruck, dass alles Fleisch aus tiergerechter Haltung stammt. Tatsächlich ist es nicht sicher, ob es im jeweiligen Geschäft überhaupt ein Tierwohl -Produkt gibt. Und noch viel weniger ist in Erfahrung zu bringen, was im Einzelfall konkret für die Tiere verbessert wurde. Denn: Mit 4,5 Millionen Mastschweinen sind zunächst weniger als 8 Prozent der hierzulande geschlachteten (...) Tiere im System. [6] Doch darüber werden Verbraucher an keiner Stelle informiert. Tatsächlich dürften nicht viel mehr als 10 Prozent der Schweine in Deutschland in Betrieben der Initiative Tierwohl gehalten werden. Im Handel wird Fleisch, das von Tieren aus der Initiative Tierwohl stammt, nicht speziell gekennzeichnet. Zwar dürfen die teilnehmenden Einzelhändler seit April 2016 generell Packungen mit Schweine- und Geflügelfleisch sowie Wurst daraus mit Etiketten der Initiative Tierwohl labeln. Diese informieren in fetter Schrift Mit dem Kauf von Fleisch und Wurst von Schwein, Pute und Hähnchen aus unserem Sortiment unterstützen Sie den Wandel zu einer tiergerechten Haltung. Tatsächlich kann aber niemand sagen, ob die so gekennzeichnete Packung Fleisch aus einem an der Initiative teilnehmenden Betrieb enthält, wie das Etikett dann im zweiten nicht fett gedruckten Satz mitteilt. Es ist Zufall, ob Kunden, die ein so gelabeltes Stück Fleisch kaufen, ein Standardprodukt oder eins aus etwas besserer Tierhaltung erhalten. Aber Verbraucher wollen am einzelnen Produkt nachvollziehen können, ob das Fleisch aus verbesserter Haltung stammt oder nicht. Dies hat Ende 2015 eine Verbraucherbefragung im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gezeigt. [7] Doch diese Einkaufshilfe bleibt die Initiative Tierwohl schuldig. Stattdessen sieht die Verbraucherzentrale Niedersachsen die Gefahr, dass das Etikett mit Logo und Internetadresse der 4/6

Initiative bei Fleischkäufern den Eindruck erweckt, das jedes Produkt tatsächlich aus einem Betrieb der Initiative Tierwohl stamme. Fazit: Die Initiative Tierwohl gab bei ihrer Gründung ein klares Bekenntnis für eine nachhaltige Fleischerzeugung unter besonderer Berücksichtigung des Tierwohls ab [8]. In Handelsprospekten verspricht sie, sich gemeinsam für eine tiergerechte Haltung [9] einzusetzen. Damit will sie laut Internet der erhöhten Nachfrage nach tiergerecht und nachhaltig erzeugten Produkten Rechnung tragen [10]. Die Verbraucherzentrale Niedersachsen kritisiert solche Aussagen der Initiative Tierwohl angesichts der sehr niedrigen Anforderungen als überzogen. Durch die Werbebotschaften wird der Eindruck deutlich größerer Verbesserungen für die Tiere erweckt, als die Initiative Tierwohl zu leisten vermag. Es droht eine für uns nicht nachvollziehbare Aufwertung des gesamten Fleischangebots, obwohl nur ein kleiner Teil aus Betrieben stammt, die an der Initiative teilnehmen. Auch wird der Eindruck erweckt, dass es Tierwohl zum Nulltarif geben kann. Initiative Tierwohl bedeutet: Ein kleiner Teil der deutschen Schweine- und Geflügelhalter macht ein klein wenig mehr als die gesetzlichen Vorschriften verlangen. Die Initiative Tierwohl bietet Verbrauchern, die Fleisch aus deutlich besserer Tierhaltung kaufen möchten, keine Alternative. Wer mehr Tierschutz haben will, muss sich auf die mühsame Suche nach Fleisch mit Tierschutzlabeln oder Bioprodukten machen. Produkte mit mehr Tierschutz müssen teurer sein, denn alle über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehenden Maßnahmen kosten zusätzlich Geld, das nicht allein von den Tierhaltern aufgebracht werden kann. Die bisherige Fokussierung des Handels auf möglichst niedrige Fleischpreise verhindert ein breites Engagement zu freiwilligen Verbesserungen seitens der Tierhalter. Dabei zeigen viele aktuelle Untersuchungen, dass Verbraucher bereit sind, deutlich höhere Preise für Fleisch aus besserer Tierhaltung zu bezahlen [11]. Unbedingte Voraussetzung für die Mehrzahlungsbereitschaft ist aber, dass Verbraucher am Produkt nachvollziehen können, dass es aus verbesserter Haltung stammt. Forderungen an die Initiative Tierwohl Die im April 2016 eingeführte Produktkennzeichnung mit Hinweisen auf die Initiative Tierwohl sollte eingestellt werden, solange die gelabelten Produkte nicht nachweislich aus landwirtschaftlichen Betrieben stammen, die an der Initiative Tierwohl teilnehmen. Die Initiative Tierwohl muss zügig das Niveau der Mindestanforderungen deutlich über den gesetzlichen Standard anheben und sinnvolle verbindliche Kriterienkombinationen vorgeben. Die dreijährige Startphase muss genutzt werden, um eine Perspektive zu entwickeln, wie danach mit ambitionierteren Kriterien tatsächlich für deutlich mehr Tierwohl gesorgt wird 5/6

damit die Initiative ihrem Namen gerecht wird. Die Kommunikation der Initiative Tierwohl muss auf ein ehrliches Maß deutlich zurückgefahren werden. Wir begrüßen das Ziel der Initiative Tierwohl, mehr Information und Transparenz gegenüber Verbrauchern zu schaffen [12]. Doch bisher scheint dieses Ziel nur auf dem Papier zu stehen. Im Gegenteil bleibt die Kommunikation sowohl im Handel als auch auf der Internetseite der Initiative schwammig und suggeriert an mehreren Stellen mehr Engagement für das Tierwohl als tatsächlich geleistet wird. Verbrauchergerechte Informationen zu den Kriterien der Initiative oder Angaben zum Marktanteil von Fleisch aus der Initiative im deutschen Einzelhandel gibt es leider nicht. Eine produktbezogene Kennzeichnung ist für die Verbraucherzentrale Niedersachsen nur dann akzeptabel, wenn die Kriterien der Initiative Tierwohl deutlich über den gesetzlichen Mindeststandard angehoben und sinnvolle verbindliche Kriterienkombinationen vorgegeben sind und die Produkte nachweislich aus landwirtschaftlichen Betrieben stammen, die an der Initiative Tierwohl teilnehmen und die tatsächlichen Tierwohlleistungen transparent angegeben werden. Nur dann ist Verbrauchern eine bewusste Kaufentscheidung möglich. Die kleinen Schritte der Initiative Tierwohl und anderer privatwirtschaftlicher Initiativen können die grundsätzlichen Tierschutzprobleme in der deutschen Nutztierhaltung nicht lösen. Der Gesetzgeber darf seine Verantwortung nicht weiter an die Wirtschaft delegieren, sondern muss seine Verpflichtung zum Tierschutz ernst nehmen. Dazu müssen vorhandene gesetzliche Standards für die Nutztierhaltung angehoben bzw. für einige Tierarten überhaupt erst Standards vorgegeben und die zahlreichen Ausnahmeregelungen von Tierschutzvorschriften abgeschafft werden - damit die Tiere besser als bisher geschützt werden. Die Verbraucherzentrale Niedersachsen fordert darüber hinaus eine EU-einheitliche, mehrstufige obligatorische Kennzeichnung tierischer Lebensmittel mit dem jeweiligen Tierschutzstandard bzw. der Haltungsform, um endlich Transparenz für Verbraucher zu schaffen. Quellen: * * * [1] WBA (2015): Gutachten Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung [2] AgE (2016): Rukwied attackiert Edeka-Chef Mosa. Agra Europe 19-16 vom 09.05.2016 (Länderberichte, S. 12) [3] https://www.tierschutzbund.de/news-storage/landwirtschaft/160916-initiative-tierwohl-mitarbeit-beendet.html [4] https://provieh.de/initiative-tierwohl-gruendungsmitglied-provieh-ev-beendet-die-zusammenarbeit [5] EU-Kommission (2016): Special Eurobarometer 442 Attitudes of Europeans towards Animal Welfare [6] Lenders D (2015): Fürs Tierwohl reicht das Geld nicht. Lebensmittelzeitung 19-15 vom 08.05.2015 [7] vzbv (2016) http://www.vzbv.de/pressemitteilung/umfrage-verbraucher-wuerden-fuer-tierschutz-mehr-zahlen [8] Erklärung "Initiative zum Tierwohl" der Initiatoren vom 28.08.2012 [9] Edeka-Prospekte, Juni und Juli 2015 (Edeka Rhein-Ruhr) [10] www.initiative-tierwohl.de/ueber-uns/ (Abruf 25.05.2016) [11] z.b. vzbv (s. [5]) und BMEL (2016): Ernährungsreport, S. 26 [12] Initiative Tierwohl, Pressemitteilung vom 29.03.2016 6/6