Anstieg der Alterserwerbsbeteiligung: Aktuelle demographische Veränderungen geben Rückenwind

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Transkript:

Martin Brussig / Sascha Wojtkowski Anstieg der Alterserwerbsbeteiligung: Aktuelle demographische Veränderungen geben Rückenwind Auf einen Blick Im Jahr 2006 waren in Deutschland 48,1% aller Personen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren erwerbstätig. Im Jahr 2001 lag diese Alterserwerbstätigenquote erst bei 38,0%. Die Zunahme um 10,1 Prozentpunkte ist der höchste Anstieg der Alterserwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen im Vergleich von 15 EU-Ländern. Die Alterserwerbstätigenquote soll entsprechend dem beschäftigungspolitischen Ziel von Stockholm der EU bis 2010 auf mindestens 50% weiter steigen. Der Anstieg der Alterserwerbstätigenquote ist hauptsächlich bedingt durch eine relative Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von Männern vor allem im Alter zwischen 58 und 63 Jahren. Bei älteren Frauen hat die Erwerbsbeteiligung in jedem Jahrgang zugenommen. Nach wie vor hängt die Erwerbsbeteiligung im Alter stark von der Qualifikation ab. Die Alterserwerbstätigenquote hat auch deshalb zugenommen, weil im Jahr 2005 die demographische Situation günstiger für die Altersbeschäftigung als 2001 war. Neue geburtenstarke Jahrgänge wuchsen in die Gruppe der Älteren im erwerbsfähigen Alter hinein; diese weisen altersbedingt eine höhere Erwerbsbeteiligung als diejenigen auf, die hinauswachsen. Allein die demographische Entwicklung trug zu ca. 20 Prozent zur Erhöhung der Alterserwerbstätigenquote bei. Die demographische Entwicklung wird weiter für etwa 15 Jahre die Entwicklung der Alterserwerbstätigenquote begünstigen. Zugenommen hat auch die Erwerbstätigkeit parallel zum Bezug von Arbeitslosenunterstützung oder einer eigenen Rente. Allerdings ist die Zahl der älteren erwerbstätigen Transfergeldbezieher zu niedrig, als dass sie wesentlich zur Entwicklung der Alterserwerbstätigkeit beitragen würde. Eine deutliche Zunahme der Erwerbsbeteiligung im Alter in Deutschland zwischen 2001 und 2006 Der Europäische Rat fasste auf seiner Frühjahrstagung im März 2001 in Stockholm den Beschluss, die Erwerbstätigenquote der Älteren (55 bis 64 Jahre) bis zum Jahr 2010 auf 50% zu steigern. Dies ist eingebettet in die Strategie, Vollbeschäftigung in einer wettbewerbsfähigen Union zu erreichen (EU 2001, S. 1). Entsprechend spielt das Ziel einer Alterserwerbsquote von 50% FNA Forschungs- Netzwerk Alterssicherung

bis 2010 in der deutschen Diskussion um die Entwicklung der Alterserwerbstätigkeit eine herausgehobene Rolle. In Deutschland ist im Vergleich von 15 EU-Staaten die Quote der Erwerbstätigen an der Bevölkerung zwischen 15 und 64 geringfügig über dem Durchschnitt und auch bei der Beschäftigungsquote der Älteren liegt die Bundesrepublik im Mittelfeld (siehe Abbildung 1). Die Erwerbstätigenquote der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter (15 bis 64 Jahre) in den betrachteten EU- Mitgliedsstaaten ist von 2001 bis 2006 nur geringfügig gestiegen; in Schweden und Portugal ist sie sogar leicht gesunken. Hingegen hat sich die Erwerbstätigenquote der Älteren in allen Ländern erhöht. Am stärksten ist das in Deutschland der Fall: Hier stieg die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen um 10,5 Prozentpunkte. Die Niederlande und Finnland, wie Deutschland auf einem mittleren Niveau in der Altersbeschäftigung, verzeichneten ebenfalls eine deutliche Steigerung (9,0 und 8,8 Prozentpunkte). Andere Länder mit einer deutlichen Zunahme der Altersbeschäftigung, wie Luxemburg oder Belgien (7,6 und 6,9 Prozentpunkte), starteten von einem niedrigeren Ausgangsniveau. 1 Abbildung 1: Erwerbstätigenquoten Älterer im europäischen Vergleich (EU 15, 2001 und 2006) in % 100,0 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 Erwerbstätigenquoten 15 64 Jahre (2001) 15 64 Jahre (2006) 55 64 Jahre (2001) 77,4 55 64 Jahre (2006) 74,3 73,1 70,2 71,5 69,3 67,5 68,6 69,6 67,9 66,2 63,6 63,8 64,8 76,2 61,0 61,0 74,1 60,7 58,4 71,4 57,4 68,5 54,5 69,0 68,1 53,1 74,0 65,8 62,8 50,1 63,1 48,4 64,0 47,7 59,9 65,8 44,1 45,3 54,8 56,3 42,3 57,8 58,0 66,7 38,1 52,2 50,2 35,5 32,0 33,2 32,5 46,8 45,7 39,2 39,6 37,9 38,2 38,8 31,9 28,0 28,9 25,1 25,6 0,0 BE LU IT AT FR DE GR ES NL FI IE PT UK DK SE EU (15) Quelle: http://epp.eurostat.ec.europa.eu, Zugriff am 15.02.2008 Die Erwerbsbeteiligung Älterer ist seit 2006 weiter gestiegen. So berichtete im Herbst 2007 die Bundesagentur für Arbeit (BA), dass eine Alterserwerbsquote von über 52% erreicht ist (BA 2007) und Deutschland damit bereits das Ziel von Stockholm erreicht hat. Dieser Report untersucht die starke Zunahme der Erwerbstätigkeit Älterer in Deutschland in drei Aspekten genauer. Allerdings stehen für eigenständige Strukturanalysen derzeit nur Daten bis 2006 zur Verfügung. 2 1 2 Eurostat weist für 2006 vorläufige Werte aus, was die unterschiedlichen Werte für die Alterserwerbstätigenquote für Deutschland von 48,4% ( Abbildung 1) und basierend auf dem Mikrozensus 48,1% ( Abbildung 2) erklärt. Aktueller sind Statistiken der BA, allerdings sind diese auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung beschränkt (BA 2007), sowie der Rentenversicherung für die Versicherten (Kruse 2007). - 2 -

Erstens wird der Zeitraum ab 1996 bis 2006 beobachtet, um zu erkennen, seit wann die Erwerbsbeteiligung der Älteren zunimmt. Ein Vergleich zwischen zwei Zeitpunkten etwa zwischen 2001 als Jahr des beschäftigungspolitischen Gipfels von Stockholm und 2006 als derzeit aktuellstem Jahr erlaubt keinen fundierten Aufschluss über die Dynamik der steigenden Alterserwerbsbeteiligung. Zweitens wird untersucht, wie sich die Erwerbstätigkeit bei parallelem Bezug von Arbeitslosengeld (einschließlich Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie Arbeitslosengeld II) und Rente entwickelt hat. Wurde in der jüngsten Vergangenheit der Zuwachs der Alterserwerbstätigkeit erkauft durch nicht existenzsichernde Jobs oder durch Mini-Renten, die eine Fortsetzung der Erwerbstätigkeit nach sich ziehen? Drittens wird geprüft, wie sich demographische Veränderungen innerhalb der Gruppe der Älteren auf die Beschäftigungsquoten auswirken. Wie schon für den vorangegangenen Report erfolgen die Analysen auf der Grundlage des Mikrozensus (siehe Brussig/Wojtkowski 2007). Im Unterschied zum vorhergehenden Report wird Erwerbstätigkeit hier aber weiter gefasst; ihre Messung orientiert sich am Labour-Force-Konzept der ILO (siehe Kasten). Nach diesem Konzept wird auch die Erwerbstätigenquote im europäischen Vergleich gemessen. Demzufolge gibt es keine zeitliche Untergrenze, um als erwerbstätig zu zählen. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Einkommen aus der Erwerbstätigkeit bezogen wird. Ob das Einkommen aus dieser Erwerbstätigkeit zur Deckung des Lebensunterhalts ausreicht, ist ohne Bedeutung. Um den Vergleich mit den eingangs dargestellten Entwicklungen zu ermöglichen, fassen wir die Spanne des Altersübergangs enger als in den bisherigen Altersübergangsreporten und beschränken uns in diesem Report auf Personen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren. Erwerbstätigkeit nach dem Labour-Force-Konzept der ILO Erwerbstätig im Sinne des Labour-Force-Konzepts der International Labour Organization (ILO) ist jede Person ab 15 Jahren, die in einem einwöchigen Berichtszeitraum unabhängig vom zeitlichen Umfang in einem Beschäftigungsverhältnis steht, selbstständig ist oder als mithelfende Familienangehörige arbeitet. Als erwerbstätig gelten auch Personen, die nur geringfügig oder gelegentlich arbeiten. Auch wer sich formal in einem Arbeitsverhältnis befindet, das im Berichtszeitraum vorübergehend nicht ausgeübt wurde, gilt ebenfalls als erwerbstätig. Erwerbstätig sind mithin auch Personen in der Freistellungsphase der Altersteilzeit, Frauen im Mutterschutz, Personen in Elternzeit mit Rückkehrrecht und Personen, die urlaubs- oder krankheitsbedingt ihrer Arbeit nicht nachgehen. Personen in Arbeitsgelegenheiten ( 1-Euro-Jobs ) und Rentner mit einem Minijob zählen ebenfalls als Erwerbstätige. Die Daten zur Erwerbstätigkeit beruhen auf Angaben von Personen in einer Befragung, nicht auf Prozess produzierten Daten. Der Mikrozensus als Datengrundlage Der Mikrozensus ist eine repräsentative amtliche Befragung der Bevölkerung, in die jährlich ein Prozent aller Haushalte in Deutschland einbezogen werden. In den Mikrozensus ist die Arbeitskräfteerhebung integriert, auf die sich das Statistische Büro der Europäischen Union (Eurostat) zur Berechnung der Erwerbstätigenquote für Deutschland im EU-Vergleich stützt. Die Erwerbstätigenquote wird von Eurostat Beschäftigungsquote genannt. Die derzeit aktuellste, für eigene Analysen verfügbare Welle des Mikrozensus ist die Erhebung von 2006. 3 3 Das Jahr 2006 kann derzeit bis zur Bereitstellung eines Scientific Use File (voraussichtlich Sommer 2008) nur über Datenfernverarbeitung bzw. an speziellen Gastarbeitsplätzen direkt bei den Statistischen Landesämtern ausgewertet werden. - 3 -

Design und Erhebung des Mikrozensus wurden im Jahr 2005 gegenüber den Vorjahren in wesentlichen Punkten verändert (siehe auch Iversen 2007; Reinberg/Hummel 2007; Brussig/Wojtkowski 2007). Die wichtigsten Veränderungen betreffen die Erhebung selbst, die nun kontinuierlich durchgeführt wird statt wie bislang einmal jährlich, das Hochrechnungsverfahren, das zu einer verbesserten Übereinstimmung der hochgerechneten Altersstruktur auf Grundlage des Mikrozensus mit der Laufenden Bevölkerungsfortschreibung führt, sowie Anpassungen in Frageformulierungen, um eine bessere Übereinstimmung an das Labour-Force-Konzept zu erreichen. Allein aufgrund dieser methodischen Veränderungen wird für 2005 eine höhere Alterserwerbstätigkeit als im Vorjahr ausgewiesen; allerdings lässt sich die methodenbedingte Zunahme nicht isolieren von gleichzeitig stattfindenden realen Änderungen in der Alterserwerbstätigkeit. Deshalb sollten Veränderungen zwischen 2004 und 2005 nicht ausschließlich als Ausdruck von Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt interpretiert werden. Interpretationen mit einem weiter gefassten Zeithorizont sind nach wie vor möglich (siehe auch Reinberg/Hummel 2007). Das Statistische Bundesamt ist der Auffassung, dass die Veränderungen beim Mikrozensus zu einer verbesserten Abbildung der Bevölkerung geführt haben (Iversen 2007, S. 744). Insofern ist die Alterserwerbstätigkeit ab 2005 nicht überschätzt, vielmehr war sie in den Jahren vor 2005 insbesondere im Bereich der geringfügigen Beschäftigung unterschätzt. Zur Entwicklung der Erwerbsbeteiligung seit 1996 Die Erwerbsbeteiligung der Personen zwischen 15 und 64 Jahren ist zwischen 1996 und 2005 nur geringfügig gestiegen. Zwischen 1996 und 2001 hat sich auch die Erwerbsbeteiligung der Älteren ab 55 Jahren kaum verändert (siehe Abbildung 2). Erst danach ist sie von 38,0% (2001) auf 41,2% (2004) gestiegen und hat im Jahr 2005 einen großen Sprung auf 45,5% gemacht. Für diesen starken Anstieg innerhalb nur eines Jahres sind auch die methodischen Umstellungen des Mikrozensus im Jahr 2005 verantwortlich (s.o.), die den Wert einer mehrjährigen Zeitreihe schmälern. Die veränderte Hochrechnung wirkt sich offensichtlich nur bei den Älteren, aber nicht bei den Jüngeren aus. Es lässt sich nicht rekonstruieren, wie hoch die Erwerbstätigenquote 2001 gewesen wäre, wenn sie mit der Methodik des Jahres 2005 berechnet worden wäre. Dennoch lässt sich festhalten, dass der Anstieg der Erwerbsbeteiligung der Älteren erst nach 2001 begonnen hat. Hervorzuheben ist auch, dass bei konstanter Erhebungsmethodik die Alterserwerbstätigkeit im Jahr 2006 erneut kräftig zugelegt hat, nämlich auf 48,1%. Besonders zugenommen hat die Erwerbsbeteiligung der 58- bis 63-jährigen Männer, während bei Frauen die Erwerbsbeteiligung in allen Altersgruppen angestiegen ist (vgl. Abbildung 3). Dieses Ergebnis wurde bereits im vorangegangenen Altersübergangsreport nur bezogen auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und bei Betrachtung der 50- bis 64-Jährigen berichtet (Brussig/Wojtkowski 2007); es bestätigt sich nun auch, wenn über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hinaus jede Art der Erwerbstätigkeit berücksichtigt wird. - 4 -

Abbildung 2: Entwicklung der Erwerbsbeteiligung 15-64-Jährige und 55-64- Jährige, 1996 2006 (Labour-Force-Konzept) 80,0% 70,0% 70,5% 70,2% 70,5% 71,8% 72,5% 72,8% 71,8% 70,9% 69,7% 69,6% 71,1% 60,0% 50,0% 40,0% 37,6% 38,4% 38,0% 38,1% 37,7% 38,0% 38,9% 39,7% 41,2% 45,5% 48,1% 30,0% 20,0% 10,0% 55-64 15-54 0,0% 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Quelle: Mikrozensus, verschiedene Jahrgänge, eigene Berechnungen Der Anstieg der Erwerbsbeteiligung gerade der 58- bis 63-jährigen Männer geht einher mit der zunehmenden Wirksamkeit von Abschlägen bei vorzeitigem Rentenbeginn, die Anreize für einen längeren Verbleib in Erwerbstätigkeit setzen. Seit 2001 ist aber auch die Inanspruchnahme der Altersteilzeit gestiegen, die überwiegend von Männern und fast ausschließlich im Blockmodell genutzt wird. Obwohl als erwerbstätig registriert (und das Einkommen als Lohn bzw. Gehalt beziehend), stehen Altersteilzeitbeschäftigte während der Freistellungsphase nicht mehr im Arbeitsprozess. Die zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen ist hingegen eher Ergebnis einer gestiegenen Erwerbsbeteiligung nachrückender Geburtskohorten, wobei Frauen auch von der Anhebung des abschlagsfreien Rentenalters betroffen sind. Abbildung 3: Altersspezifische Erwerbstätigenquoten nach Geschlecht, 1996, 2001, 2006 (Labour-Force-Konzept) 80% 70% 60% 50% Männer 2006 2001 1996 80% 70% 60% 50% Frauen 2006 2001 1996 40% 40% 30% 30% 20% 20% 10% 10% 0% 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 Quelle: Mikrozensus, verschiedene Jahrgänge, eigene Berechnungen 0% 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 Nach wie vor gibt es deutliche Unterschiede in der Alterserwerbstätigkeit zwischen Männern und Frauen, deren Abstand sich in den 10 Jahren ab 1996 nur geringfügig verändert hat (von 20 Pro- - 5 -

zentpunkte auf 16 Prozentpunkte Differenz; siehe die durchgezogenen Linien in Abbildung 4). Während bei Frauen über den gesamten Zeitraum hinweg die Erwerbsbeteiligung angestiegen ist, hat sie bei Männern ihren Tiefpunkt erst im Jahr 2000 erreicht. Da zu diesem Zeitpunkt die arbeitsmarkt- und rentenpolitische Wende zur Frühverrentung bereits eingeleitet war und auch die konjunkturelle Situation günstig war, kommen vor allem demographische Gründe in Betracht (s.u.). Deutlich verringert hat sich hingegen das Nachhinken der ostdeutschen Alterserwerbsquote gegenüber dem westdeutschen Vergleichswert (siehe die gestrichelten Linien in Abbildung 4). Allein im Jahr 2005 springt die Alterserwerbsquote in den neuen Bundesländern bis fast auf das Niveau der ihrerseits überdurchschnittlich stark steigenden Quote in den alten Bundesländern. Gründe hierfür können die stärkere Reagibilität in Ostdeutschland auf die Einführung der Abschläge sein (Brussig/Wojtkowski 2006) 4 und eine stärkere Verbreitung von Arbeitsgelegenheiten ( 1-Euro-Jobs ). Möglicherweise schlagen sich die methodischen Änderungen des Mikrozensus aber auch in Ostdeutschland stärker nieder. Abbildung 4: Entwicklung der Erwerbsbeteiligung im Alter bei Männern und Frauen und in Westdeutschland und Ostdeutschland 1996 2005 (55- bis 64-Jährige, Labour-Force-Konzept) 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Männer Frauen West Ost 0% 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Quelle: Mikrozensus, verschiedene Jahrgänge, eigene Berechnungen Nach wie vor ausgeprägt sind die Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung in Abhängigkeit von der Qualifikation (siehe Abbildung 5). Zwischen 2001 und 2006 ist besonders stark die Erwerbsbeteiligung von Personen ohne berufliche Ausbildung (niedrige Qualifikation) sowie mit beruflicher Ausbildung (mittlere Qualifikation) gestiegen, während die allerdings schon hohe Erwerbsbeteiligung von Älteren mit Fachhochschul- und Hochschulabschluss (hohe Qualifikationen) vergleichsweise geringfügig gestiegen ist. Da der starke Anstieg der Alterserwerbsbeteiligung von niedrig und mittel qualifizierten Personen vor allem zwischen 2004 und 2005 lag, ist zu vermuten, 4 Ostdeutsche tragen hauptsächlich aufgrund der schlechteren Arbeitsmarktlage häufiger und durchschnittlich höhere Abschläge bei Rentenbeginn. Allerdings zögern erwerbstätige Personen in Ostdeutschland stärker als in Westdeutschland den Renteneintritt hinaus, um Abschläge zu minimieren, was mit der schlechteren betrieblichen und privaten Altersvorsorge zu erklären ist. - 6 -

dass dieser Anstieg auf eine bessere Erfassung geringfügiger Tätigkeiten zurückzuführen ist. Dennoch ist noch immer die Erwerbsbeteiligung älterer Hochqualifizierter doppelt so hoch wie die der älteren Personen ohne Berufsabschluss. Abbildung 5: Alterserwerbsquoten nach Qualifikation, 1996, 2001, 2006 (55- bis 64-Jährige, Labour-Force-Konzept) 80% 70% 65,8% 65,2% 68,7% 60% 50% 47,9% 40% 41,2% 38,5% 35,5% 30% 25,3% 25,8% 20% niedrig (ohne Abschluss) 10% mittel (beruflicher Abschluss) hoch (FHS-/HS-Abschluss) 0% 1996 2001 2006 Quelle: Mikrozensus, verschiedene Jahrgänge, eigene Berechnungen Erwerbstätigkeit bei gleichzeitigem Transferleistungs- und Rentenbezug von Älteren im erwerbsfähigen Alter Wie eingangs betont, werden nach dem hier verwendeten Labour-Force-Konzept der ILO alle Personen als erwerbstätig gezählt, die in der Woche vor der Befragung mindestens 1 Stunde gegen Entgelt oder als Selbstständige gearbeitet haben, also auch Minijobs. Ein gleichzeitiger Bezug von Transferleistungen ist ohne Belang, um als erwerbstätig gezählt zu werden. Im Folgenden wird geprüft, wie sich die Erwerbstätigkeit Älterer entwickelt hat, die parallel Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Arbeitslosen- und Sozialhilfe (bis 31.12.2004), Arbeitslosengeld II (ab 01.01.2005)) sowie Rente beziehen. Sie spielen in den öffentlichen Diskussionen mehrfach eine Rolle. Die Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ( Hartz IV ) zum 1.1.2005 hat einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt, wie viele Aufstocker es gibt: Personen, deren Einkommen trotz Erwerbstätigkeit unter dem Existenzminimum liegt, das deshalb mit Leistungen nach dem SGB II aufgestockt werden muss. Im September 2005 waren es ca. 783.000 Personen (BA 2006, S. 9). 5 Allerdings gab es bereits vor der Einführung des SGB II ca. 270.000 Personen, die aufstockende Sozialhilfe erhielten. Und angesichts sinkender Rentenzahlbeträge können sich Rentnerinnen und Rentner zunehmend vor der Notwendigkeit sehe, ihre Erwerbstätigkeit fortzusetzen. Jedoch gibt es enge Hinzuverdienstgrenzen für Personen, die vor ihrem 65. Lebensjahr eine Rente beziehen. Denn die Möglichkeit des Bezugs von Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze wird arbeitsmarktpolitisch auch mit der Entlastungswirkung für den Arbeitsmarkt ge- 5 Im August 2007 (aktuellste verfügbare Zahl) waren es über 1,26 Mio. Personen, http://www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/detail/l.html (Zugriff am 03.04.2008). - 7 -

rechtfertigt. Wer dennoch erwerbstätig ist, muss oberhalb von Freibeträgen das Einkommen mit der Rente verrechnen. Erst ab dem 65. Lebensjahr fallen diese Beschränkungen fort. Wie die Abbildung 6 zeigt, hat der Anteil der erwerbstätigen Transfergeldbezieher an den Älteren zwischen 1996 und 2005 zugenommen. Dabei hat sich zunächst der Anteil der erwerbstätigen Rentenbezieher ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau zwischen 1996 bis 2002 nahezu verdoppelt. Erst ab 2002 stieg auf noch niedrigerem Niveau der Anteil der erwerbstätigen Bezieher von Arbeitslosengeld, Arbeitslosen- und Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II. Besonders deutlich ist ab 2005 die Zunahme des Anteils von Erwerbstätigen, die zugleich Unterstützungsleistungen wegen Arbeitslosigkeit erhalten. Ihr Anteil hat sich binnen weniger Jahre verdoppelt. Dies könnte auch durch die Einführung des Arbeitslosengeldes II im SGB II mitverursacht sein, aufgrund derer auch Personen mit niedrigem Einkommen ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld II geltend gemacht haben, die zuvor keine Unterstützungsleistungen bezogen. In der Summe machen beide Gruppen von älteren erwerbstätigen Transfergeldbeziehern jedoch nur zwischen 2% und etwas mehr als 3% der Bevölkerung im Alter zwischen 55 und 64 Jahren, bzw. zwischen 4% und 7% der älteren Erwerbstätigen aus. Diese Gruppe ist zu klein, als dass ihre Zunahme auch die Zunahme der Alterserwerbstätigkeit nach 2001 allein bewirken könnte. Allerdings hat die Zunahme der Erwerbsbeteiligung der Rentenbezieher bis 2001 bewirkt, dass die Alterserwerbsbeteiligung nahezu konstant geblieben ist. Ohne die erwerbstätigen Rentenbezieher (und ohne die erwerbstätigen Bezieher von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit), d.h. bei einer Berücksichtigung der ausschließlich Erwerbstätigen wäre die Alterserwerbsbeteiligung zwischen 1996 und 2000 sogar rückläufig gewesen (siehe Brussig/Wojtkowski 2007, S. 13, Tabelle 3). Abbildung 6: Anteil von erwerbstätigen Arbeitslosengeld-* und Rentenbeziehern an der Bevölkerung im Alter von 55 bis 64 Jahren 2,5% 2,0% 1,5% 1,0% 0,5% 0,0% 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Erwerbstätigkeit und Leistungsbezug wegen Arbeitslosigkeit * einschließlich Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie Arbeitslosengeld II. Quelle: Mikrozensus, verschiedene Jahrgänge, eigene Berechnungen Erwerbstätigkeit und Rentenbezug Aufgrund der relativ geringen Anzahl älterer erwerbstätiger Transfergeldbezieher ist es kaum möglich, diese Erwerbstätigen differenziert zu beschreiben. Es zeichnet sich aber ab, dass die Strukturen erwerbstätiger Transfergeldbezieher überwiegend komplementär zu denen der aus- - 8 -

schließlich Erwerbstätigen sind. Bezogen auf die Erwerbstätigen (und nicht auf die Bevölkerung), ist der Anteil der erwerbstätigen Rentenbezieher unter den Frauen höher als unter den Männer (4,7 gegenüber 4,3%), in den neuen Bundesländern höher als in den alten Bundesländern (4,9 gegenüber 4,3%) und relativ ausgeprägt unter erwerbstätigen Rentenbeziehern ohne Qualifikation höher als unter jenen mit hohen Qualifikationen (5,0 gegenüber 2,6%, alle Zahlen für 2006). In den sozioökonomischen Gruppen, in denen die Alterserwerbsquote hoch ist, ist der Anteil der erwerbstätigen Rentenbezieher (unter 65 Jahren) niedrig, und umgekehrt. Demographische Effekte bei der Erhöhung der Alterserwerbsquote Personen, die im Beobachtungszeitraum von 1996 bis 2005 zwischen 55 und 64 Jahre alt waren, wurden zwischen 1932 und 1950 geboren. In diesen fast 20 Jahren gab es dramatische gesellschaftliche Veränderungen, die vom Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise über Nazidiktatur und zweiten Weltkrieg bis hin zur beginnenden Nachkriegsprosperität reichen. Die Auswirkungen auf die Geburtenzahlen ein Rückgang im Zusammenhang mit dem Krieg und dem Tiefpunkt im Jahr 1945 und einer dann lange anhaltenden Zunahme an Geburten, deren Höhepunkt 20 Jahre später (1964) erreicht wurde sind noch heute im Altersaufbau der Bevölkerung in der Bundesrepublik nachweisbar. Abbildung 7 stellt die Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland für zwei Jahre (2001 und 2006) dar. Besonders hervorgehoben ist das Zeitfenster des Altersübergangs (55-64 Jahre). Da nach den Kriterien des Ziels von Stockholm dies die Lebensjahre zwischen 55 und 64 Jahren betrifft, kann man dieses Altersfenster auch als Stockholmer Fenster bezeichnen. Im Laufe der Zeit durchlaufen die unterschiedlich besetzten Geburtsjahrgänge das Stockholmer Fenster. Dabei wird sichtbar, dass im Jahr 2001 die stark besetzten Geburtskohorten vom Ende der 1930er Jahre ca. 60 Jahre bzw. etwas älter sind. Der Geburtenrückgang in der ersten Hälfte der 1940er Jahre zeigt sich als abnehmende Kohortengrößen der unter 60-Jährigen; die kleinste Kohorte ist 2001 bei den 55/56-Jährigen. Im Jahr 2006 hat sich das Bild gewandelt: Wachsende Kohorten sind seitdem in das Stockholmer Fenster eingetreten, die große Kohorte der 1939 Geborenen ist am Ende des Altersfensters angekommen. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, wie die dritte (gepunktete) Linie zeigt. Sie prognostiziert die Altersverteilung derjenigen, die 2006 zwischen 45 und 54 Jahre alt waren, in zehn Jahren und bezieht sich mithin auf das Jahr 2016. 6 Demzufolge wird es 2016 nur eine relativ kleine Kohorte von dann 64-Jährigen und große Kohorten der 55- bis 59-Jährigen geben. 6 Die Werte beruhen auf der 11. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung mit den Annahmen einer Geburtenrate wie gegenwärtig (1,4 Kinder pro Frau), einer Basisannahme zur Lebenserwartung und einem positiven Wanderungssaldo von 100.000 Personen pro Jahr (Variante 1, W1). - 9 -

Abbildung 7: Das "Stockholmer Fenster" (Veränderung der Altersverteilung bei den 55- bis 64-Jährigen zwischen 2001 und 2006; Prognose für 2016) Anzahl Personen 1 600,0 1 400,0 1 200,0 1 000,0 800,0 600,0 400,0 Das Stockholmer Fenster 200,0 0,0 unter 1 3-4 6-7 9-10 12-13 15-16 18-19 21-22 24-25 27-28 30-31 33-34 36-37 39-40 42-43 45-46 48-49 51-52 54-55 57-58 60-61 63-64 Altersstruktur im Jahr 2001 2006 Prognose 2016* 66-67 69-70 72-73 75-76 78-79 81-82 84-85 87-88 90 und mehr Quelle: Laufende Bevölkerungsfortschreibung 2001, 2006; *11. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung (Variante 1, W1) Diese demographischen Veränderungen beeinflussen die Alterserwerbsquote unmittelbar. Denn die Erwerbstätigkeit ist unter den 55- bis 59-Jährigen stets höher als unter den 60- bis 64- Jährigen, wie die altersspezifischen Erwerbstätigenquoten im vorangegangenen Report gezeigt haben. Nimmt der Anteil der 55- bis 59-Jährigen unter den Älteren zu, dann steigt die Alterserwerbsquote, auch wenn sich nichts am Erwerbsverhalten der Personen aus unterschiedlichen Geburtsjahrgängen ändert. Im Jahr 2001 waren rund 11,2 Mio. Menschen in Deutschland zwischen 55 und 64 Jahre alt; von ihnen waren ca. 4,3 Mio. erwerbstätig (siehe Abbildung 8). Das entspricht der oben ausgewiesenen Erwerbstätigenquote von 38,0%. Im Jahr 2006 gab es über 1 Mio. weniger Personen in dieser Altersgruppe (ca. 9,8 Mio.), aber die Zahl der Erwerbstätigen ist sogar noch gestiegen (auf 4,7 Mio.), was sich in einer deutlich höheren Erwerbstätigenquote ausdrückt (48,1%; siehe oben). - 10 -

Abbildung 8: Altersspezifische Erwerbstätigkeit und Bevölkerungsaufbau, 2001 und 2006 1.600.000 1.400.000 1.600.000 2001 1.400.000 2006 1.200.000 1.200.000 1.000.000 1.000.000 800.000 800.000 600.000 Nichterwerbstätige Erwerbstätige 600.000 Nichterwerbstätige Erwerbstätige 400.000 200.000 66,63% 64,36% 60,69% 54,80% 47,78% 33,91% 25,38% 20,75% 400.000 200.000 14,90% 10,80% 0 70,29% 67,23% 64,97% 60,33% 56,27% 44,18% 37,97% 32,58% 22,96% 17,16% 0 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 Die Prozentzahlen in den Säulen stellen die altersspezifischen Erwerbstätigenquoten dar. Quelle: Mikrozensus 2001 und 2006, eigene Berechnungen Der demographische Effekt auf die Alterserwerbstätigkeit besteht darin, dass sich die Altersstruktur innerhalb der Älteren demographisch ändert. Dieser demographische Effekt lässt sich beziffern, indem eine fiktive Alterserwerbstätigenquote für das Jahr 2006 ermittelt wird, die von den Jahrgangsstärken des Jahres 2001 und der jahrgangsspezifischen Erwerbsbeteiligung des Jahres 2006 ausgeht (siehe Abbildung 9). Damit lässt sich simulieren, wie hoch die Alterserwerbstätigkeit 2001 gewesen wäre, wenn die Altersstruktur wie 2006 bestanden hätte. Abbildung 9: Simulation der Alterserwerbstätigkeit (Altersstruktur 2006; altersspezifische Erwerbstätigenquoten 2001) 1.600.000 1.400.000 Simulation 1.200.000 1.000.000 800.000 600.000 66,6% 64,4% Nichterwerbstätige Erwerbstätige 60,7% 400.000 54,8% 200.000 0 47,8% 33,9% 25,4% 20,8% 14,9% 10,8% 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 Simulation: Für die Jahreskohorten des Jahres 2006 wurden altersspezifische Erwerbstätigenquoten von 2001 unterstellt. Quelle: Mikrozensus 2001 und 2006, eigene Berechnungen Die Anteile der erwerbstätigen 55-Jährigen, 56-Jährigen usw. entsprechen den altersspezifischen Erwerbstätigenquoten des Jahres 2001. Aber die Bevölkerungszahlen entsprechen denen des Jahres 2006. Sie betragen in der Summe wieder ca. 9,8 Mio. Personen, doch die Summe der älteren Erwerbstätigen beträgt nur noch 3,9 Mio., was einer Erwerbstätigenquote von 40,1% ent- - 11 -

spricht. Mit anderen Worten: Hätte es keine Zunahme in der Erwerbsbeteiligung der 55-Jährigen, 56-Jährigen usw. gegeben, wäre die Erwerbstätigenquote wegen demographischer Veränderungen dennoch angestiegen, und zwar von 38,0% auf 40,1%. Diese Zunahme von 2,1 Prozentpunkten macht den demographischen Effekt aus. 7 Gemessen an der Veränderung der Erwerbstätigenquote zwischen 2001 und 2006 um 10,1 Prozentpunkte, lassen sich folglich 20,8% der Zunahme der Erwerbstätigenquote auf die günstigere Altersstruktur zurückführen. Der überwiegende Teil der Zunahme der Erwerbstätigenquote, 79,2%, ist von demographischen Veränderungen unabhängig und resultiert originär aus einer höheren Erwerbsbeteiligung. 8 Der demographische Rückenwind wird sich in den Jahren nach 2005 verstärken, wenn die stark besetzten Jahrgänge der 60- bis 64-Jährigen dem Erwerbspersonenpotenzial entwachsen. Erst ab ca. 2021, wenn Personen des Jahrgangs 1964 55 Jahre alt werden und die nachrückenden Kohorten weniger besetzt sind, ist wieder mit demographischem Gegenwind zu rechnen. Dieser demographische Umschlag wird sich zu einem wichtigen Zeitpunkt der Anhebung der Altersgrenze für die Regelaltersrente auf 67 Jahre ereignen: Ab dem Jahr 2012 und in einer Zeit des demographischen Rückenwindes erfolgt die Anhebung um einen Monat für jeden späteren Geburtsjahrgang; ab 2024 erfolgt die Anhebung doppelt so schnell, nämlich um 2 Monate pro Geburtsjahrgang. Diese Phase der Altersgrenzenanhebung wird sich gegen ein demographisch ungünstiges Umfeld durchzusetzen haben. Literatur Bundesagentur für Arbeit, 2006: Grundsicherung für Arbeitsuchende: Anrechenbare Einkommen und Erwerbstätigkeit. Bericht der Statistik der BA. Nürnberg Volltext Bundesagentur für Arbeit, 2007: Arbeitsmarktberichterstattung: Situation von Älteren auf dem Arbeitsmarkt - Erwerbstätigkeit, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Nürnberg Volltext Brussig, Martin / Wojtkowski, Sascha, 2007: Mehr Ältere auf dem Arbeitsmarkt: Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit nehmen zu. Internet-Dokument. Gelsenkirchen, Düsseldorf: Inst. Arbeit und Qualifikation, Hans-Böckler-Stiftung. Altersübergangs-Report, Nr. 2007-03 Volltext Brussig, Martin / Wojtkowski, Sascha, 2006: Durchschnittliches Rentenalter steigt weiter: wachsende Differenzierung im Rentenzugangsalter seit 2003 zu beobachten. Internet-Dokument. Gelsenkirchen, Düsseldorf: Inst. Arbeit und Technik, Hans-Böckler-Stiftung. Altersübergangs- Report, Nr. 2006-02 Volltext EU, 2001: Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat (Stockholm), 23. und 24. März 2001 Volltext Iversen, Kirsten, 2007: Auswirkungen der neuen Hochrechnung für den Mikrozensus ab 2005, in: Wirtschaft und Statistik 8/2007, S. 739-747 Volltext 7 8 Ohne die methodischen Anpassungen beim Mikrozensus (s.o.) würden sich die demographischen Veränderungen nicht so deutlich niederschlagen und die Erhöhung der Alterserwerbsquote würde niedriger ausfallen. Denn die veränderten Hochrechnungen führen zu einer kleineren Gesamtzahl der Älteren. Die Effekte, die sich aus unterschiedlich besetzten Jahrgängen ergeben, bleiben von den methodischen Änderungen jedoch unberührt. Kistler et al. (2007, S. 662) ermitteln einen deutlich höheren demographischen Effekt von 51,4% für Gesamtdeutschland. Allerdings liegt dort eine andere Datengrundlage (sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nach BA-Angaben) zugrunde. Zudem ermitteln sie den demographischen Effekt nicht durch altersspezifische Erwerbstätigenquoten, sondern durch die Zerlegung der 55-64-Jährigen in nur zwei Gruppen (55- bis 59-Jährige und 60- bis 64-Jährige). Zwischen 2005 und 2006 wechselt der extrem geburtenschwache Jahrgang 1945 von der Gruppe der 55-59-Jährigen in die Gruppe der 60- bis 64-Jährigen, was für einen starken Einmaleffekt sorgt. - 12 -

Kistler, Ernst / Ebert, Andreas / Stecker, Christina, 2007: Steigende Beschäftigung Älterer: Sind wir wirklich auf dem richtigen Weg? Deutsche Rentenversicherung 10/2007, S. 651-664 Volltext Kruse, Edgar, 2007: Empirische Ergebnisse zur Erwerbsbeteiligung älterer Versicherter anhand der Statistiken zur gesetzlichen Rentenversicherung. Deutsche Rentenversicherung 11-12/2007, S. 716-749 Volltext Reinberg, Alexander / Hummel, Markus, 2007: Schwierige Fortschreibung: Der Trend bleibt - Geringqualifizierte sind häufiger arbeitslos. IAB-Kurzbericht Nr. 18/2007 Volltext Der Altersübergangs-Report bringt in unregelmäßiger Folge Ergebnisse des Altersübergangs-Monitors, der von der Hans-Böckler-Stiftung seit 2003 und vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Rentenversicherung seit 2006 gefördert und vom Institut Arbeit und Qualifikation durchgeführt wird. Das Projekt hat zum Ziel, betrieblichen und gesellschaftlichen Akteuren ein repräsentatives und möglichst zeitnahes Bild vom Übergangsgeschehen zwischen der Erwerbs- und der Ruhestandsphase zu vermitteln. Zu diesem Zweck werden verschiedene Datenquellen analysiert, systematisch aufeinander bezogen und im Kontext der Veränderung institutioneller Rahmenbedingungen interpretiert. Dadurch soll der Grundstein zu einer kontinuierlichen Sozialberichterstattung zum Thema Altersübergang gelegt werden. Dr. Martin Brussig ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsabteilung Entwicklungstrends des Erwerbssystems im Institut Arbeit und Qualifikation. Kontakt: martin.brussig@uni-due.de Sascha Wojtkowski ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsabteilung Entwicklungstrends des Erwerbssystems im Institut Arbeit und Qualifikation. Kontakt: sascha.wojtkowski@uni-due.de - 13 -

Impressum Altersübergangs-Report 2008-01 Redaktionsschluss: 04.04.2008 Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf Projekt-Nr. 2006-817-3, verantwortlich: Dr. Sebastian Brandl, sebastian-brandl@boeckler.de Forschungsnetzwerk Alterssicherung, Berlin verantwortlich für die Förderung des Projekts: Dr. Jürgen Faik, juergen.faik@drv-bund.de Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), Universität Duisburg-Essen verantwortlich für die Durchführung des Projekts: PD Dr. Matthias Knuth, matthias.knuth@uni-due.de Redaktion Matthias Knuth matthias.knuth@uni-due.de Bestellungen / Abbestellungen HBS, FNA und IAQ im Internet http://www.boeckler.de Über den neusten Altersübergangsreport informieren wir Sie in unserem monatlichen Newsletter, den Sie hier abonnieren können. http://lists.unidue.de/mailman/listinfo/iaq_report http://forschung.deutscherentenversicherung.de http://www.iaq.uni-due.de Der Altersübergangs-Report (ISSN 1614-8762) erscheint seit Oktober 2004 in unregelmäßiger Folge als ausschließlich elektronische Publikation. Der Bezug ist kostenlos. - 14 -