Dreizehnter Kaufbeurer Dialog am 07.07.2014 General a.d. Klaus Dieter Naumann Im Sparkassenforum der Kreis- und Stadtsparkasse Kaufbeuren stellte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.d. Klaus Dieter Naumann, am 07. Juli 2014 seine Thesen zur Sicherheit für Europa in unruhigen Zeiten vor über 170 politikinteressierten Gästen dar. General a.d. Naumann sieht einen großen Krieg in Europa als unwahrscheinlich an. Kein Staat der Welt wäre in der Lage, Europa militärisch zu gefährden, so lange Europa durch die NATO mit den USA verbündet ist. Der Kontinent sei allerdings angesichts einer zunehmenden Schwächung im letzten Jahrzehnt weniger denn je zu einer eigenständigen Gefahrenabwehr fähig. Europas Sicherheit habe durch das Verhalten Russlands in der Ukraine-Krise nachhaltigen Schaden genommen. Alle Versicherungen, auf denen seit 1990 die Sicherheit Europas beruhte, vor allem die in der Helsinki Schlussakte begründete und in der Pariser Erklärung von 1990 von allen OSZE Staaten erneut bekräftigte Verpflichtung, keine Grenzen in Europa mit Gewalt zu verändern, erwiesen sich durch Russlands Verhalten als Illusion. Unbestritten gebe es zahlreiche Gründe, die Russlands Anspruch auf die erst seit den 50er Jahren zur Ukraine gehörende Krim berechtigt erscheinen lassen. Aber es existiere keine Rechtsgrundlage für die nach einem fragwürdigen Referendum erfolgte Annexion, - 51 -
exekutiert unter dem Schutz russischer Gewehre. Dies sei und bleibe rechtswidrig, so Naumann. Die Abkehr Russlands von Europa sei keine Eintagsfliege, Russlands Verhalten in der Ukraine Krise habe die politische und sicherheitspolitische Landschaft Europas nachhaltig verändert. Russland dürfte mit Schwerpunkt nach Europa orientiert bleiben, aber bis auf weiteres eine zunächst eher konfrontative Politik betreiben, stets unterhalb der Schwelle zum offenen Konflikt. Russland wolle die Krise in der Ostukraine am Kochen halten, denn dies würde Kiew schwächen und seine Abhängigkeit von Moskau erhalten. Demnach müsse man sich auch mittelfristig auf eine Verhärtung des Verhältnisses mit Russland einstellen. EU wie NATO müssten dem mit Festigkeit und Geschlossenheit begegnen, einschließlich einer angemessenen Vorbereitung zur Verteidigung des NATO-Gebietes. Außerdem müsse Europa seine Abhängigkeit von russischer Energie durch Diversifizierung verringern. Aber auch wenn man endlich härtere Sanktionen beschließen würde, sollte immer die Hand zur Zusammenarbeit ausgestreckt bleiben. So könne möglicherweise doch noch eine Verhandlungslösung für die Ukraine erreicht werden. Als weiteren Paukenschlag spitze sich die Lage im Nahen Osten mit dem drohenden Zerfall des Irak dramatisch zu, ausgelöst durch den raschen Vormarsch der ISIS Kräfte und der Auflösung der irakischen Armee. Der Arabische Frühling wurde geboren aus der - 52 -
Hoffnungslosigkeit der Jugend, die in all den Staaten von Marokko bis in den Jemen fast 50% der Bevölkerung ausmache und zugleich bis zu 40% ohne Arbeit und damit ohne Zukunft sei. Sie sehe die Reichen immer reicher werden, hingegen staatliche Unterdrückung und Korruption zunehmen. Aus dem Mut derer, die nichts zu verlieren hatten, sei der Aufruhr entstanden. Die Lage in Zentralasien werde entscheidend von der Stabilität Afghanistans nach Abzug der westlichen Truppen abhängen. Dieser erfolge nun nach Obamas überstürzter Entscheidung bereits Ende 2015. Das könnte zu früh sein, führte Naumann aus, auch weil die Instabilität Pakistans in seinen Stammesgebieten zunehme. Es bestehe im Augenblick sicher Hoffnung, dass man das Erreichte, und das sei keineswegs wenig, sichern könne, aber eine haltbare Prognose sei recht gewagt. Der Blick in die fernere Zukunft: Laut Naumann verheiße der Blick in die durchaus verschwommene Glaskugel auch für die Zukunft nicht unbedingt Gutes. In den Jahrzehnten ab 2020 werde Europa mit weiteren Gefahren fertig werden müssen, wie z. B. zunehmenden demografischen Verschiebungen in Europa und Russland. Die Menschen werden älter und die Bevölkerungen nehmen ab im Gegensatz zu Asien, dem Mittleren Osten und Afrika, wo die Bevölkerungen weiter wachsen und immer jünger werden würden. Die europäischen Gesellschaften - 53 -
bräuchten Zuwanderung, die aber müsse nahezu zwangsläufig zu steigenden Integrationsproblemen führen. Erschwerend komme hinzu, dass alternde Gesellschaften sich immer schwerer zur Wehr setzen könnten. Eine weitere Konfliktursache, so Naumann, dürfte die zunehmende Ressourcenknappheit, insbesondere der Mangel an Wasser und Nahrungsmitteln bei weltweit zunehmender Bevölkerungszahl werden. Nach Naumanns Vortrag gingen mehrere Dialog-Teilnehmer auf einzelne Thesen mit kritischen Fragen und Anmerkungen ein. Es entwickelte sich eine dem anspruchsvollen Niveau der Veranstaltung entsprechende muntere Diskussion, die nach dem offiziellen Ende des Kaufbeurer Dialoges in zahlreichen Einzelgesprächen fortgesetzt wurde. - 54 -
Allgäuer Zeitung vom 09.07.2014-55 -