9 WF 87/99 Brandenburgisches Oberlandesgericht 16 F 155/99 Amtsgericht Perleberg 010 Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluß In der Familiensache des Landkreises P..., vertreten durch den Landrat, Jugendamt,..., Antragsgegner und Beschwerdeführer, g e g e n der Frau A... L...,..., - Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte... - Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,
- 2 - hat das Brandenburgische Oberlandesgericht auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 3. Mai 1999 gegen den Beschluß des Amtsgerichts Perleberg vom 22. April 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht..., die Richterin am Oberlandesgericht... und den Richter am Amtsgericht... am 3. Juni 1999 b e s c h l o s s e n : Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Der Beschwerdewert beträgt 1.000,00 DM. G r ü n d e : I. Auf ihren Antrag hin wurde der Antragstellerin und ihrem Ehemann am... Juli 1997 das am... Juli 1997 geborene Kind V... S... durch den Antragsgegner zur Adoptionspflege übergeben, nachdem die Kindesmutter ihre Einwilligung. erteilt hatte. Ende August 1998 kam es zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann der Antragstellerin wegen des Verdachts des sexuellen Mißbrauchs der zehnjährigen Nichte der Antragstellerin. Nachdem der Ehemann der Antragstellerin in Untersuchungshaft verbracht wurde, erfolgte seine Entlassung am 8. Oktober 1998 unter der gleichzeitigen Auflage, sich nicht an seinem Wohnort in D... aufzuhalten. Der Ehemann der Antragstellerin nahm daraufhin seinen Wohnsitz vorläufig bei seinen Eltern in G... Gleichwohl besuchte er etwa einmal wöchentlich die Antragstellerin in ihrer Wohnung; auch holte er gelegentlich das Pflegekind V... aus der Kindertagesstätte ab und verbrachte es in die Wohnung zu der Antragstellerin, wobei dann die Zeit gemeinsam verbracht wurde. Seit dem 19. März 1999 leben die Antragstellerin und ihr Ehemann endgültig voneinander getrennt.
- 3 - Nachdem es zu Kontakten zwischen dem Antragsgegner und der Antragstellerin betreffs einer alleinigen Fortführung der Adoptionspflege durch die Antragstellerin kam, erklärte am 19. März 1999 der Antragsgegner bei einem Treffen in der Wohnung der Antragstellerin dieser die sofortige Herausnahme des Pflegekindes. Diese Entscheidung wurde zunächst wegen einer erkennbaren persönlichen Betroffenheit der Antragstellerin nicht sofort umgesetzt; mit weiterem Schreiben vom 12. April 1999 (Blatt 25 der Akten) bestätigte der Antragsgegner die getroffene Entscheidung aber nochmals und kündigte an, am 26. April 1999 die Pflegetochter abzuholen. Auf Antrag der Antragstellerin hat das Amtsgericht Perleberg nach persönlicher Anhörung der Antragstellerin sowie der Frau W... als Vertreterin des Jugendamtes P... am 22. April 1999 im Wege der einstweiligen Anordnung beschlossen, daß das Pflegekind V... bis zu einer endgültigen Entscheidung zur Hauptsache bei der Antragstellerin verbleibt. In der Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, daß aufgrund der Herausnahme des Kindes aus ihrer Bezugswelt, die sich bei der Antragstellerin befinde, eine Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden bestünde. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 3. Mai 1999, mit der er die Verletzung der gegenüber dem Jugendamt bestehenden Anhörungspflichten rügt und mit der im wesentlichen die bereits der Herausgabe der Pflegetochter V... zugrundeliegenden Gründe vorbringt. II. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist als einfache Beschwerde gemäß 19, 21 FGG statthaft. Bei der angefochtenen Entscheidung handelt es sich um eine Zwischenentscheidung, die eine isolierte Familiensache im FGG-Verfahren betrifft. Für derartige Zwischenentscheidungen ist die einfache Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf (vgl. auch Palandt-Diederichsen, BGB, 58. Aufl. 1999, 1632 Rn. 14 und 30; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG-Kommentar, 14. Aufl. 1999 64 Rn. 55; Rogner in
- 4 - Familienrechtsreformkommentar, 1998, 1632 BGB Rn. 11). Eine befristete Beschwerde gemäß 621 e Abs. 1 und 3, 621 Ziffer 3 ZPO wäre dagegen gegen eine getroffene Endentscheidung des Amtsgerichts statthaft. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Amtsgericht hat zu Recht angeordnet, daß das Pflegekind zunächst bei der Antragstellerin verbleibt. 1. Zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung war das Amtsgericht gemäß 1632 Abs. 4 BGB, 49 a Abs. 1 Ziffer 6, Abs. 2 FGG in Verbindung mit 49 Abs. 4 FGG analog befugt. 2. Ein Verstoß des Amtsgerichtes gegen bestehende Anhörungspflichten ist nicht erkennbar. Soweit der Antragsgegner die Verletzung von gegenüber dem Jugendamt bestehenden Anhörungspflichten rügt, trifft dies nicht zu. Die Pflicht zur Anhörung des Jugendamtes besteht gemäß 49 a Abs. 1 Ziffer 6 FGG. Diese Anhörungspflicht gilt auch dann, wenn das Jugendamt - wie hier - zum Vormund des betroffenen Kindes bestellt ist (vgl. auch Keidel/Kuntze/Winkler a.a.o. 49 Rn. 4). Die Anhörung ist auch tatsächlich erfolgt, und zwar nicht nur - wie an sich ausreichend - schriftlich, sondern durch persönliche Anhörung der zuständigen Vertreterin des Jugendamtes P... in der mündlichen Verhandlung vom 21. April 1999. Eine - weitergehende - schriftliche Anhörung war danach nicht mehr geboten, zumal die Vertreterin im Termin ausdrücklich nochmals die beabsichtigte Herausnahme des Kindes am 26. April 1999 bestätigte, weshalb Eilbedürftigkeit bestand. Für die Entscheidung in sorgerechtlichen Angelegenheiten ist gemäß 50 a Abs. 2 FGG auch die Mutter des Pflegekindes, deren elterliche Sorge hier aufgrund der zur Adoption erteilten Einwilligung gem. 1751 Abs. 1 S. 1 BGB ruht, anzuhören, es sei denn, daß hierdurch keine Aufklärung zu erwarten ist. Zwar ist die Anhörung der Kindesmutter unterblieben. Vorliegend ist aber zu bedenken, daß es sich um eine Eilentscheidung des Amtsgerichts handelt. Da diese sich im wesentlichen darauf stützt, wie es um das Wohl des Pflegekindes V... bei der Antragstellerin bestellt ist, war nicht zu erwarten, daß zu dieser Frage eine Aufklärung durch die
- 5 - Kindesmutter hätte erfolgen können. Zudem ist wegen der gebotenen Eile ebenfalls zu Recht die Anhörung der Kindesmutter unterblieben. 3. Die Voraussetzungen einer Verbleibensanordnung gemäß 1632 Abs. 4 BGB liegen vor. Aufgrund der durch die Kindesmutter erteilten Einwilligung in die Adoptionspflege sowie die nachfolgend erteilte Einwilligung in eine Adoption wurde das Jugendamt des Landkreises P... kraft Gesetzes gemäß 1751 Abs. 1 Satz 2 BGB Vormund des Pflegekindes V... Zwar war der Antragsgegner damit zur Ausübung des Sorgerechts betreffs des Pflegekindes befugt, 1793 Abs. 1 BGB. Damit war er auch befugt, die Herausgaberechte aus 1632 BGB geltend zu machen, da er zur Personensorge gemäß 1800 BGB in Verbindung mit 1631-1633 BGB befugt war. Das Herausgaberecht steht deshalb auch dem Vormund zu, (Palandt- Diederichsen a.a.o. 1800 Rn. 2) mißverständlich Palandt-Diederichsen a.a.o. 1632 Rn. 22). Nach 1632 Abs. 4 BGB ist aber entgegen der begehrten Herausgabe das Verbleiben des Kindes anzuordnen, wenn das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt und durch die Herausnahme das Kindeswohl gefährdet würde. Die Pflegetochter V... lebt bereits seit ca. 1 Jahr und 10 Monaten in einer Familienpflege, so daß eine längere Pflegezeit im Sinne der vorgenannten Norm gegeben ist. Die Antragstellerin war (zusammen mit ihrem Ehemann) Adoptionspfleger gemäß 1744 BGB, da ihr das Kind zur Probezeit zwecks späterer Adoption übergeben worden ist. Auch die Adoptionspflege des 1744 BGB stellt eine Familienpflege im Sinne von 1632 Abs. 4 BGB dar (Palandt-Diederichsen a.a.o. 1632 Rn. 21). Durch die Wegnahme würde das Wohl der Pflegetochter auch gefährdet werden. Nach längerer Zeit der Familienpflege bedarf es eines triftigen Grundes für eine Herausnahme des Pflegekindes (Palandt-Diederichsen a.a.o. 1632 Rn. 22). Lediglich wenn ohne eine Wegnahme das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wäre, ist diese geboten. Soweit das Wohl des Kindes betroffen ist, kann auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden. Es ist erkennbar, daß sich das Kind bei der An-
- 6 - tragstellerin wohl fühlt und daß es ihm dort gut geht; dies hat auch die persönlich angehörte Vertreterin des Jugendamtes ausdrücklich bestätigt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den gegenüber dem Ehemann der Antragstellerin erhobenen Vorwürfe und dem insoweit laufenden Ermittlungsverfahren. Zwar erscheint es auch aus Sicht des Senates bedenklich, daß der Ehemann der Antragstellerin trotz der gegen ihn erhobenen Vorwürfe und des laufenden Ermittlungsverfahrens seitens der Antragstellerin die Erlaubnis zum Abholen und Verbringen der Tochter in die Wohnung erhielt. Jedoch hat die Antragstellerin erklärt, daß die endgültige Trennung mit dem Ehemann ab dem 19. März diesen Jahres erfolgt ist. Insoweit erscheint ein Kontakt zwischen dem Ehemann und dem Kind und daher eine eventuelle Gefährdung derzeit ausgeschlossen. Zudem war bei den vorgenannten Kontakten - mit Ausnahme des zuvor beschriebenen Abholens vom Kindergarten - die Antragstellerin stets anwesend. Auch soweit der Antragstellerin seitens des Antragsgegners vorgeworfen worden ist, daß sie sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihren Ehemann erst nach längerem Zuwarten zu einer Trennung von ihm und zu einer Alleinadoption des Pflegekindes entschlossen hat, rechtfertigt dies keine Herausnahme des Kindes. Zum einen stellt eine eventuelle Unschlüssigkeit der Antragstellerin noch keinen Grund dar, der es gebieten würde, wegen einer bestehenden Gefährdung des Kindes dieses aus der Pflege herauszunehmen. Zum anderen ist dieses Verhalten der Antragstellerin schwerlich vorwerfbar. Eine gewisse Überlegungsfrist ist ihr zuzugestehen, um die wesentliche Entscheidung zu treffen, eine Alleinadoption des Pflegekindes vorzunehmen, was wiederum eine Scheidung von ihrem Ehemann bedingt, vgl. 1741 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB. Dabei ist ihr auch nicht vorzuhalten, daß sie erst den Abschluß des Strafverfahrens abwarten will, bevor sie ihren endgültigen Entschluß zur Scheidung fassen will. Dies gilt um so mehr, da zu berücksichtigen ist, daß nach deutschem Recht ein Beschuldigter solange als unschuldig gilt, solange keine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die seitens der Kindesmutter des Pflegekindes erklärte Einwilligung zur Adoption am 1. Juli 2000 unwirksam wird bzw. daß ausweislich der persönlichen Anhörung der Vertreterin des Jugendamtes in der mündlichen Verhandlung vom 21. April 1999 die Adoptionsfreigabe nur an Eheleute - und nicht an eine Einzelperson wie die Antragstellerin - erfolgte. Die in eine Adoption durch ein Ehepaar gegebene Einwilligung
- 7 - wirkt nicht automatisch für eine Adoption durch nur einen der Eheleute (MünchKomm- Lüderitz, BGB, 3. Auflage 1747 Rn. 15; Erman-Holzhauer, BGB, 9. Auflage 1747 Rn. 7). Weder durch die beschränkt erteilte Einwilligungserklärung noch durch deren Wirksamkeitsablauf zum1. Juli 2000 (vgl. 1750 Abs. 4 S. 2 BGB) wird aber eine alleinige Adoption durch die Antragstellerin in Frage gestellt. Die Beurteilung, ob es zu einer Adoption kommt, kann nämlich erst vorgenommen werden, wenn es zu der - innerhalb des Hauptverfahrens gemäß 50a FGG gebotenen - Anhörung der Kindesmutter des Pflegekindes gekommen ist. Denn mit deren erfolgter Anhörung kann zugleich geklärt werden, ob die Kindesmutter auch einer A- doption durch die Antragstellerin allein zustimmen wird - unabhängig davon, ob nicht trotz
- 8 - Versagung einer Zustimmung eine Ersetzung gemäß 1748 BGB in Betracht kommt -. Maßgebend hierfür dürfte zudem das Ergebnis des im Hauptverfahren einzuholenden Sachverständigengutachtens sowie die Beurteilung durch den - noch zu bestellenden - Verfahrenspfleger ( 50 Abs. 1 FGG) sein.......,...