Die deutsche Sprache in Namibia nationale Varietät einer Fernminderheit?
Inhalt Wandel des Status des Deutschen Deutsch als plurizentrische Sprache Standarddeutsch in Namibia Untersuchungsmethode und Befunde Bemerkungen zu Sprachkontaktphänomenen Ausblick: Sprachpflege, Spracherhaltmaßnahmen
Die eingehende Erforschung der nationalsprachlichen Eigentümlichkeiten des Deutschen in den deutschsprachigen Ländern bleibt ein soziolinguistisches Desiderat. (Löffler 1994:67)
Geographische Verortung
Wandel des Status des Deutschen 1884 1915 1919/20 1923 1926 1927 1929 1932 1939 1944/45 1958 1977 1980 1983/84 1990 Schaubild in Anlehnung an H.-V. Gretschel (1984), Erweiterung J. G. Klinner Positive Entwicklung Negative Entwicklung
1884 1890 1884 Berliner Konferenz, bei der die europäischen Großmächte ihre Einflusssphären in Afrika verteilen: Südwestafrika wird dem Deutschen Reich zugesprochen 1890 Gründung Windhoeks - Beginn einer systematischen Eindwanderung dt. Siedler
1915 1919/20 1915 Kapitulation der deutschen Truppen; Deutsch-Südwestafrika wird Protektorat der Union von Südafrika Ab 1915 langsame Ausdehnung der Apartheidpolitik 1919/20 Südafrikanisierung 15 000 Deutsche werden zwangsausgesiedelt 1923 Londoner Abkommen Kollektiveinbürgerung der verbliebenen Deutschen 1923
1939 1944/45 1932 1958 1932 Amtssprachenbeschluss (im Landesrat wird Deutsch gleichberechtigt neben Englisch und Afrikaans gebraucht) 1939 Internierung der Kollektiveingebürgerten 1944/45 Aufhebung der Vorkriegsrechte 1958 Landesratsentschließung
1977 Gründung der Interessensgemeinschaft 1984 Amtssprache auf 2. Ebene 1990 Unabhängigkeit Englisch ist einzige Amtssprache 1884 1915 1919/20 1923 1926 1927 1929 1932 1939 1944/45 1958 1977 1980 1983/84 1990 Schaubild in Anlehnung an H.-V. Gretschel (1984), Erweiterung J. G. Klinner
Deutsch als plurizentrische Sprache Von einer plurizentrischen Sprache spricht man dann, wenn diese in mehr als einem Land als nationale oder regionale Amtssprache in Gebrauch ist und wenn sich standardsprachliche Unterschiede herausgebildet haben. (Ammon 2004:XXXI)
Jörg G. Klinner (DAAD-Lektor) Die deutsche Sprache in Namibia Ammon, Ulrich et al.2004: XXXIII
Plurizentrische Sprache - Zentren einer plurizentrische Sprache sind allerdings nur diejenigen Länder oder Regionen, die eine eigene standardsprachliche Besonderheit herausgebildet haben. (Ammon 2004:XXXI)
Abbildung 1: Modell regionaler Varietäten des Deutschen Abbildung 1: Modell regionaler Varietäten des Deutschen Baßler/ Spiekermann (2001)
Standard vs. Substandard vs. Nonstandard Siegfried Jäger umreißt 1980 Standardsprache mit überregional gebräuchliche Sprache des größten Teil der Gebildeten einer Sprachgemeinschaft ( 2 1980:376) und setzt den Fokus auf die Schriftsprache; Substandard = Umgangssprache Nonstandard = Mundart (siehe hierzu auch Löffler 2004)
Plurizentrische Sprache - Zentren einer plurizentrische Sprache sind allerdings nur diejenigen Länder oder Regionen, die eine eigene standardsprachliche Besonderheit herausgebildet haben. (Ammon 2004:XXXI)
Der Begriff der Besonderheit Die Besonderheiten der einzelnen Zentren nennt die Linguistik Varietäten, d. h. es treten - kaum Unterschiede in der Grammatik und nur teilweise - in Aussprache und - Wortschatz auf.
Die einzelnen Fälle, also jeweilig vorkommende Besonderheiten in den letztgenannten Kategorien, nennt man Varianten. Unterschiedliche Realisierung abstrakter linguistischer Einheiten (Bussmann 3 2002:729) An diesen Varianten oder Einheiten erkennt man die Angehörigen einer Varietät, z. B. die des österreichischen Deutschen.
Mindestbedingung für das Vorliegen einer eigenen Standardvarietät ist, daß spezifische Sprachvarianten oder Variantenkombinationen vorliegen, die von wenigstens einer der Instanzen des Kräftefeld einer Standardvarietät [ ] als standardsprachlich anerkannt sind, also vom Sprachkodex, den Sprachexperten, den Normautoritäten oder den Sprachmodellen (jeweils in ihrer Mehrheit). Allerdings wird man in der Regel nur bei einer mehrfachen Erfüllung dieser Bedingung ernsthaft von einer eigenen Standardvarietät sprechen. (Ammon 1995: 96)
Lose Sammlung (Ursprung: gesprochene Sprache symmetrisch): Aussage Deutschland-Deutsch Klage Pamphlet einen Drink nehmen wie dieser Ort hier heißt Ich bedanke mich, dass Sie die Zeit genommen haben um den Brief zu lesen. ruf an, wenn du klar bist hat mich klar gemacht einen guten Service gegeben Ja, alles klar mit mir und mit dir? ich denk(e) so Beschwerde Prospekt/Werbung etwas trinken Lokal, Restaurant sich die Zeit genommen haben, den Brief zu lesen fertig fertig guter Service, gut bedient bei ich denke
Standardsetzende Instanzen
Kriterien, nach denen in Namibia Standard gesetzt wird Welcher Namibismus wird warum als korrekt empfunden und welcher nicht? Interviews mit LehrerInnen/ Redakteuren: Welche Namibismen (von Pütz, Ees o.ä.) werden akzeptiert, welche nicht? Markierungen n. g. bzw. n. k. Warum?
Gilt einer als besonders sicher Im Reich des Schreibens und der Bücher Dann kann er manchmal sich erlauben, Dem Sprachpapst Duden nicht zu glauben ( ) Bei aller Verbindlichkeit des Dudens gelte eben: doch lass durch ihn dir das Vergnügen Nicht nehmen an manch prächt gem Worte Von echter Siebenbürger Sorte! (Kelp 8.12.1984 zit. n Ammon 1995:419)
Antworten einer mit der Lilie in Silber ausgezeichneten namibischen Lehrerin landestypisch nie gehört Nähe zu Afrikaans/ Englisch zu groß zu forciert passt nicht
Sachspezifika: Für solche Sachspezifika gibt es keine sprachlichen Varianten in den verschiedenen deutsch-sprachigen Nationen. Aus: Ammon, Ulrich: Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1995
UNAM ist nicht zu mir zurück gekommen didn t get back to me jy het nie terug gekom na my nie PR-Abteilung Goethe-Zentrum/NaDS, 02. Oktober 08 Bitte lassen Sie mich bis zum 22. Oktober wissen, ob Sie an dem Abend dabei sein können. Please, let me know... laat weet my asseblief Einladungsschreiben einer Kollegin, 13. Oktober 10
Sammlung (Ursprung: gesprochene Sprache konzipiert: Reden Projekt Lilie 2010): Aussage Überreichung Verbeamtung auf Lebenszeit IN 2002 / IN 1973 Bullying Bronz(e) Computerzentrum Der große Marsch Matrik Sie dient im Johanniter-Kreis auf dem Vorstand des deutschen Schulvereins Swakopmund Engagement [Ǻn geǻdʒmənt] Vice-Schulleiterin
Sprachmischung Als Resultat eines meist über einen längeren Zeitraum hinweg währenden Sprachkontakts zu beobachtende histor. Veränderung einer gegebenen Spr. durch die Aufnahme von Elementen aus einer zweiten Spr. Während einzelne Interferenzen, d.h. Beeinflussungen unter den Bedingungen eines Sprachkontakts, schon recht bald nachweisbar sein können, spricht man von einer S. erst dann, wenn sie zu einer deutlichen Abänderung des sprachl. Gesamtsystems führen. Aus: Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Mit 70 Abb., davon 17 Karten. Stuttgart, Weimar: 2. überarb. und erweit. Auflage 2000, S.664
Kontaktgrenzen und Nachbarschaften sind aber gleichbedeutend mit Möglichkeiten der Einflußnahme und des Beeinflußtwerdens. Braun, Peter: Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. Sprachvarietäten. Stuttgart, Berlin, Köln: W. Hohlhammer: 3., erw. Auflage 1993, S. 204.
Beispiele: basisch basies (Ingo Waldtschmidt, NBC-Radio-Interview mit W. Hähner, 29. August 2008) Doppelzwei dubbel twee, double two (Uli Gall, NBC-Radiomoderatorin, 23. April 2008 (06h45)) Mein Schwimmbad hier ist 15,5 C kalt Schwimmbad vs. Swimming-Pool (Uli Gall, NBC-Radiomoderatorin, 24. April 2008 (06h37)) 110N$ Eintritt, Abendessen eingeschlossen included vs. inklusive (Heike Dedig, Vorsitzende der Otji-Karnevalsgesellschaft) Frohsinn&Humor, NBC-Radio, 12. Mai 2008 Gastsprecher guestspeaker (Helmut Förtsch, Vize-Vorsitzender des landwirtschaftlichen Arbeitgeberverbandes, Juli 2008) Ausbildungsstandarde gesunken Wilfried Hähner, NBC-Radiomoderator, 10. Juni 2008 ID-Nummer ID-number vs. Personalausweisnummer Wilfried Hähner, NBC-Radiomoderator, 12. Juni 2008
Wann liegt also Sprachmischung vor oder ab bzw. bis wann kann man von einer Standardvarietät mit standardsprachlichen Varianten sprechen? Maßgabe: Bei aller Varianz überwiegen gemeindeutsche Konstanten Aus: Hägi, Sara (Hrsg.): Plurizentrik im Deutschunterricht. Ismaning: Hueber 2007, S.10.
Entlehnung (auch: Transferenz. Engl. borrowing, loan, frz. Emprunt) Sowohl Prozeß als auch Resultat der Übernahme eines sprachl. Ausdrucks aus einer Spr. A in eine Spr. B, die häufig mit der Übernahme der so bezeichneten und vorher unbekannten oder ungebräuchlichen Gegenstände, Verfahrensweisen usw. durch die Sprachgemeinschaft B einhergeht. Aus: Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Mit 70 Abb., davon 17 Karten. Stuttgart, Weimar: 2. überarb. und erweit. Auflage 2000, S.664
Jörg G. Klinner (DAAD-Lektor an der Universität von Namibia, Windhoek) Sprachkontakt und Sprachmischung als Problem? Überlegungen zum Standarddeutschen in Namibia
Jörg G. Klinner (DAAD-Lektor an der Universität von Namibia, Windhoek)
Superstrat n. (lat. substratum das Darübergestreute ) In der Soziolinguistik und historischen Sprachwissenschaft Bez. für eine Varietät, die die Struktur einer weniger dominanten Spr. innerhalb einer Sprachgemeinschaft beeinflußt hat. Ein sprachl. S. ist das Resultat von polit., ökonom. und kultureller Überlegenheit. S.-Einfluß macht sich z. B. in einem erhöhten Gebrauch von Lehnwörtern bemerkbar [ ] Aus: Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Mit 70 Abb., davon 17 Karten. Stuttgart, Weimar: 2. überarb. und erweit. Auflage 2000, S.710.
Jörg G. Klinner (DAAD-Lektor an der Universität von Namibia, Windhoek) Das Fremde in der Muttersprache Das Problem von Interferenz und Standard
Jörg G. Klinner (DAAD-Lektor an der Universität von Namibia, Windhoek) Das Fremde in der Muttersprache Das Problem von Interferenz und Standard
> -------- Original-Nachricht -------- > Datum: Tue, 11 Nov 2008 16:03:53 +0200 > Von: "Rooiklip" <rooiklip@iway.na> > An: XXXXXXXX" <xxxxxxxx@gmx.de> > Betreff: Re: Camping > > Hallo IXXXXXX, > > vielen Dank für Ihre Anfrage. Wir können Ihnen die "Höhle 2" für 2 oder 3 > Übernachtungen reservieren, benötigen dazu aber die Zahlung gem. anhängender > Form. > Der Fussweg von der Campsite zur Lodge/Pool ist ca. 15 Minuten. > > Viele Gruesse nach DE > Hannelore Neuffer > > Rooiklip - Guestfarm Hannelore Neuffer & Frans van Biljon P.O.Box 40522, > Windhoek/Namibia Tel.: 00264-62-572126 Fax: 00264-62-572128 Cell: 00264- > 81128 7844 + 00264-81 129 2126 e-mail: rooiklip@iway.na www.rooiklip.iway.na
Transfererscheinungen finden auch im Bereich der Semantik statt. Es werden zusätzliche Bedeutungen, die ein Wort in der anderen Sprache hat, auf das Übersetzungsäquivalent übertragen. vlg. Claudia Maria Riehl (2004): Sprachkontaktforschung. Tübingen: Narr Studenbücher, S. 28. Neben lexikal. E. (Lehnwort) gibt es grammat. E., die auf allen Ebenen des Sprachsystems stattfinden kann (Lehngut). Aus: Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Mit 70 Abb., davon 17 Karten. Stuttgart, Weimar: 2. überarb. und erweit. Auflage 2000, S.664
07.04.2009 SAGV
Adstrat n. (lat. Adstratum Danebengestreutes, Engl. adstratum, frz. Adstrat) Ein Terminus, der gelegentl. auch für Superstrat verwendet wird, oder sowohl Superstrat als auch Substrat bezeichnet. Mitunter wird der Ausdruck Sprachen in Kontakt synonym gebraucht, wobei impliziert wird, daß die im Kontakt stehenden Spr. als eigenständige Einheiten weiter bestehen, auch wenn sie sich gegenseitig beeinflussen, während A., Substrat, Superstrat implizieren, daß eine Spr. verschwindet, aber ihre Spuren in der Kontaktspr. hinterläßt. Aus: Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Mit 70 Abb., davon 17 Karten. Stuttgart, Weimar: 2. überarb. und erweit. Auflage 2000, S.13.
Ausblick: Sprachpflege, Spracherhaltmaßnahmen - Die Bundesrepublik Deutschland - Die deutschen Schulen Schulen mit DaM/DaF - Kulturmittlerorganisationen: Goethe-Zentrum, DAAD - Die Universität Namibia - Medien
Literatur (Auswahl) Ammon, Ulrich. Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin/ New York: de Gruyter 1995 Ammon, Ulrich et al.: Variantenwörterbuch des Deutschen. Die deutsche Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Berlin u.a.: de Gruyter 2004 Ammon, Ulrich: Standard und Variation: Norm, Autorität, Legitimation. In: Eichinger, Ludwig M.; Kallmeyer, Werner (Hg.): Standardvariation. Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache. IDS. Berlin/ New York: de Gruyter 2004. Braun, Peter: Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. Sprachvarietäten. Stuttgart, Berlin, Köln: W. Hohlhammer: 3., erw. Auflage 1993. Glück, Helmut (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Mit 70 Abb., davon 17 Karten. Stuttgart, Weimar: 2. überarb. und erweit. Auflage 2000. Hägi, Sara (Hg.): Plurizentrik im Deutschunterricht. In: Goethe Institut; Bimmel, Peter; Fandrych, Christian (Hg.): Fremdsprache Deutsch. Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts. Heft 37. Ismaning: Hueber 2007 Löffler, Heinrich: Wieviel Variation verträgt die deutsche Standardsprache? Begriffsklärung: Standard und Gegenbegriffe. In: Eichinger, Ludwig M.; Kallmeyer, Werner (Hg.): Standardvariation. Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache. IDS. Berlin/ New York: de Gruyter 2004. Riehl, Claudia Maria: Sprachkontaktforschung. Tübingen: Narr Studenbücher. 2004.
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