Geschäftsbericht 1. Halbjahr 2017 Sozialgericht Heilbronn 1
Heilbronn, im August 2017 Bericht über das 1. Halbjahr 2017 und das Jahr 2016 Sozialgerichtsbarkeit Baden-Württemberg Die Sozialgerichtsbarkeit prüft, ob die Behörden bei ihren Entscheidungen die maßgeblichen Rechtsvorschriften beachtet haben und die Behörden von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen sind. In Baden-Württemberg gibt es acht Sozialgerichte (Freiburg, Heilbronn, Karlsruhe, Konstanz, Mannheim, Reutlingen, Stuttgart und Ulm). Sie entscheiden in erster Instanz. Vor der Klageerhebung ist ein Vorverfahren durchzuführen. Erst nach Erlass des Widerspruchbescheids ist die Klage zulässig. Den Sozialgerichten übergeordnet ist das Landessozialgericht Baden- Württemberg in Stuttgart (LSG). Es entscheidet als zweite Instanz über Berufungen und Beschwerden gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist weder vor den Sozialgerichten noch vor dem LSG vorgeschrieben. Jeder Bürger kann selbst auftreten. In der Regel richtet sich die Klage gegen Entscheidungen der Behörden. Das Bundessozialgericht entscheidet als anwaltspflichtiges Revisionsgericht nur über Rechtsfragen. Zuständigkeit des Sozialgerichts Heilbronn Die Sozialgerichtsbarkeit (und damit auch das Sozialgericht Heilbronn) befasst sich vor allem mit Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung - u. a. Kranken-, Pflege-, Unfall-, Rentenversicherung -, der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsförderung, der Grundsicherung für erwerbsfähige Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II, Sozialgeld) und der Sozialhilfe, des sozialen Entschädigungsrechts - u.a. Kriegsopfer-, Soldatenversorgung, Opferentschädigung, Impfschadensrecht -, des Schwerbehindertenrechts sowie des Elterngeldrechts. Hierbei geht es meist um die Klärung existenzieller Fragen, die Gesundheit und soziale Absicherung betreffen. Örtlich zuständig ist das Heilbronner Sozialgericht für ein Gebiet von Wertheim bis Kornwestheim mit über 1,4 Millionen Einwohnern in fünf Landkreisen (Main-Tauber, Schwäbisch-Hall, Hohenlohe, Ludwigsburg und Heilbronn) und der Stadt Heilbronn. 2
Steigende Eingangszahlen entgegen dem landesweiten Trend Beim Sozialgericht Heilbronn gingen 2016 insgesamt 4.005 und damit zum achten Mal in Folge mehr als 4.000 neue Verfahren - Klagen und Eilanträge - ein. Noch 2004, also vor Inkrafttreten von Hartz IV, waren es rund 1.000 Eingänge weniger. Während die Eingangszahlen im vergangenen Jahr an den Sozialgerichten des Landes insgesamt gesehen leicht zurückgegangen sind, liegt der Verfahrenseingang am Sozialgericht Heilbronn im 1. Halbjahr 2017 bislang sogar über dem hohen Vorjahresniveau (1.994; im Vergleich 1. Halbjahr 2016: 1.958). Insgesamt summieren sich allein die eingegangenen Hartz IV-Verfahren (Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II) seit Beginn im Jahr 2005 bis zum 30.06.2017 auf fast 16.000 (15.848). Im 1. Halbjahr 2017 bekam ein vollzeitbeschäftigter Richter beim Sozialgericht Heilbronn durchschnittlich 139 neue Verfahren auf den Tisch (monatlich ca. 23). Bestände Am 31.12.2016 waren 3.783 und am 30.6.2017 noch 3.582 unerledigte Verfahren anhängig. Damit konnten die hohen Bestände erfreulicherweise etwas abgebaut 3
werden (zum Vergleich: Am 31.12.2015 waren noch 4.054 und am 30.6.2016 noch 3.757 unerledigte Verfahren anhängig). Ausgehend von 13,5* Richtern entfallen am 30.06.2017 auf einen Richter somit rund durchschnittlich 265 Verfahren. Besonderes Augenmerk gilt den sog. Altfällen (Verfahren, die bis einschließlich 2014 anhängig wurden). Diese umfassen am 30.06.2017 erfreulicherweise nur rund 2,7 % aller Verfahren. * bezogen auf die für Richtertätigkeiten zur Verfügung stehende Arbeitskraft (nach Abzug von Freistellungen für Verwaltung bei Präsidentin, Vizepräsident und weiterem aufsichtführenden Richter) Erledigungen Im Jahr 2016 wurden insgesamt 4.252 Verfahren - Klagen und Eilanträge - und im 1. Halbjahr 2017 2.202 Verfahren erledigt. Von den eingegangenen Klagen erledigten sich im 1. Halbjahr 2017 erfreulicherweise 79 % ohne streitige Entscheidung; in lediglich 21 % der Klagen war eine gerichtliche Entscheidung durch Urteil oder Gerichtsbescheid erforderlich: 4
Einstweiliger Rechtsschutz Überlastungen bei der Behörde oder besondere Situationen der Bürger (z.b. Stromsperre wegen rückständiger Zahlungen) erfordern oft eilige Entscheidungen. Im Jahr 2016 gingen insgesamt 268 und im 1. Halbjahr 2017 139 Eilverfahren ein. Über 4/5 dieser Verfahren (84,2%) betrafen im 1. Halbjahr 2017 die sog. Hartz IV-Leistungen aus den Bereichen Arbeitslosengeld II (nach dem SGB II) und Sozialhilfe (nach dem SGB XII). Weil es hier um existenzsichernde Leistungen geht, muss schnell entschieden werden. Personalsituation Ausweislich des Personalberechnungssystems Pebb y hat die richterliche Personaldecke im 1. Halbjahr 2017 erfreulicherweise nahezu dem anhand der Eingänge (nicht der Bestände) ermittelten Bedarf entsprochen. Derzeit (Stand Juli 2017) arbeiten 14 Richterinnen und Richter bei Gericht (darunter eine Richterin in Teilzeit). Eine weitere Kollegin befindet sich im Mutterschutz und dann voraussichtlich in Elternzeit. Ihre Stelle kann leider nicht nachbesetzt werden. Die Bestände aus dieser Kammer wurden bereits auf die übrigen Kolleginnen und Kollegen verteilt, die sich nunmehr in diese laufenden Verfahren einarbeiten müssen. Seit letztem Jahr haben eine Richterin und ein Richter ihren Dienst am Sozialgericht Heilbronn neu bzw. wieder aufgenommen. Die Übernahme eines neuen Richterreferates nimmt viel Zeit in Anspruch, da sich die betroffenen Kollegen erst in die hohen Bestände einarbeiten müssen. Solche Einarbeitungsphasen sind neben den hohen Eingängen immer wieder Ursache für Verfahrensverzögerungen, die wir leider nicht vermeiden können. Hinzu kommt im nichtrichterlichen Bereich, dass das Sozialgericht Heilbronn zur Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine halbe Stelle an das Verwaltungsgericht Stuttgart abgegeben hat (zunächst befristet auf sieben Monate). Landesweit sind hiervon umgerechnet insgesamt fünf volle Stellen betroffen. 5
Die Entwicklung der Richterstellen am Sozialgericht Heilbronn hierbei ist allerdings die seit Juli 2017 weggefallene Richterstelle noch nicht berücksichtigt zeigt folgende Übersicht: Rechtsgebiete Nach wie vor stellen Rechtsstreitigkeiten aus dem Bereich der Hartz IV-Gesetze das größte Sachgebiet bei den Eingängen dar. Sie machen im 1. Halbjahr 2017 30,39% (24,72% Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II - und 5,67% Sozialhilfe - SGB XII) aller Eingänge aus (2016: 28,29%). Typische Fallkonstellationen sind bspw. Klagen auf volle Übernahme der Kosten der Unterkunft, weil das betreffende Jobcenter (u.a. mit Hinblick auf ein sog. schlüssiges Konzept) die Höhe der Unterkunftskosten nicht für angemessen hält und deshalb nur einen Teilbetrag übernommen hat. Angelegenheiten der Rentenversicherung sind im 1. Halbjahr 2017 mit 22,07% (2016: 22,72%) weiterhin das zweitgrößte Sachgebiet. Hierunter fallen z.b. Verfahren wegen einer Erwerbsminderungsrente oder einer Kur, Anrechnung von Einkommen auf Renten, Beitragsnachforderungen bei Arbeitgebern oder auch Klärung des sozi- 6
alversicherungsrechtlichen Status (selbständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung). Der Anteil der Streitigkeiten gegen die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung beläuft sich im 1. Halbjahr 2017 auf 15,20 % (2016: 15,28 %) aller Eingänge. Hierbei wird bspw. um die Gewährung von Kranken- bzw. Pflegegeld gestritten. Häufige Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen betreffen die korrekte Höhe der Vergütung nach stationärer Krankenhausbehandlung. Verfahren, in denen es um Feststellungen nach dem SGB IX (Schwerbehinderteneigenschaft, Grad der Behinderung) geht, machen 16,25% der Eingänge im 1. Halbjahr 2017 aus (2016: 16,45%). Wegen einer Unfallrente, der Anerkennung eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit wird in 8,48% aller neuen Verfahren gegen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im 1. Halbjahr 2017 gestritten (2016: rund 8,14%). Verschwindend gering sind hingegen die Eingangszahlen in Streitigkeiten über die Höhe der Leistungen für Asylbewerber nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Hier gingen im 1. Halbjahr 2017 lediglich 3 Verfahren ein (2016: 5 Verfahren). 7
Verfahrensdauer erfreulicherweise weiterhin rückläufig! Die durchschnittliche Verfahrenslaufzeit der Klagen (ohne einstweiligen Rechtsschutz) ist im 1. Halbjahr 2017 erfreulicherweise weiter gesunken (11,7 Monate; zum Vergleich: 11,8 Monate im Jahr 2016). Die Dauer der Verfahren variiert nach den Rechtsgebieten und ist abhängig von den erforderlichen Ermittlungen. Ehrenamtliche Richter und Richterinnen Beim Sozialgericht Heilbronn sind insgesamt 151 ehrenamtliche Richter und Richterinnen tätig (nur 49 Frauen bei 102 Männern - die Berufung der ehrenamtlichen Richter und Richterinnen erfolgt aufgrund von Listen der vorschlagsberechtigten Stellen und Verbände, wie z.b. dem DGB, dem Arbeitgeberverband, dem VdK, den Kreisen und kreisfreien Städten). Kosten Im 1. Halbjahr 2017 wurden für medizinische Ermittlungen 909.800 (1. Halbj. 2016 826.000 ; 2016 gesamt 1.900.000 ) aufgewendet. Dem stehen Einkünfte aus den sog. Pauschgebühren und Gerichtskosten in Höhe von ca. 153.040 gegenüber (Deckungsquote 16,82 %). Eine solche Pauschgebühr müssen ausschließlich die Behörden in der weit überwiegenden Zahl der sozialgerichtlichen Verfahren bezahlen - und zwar selbst dann, wenn die Klage des Bürgers ohne jeden Erfolg bleibt. Dagegen ist in der Regel - wie z.b. auch in den Verfahren wegen einer Erwerbsminderungsrente - das Gerichtsverfahren incl. Auslagen für Sachverständige und Ärzteanfragen für den Bürger kostenfrei. In den zahlreichen Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten hingegen sind die Verfahrenskosten (Gerichtsgebühren zzgl. rund 1.000 teurem Gerichtsgutachten, das wegen der komplexen medizinischen Fragestellungen regelmäßig einzuholen ist; Anwaltsgebühren etc.) von dem unterliegenden Beteiligten zu zahlen. Anlage: Tabelle Entwicklung der Eingänge und Sachgebiete seit dem Jahr 2000 bis einschließlich 1. Halbjahr 2017 8
Sozialgericht Heilbronn Eingänge und Sachgebiete von 2000 bis 30.06.2017 Eingänge: Alle Klagen + einstw eiliger Rechtsschutz - - (gegenüber Vorjahr) Rentenversicherung Schwerbehindertenrecht Unfallversicherung Kranken- und Pflegeversicherung Hartz IV= Sozialhilfe + Arbeitslosengeld II Arbeitslosengeld Alg I sonstige Verfahren Zahl der Richterstellen (ohne Abzug w egen Verw altungsaufgab en, Krankheit, Mutterschutz) 2000 2.748 931 437 349 323 ------------- 601 107 9 2001 2.839 978 488 367 336 ------------- 594 76 9 2002 3.014 851 600 348 535 ------------- 625 55 9 2003 3.236 868 659 347 321 ------------- 973 68 9 2004 3.224 879 463 310 562 ------------- 949 61 9 2005 3.399 918 404 270 397 691 648 71 9,6 2006 3.837 1.006 478 314 395 1.109 473 62 10 2007 3.945 1.057 457 295 499 1.216 344 77 10,5 2008 3.943 941 530 304 413 1.222 320 213 10,8 2009 4.577 979 565 329 464 1.578 595 67 12,1 2010 4.686 1049 22,3 % 600 12,8 % 2011 4.487 1.107 594 361 518 1.538 277 92 13,3 24,70% 13,20% 8,00% 11,50% 34,30% 6,20% 2,10% 2012 4.219 1051 739 309 580 1181 273 86 13,85 24,91% 17,52% 7,32% 13,75% 27,99% 6,47% 2,04% 2013 4.388 968 747 349 794 1197 267 66 13,4 22,06% 17,02% 7,95% 18,09% 27,28% 6,08% 1,50% 2014 4.424 852 809 339 653 1378 336 57 14,0 19,26% 18,29% 7,66% 14,76% 31,15% 7,59% 1,29% 2015 4.244 947 688 395 692 1153 293 76 14,3 22,31% 16,21% 9,31% 16,31% 27,17% 6,90% 1,79% 2016 4.005 910 659 326 612 1133 290 75 14,13 22,72% 16,45% 8,14% 15,28% 28,29% 7,24% 1,87% 2017 1.994 440 324 169 303 606 119 33 14,3 1.Halbjahr 22,07% 16,25% 8,48% 15,20% 30,39% 5,97% 1,65% 321 6,9 % 427 9,1 % 1.846 39,4 % 375 8,0% 68 1,5 % 12,7 9