Freier Zugang zu Wissen nach dem Papierzeitalter

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Transkript:

Freier Zugang zu Wissen nach dem Papierzeitalter 24 Fragen, Thesen und Vorschläge Frank Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Berliner Bibliothekswissenschaftliches Kolloquium 13. Dezember 2016

Ausgangsthesen aus der Wissenschaftsforschung 1. Forschung schafft neues Wissen und dessen Veröffentlichung ermöglicht seine Überprüfung wie Verwendung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft des Fachgebiets. 2. Der möglichst ungehinderte Zugang zu den publizierten Forschungsergebnissen ist daher Bedingung gesicherten wissenschaftlichen Fortschritts. 3. Forschungsergebnisse werden nicht auf einem Markt verkauft, sondern der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt, weil Forschende dadurch Reputation erwerben können, durch die sie weitere und verbesserte Forschungsmöglichkeiten erhalten. 4. Daraus folgt, dass Forschende publizieren müssen, um weiter forschen zu können. 5. Bedingung für dieses Anreizsystem neuzeitlicher Wissenschaft ist, dass es Mäzene für Forschung gibt.

Robert K. Merton 1988 Dies [für den wissenschaftlichen Fortschritt] entscheidende Element freier und offener Kommunikation ist es, welches ich als die Norm des Kommunismus in der sozialen Institution der Wissenschaft bezeichnet habe [... ]. In der Tat, lange bevor Karl Marx im 19. Jahrhundert die Losung Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen! für eine vollständig entwickelte kommunistische Gesellschaft einführte, war dies institutionalisierte Praxis im Kommunikationssystem der Wissenschaft. Und zwar nicht bedingt durch die Natur des Menschen oder einen naturgegebenen Altruismus. Es haben sich vielmehr institutionalisierte Vereinbarungen entwickelt, die Wissenschaftler dazu motivieren, nach ihren erworbenen Befähigungen freizügig zum gemeinsamen Wissensschatz beizutragen, gerade so wie sie sich freizügig aus diesem gemeinsamen Schatz nehmen können, was sie brauchen.

Informationsversorgung im Papierzeitalter 6. Publikationen werden von Verlagen gefiltert, lektoriert, gestaltet, vervielfältigt, gelagert und vertrieben. 7. Filtern ist nicht nur wichtig, um die Publikation von Unsinn auszuschließen, sondern dient dem Hervorheben wichtiger Beiträge, die den Forschenden besondere Reputation bringen. 8. Bibliotheken erwerben, erschließen, bewahren Papier-Kopien und machen sie den Lesern frei zugänglich. 9. Verlage können Gewinn machen, weil nur sie (massenhaft) Papier-Kopien einer Publikation herstellen dürfen; sie können hohe Gewinne machen, weil Forschende und Lehrende nicht auf Zeitschriften und Fachbücher zu ihrem Gebiet verzichten können und diese nicht persönlich bezahlen müssen.

Internetzeitalter: Open Access 10. Weil Forscherinnen und Forscher Mäzene haben, können sie ihre Publikationen den Verlagen kostenlos zur Verfügung stellen und unentgeltlich beim Filtern und Lektorieren mitarbeiten. 11. Im Internetzeitalter kostet es auch nichts mehr, Publikationen zu lagern, zu vervielfältigen und zu vertreiben. Es bleiben von den traditionellen Aufgaben der Verlage nur Layout und Organisation. 12. Dadurch ist das profitable Geschäftsmodell des Papierzeitalters obsolet geworden und kann nur noch durch künstliche Verknappung aufrechterhalten werden: die Zukunft gehört Open Access.

Verbreitung versus Verwertung 13. Wissenschaftliche Information muss nicht mehr durch profitorientierte Verlage verwertet werden, ihre Verbreitung kann durch die Fachgemeinschaften selbst organisiert werden. Weil dabei nicht mehr Gewinne mit öffentlichen Geldern subventioniert werden, ist das billiger als die Verwertung. 14. Wer mit Fachzeitschriften Profit machen will, steckt im Dilemma zwischen Quantität und Qualität. Das gilt auch für Open-Access-Zeitschriften mit von den Autoren bezahlten Beiträgen. 15. Die neue Technik erlaubt es, das Paradigma der Verwertung zu ersetzen durch ein Paradigma der Verbreitung für die Wissenschaftskommunikation (Stefan Gradmann 2007).

Elmar Mittler 2007 Der ungehinderte Zugriff auf Publikationen, Daten und andere Hilfsmittel der Kommunikation (z. B. Software) ist eine wissenschaftsimmanente Notwendigkeit. Führen Verschärfungen der urheberrechtlichen Bestimmungen zugunsten der Sicherung (oder vielleicht auch Maximierung) der Verwertungsrechte der Verlage zu einer Verschlechterung der Informationsmöglichkeiten, muss dies auf die Dauer zu einer Abwendung der Wissenschaftler von den Verlagspublikationen führen.

Vorschläge zur Organisation 16. Die oft langwierige Filterung und das Lektorat wissenschaftlicher Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden können nach der Publikation erfolgen (Hilf und Severiens 2013): publish and discuss first, referee then : Fachgemeinschaften kommunizieren ohne Begutachtung und Lektorat über fachspezifische Repositorien, für Außenstehende werden die Beiträge durch Fachgesellschaften rezensiert und dadurch verwendbar in Forschung, Lehre und bei Entscheidungen über die Vergabe von Mitteln und Stellen. 17. Die Aufbewahrung der digitalen Kopien in institutionellen Repositorien wird von den Bibliotheken organisiert, aber sie dürfen dabei nicht darauf warten, dass Autoren ihnen Beiträge schicken.

Nicht nur Aufsätze, auch Bücher befreien! 18. Auch Monographien und Lehrbücher entwachsen dem Papierzeitalter und können digital frei zugänglich werden. Auch ihre Filterung und ihr Lektorat benötigen keine profitorientierten Verlage. 19. Sollte das Verwertungsparadigma nicht bei aller Literatur überwunden werden? 20. Die längste Zeit waren auch Autoren literarischer Werke auf Mäzene angewiesen und die meisten sind es noch heute. 21. Was ist für die Entwicklung der Literatur günstiger, die Abhängigkeit der Autoren vom Buchmarkt oder von Mäzenen? 22. Ist es nicht auch erniedrigend für literarische Autoren, ihre Werke an Verlage verkaufen zu müssen?

Ein Gedicht von Bertolt Brecht 1942 Hollywood Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen Gehe ich auf den Markt, wo Lügen gekauft werden. Hoffnungsvoll Reihe ich mich ein zwischen die Verkäufer.

Der Brunnen kultureller Tradition 23. Es geht einzig und allein darum, dass schöpferische Menschen in die Lage versetzt werden, ihren Beitrag zu Wissenschaft oder Literatur leisten zu können. Jegliche naturrechtliche Begründung eines geistigen Eigentums negiert die Tatsache, dass die Schöpfer überhaupt nur aus einem Brunnen kultureller Tradition Werke schöpfen können. 24. Creative-Commons-Lizenzen für alle Werke!

Victor Hugo 1878 Das Buch als Buch gehört dem Autor, aber als Gedanke gehört es der Begriff ist keineswegs zu mächtig der Menschheit. Jeder denkende Mensch hat ein Recht darauf. Wenn eines der beiden Rechte, das des Autors oder das des menschlichen Geistes, geopfert werden sollte, dann wäre es, zweifellos, das Recht des Autors, denn unsere einzige Sorge gilt dem öffentlichen Interesse, und die Allgemeinheit, das erkläre ich, kommt vor uns.

Postskriptum: F.H. 2009 Dass wissenschaftliche und künstlerische Werke, Informationen aller Art nun so einfach verbreitet und kopiert werden können, lässt den Traum, allen Menschen umfassende Bildung zu ermöglichen, seiner Verwirklichung näher rücken. Der freie, d. h. kostenlose und unbeschränkte Zugang zu digitalen Kopien aller Werke, zu über das Netz verfügbaren Informationen schafft eine notwendige Voraussetzung der Teilhabe aller dazu überhaupt fähigen Menschen an Kultur, Politik und Wissenschaft, die mit Bibliotheken bisher nur teilweise verwirklicht werden konnte.