Im Bewusstsein, dass unser Nachbarland Schweiz mit. Einladungen zu Staatsbesuchen sehr sorgfältig und selektiv

Ähnliche Dokumente
Dr. Erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich 1. Dr. Erwin Pröll. Landeshauptmann von Niederösterreich, St. Pölten

Ziel meiner Rede ist es, ein Band zwischen der europäischen Idee und der Jugend Europas zu spannen.

50-jähriges Bestehen der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Marseille Rede des Französischen Botschafters Bernard de Montferrand

HuMan Institut für Humanistisches Management

DIE ALLGEMEINE ERKLÄRUNG DER MENSCHENRECHTE (Kurzfassung)

Grußwort des Herrn Landtagspräsidenten Dr. Matthias Rößler zur Eröffnung der Ausstellung Weltuntergang 2012? am 23. Februar 2012, 19.

In Polen und Frankreich lernt man, gelassen zu sein - es funktioniert am Ende immer

Rede. von. Hartmut Koschyk MdB Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen

Staatssekretär Dr. Günther Horzetzky

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Eltern, Freunde,

ich begrüße Sie sehr herzlich auf der Leipziger Buchmesse. Der Anlass, der uns heute zusammenführt, ist denkbar schön: Bücher.

Dank und Erwiderung ifa-forschungspreis Auswärtige Kulturpolitik. Dr. Reinhild Kreis, Preisträgerin. am in Karlsruhe

Sperrfrist: Ende der Rede Es gilt das gesprochene Wort.

Statement von St Dr. Horzetzky auf der Konferenz des Europarates "Investing in Social Cohesion" Session III. - Moskau 26./27.2.

Kundenbefragung Private Banking Ergebnisse und Ziele. Sparkassen-Finanzgruppe.

Zentrale Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag Gedenkrede des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Prof. Dr.

Redebeitrag des Sächsischen Ausländerbeauftragten Prof. Dr. Martin Gillo

Vertrauen in Medien und politische Kommunikation die Meinung der Bürger

Einbringung des Haushaltsplanentwurfes 2016 am von Bürgermeister Werner Peitz

Pressekonferenz. des Instituts für Trendanalysen und Krisenforschung und der Arbeitsgemeinschaft für Informations- und Medienforschung

Kulturnachmittag in Namslau, 12. Juni 2013, Uhr im Kulturhaus Namyslow

FLÜCHTLINGE WILLKOMMEN DER BEITRAG VON KIRCHENGEMEINDEN ZU EINER KULTUR DER BARMHERZIGKEIT

Die Europäische Union. Inhaltsverzeichnis

"Wandel durch Digitalisierung die Bedeutung der Industrie 4.0"

Zentrale Mittelstufenprüfung

expopharm 30. September 2015

Meine Willkommensgrüße spreche ich auch im Namen der weiteren Veranstalter aus, die diesen Unternehmertag unterstützen. Das sind:

Aufbau von Smart Citys, neuer Weg der Urbanisierung Chinas Rede des Botschafters Shi Mingde bei den Asien-Pazifik-Wochen ( Berlin,

Lieber Bürgermeister, meine sehr geehrten Damen und Herren des Gemeinderats, Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger.

BUNDESGESETZBLATT FÜR DIE REPUBLIK ÖSTERREICH. Notenwechsel betreffend die Aufhebung der Notenwechsel über die Zollermäßigung für die Einfuhr

Das Youth Future Manifest

Wer hätte einem simplen Ordner eine derartige Rolle zugetraut!

DIE EU: 27 LÄNDER HALTEN ZUSAMMEN

INHALTSVERZEICHNIS. Zusammenfassung 2 Zuständiges Ressort/Betroffene Amtsstellen Ausgangslage 3

Hat die Religion uns heute noch etwas zu sagen?

Robert Schuman. Schuman-Plan. Erklärung der französischen Regierung über eine gemeinsame deutsch-französische Schwerindustrie. Paris, 09.

Grußwort zur Vorlesungsreihe Leitbild Nachhaltiugkeit, Themenabend

Betriebspraktikum. Praktikumsbericht von

SIND RUSSLAND UND DIE EUROPAEISCHE UNION PARTNER ODER RIVALEN?

Reader : Copyshop Rotplombe Nr. 19

dieses Buch hier ist für mich das wertvollste aller theologischen Bücher, die bei mir zuhause in meinen Bücherregalen stehen:

UNSER LEBEN IN DER EU

Die Cloud wird die Automation verändern

Group of Oppositional Syrian Kurds

Danksagung zur Verleihung der Ehrenmedaille des Rates der Stadt Winterberg Donnerstag,

DIE EU - EINE GEMEINSCHAFT WIE WIR

Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie

Cyber Security Strategie

I. Begrüßung 100 Prozent positive Rückmeldung für den Unitag

PRODUKTIONSTECHNISCHES ZENTRUM BERLIN

Begrüßung Heilbronn 24. September 2009

Redemittel für einen Vortrag (1)

Wichtig ist: Wir müssen das, was wir denken, auch sagen. Wir müssen das, was wir sagen, auch tun. Wir müssen das, was wir tun auch sein.

Wolfgang Hellmich Mitglied des Deutschen Bundestages Vorsitzender des Verteidigungsausschusses

Der gesellschaftlichen Verantwortung verpflichtet

Sehr geehrter Herr Erzbischof, sehr geehrter Herr Nuntius, meine sehr geehrten Damen und Herren,

Abstract von Fhr Robert SCHMELZ

1. Warum ist der Elysée-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich aus historischer Sicht bedeutend?

Passepartout Einführung Englischunterricht an der Primarschule Mittwoch, 14. August 2013, Uhr Schulhaus Breitgarten, Breitenbach

Es gilt das gesprochene Wort!

Fritz Haber VCH. Chemiker, Nobelpreisträger Deutscher, Jude. Dietrich Stoltzenberg. Eine Biographie von. Weinheim New York Basel Cambridge Tokyo

allensbacher berichte

Gesuch Drittmittelförderung: Digitale Musikedition, Tagung mit vertiefendem Workshop

Grußwort des Oberbürgermeisters Fritz Schramma anlässlich des China- Abends am 24. August 2005, 19:00 Uhr in der Bastei

Der Wert eines Unternehmens wird in der Praxis nicht anhand einheitlicher Kriterien definiert.

Die Heilige Taufe. HERZ JESU Pfarrei Lenzburg Bahnhofstrasse 23 CH-5600 Lenzburg. Seelsorger:

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, verehrte Mitglieder des Preisverleihungskomitees, meine Damen und Herren,

POLITISCHE THEORIE BAYERISCHES PROMOTIONSKOLLEG. 4. Tagung in Eichstätt zum Thema Demokratie und Frieden

JOBSTARTER bringt Ausbildung in Bewegung Fachkräftesicherung im Bereich Logistik und Transport


Der Kollege gab an, er sei nunmehr zur Übernahme folgender Aufgaben berechtigt:

Euronoten. MoneyMuseum

Finanzplatz Liechtenstein: Aktuelle Situation und Perspektiven

Laudatio. anlässlich der Aushändigung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. an Herrn Georg Moosreiner

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Freunde der Weisheit, sehr geehrte Damen und Herren!

Begrüßung: Heute und jetzt ist jeder willkommen. Gott hat in seinem Herzen ein Schild auf dem steht: Herzlich Willkommen!

Grundsätze für das Bundesleben nach der Satzung der Marburger Burschenschaft Arminia e.v.

Wer wählt in Deutschland den Bundeskanzler / die Bundeskanzlerin? In wie viele Bundesländer ist die Bundesrepublik Deutschland gegliedert?

Der Wiener Kongress 1814/15

WIE KANN MAN SICH ÜBER DIE EU INFORMIEREN?

Big Friends for Youngsters

Die Europäische Union

Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie. Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: 11.

2.. 4 C D 21...

Pressestatement Prof. Dieter Kempf, Präsident des BITKOM Vortrag im Rahmen der Pressekonferenz zum Cloud Monitor 2014 Ansprechpartner Präsident

Inhaltsverzeichnis. die herrschaft des nationalsozialismus. die Weimarer Republik. Geschichte / Politik Arbeiten mit Entdecken und Verstehen 7

Grußwort des Staatsministers. zur Verleihung des Max-Friedlaender-Preises des Bayerischen Anwaltverbands an Max Mannheimer

Lern- und Theaterprojekt Interkulturelle Kompetenz

Fördermittelberatung durch Steuerberater

LIEBE ZUM DETAIL. Liebe Sammler,

Thema. Grußwort. anlässlich des. 10-jährigen Jubiläums des. Vereins "Begegnung in Neu-Ulm e.v." am 22. Juli 2011

Für eine Welt der Hoffnung, Toleranz und sozialen Gerechtigkeit, in der die Armut besiegt ist und die Menschen in Würde und Sicherheit leben.

Europa wählen. Zahlen und Fakten wie wir alle von der EU profitieren.

Herzlich Willkommen! Personales Gesundheitsmanagement Schätze heben und Sinne schärfen. Für die 21. Längste Kaffeepause Freiburgs

82 / indukom 02/2007. Bild: Pixelquelle

Ergebnisse der Kundenzufriedenheitsanalyse - Frühjahr

Wir sind die Partei DIE LINKE. Das wollen wir mit unserer politischen Arbeit. geschrieben in Leichter Sprache

EDITION Neueste Veröffentlichungen Johan Galtungs. Band 1. von. Johan Galtung. Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

Transkript:

Staatsbesuch S.E. Herrn Dr. Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich und von Frau Margit Fischer in der Schweiz, 7./.8. September 2006 Ansprache von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, Historisches Museum, 7. September 2006, Bern Es gilt das gesprochene Wort! Im Bewusstsein, dass unser Nachbarland Schweiz mit Einladungen zu Staatsbesuchen sehr sorgfältig und selektiv umgeht dem Eingeladenen dann aber mit besonderer Gastfreundschaft begegnet, darf ich mich zunächst für die ehrenvolle Einladung und für die Gastfreundschaft bei Herrn Bundespräsidenten Leuenberger und beim gesamten Schweizer Bundesrat sehr herzlich bedanken. Ich möchte hinzufügen, dass mich der Ort dieses Gedankenaustausches fasziniert nämlich das Historische Museum in Bern, aber auch die Bezugspersonen, die wir über Vorschlag von Herrn Bundespräsidenten Leuenberger

2 gemeinsam zum Ausgangspunkt dieser kurzen Betrachtungen gewählt haben nämlich Albert Einstein und Sigmund Freud. Albert Einstein in Deutschland geboren und in den USA gestorben hat die wichtigsten seiner epochalen Erkenntnisse in der Schweiz erarbeitet. Und Sigmund Freud in Freiberg (Mähren) geboren und in Großbritannien gestorben hat seine wichtigsten Lehren in Wien formuliert. Beide sind also aus unserem Kulturkreis stammende, über die Grenzen eines Landes hinausgewachsene Weltbürger, deren Erkenntnisse der gesamten Menschheit gehören. Beide weisen Biographien auf, deren Studium uns hilft, den gravierenden Unterschied zwischen einem vernünftigen Patriotismus und inhumaner Fremdenfeindlichkeit klar zu erkennen. Beide sind in das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik geraten. Beiden haben wir viel zu verdanken.

3 Der Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud zum Thema Warum Krieg? wirft Fragen auf, die auch heute wie ich fürchte noch immer nicht abschließend und zufriedenstellend beantwortet sind, wobei ich den Beitrag, den Bundespräsident Leuenberger zu dieser Frage in einem eindrucksvollen Vortrag vor genau einem Jahr in Wien geleistet hat, außerordentlich hoch schätze. Meine Damen und Herren! Si vis pacem para bellum war ein Axiom der Römer vor 2000 Jahren. Ob sie tatsächlich den Frieden gewollt haben, weiß ich nicht. Was wir aber wissen ist, dass seit 2000 Jahren immer wieder Friede beschworen und Krieg geführt wurde. Krieg galt und gilt bis in die Gegenwart als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln und ich spreche hier selbstverständlich vom

4 militärischen Angriff und nicht von der Verteidigung des eigenen Territoriums. Warum Krieg? konnte ich schon in den 60-iger Jahren in Harvard, den damaligen amerikanischen Verteidigungsminister Robert McNamara bei einer Diskussion mit Studenten über den Vietnam-Krieg fragen und bekam eine wortreiche Antwort namens Domino-Theorie. 30 Jahre später hat mir der gleiche inzwischen ehemalige Verteidigungsminister McNamara ein Buch geschenkt, in dem er den Vietnam-Krieg als Fehler und Tragödie bezeichnete. Warum Krieg? haben sich viele von uns auch gefragt als 2003 der zweite Irak-Krieg begonnen wurde und heuer im Sommer der Libanon-Krieg ausbrach. Ich denke, dass auch die Rechtfertigungsversuche für die beiden letztgenannten Kriege vor der Geschichte nicht länger Bestand haben werden, als die Rechtfertigung des Vietnam-Krieges. Meine sehr geehrten Damen und Herren!

5 Unabhängig von der höchst persönlichen Einstellung jedes Einzelnen von uns zu diesen Fragen, ist es für einen Österreicher jedenfalls logisch und schlüssig, Bemühungen um die friedliche Lösung von Konflikten gerade hier in der Schweiz zu erörtern, blieb doch die neutrale Schweiz von den kriegerischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts verschont und war für uns Österreicher beim Thema Neutralität ein wichtiges Vorbild. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Schweiz im Bewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher fest und positiv verankert. 93% der in einer repräsentativen Umfrage befragten Österreicherinnen und Österreicher finden die Schweiz sympathisch, hat unsere österreichische Außenministerin Frau Dr. Ursula Plassnik kürzlich in einem Artikel über das Verhältnis zwischen der Schweiz und Österreich berichtet. Heute, wo sich die politische Situation in Europa grundlegend verändert hat und sich auch die Formen des Krieges und der Gewaltanwendung verändert haben, setzen wir uns zum Ziel,

6 Neutralität in zeitgemäßer Weise mit dem Gedanken europäischer Solidarität zu verknüpfen. Den Dialog mit der Schweiz zu diesem Thema halte ich für spannend und wertvoll. Herr Bundespräsident, meine Damen und Herren! Das Antwortschreiben, das Sigmund Freud an Albert Einstein richtete war nicht die erste Auseinandersetzung Freuds mit dem Phänomen des Krieges. Eher unfreiwillig wurde der überzeugte Kriegsgegner Freud kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit dieser Problematik konfrontiert, als sich zwei seiner Söhne freiwillig an die Front meldeten. In seinem Aufsatz Zeitgemäßes über Krieg und Tod kommt die schmerzhafte Verwunderung zum Ausdruck, wie eine kulturell so hoch entwickelte Region wie Europa mit einem Mal auseinander brechen und teilweise in Barbarei versinken konnte. Und Freud konstatierte eher pessimistisch, dass der Fall in die Barbarei vielleicht nicht so tief war, wie man annehmen könnte, weil auch die Höhen der Kultur von denen man herabstürzte nicht so hoch waren, wie man vorgab. - Ein interessanter Gedanke.

7 Jedenfalls war auch für Einstein wie für Freud klar, dass Frieden zwischen den Staaten auf die Dauer nur durch einen größeren rechtlichen Rahmen gewährleistet werden kann, um zu jener Weltinnenpolitik zu gelangen, die schon Immanuel Kant vorschwebte, zu einem internationalen Rechtsstaat, für den die Gründerväter der Vereinten Nationen Grundlagen gelegt haben. Hier, in Europa, und speziell auf dem Gebiet der Europäischen Union, zu der die Schweiz die aller engsten Kontakte hat, ist es offenbar gelungen, eine Region des Friedens zu etablieren, wie es sie in dieser Form in der Geschichte Europas noch nie gegeben hat. Ich bin, so denke ich, weit von jeder Einmischung in innere Angelegenheiten der Schweiz entfernt, wenn ich sage, dass Österreich mit positivem Interesse die Diskussionen in der Schweiz beobachtet, die zu der Frage geführt werden, wie die Schweiz ihre Beziehung zur Europäischen Union in Zukunft gestalten wird.

8 Das Resümee aus meinen Erfahrungen in den letzten Jahren lautet jedenfalls: Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union war richtig und zweckmäßig. Die Europäische Union ist meines Erachtens ein Friedensprojekt und ein Projekt mit Zukunftspotential. Und für die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem EU- Mitglied Österreich zwei Staaten, denen Neutralität gemeinsam ist sehe ich weiterhin eine gute Zukunft. Ich danke Ihnen.