Staatsbesuch S.E. Herrn Dr. Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich und von Frau Margit Fischer in der Schweiz, 7./.8. September 2006 Ansprache von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, Historisches Museum, 7. September 2006, Bern Es gilt das gesprochene Wort! Im Bewusstsein, dass unser Nachbarland Schweiz mit Einladungen zu Staatsbesuchen sehr sorgfältig und selektiv umgeht dem Eingeladenen dann aber mit besonderer Gastfreundschaft begegnet, darf ich mich zunächst für die ehrenvolle Einladung und für die Gastfreundschaft bei Herrn Bundespräsidenten Leuenberger und beim gesamten Schweizer Bundesrat sehr herzlich bedanken. Ich möchte hinzufügen, dass mich der Ort dieses Gedankenaustausches fasziniert nämlich das Historische Museum in Bern, aber auch die Bezugspersonen, die wir über Vorschlag von Herrn Bundespräsidenten Leuenberger
2 gemeinsam zum Ausgangspunkt dieser kurzen Betrachtungen gewählt haben nämlich Albert Einstein und Sigmund Freud. Albert Einstein in Deutschland geboren und in den USA gestorben hat die wichtigsten seiner epochalen Erkenntnisse in der Schweiz erarbeitet. Und Sigmund Freud in Freiberg (Mähren) geboren und in Großbritannien gestorben hat seine wichtigsten Lehren in Wien formuliert. Beide sind also aus unserem Kulturkreis stammende, über die Grenzen eines Landes hinausgewachsene Weltbürger, deren Erkenntnisse der gesamten Menschheit gehören. Beide weisen Biographien auf, deren Studium uns hilft, den gravierenden Unterschied zwischen einem vernünftigen Patriotismus und inhumaner Fremdenfeindlichkeit klar zu erkennen. Beide sind in das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik geraten. Beiden haben wir viel zu verdanken.
3 Der Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud zum Thema Warum Krieg? wirft Fragen auf, die auch heute wie ich fürchte noch immer nicht abschließend und zufriedenstellend beantwortet sind, wobei ich den Beitrag, den Bundespräsident Leuenberger zu dieser Frage in einem eindrucksvollen Vortrag vor genau einem Jahr in Wien geleistet hat, außerordentlich hoch schätze. Meine Damen und Herren! Si vis pacem para bellum war ein Axiom der Römer vor 2000 Jahren. Ob sie tatsächlich den Frieden gewollt haben, weiß ich nicht. Was wir aber wissen ist, dass seit 2000 Jahren immer wieder Friede beschworen und Krieg geführt wurde. Krieg galt und gilt bis in die Gegenwart als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln und ich spreche hier selbstverständlich vom
4 militärischen Angriff und nicht von der Verteidigung des eigenen Territoriums. Warum Krieg? konnte ich schon in den 60-iger Jahren in Harvard, den damaligen amerikanischen Verteidigungsminister Robert McNamara bei einer Diskussion mit Studenten über den Vietnam-Krieg fragen und bekam eine wortreiche Antwort namens Domino-Theorie. 30 Jahre später hat mir der gleiche inzwischen ehemalige Verteidigungsminister McNamara ein Buch geschenkt, in dem er den Vietnam-Krieg als Fehler und Tragödie bezeichnete. Warum Krieg? haben sich viele von uns auch gefragt als 2003 der zweite Irak-Krieg begonnen wurde und heuer im Sommer der Libanon-Krieg ausbrach. Ich denke, dass auch die Rechtfertigungsversuche für die beiden letztgenannten Kriege vor der Geschichte nicht länger Bestand haben werden, als die Rechtfertigung des Vietnam-Krieges. Meine sehr geehrten Damen und Herren!
5 Unabhängig von der höchst persönlichen Einstellung jedes Einzelnen von uns zu diesen Fragen, ist es für einen Österreicher jedenfalls logisch und schlüssig, Bemühungen um die friedliche Lösung von Konflikten gerade hier in der Schweiz zu erörtern, blieb doch die neutrale Schweiz von den kriegerischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts verschont und war für uns Österreicher beim Thema Neutralität ein wichtiges Vorbild. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Schweiz im Bewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher fest und positiv verankert. 93% der in einer repräsentativen Umfrage befragten Österreicherinnen und Österreicher finden die Schweiz sympathisch, hat unsere österreichische Außenministerin Frau Dr. Ursula Plassnik kürzlich in einem Artikel über das Verhältnis zwischen der Schweiz und Österreich berichtet. Heute, wo sich die politische Situation in Europa grundlegend verändert hat und sich auch die Formen des Krieges und der Gewaltanwendung verändert haben, setzen wir uns zum Ziel,
6 Neutralität in zeitgemäßer Weise mit dem Gedanken europäischer Solidarität zu verknüpfen. Den Dialog mit der Schweiz zu diesem Thema halte ich für spannend und wertvoll. Herr Bundespräsident, meine Damen und Herren! Das Antwortschreiben, das Sigmund Freud an Albert Einstein richtete war nicht die erste Auseinandersetzung Freuds mit dem Phänomen des Krieges. Eher unfreiwillig wurde der überzeugte Kriegsgegner Freud kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit dieser Problematik konfrontiert, als sich zwei seiner Söhne freiwillig an die Front meldeten. In seinem Aufsatz Zeitgemäßes über Krieg und Tod kommt die schmerzhafte Verwunderung zum Ausdruck, wie eine kulturell so hoch entwickelte Region wie Europa mit einem Mal auseinander brechen und teilweise in Barbarei versinken konnte. Und Freud konstatierte eher pessimistisch, dass der Fall in die Barbarei vielleicht nicht so tief war, wie man annehmen könnte, weil auch die Höhen der Kultur von denen man herabstürzte nicht so hoch waren, wie man vorgab. - Ein interessanter Gedanke.
7 Jedenfalls war auch für Einstein wie für Freud klar, dass Frieden zwischen den Staaten auf die Dauer nur durch einen größeren rechtlichen Rahmen gewährleistet werden kann, um zu jener Weltinnenpolitik zu gelangen, die schon Immanuel Kant vorschwebte, zu einem internationalen Rechtsstaat, für den die Gründerväter der Vereinten Nationen Grundlagen gelegt haben. Hier, in Europa, und speziell auf dem Gebiet der Europäischen Union, zu der die Schweiz die aller engsten Kontakte hat, ist es offenbar gelungen, eine Region des Friedens zu etablieren, wie es sie in dieser Form in der Geschichte Europas noch nie gegeben hat. Ich bin, so denke ich, weit von jeder Einmischung in innere Angelegenheiten der Schweiz entfernt, wenn ich sage, dass Österreich mit positivem Interesse die Diskussionen in der Schweiz beobachtet, die zu der Frage geführt werden, wie die Schweiz ihre Beziehung zur Europäischen Union in Zukunft gestalten wird.
8 Das Resümee aus meinen Erfahrungen in den letzten Jahren lautet jedenfalls: Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union war richtig und zweckmäßig. Die Europäische Union ist meines Erachtens ein Friedensprojekt und ein Projekt mit Zukunftspotential. Und für die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem EU- Mitglied Österreich zwei Staaten, denen Neutralität gemeinsam ist sehe ich weiterhin eine gute Zukunft. Ich danke Ihnen.