Das Europäische Wirtschafts- und Sozialmodell: Energieversorgung im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen

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Transkript:

3_ Workshopbericht Das Europäische Wirtschafts- und Sozialmodell: Energieversorgung im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Entwicklungschancen und Klimaschutz Ein europäischer Workshop des Progressiven Zentrums gefördert vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland und in Kooperation mit dem Ausschuss der Regionen, Brüssel, 28.04.2010 April 2010

Kontext und Zielsetzung Das Progressive Zentrum hat Vertreter aus den neuen und alten EU-Mitgliedsländern eingeladen, um über die energie- und klimapolitischen Herausforderungen zu diskutieren, vor denen die Europäische Union gegenwärtig steht. Eine gemeinsame Energie- und Klimapolitik ist im vitalen Interesse aller 27 Mitgliedstaaten der EU. Ohne sie kann die dringend notwendige Erneuerung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells nicht gelingen. Aber gerade auf diesem Politikfeld bestehen große ökonomische und geopolitische Interessenunterschiede zwischen den einzelnen EU- Staaten, besonders zwischen neuen und alten EU-Mitgliedern. So verzeichnen die neuen Mitgliedsländer im Vergleich mit der EU-15 noch immer einen wirtschaftlichen Entwicklungsrückstand und befürchten durch umweltpolitische Auflagen weitere ökonomische Nachteile. Auch ist ihr Verhältnis zum Energieexporteur Russland aus historischen Gründen angespannt. Welche Wege führen zu einer gemeinsamen Energie- und Klimapolitik? Bislang wurden die Debatten darüber nicht selten sehr polemisch geführt; ohne eine Versachlichung werden Kompromisse und Lösungen nur schwer zu erzielen sein. Auch dazu soll dieser Workshop des Progressiven Zentrums einen Beitrag leisten. Der Liberalisierungsprozess des europäischen Energiesektors begann in den 1990er Jahren mit der Verabschiedung einiger europaweit geltender Richtlinien bezüglich des Strom- und Gasmarktes durch den Europäischen Rat und das Europäische Parlament (z.b. 90/547/EWG; 98/30/EG; 90/377/EWG). Auf dem Europäischen Energiegipfel im März 2007 einigten sich die 27 Mitgliedstaaten auf drei Leitmotive einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik Emissionsreduktion, Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien und eine höhere Energieeffizienz. In diesem Zusammenhang wurde das Zieldreieck der EU-Energiepolitik formuliert, das Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit in eine Balance bringt. Wie die Gaskrisen 2006 und 2009 gezeigt haben, sind die einzelnen Mitgliedstaaten auf Kooperation im Energiebereich angewiesen. Um außenpolitisch stark zu sein und mit einer Stimme zu sprechen, muss die Solidarität innerhalb der EU-Mitglieder ausgebaut und politisch wie rechtlich untermauert werden. Durch die nationalstaatlichen Zuständigkeiten ist der Energiemarkt Europas derzeit stark fragmentiert- es mangelt an Konsistenz, Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit. Angesichts der geteilten Kompetenzen im Energiesektor zwischen Wirtschafts-, Umwelt- und Außenpolitik sollten in den fortschreitenden Prozess der Vergemeinschaftung stets Vertreter dieser Bereiche einbezogen werden. Der Vertrag von Lissabon konstituiert einen Seite 2_Workshopbericht_Brüssel

ersten Schritt in die richtige Richtung. Was noch fehlt ist die Anpassung der nationalen energiepolitischen Gesetzgebungen und eine legislative Vereinheitlichung auf EU- Ebene sowie die Schaffung eines gemeinsamen auf EU-Kooperation gestützten Frühwarnsystems für Krisensituationen. Ablauf des Workshops Der Workshop wurde konzeptionell und organisatorisch durch das Progressive Zentrum vorbereitet. Dr. Tobias Dürr, Vorsitzender des Progressiven Zentrums moderierte die Diskussionsrunden. Der Workshop war in zwei zentrale Themenbereiche gegliedert, in deren Fokus die Reformmöglichkeiten der europäischen Energiepolitik standen. Manfred Degen hielt in seiner Rolle als Gastgeber von Seiten des Ausschusses der Regionen (A.d.R.) eine Einführungsrede, in welcher er ganz allgemein auf die Bedeutung interorganisationaler Netzwerke für die europäische Politik hinwies. Die Hauptaufgrabe des A.d.R. sei es dabei, eine Verbindungsplattform für alle im Sinne der Kohäsions- und regionalen Politik agierenden, politischen Akteure zu schaffen und gemeinsame Standpunkte zu finden. Die europäische Energiesicherheit als kompetenzübergreifendes Politikum spiele dabei insofern eine besondere Rolle, als der gemeinsame europäische Weg hierfür noch nicht gefunden sei. Der engen Zusammenarbeit von europäischen Organen, Regierungsvertretern und unabhängigen Think Tanks maß er besondere Bedeutung bei. In seiner sich anschließenden Einführung erläuterte Dr. Tobias Dürr das Projekt des Europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells und den Schwerpunkt des Workshops, Energieversorgung im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Entwicklungschancen und Klimaschutz. Er betonte dabei den Mehrwert eines gegenseitigen Lernprozesses und des offenen, diskursiven und interdisziplinären Austausches von Reformansätzen. Der Erreichung der gemeinsamen europäischen Ziele, die Energiesicherheit zu stärken und Emissionen nachhaltig zu kürzen, müsse eine grundlegende Debatte um die verschiedenen Problemwahrnehmungen der Mitgliedstaaten der EU vorangehen. Im Rahmen eines parlamentarischen Diskurses müsse auf nationaler Ebene eine Klimapolitik erarbeitet werden, die sich in den Kontext der europäischen Energiedebatte und der vielfältigen Interessen der Mitgliedstaaten einpasse. Auch angesichts der Finanzkrise und der (faktischen) Überschuldung des ersten europäischen Staates Seite 3_Workshopbericht_Brüssel

sei die Stärkung und Fortführung der europäischen Integration durch einen pluralistischen und produktiven Diskurs mehr denn je zu unterstützen. Die zum Teil fundamental verschiedenen nationalen Standpunkte zur europäischen Wirtschafts-, Sozial und Sicherheitspolitik wie auch zur Energie- und Klimapolitik seien in einem Outputorientierten Kompromiss auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Hauptziele der Energie und Klimapolitik seien die Minderung der europäischen Energieabhängigkeit, die Stabilisierung und Sicherung der Versorgung, die effiziente Emissionsreduktion und nicht zuletzt die Bildung einer produktiven Symbiose aus Innovation und Investitionen in erneuerbare Energien, die zugleich Wachstum und neue Arbeitsplätze generieren könne. Inwiefern muss sich die europäische Politik wandeln, um dieses Ziele verwirklichen zu können? Tobias Dürr betonte das Potential der bestehenden Institutionen und die Notwenigkeit, diese im Geiste einer europäischen, partnerschaftlichen Kooperation zu nutzen. Als notwendige Ergänzung nannte er die Entwicklung einer europäischen Politik des Klimawandels als Konsens aus Wirtschafts-, Umwelt- und Sicherheitspolitik. Das erste Panel eröffnete Severin Fischer, Projektkoordinator für EU-Energie- und Klimapolitik beim Institut für Europäische Politik (IEP), der zu dem Thema Energieversorgung in Europa: Divergenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten einen Überblick über die Knackpunkte der europäischen Energiepolitik im Bereich der zwischenstaatlichen Kooperation bot. Seinem Beitrag folgte eine Diskussionsrunde. Anschließend präsentierte Agata Hinc von demoseuropa, dem Zentrum für europäische Strategie, die Europäische Energiepolitik aus der Sicht eines neuen EU-Mitgliedslandes Die Stromerzeugung mittels Kohle am Bespiel von CCS in Polen. Der erste Themenkomplex schloss mit einer Diskussion und einer kurzen Zusammenfassung durch Dr. Tobias Dürr. Der zweite und letzte Teil des Workshops wurde von Rainer Hinrichs-Rahlwes, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Erneuerbare Energien e.v. eingeleitet. Er befasste sich mit dem Thema Förderung erneuerbarer Energien Europäische Energiepolitik aus deutscher Perspektive, wozu er in seinem Vortrag die Möglichkeiten zu einer, über die derzeitigen Klimaziele hinausgehenden, deutschen Emissionsreduktion von bis zu 28 Prozent aufzeigte. Auf eine weitere Diskussionsrunde folgte dann, zum Abschluss, das Impulsreferat von Csilla Vegh, Researcher beim französischen Think Tank Notre Europe, die sich mit den Möglichkeiten zur Gründung einer Europäischen Energie-Gemeinschaft in Anlehnung an die EGKS und EWG auseinandersetzte. Seite 4_Workshopbericht_Brüssel

Die wichtigsten Diskussionsergebnisse Energieversorgung in Europa: Divergenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten Der Vertrag von Lissabon ist seit 01.12.2009 in Kraft und definiert erstmals gebündelt die Hauptziele der europäischen Energiepolitik (Art.194 AEUV). Diese umfassen das Funktionieren des Energiemarkts, die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union und die Förderung der Energieeffizienz und Energieeinsparungen sowie die Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen. Hinzu kommt der Aufruf zur Förderung der Interkonnektion der Energienetze. Die Ziele werden durch das Bild des Zieldreiecks zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit zusammengefasst. Allerdings herrschen Ungleichgewichte in der Zielsetzung und Ausführung, die mangels struktureller Reformen die Einheit der europäischen Energiepolitiken verhindern. Die Wettbewerbsfähigkeit als primär wirtschaftliches Ziel stand bisher angesichts ihrer Auswirkungen auf den nationalen Markt stets an erster Stelle der nationalstaatlichen Agenden. Der Energieaktionsplan, der die Implementierung einer Reihe von Regelungen zur Marktliberalisierung im Zeitraum von 2007-2009 vorsah, habe u.a. bewirkt, dass die umwelt- und wettbewerbspolitischen Aspekte des europäischen Energiesektors auf die supranationale Zuständigkeitsebene verlagert worden seien. Die Versorgungssicherheit als dritter, integraler Teil des EU-Ansatzes verbleibe dagegen weiter in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedsstaaten. Unausgewogenheit besteht auch zwischen den innen- und außenpolitischen Komponenten des europäischen Energiedialogs. Die Energieaußenbeziehungen werden mittlerweile als eines der wichtigsten außenpolitischen Felder der EU gehandelt. Immer neue Projekte mit dem Ziel fortschreitender Diversifizierung werden diskutiert. Der Dialog zwischen EU-Energieproduzenten und Transitländern ist stabil. Die sogenannte gemeinsame Stimme, die der EU erst Verhandlungsstärke geben kann, fehlt jedoch. Der innereuropäische Dialog, aus dem eine einheitlich europäische Position entspringen kann und muss, wurde aufgrund der starken externen Konzentration der Energiepolitik bislang vernachlässigt. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die aktuelle europäische Energiepolitik kein Spiegel aller europäischen Interessen ist, sondern nur Interessen einiger, großer Mitgliedsländer reflektiert. Ohne einen tiefgehenden Dialog, der die Einbeziehung aller Seite 5_Workshopbericht_Brüssel

europäischen Interessen zum Ziel habe, könne weder die Reform der europäischen Energieinfrastruktur, noch die Verwirklichung des Reduktionsziels von 30 Prozent erreicht werden. Eine effektive Energie- und Klimapolitik der EU sei nur dann zu verwirklichen, wenn die Maßnahmen in allen Mitgliedstaaten auch realistisch umgesetzt werden könnten. Insgesamt ist eine stärkere Rücksichtnahme auf die innerstaatlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten der neuen Mitgliedstaaten, deren energiepolitische Ambitionen nicht mit denen klimapolitisch stark engagierter Staaten wie Deutschland gleichgesetzt werden dürfen. In der Diskussion machten die Teilnehmer auf die ungleiche Diskussionsstärke der europäischen Mitgliedstaaten untereinander und innerhalb internationaler Gremien aufmerksam. So führe die Unterrepräsentanz neuer und/oder kleiner Mitgliedstaaten zum Beispiel in der G20 zu einem innereuropäischen Vertrauensverlust auf dem Weg in eine gemeinsame europäische Energiepolitik und der Realisierung der gemeinsamen Klima- und Energieziele. Ambitionierte Klimaziele werden zunehmend auch von großen Teilen der Bevölkerung als Belastung und weniger als Erfolg gewertet. Um Nachhaltigkeit im Alltag zu fördern, müsste die Bevölkerung stärker eingebunden werden, zum Beispiel durch den Erlass neuer, europaweiter Gesetze, wie beispielsweise die Richtlinie zur Gebäudeenergieeffizienz und die Biogas-Strategie. _ Das Zieldreieck aus Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungsicherheit und Nachhaltigkeit hat eine Schieflage zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit _ Während die umwelt - und wettbewerbspolitischen Aspekte auf europäischer Ebene geregelt werden, verblieb die Versorgungssicherheit in der nationalen Verantwortung _ Der innereuropäische Energiedialog muss im Verhältnis zu den zahlreichen europäischen Außeninitiativen ausgebaut werden. _ Dazu müssen alle Mitgliedstaaten in einen offenen Diskurs miteinander treten, der unterschiedliche Entwicklungsstandards produktiv vereint und durch einen fairen Konsens Neues schafft. _ Energie- und Klimapolitik müssen zu einem einheitlichen Politikfeld verschmelzen. Ein Zuständigkeitsstreit zwischen Umwelt- und Wirtschaftsinstitutionen darf dem Reformprozess nicht weiter im Weg stehen. Seite 6_Workshopbericht_Brüssel

Europäische Energiepolitik aus der Sicht eines neuen EU-Mitgliedslandes Die Stromerzeugung mittels Kohle am Bespiel von CCS in Polen Von Juli bis Dezember 2011 übernimmt Polen zum ersten Mal die EU Ratspräsidentschaft. Zu den erklärten Prioritäten der polnischen Regierung während dieser Zeit wird die Stärkung der Energiesicherheit in Europa zählen. Auch andere energierelevante Themen werden die polnische Agenda der Ratspräsidentschaft beherrschen: dazu gehört vor allem die Diskussion um den finanziellen Finanzrahmen für 2013-2018, sowie die endgültige Entscheidung über die Erhöhung des Reduktionsziels von 20 auf 30 Prozent in der EU. In den sechs Monaten wird Polen auch die Vorbereitungen des Weltklimagipfels in Johannesburg für die EU übernehmen. Das Thema Energie beschäftigt Polen nicht nur auf europäischer, sondern vor allem auf nationaler Ebene. Denn das Land steht unmittelbar vor einer grundlegenden Erneuerung der nationalen Energieinfrastruktur. Schließlich ist das Gros der polnischen Elektrizitäts- oder Kohlekraftwerke seit mehr als 30 Jahren am Netz. Hinzu kommt die Frage, wie es Polen gelingt, den eigenen Energiesektor mit den Anforderungen aus dem europäischen Energie- und Klimapaket zu vereinbaren. Die ehrgeizigen europäischen Ziele bedeuten für die Republik Herausforderung und Chance zugleich bis 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion von heute 3 Prozent auf 15 Prozent erhöht werden. Der Anteil des aus Kohle gewonnenen Stroms soll von aktuell 92 Prozent auf 57 Prozent sinken. Nur die Umstellung des Energiesektors in Richtung höherer Energieeffizienz und geringerem CO²- Ausstoß macht diesen Schritt möglich. Die Frage, wie der Umbau gestaltet werden soll, wird in Polen und Europa heftig diskutiert. Agata Hinc, Referentin vom Warschauer Zentrum für europäische Strategie demoseuropa, präsentierte die von der polnischen Regierung unterstützte Carbon Capture and Storage -Technologie (CCS). Neue und/oder bestehende Kohlekraftwerke sollen mit Vorrichtungen zur Kohlendioxidabscheidung und dessen Dauerspeicherung versehen werde. Die Frage nach dem Verbleib des so gewonnenen CO² ist jedoch noch nicht zur Gänze geklärt. Ein durch den EU-Wirtschaftsfonds co-finanziertes Pilotprojekt in Bełchatów nahe Łódż, wo erstmals Energie mit Hilfe sauberer Kohletechnologien erzeugt wird, läuft bereits. Die CCS-Strategie soll die klimapolitischen Absichten Polens mit der wirtschaftlich effektivsten Lösung verbinden, die bis auf weiteres die Nutzung der polnischen Kohlevorräte beinhaltet. Die weitere Nutzung der riesigen Kohlevorkommen Polens zur Stromgewinnung kann die Abhängigkeit des Landes von auswär- Seite 7_Workshopbericht_Brüssel

tigen Energielieferungen senken. CCS kann die emissionsintensive Umwandlung von Kohle zu Strom mit den ehrgeizigen EU-Klimazielen vereinbaren. Die Implementierung der Rechtsakte für die CCS-Technologie ist erfolgt, allerdings fehlen noch eine funktionierende Infrastruktur und Einvernehmen über die Zuständigkeiten, die besonders zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium umstritten blieben. Zudem gilt es, die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Regierung zu stärken, wenn die Klimaziele auf dem effektivsten Wege erreicht werden sollen. Ob die neue CCS-Strategie auf Zustimmung bei der polnischen und bei der gesamteuropäischen Bevölkerung stößt, ist noch offen. Dies hängt von der Medienstrategie der polnischen Regierung, den Testergebnissen der CCS-Technologie und nicht zuletzt von der polnischen Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr des Jahres 2011 ab. Die Stromgewinnung aus Braun- und Steinkohle bleibt für Polen nur eine Übergangslösung. Langfristig plant das Land den Bau von mindestens zwei Atomkraftwerken, sowie den Ausbau des regenerativen Energiesektors. In der Diskussion wurde das polnische Vorhaben, sich in den nächsten Jahrzehnten weiter auf Kohle- und Nuklearenergie zu verlassen, stark kritisiert. Die Referentin Agata Hinc betonte die Eigenverantwortung Polens und der anderen neuen Mitgliedstaaten, die Klimapolitik der EU ihren Möglichkeiten entsprechend zu planen. Zugleich stand aber auch das Ungleichgewicht zwischen den EU-Mitgliedstaaten bezüglich ihrer Energiemixe und des Reduktionspotentials zur Debatte. Während die technologisch hochentwickelten Länder den schnellen Umstieg auf regenerative Energien in ganz Europa durchsetzen wollen, vergessen sie, dass die weniger entwickelten Länder diesem Ziel gar nicht nachkommen können. Eigentliches Ziel müsse doch eine auf die individuellen Möglichkeiten jedes Mitgliedslandes ausgelegte Klimapolitik sein, die sich an den nationalen Gegebenheiten orientiere. Eine Bestandsaufnahme auf Basis des EU-Durchschnitts sei hier der falsche Weg. Zahlreiche Teilnehmer machten auf die Möglichkeiten Polens zur CO²-Reduktion durch Wind- und Wasserkraft aufmerksam. Die Speicherung des durch CCS abgespaltenen CO² sei nach aktuellem Forschungsstand nur unter großem Flächen- und Energieaufwand möglich. Hinzu kommt, dass die für den CCS-tauglichen Umbau der Kraftwerke entstehenden Kosten, wie auch ihr Nutzen keineswegs geklärt ist. Verlässlicher sei der direkte Umstieg auf erneuerbare Energien. Eine Variante, die polnische Initiative mit den europäischen Klimazielen zu verbinden, wäre die offizielle Erpro- Seite 8_Workshopbericht_Brüssel

bung der CCS-Technologie und ihr anschließender Export an Drittstaaten, ohne dabei die dauerhafte Anwendung von CCS für Europa selbst in Erwägung zu ziehen. _ Die unterschiedlichen Energiemixe und Entwicklungsmöglichkeiten der europäischen Mitgliedstaaten sind mit der aktuell eher homogen ausgerichteten Energie- und Klimapolitik der EU nicht kompatibel. _ Der zunehmende Einfluss der neuen Mitgliedstaaten auf die europäische Politik wird die Debatte um Europas Klimaziel neu entfacht und zugunsten der Interessen der neuen Mitgliedsländer verschieben. _ Die Mitgliedstaaten können die EU-Klimaziele nur unter der Berücksichtigung ihrer Rohstoffvorkommen und ihrer nationalen Energiemärkte realisieren. Eine schrittweise Annäherung ist hier effizienter als übereilte Maßnahmen. _ Die Carbon Capture and Storage Technologie (CCS) stellt eine effiziente Übergangslösungen dar, die die Abhängigkeit Polens von Supply-Staaten verringern und den Weg zu einer noch klimafreundlicheren Energiegewinnung bereiten können. _ Wie auch auf europäischer Ebene muss innerhalb der Mitgliedstaaten die Frage der Kompetenzen und der Zuständigkeiten in Energie- und Klimapolitik geklärt werden. Vorstellung Fallstudie Förderung erneuerbarer Energien Europäische Energiepolitik aus deutscher Perspektive Ziel der Präsentation war es, den Ursprung von Deutschlands Vorreiterolle in der europäischen Klimapolitik zu analysieren um so die Möglichkeiten zur Anwendung bestimmter Praktiken in weiteren Mitgliedstaaten zu erörtern. Innereuropäisch wie auch international haben Entwicklungsstand und Innovationspotential der deutschen Energie- und Klimawirtschaft eine Vorbildfunktion inne. In seiner Fallstudie Strong Policies for Renewables sprach sich der Referent Rainer Hinrichs-Rahlwes, als Vertreter des Bundesverbands Erneuerbarer Energien für die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien im europäischen Energiemix auf bis zu 28 Prozent aus (der aktuelle Anteil erneuerbarer Energien beträgt knapp 10 Prozent). Anstatt die Entwicklung der deutschen Energiewirtschaft rückblickend zu erläutern, konzentrierte sich Herr Hinrichs-Rahlwes auf die Zukunft. Angesichts der verschiede- Seite 9_Workshopbericht_Brüssel

nen energiewirtschaftlichen Entwicklungsstandards in Europa solle sich Deutschland verstärkt um den Ausbau seiner Führungsrolle im Klima- und Energiesektor bemühen. Dazu müsse eine ganzheitliche Modernisierung des Energiesektors hin zu mehr Effizienz, dem prioritären Zugang erneuerbarer Energien und niedrigen Strompreisen stattfinden. Auf EU-Ebene bedeutet das u.a. die Schaffung einheitlicher, legislativer Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards, größeres Marktvertrauen durch mehr Information und Kommunikation der Marktteilnehmer, sowie den Ausbau der Infrastruktur (Kraftwerke zur Förderung erneuerbarer Energien, Stromtankstellen etc). Zwar verursache die grundlegende Umstrukturierung des europäischen Marktes intensive Kosten, könne jedoch gleichzeitig bis zu 500.000 Arbeitsplätze vor allem im Bereich der Biomasse, Wind- und Solarenergie schaffen. Dies könnte jedoch auch einen Verlust von Arbeitsplätzen im Nuklear- oder Kohlestromsektor bedeuten. Die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien spart Kosten durch den Wegfall des Imports fossiler Brennstoffe und mindert gleichzeitig die Abhängigkeit von Drittstaaten. Den europäischen Trend zum Nuklearstrom, der ebenfalls als energieeffiziente Lösung diskutiert werde, stellte der Referent in Frage. So hätten sich Staaten wie Finnland, die den Ausbau der Atomenergie einmal stark befürwortet hatten, von den teils schon laufenden Projekten wieder zurückgezogen. Unter dem Motto Rethink 2020 prognostizierte er für Deutschland ein Steigerungspotential für erneuerbare Energien auf knapp 50 Prozent im Jahr 2020. Für 2050 strebt der BEE den fast 100 prozentigen Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Energiemix, und damit faktisch das Ende des Mixes an. Die folgende Diskussion drehte sich um die Veränderungen des europäischen Marktes durch eine grundlegende Umstellung des europäischen Energiemarktes. Zwar könne der Trend zur Atomkraft in vielen Mitgliedsländern nicht aufgehalten werden, durch die Kompatibilität der Netze von Strom aus erneuerbaren Energien und Atomstrom könne er aber ausgeglichen werden. Schrittweise könnte so der Anteil Erneuerbarer Energien steigen. Ein Vertreter des polnischen Außenministeriums machte zusammenfassend auf die Ziele einer Europäisierung der Energie- und Klimapolitik aufmerksam. So ginge es nur an zweiter Stelle darum, den Planeten zu retten. Primärziel sei die Wahrung unseres Lebensstandards. Die Europäer wollten weniger ihren Lebensstandard nach den Klimazielen und der Energiewirtschaft ausrichten, sondern vielmehr eine an ihren Lebensstandard angepasste und dennoch ökologisch vertretbare Energieversorgung Seite 10_Workshopbericht_Brüssel

schaffen. Die Diskussion über eine Umstrukturierung des Energie-(binnen)-marktes müsse auf die arbeitsmarkt- und sozialpoltischen Konsequenzen ausgeweitet werden. Der Netto-Effekt zwischen der Arbeitsplatzgenerierung und dem Verlust von Arbeitsplätzen in der nunmehr überholten Kohle- und/oder Atomindustrie wurde in Frage gestellt. Der Anstieg der Strompreise, der durch den Wegfall der Importgebühren nur minimal beeinflusst werde, könnte neben einem rückläufigen Stromverbrauch weitreichende soziale Konsequenzen haben, die rechtzeitig durch die europäische Sozialpolitik thematisiert werden sollten. _ Der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Energiemix ist weit über die geplanten 18 Prozent hinaus steigerungsfähig. Durch gezielte Modernisierung und prioritären Netzzugang von Erneuerbaren kann ihr Anteil bis 2020 auf 28 Prozent gesteigert werden. _ Deutschland kann als Motor der europäischen Klimapolitik das Potential ganz Europas steigern, Dazu soll es an der Schaffung einheitlicher, legislativer Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards, sowie dem Ausbau der europäischen Energie-Infrastruktur mitwirken. _ Die Umstrukturierung des Energiemarktes wird durch Kosteneinsparungen durch die Reduzierung importierter fossiler Brennstoffe und durch die Schaffung von bis zu 500.000 Arbeitsplätzen in ganz Europa die Wirtschaft nachhaltig positiv befördern. So können die wirtschaftliche Macht Europas gestärkt und die aktuellen Klimaziele noch übertroffen werden. Europa als globaler Vorreiter in Klimaschutz kann die EU mit einer Stimme sprechen? Zum Abschluss des Workshops wurde die Frage einer möglichen Vergemeinschaftung der Energiepolitik diskutiert. Csilla Vegh skizzierte den Weg zu einer Europäischen Energiegemeinschaft (EEG) als nachhaltigen Schritt zu einer einheitlichen europäischen Energie- und Klimapolitik. Die Referentin präsentierte das Projekt Eine Europäische Energiegemeinschaft das vom französischen Think Tank Notre Europe, unter der Schirmherrschaft von Jacques Delors und dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek entwickelt wurde. In ihrem Beitrag ging Frau Vegh über die bisherigen Diskussionsergebnisse hinaus, indem sie auf Basis eines Konsenses der Mitgliedstaaten in der Energie- und Klimapolitik die notwendigen institutionellen Schritte hin zu einer EEG aufzeigte. Seite 11_Workshopbericht_Brüssel

Eine europäische Energiegemeinschaft nach dem Vorbild der Währungsunion und unter Einschluss aller EU-Mitglieder sowie der assoziierten Staaten (wie Norwegen, der Schweiz, der Türkei und der Balkanstaaten) setzt die Schaffung zahlreicher Gemeinschaftsinstitutionen voraus. Dazu zählt die Gründung eines europäischregionalen Energienetzwerks (EREN) und die Verfestigung der Süd-Ost-Europäischen Energiegemeinschaft als Grundstein des europaweiten Pendants einer EEG. Im weiteren Integrationsstadium könne diese Basis durch eine europäische Gaseinkaufs- Gruppe sowie eine EU-Gasversorgungsagentur ergänzt werden. Die EEG wäre eine Institution, die direkt an der Schwachstelle des europäischen Energiemarktes, nämlich seiner internen Organisation, ansetzen und diese durch eine supranational und demokratisch ausgerichtete Vergemeinschaftung des Sektors Energie stärken könnte. Ziel der zusätzlichen Institutionalisierung wäre die nachhaltige Stabilisierung der europäischen Energieversorgung durch die Etablierung europaweiter Energienetze. Die EEG könnte eine effiziente, da übergeordnete Koordination der Mechanismen zur Preisstabilisierung und des Krisenmanagements ermöglichen. Das könnte die Verhandlungsmacht Europas auf internationaler Ebene deutlich stärken. Dies setzt allerdings voraus, dass die Mitgliedstaaten zu einer Einigung über die Ziele und den Ausbau dieser Strukturen finden. Das Konzept einer Europäischen Energie-Gemeinschaft stieß bei den Teilnehmern generell auf viel Zustimmung. Gleichzeitig ordneten sie die Energiegemeinschaft als noch nicht realisierbare Zukunftsvision ein. So wurde die Frage nach der Finanzierung aufgeworfen, aus der die Notwendigkeit eines Europäischen Energiefonds entstünde, dessen Verwirklichung heute noch nicht denkbar sei. Bereits in der Vergangenheit ist der Wunsch nach der Vergemeinschaftung der europäischen Energiepolitik geäußert worden, meistens im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Der Vorschlag des polnischen EP-Abgeordneten Jacek Saryusz-Wolski im Jahr 2007, die Energiepolitik in die GASP zu integrieren, wurde nie verwirklicht. Einige Teilnehmer aus Bulgarien argumentierten, dass die Gründung einer EEG noch verfrüht sei. Angesichts der Entwicklungen der letzten zwei Jahre, innerhalb welcher drei europäische Regulierungen zur Energie- und Klimapolitik, zur Gasversorgung und zur Energieinfrastruktur erlassen worden seien, müssen man die Früchte dieser stückweiten Europäisierung abwarten, bevor man Neues sähen könne. Seite 12_Workshopbericht_Brüssel

_ Der Think Tank Notre Europe plädiert für die Gründung einer Europäischen Energiegemeinschaft (EEG). Damit würde die EU an ihren Gründungsgedanken anknüpfen, als sie 1952 die Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) gründete. _ Die EEG könnte die europaweite Koordination der Energieversorgungssicherheit garantieren, den Wettbewerb durch einheitliche legislative Rahmenbedingungen befördern und die internationale Machtposition der EU stärken. _ Grundvoraussetzungen einer EEG, deren Statut auf der Einvernehmlichkeit aller EU-Mitglieder beruhen muss, ist die innereuropäische Machtbalance zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere zwischen neuen und alten EU-Mitgliedern. _ Auch wenn die EEG zurzeit unrealistisch ist, gibt es politische Initiativen, die Energiepolitik im Rahmen der Gemeinsamen Außen und Sicherheitspolitik (GASP) zu vergemeinschaften. Seite 13_Workshopbericht_Brüssel