Forum Strafvollzug. Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe. Seelsorge und Religion im Justizvollzug. Heft 1. Jan./Feb

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Forum Strafvollzug Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Heft 1. Jan./Feb. 2014. 63. Jahrgang ISSN 1865-1534 PVST Entgelt bezahlt 6979 In dieser Ausgabe: Seelsorge und Religion

Editorial FS 1/2014 1 Liebe Leserinnen und Leser, Heft 1/2014 behandelt das Thema Religionen und Seelsorge im Vollzug. Inhaftierte Menschen leben in einer Sondersituation, die durchaus aus Grenzerfahrung menschlichen Seins beschrieben werden kann. Darauf reagieren Menschen höchst unterschiedlich, unter anderem auch dadurch, dass sie grundsätzliche Fragen an ihr Leben, den Sinn ihrer Existenz stellen, vielleicht auch anderen als therapeutischen oder pädagogischen Beistand benötigen. Auch vollzugliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden vor Situationen gestellt, die existenzielle Herausforderungen darstellen und weitergehende Begleitung erfordern. Zudem sind viele Vollzugsanstalten Abbilder einer multikulturellen und multireligiösen Welt, welche weitere Anforderungen an eine entsprechende Seelsorge stellt. Die angefragten Beiträge beleuchten sowohl solche Grundsatzfragen als auch die Vielfalt konkreter Formen und Umsetzung seelsorgerischer Praxis in verschiedenen Anstalten. Dieses Heft enthält auch die Vorträge, die anlässlich des 50. Jubiläum der Jugendanstalt Wiesbaden gehalten worden sind. Nicht jedes Jubiläum kann in FS umfänglich abgearbeitet werden, die uns dankenswerter Weise von Michael Spörl vermittelten Beiträge stellen aber eine gewinnbringende und lesenswerte Auseinandersetzung mit dem Jugendstrafvollzug dar, deren Bedeutung über den konkreten Anlass hinausgeht. Der Beitrag von Mathias Rohe beschäftigt sich dabei ebenfalls mit dem Thema Seelsorge im Vollzug und ergänzt somit die Sammlung zum Titel-Thema. Dieses Heft enthält auch wie schon jedes Jahr eine Übersicht über die Rechtsprechung im Bereich des Strafvollzugsrechts aus den Jahren 2012 bis 2013. Abgedruckt sind lediglich die nur teilweise amtlichen Leitsätze. Die vollständige Entscheidung findet sich auf der Homepage von FORUM STRAF- VOLLZUG unter der Rubrik Rechtsprechung. Dort sind unter Archiv auch die Entscheidungen vergangener Jahre enthalten. Dieser Service ist selbstverständlich kostenlos. Am 9. Januar ist Winfried Hassemer gestorben. Hassemer war Hochschullehrer der Universität Frankfurt, Hessischer Datenschutzbeauftragter und Vorsitzender des 2. Senates des Bundesverfassungsgerichtes sowie dessen Vize-Präsident. Sein Lebensthema war der Einsatz für ein rationales, streng an rechtsstaatlichen Regeln orientiertes Strafrecht. Er war ein leidenschaftlicher Verfechter des liberalen Rechtsstaates und ein beständiger Warner vor der strukturauflösenden Eigendynamik staatlicher Sicherheitspolitik. Seinem Anliegen vermochte er stets mit Leidenschaft, Witz und großer rhetorischer Brillanz Gehör zu verschaffen. Diese Stimme wird fehlen. Die gesamte Redaktion wünscht eine interessante Lektüre. Bleiben Sie uns verbunden! Ihr Frank Arloth Neben dem Scheinwerferlicht Außergewöhnliche Konzepte und erfolgreiche Projekte Forum Strafvollzugtagung, 3. und 4. Juni 2014 in Götting Die so genannten Leuchtturmprojekte zu den Themen Sozialtherapie, Sicherungsverwahrung und Jugendvollzug prägen aktuell die Diskussion der Fachleute und die Inhalte der großen Veranstaltungen zum Thema Strafvollzug. Doch gibt es in den Vollzugsanstalten gute Konzepte und erfolgreiche Projekte, die es verdient haben, ebenfalls in das Scheinwerferlicht der Vollzugsöffentlichkeit gestellt zu werden. Das ist das Ziel einer Tagung, die die Redaktion der Zeitschrift Forum Strafvollzug in Kooperation mit der Führungsakademie im Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzuges am 3. und 4. Juni 2014 in Göttingen durchführen will. Dort soll der Vielfalt sinnvoller und bisher nicht so bekannter Praxismodelle eine Bühne geboten werden. Ansprechpartner: Forum Strafvollzug Günter Schroven Bildungsinstitut des nds. Justizvollzuges Philosophenweg 48 38800 Wolfenbüttel günter.schroven@ justiz.niedersachsen.de für die Führungsakademie Rolf Koch Fuhsestr. 30 29221 Celle rolf.koch@justiz.niedersachsen.de

2 FS 1/2014 Inhalt 1 Editorial 2 Inhalt 3 Magazin DBH-Fortbildungskalender Aus dem Bundestag 4 Aufarbeitung der DDR- Heimerziehung Masterstudiengang Kriminologie und Gewaltforschung Studie Gewalt- und Kriminalprävention in der sozialen Stadt Justizgewerkschaft: Neuer Bundesvorsitzender 5 LOTSE-Info Nr. 76 erschienen 6 Nachträgliche Therapieunterbringung Offener Brief an den Bundesjustizminister 8 Titel Seelsorge Philipp Walkenhorst 9 Universität Greifswald Gefängnisseelsorge im deutschen Strafvollzug Thomas Deutschländer 14 Zuwendung zu den Schuldiggewordenen und Gescheiterten Ulli Schönrock Heinz-Bernd Wolters 20 Muslimische Gefangenenseelsorge Husamuddin Meyer 23 Seelsorge in muslimischen, jüdischen und christlichen Verständnis Frank Stüfen 26 Wir bleiben im Gespräch! Gefängnisseelsorge in Niedersachsen Monica Steinhilper 28 Ethikkomitees im Gefängnis? Erste Einschätzungen Michelle Becka 30 Frauenseelsorge im Vollzug Anette Domke 32 Telefonseelsorge für Gefangene das Ende eines Pilotprojekts? Katharina Bennefeld-Kersten 35 Kloster im Gefängnis eine Erfahrung von Freiheitsräumen hinter Mauern Susanne Büttner 41 Aus den Ländern Bayern Amtswechsel bei der Justizvollzugsschule in Straubing Nordrhein-Westfalen Landtag: Jahresbericht der Vollzugskommission liegt vor Minister Kutschaty beendet Jugendstrafvollzug in freien Formen im Raphaelshaus Sachsen-Anhalt Justizministerium setzt Bürgerdialog zu Justizvollzug fort 42 Schleswig-Holstein Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen wird aufgelöst 43 Internationales Österreich Arbeitsprogramm der Bundesregierung 2013 bis 2018 Abschlussbericht Untersuchungshaft für Jugendliche 44 Theorie und Praxis Suizidpräventionspreis für Listener-Projekt der JVA München Willi Pecher 46 50 Jahre Jugendstrafvollzug in Wiesbaden Michael Spörl 48 Wird der Jugendstrafvollzug dem Erziehungsziel gerecht? Rudolf Egg 53 Bedeutung und Perspektiven der Seelsorge Mathias Rohe 58 Probleme und Chancen von Frauen im Männervollzug Anna-Roxanne Unruhe 60 Medien Rezension: Schluss mit der Sozialromantik! Ein Jugendrichter zieht Bilanz Frank Rose 61 Gitterwelten aus der Schreibwerkstatt der JVA Ebrach Stephanie Pfalzer 62 Grundriss Vollzugsrecht Frank Arloth 62 Rechtsprechung 67 Steckbriefe Justizvollzugsanstalt Stralsund 68 Vorschau/Impressum

8 FS 1/2014 Titel Seelsorge, Philipp Walkenhorst Die Adventszeit, das Weihnachtsfest und die Jahreswende liegen hinter uns, Zeiten, in denen die christlichen Kirchen ausnahmsweise einmal voller Besucher sind, während man sich andererseits Gedanken um eine zukünftige Umnutzung von Kirchengebäuden macht oder sie aus Mangel an Auslastung und aufgrund der hohen Unterhaltskosten schließt. Welchen Stellenwert wird christlicher Glaube in der Zukunft unserer Republik noch einnehmen? Und welche Bedeutung für die Lebenspraxis der Menschen gegenwärtig und zukünftig? Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der auch in kirchlichen Heimen aufgedeckten Missbrauchsfälle und mancher finanzieller Unregelmäßigkeit in kirchlichen Einrichtungen bemerken wir in enger Verbindung mit den globalen Wanderungsbewegungen immer deutlicher, dass wir eben nicht allein sind auf dieser Welt und das Christentum eine zahlenmäßig noch recht verbreitete, nicht jedoch die einzige und weltbestimmende Religion ist. Denn in Deutschland leben viele Muslime, die ihre zunehmend auch sichtbaren eigenen Gotteshäuser besuchen, und es gibt ohnehin eine Vielzahl weiterer Glaubensüberzeugungen und praktiken, aus denen Menschen sich durchaus eine Patchwork-Glaubensausrichtung ableiten, nach der sie leben oder leben wollen. All diese gesellschaftlichen Entwicklungen spiegeln sich naturgemäß auch im Strafvollzug. Die inhaftierten Menschen bilden die ganze Bandbreite von Daseins- und Glaubensüberzeugungen ab. Sie haben auch das Recht, Seelsorge in Anspruch nehmen zu können. So gehören der verfassungsrechtliche Schutz der Freiheit des Glaubens, des Gewissens sowie des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, ergänzt durch die Garantie der ungestörten Religionsausübung nach Art. 4 Abs.1 GG, zu den Grundrechtsgewährleistungen, auf die sich alle inhaftierten Menschen berufen können (vgl. Laubenthal: Strafvollzug, 2011, 381, Rn 622). Die religiöse Betreuung durch einen Seelsorger / eine Seelsorgerin im Sinne des 53 Abs. 1 S. 1 StVollzG beschränkt sich nicht allein auf die Durchführung von Gottesdiensten und anderen kultisch-rituellen Handlungen, sondern bezieht sich ebenso auf Hilfen zur Lebens(neu-)orientierung und Lebenshilfe in erschwerten Lebenslagen, die Zuwendung im persönlichen Gespräch sowie die karitative und diakonische Betreuung (ebd., 382, Rn 624). Wir haben versucht, angesichts der beschränkten Seitenzahlen AutorInnen wenigstens zu einigen der vielfältigen inhaltlichen Aspekte seelsorgerischer Tätigkeiten im Vollzug zu Wort kommen zu lassen. Thomas Deutschländer gibt einen grundlegenden, deutlich rechtswissenschaftlich geprägten Überblick über die christliche Vollzugsseelsorge in Deutschland. Ulli Schönrock und Heinz-Bernd Wolters vertiefen in bester ökumenischer Tradition die rechtlichen und vor allem inhaltlichen Grundlagen der christlichen Gefängnisseelsorge und verdeutlichen die Bedeutung dieser Angebote nicht nur für die Inhaftierten, sondern ebenso für die Mitarbeiterschaft einer JVA. Martin Husamuddin Meyer beleuchtet als islamischer Seelsorger in der Jugendanstalt Wiesbaden die spezifischen Herausforderungen der Seelsorge gerade für diese Zielgruppen junger wie auch erwachsener Menschen und macht auf die Problematik der Radikalisierung aufmerksam. Frank Stüfen erweitert den Blick auf die Themen eines vollzugsbezogenen interreligiösen Dialogs zwischen Christen, Juden und Muslimen zur Thematik der Seelsorge u.a. für inhaftierte Menschen und erläutert die offenen Fragen dazu aus Schweizer Sicht. Monica Steinhilper wiederum schildert die wegweisenden Entwicklungen in Niedersachsen, welche sich aus den 2007 erstmalig durchgeführten Osnabrücker Gesprächen zwischen Kirchenleitungen, VertreterInnen des niedersächsischen Justizministeriums sowie Anstaltsleitern und seelsorgern ergaben. Michelle Becka berichtet über die Einrichtung eines Ethik-Komitees in der JVA Bielefeld-Brackwede, welches sich dem grundlegenden Nachdenken über schwierige vollzugliche Alltagsund Sondersituationen widmet, ohne auf Lösungen und allein die Ableitung künftiger Routinen abzustellen. Annette Domke befasst sich in ihrem sehr kritischen Kurzbeitrag mit offenen Fragen der Seelsorge für inhaftierte Frauen und bezieht sich dabei auf eine entsprechende Stellungnahme der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge. Katharina Bennefeld-Kersten stellt das Projekt Telefonseelsorge für Gefangene im niedersächsischen Justizvollzug vor und berichtet über erste Forschungsergebnisse dazu. Susanne Büttner schließlich berichtet über ein weiteres, sehr interessantes Projekt in der JVA Schwäbisch-Gmünd: Kloster im Gefängnis. Hier geht es um das Arrangement und die Wirkungen von Räumen der Stille und Meditation für inhaftierte Menschen. Die genannten Beiträge bilden vermutlich nur einen Bruchteil dessen ab, was an Engagement und kuragierten seelsorgerischen Projekten in deutschen Haftanstalten umgesetzt wird. So hoffen wir darauf, dass wir mit diesem Themenheft in gewisser Weise einen Sturm der Entrüstung auslösen hinsichtlich dessen, was wir alles nicht berücksichtigt haben. Nur zu: schreiben Sie uns, berichten Sie von Ihrem seelsorgerischen Engagement für Jugendliche, für ArrestantInnen, für Angehörige, für religiöse Minderheiten, für Bedienstete des Vollzugs, berichten Sie uns über die Betreuung älterer und alter Inhaftierter, über den Umgang mit Schuld und Sühne, Verantwortung und Verantwor-

Titel FS 1/2014 9 tungslosigkeit, Zukunftsangst und Zukunftshoffnung, Hochmut und Demut, auch: über die Schwierigkeiten und Widerstände, mit denen Sie tun haben. Wir freuen uns immer über engagierte Zuschriften und versuchen, die eine oder andere auch zu veröffentlichen.und wer sich etwas grundsätzlicher mit der Frage nach dem Sein und Sollen befassen möchte, dem sei das Kursbuch Nr. 176: Ist Moral gut? empfohlen (Hamburg 2013; Murmann-Verlag). Philipp Walkenhorst PS: An dieser Stelle sei wie schon im Editorial dieses Heftes auf den Beitrag von Rohe über die Bedeutung der Seelsorge anlässlich des 50-jährigen Bestehens der JVA Wiesbaden hingewiesen. Prof. Dr. Philipp Walkenhorst Hochschullehrer, Inhaber des Lehrstuhls Erziehungshilfe und Soziale Arbeit an der Universität zu Köln philipp.walkenhorst@uni-koeln.de Leiterin der Teilanstalt des männlichen Jugendvollzugs in der JVA Bremen gesa.luerssen@justiz.niedersachsen.de