11/SN-108/ME XXIV. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt 1 von 6 An das Bundesministerium für Justiz Museumstraße 7 1070 Wien Wien, 9. November 2009 Betrifft: Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, das Strafvollzugsgesetz, das Jugendgerichtsgesetz 1998 und das Strafregister geändert werden Bezug: BMJ-L641.007/0001-II 1 /2009 Die Interessensgemeinschaft für SozialarbeiterInnen an Justizanstalten Österreich erlaubt sich zum oben bezeichneten Entwurf folgende Änderungsvorschläge zu unterbreiten: Zu den Z 6, 9 und 13 ( 17 Abs. 2, 90, 103 Abs. 3 StVG) Mit ca. 110 Planstellen stellen die SozialarbeiterInnen in Justizanstalten die größte Gruppe der Betreuungsdienste dar. Laut Strafvollzugsgesetz kommen der Sozialen Betreuung ( 75 StVG) folgende Aufgaben zu: Strafgefangene sind anzuleiten, Beziehungen zu ihren Angehörigen zu pflegen, soweit zu erwarten ist, dass dies die Strafgegangenen günstig beeinflussen, ihr späteres Fortkommen fördern, oder sonst für sie von Nutzen sein werde. Ebenso sind die Strafgefangenen anzuleiten, für die Betreuung ihres Vermögens Vorsorge zu treffen und über die Möglichkeiten und Vorteile der freiwilligen Weiterversicherung und Höherversicherung in der Sozialversicherung zu belehren und sie anzuleiten, Vorsorge zu treffen, dass ihnen nach der Entlassung Unterkunft und Arbeit zur Verfügung stehen. Der Auftrag zu sozialen Betreuung der Strafgefangenen ergibt sich konsequent aus dem Verständnis des Strafvollzugs als Erziehungseinrichtung und dem allgemeinen Auftrag zur erzieherischen Betreuung. In diesem Sinn ist die soziale Betreuung als Unterfall der 1
2 von 6 11/SN-108/ME XXIV. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt erzieherischen Betreuung zu sehen, die konkreten Betreuungsziele sind aufeinander abzustimmen. (Drexler 2003:137). Der dritte Unterabschnitt des StVG regelt die Vorbereitung auf die Entlassung, wobei der fürsorgerischen Betreuung im 144 (1) StVG vor der Entlassung sind die Strafgefangenen zur Vorbereitung auf das Leben in Freiheit im vermehrten Ausmaß erzieherisch ( 56) und fürsorgerisch zu betreuen abermals ein Stellenwert zukommt. Um den Strafgefangenen aus dem sozialen Gefüge der Anstalt herauszulösen (vgl. Drexler 2007:248), schließt die Strafhaft mit einer von der Dauer der Strafzeit abhängigen und auf den Zeitpunkt der (voraussichtlichen) Entlassung bezogenen Phase der allmählichen Hinführung auf die Rückkehr in die freie Gesellschaft in Gestalt eines gesonderten Entlassungsvollzuges ab (Zagler 2007:198). Diese findet jedoch nur bei Freiheitsstrafen über 18 Monaten statt, für Strafgefangene mit kürzeren Freiheitsstrafen ist diese Art von Entlassungsvollzug nicht vorgesehen. Der österreichische Strafvollzug bekennt sich durch die 20 und 56 StVG zu einer erzieherischen Ausrichtung. Die Hauptlast der erzieherischen Betreuung die sogenannte allgemeine Betreuung liegt [...] ganz eindeutig bei den Justizwachebediensteten, die im täglichen Umgang mit den Strafgefangenen erzieherisch wirken müssen. Sie haben in erster Linie den Strafgefangenen die Zwecke des Strafvollzugs nahe zu bringen, sie zu befähigen, Krisen des täglichen Lebens zu meistern und in schwereren Krisen den Weg zu den Betreuungsfachdiensten zu weisen. Demgegenüber haben die Betreuungsfachdienste, also insbesondere Seelsorger, Sozialarbeiter, Psychologen und Ärzte, die Betreuung auf Grund ihrer speziellen fachlichen Qualifikationen im Rahmen des jeweiligen Fachgebietes durchzuführen (Drexler 2007:111). Genauere Bestimmungen über die Aufgaben der Sozialen Dienste in Justizanstalten enthält der Punkt 7.2. der Vollzugsordnung (VZO). Zur Erfüllung der im 75 StVG vorgegebenen Angaben hat der Soziale Dienst insbesondere: die InsassInnen in sozialen, familiären und persönlichen Angelegenheiten zu beraten die Intensivbetreuung einzelner InsassInnen durchzuführen 2
11/SN-108/ME XXIV. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt 3 von 6 Hilfe und Unterstützung für die InsassInnen während der Haft um im Hinblick auf die Entlassung zu organisieren und an der Vorbereitung von mit Freiheit verbundenen Vollzugslockerungsmaßnahmen mitzuwirken. Die Durchführung konkreter Betreuungsmaßnahmen ist im Punkt 7.2.1. beschrieben und bezieht sich vorerst darauf, dass der Einsatz von MitarbeiterInnen der Sozialen Dienste im Sinne eines wirtschaftlichen, zweckmäßigen und sparsamen Personaleinsatzes, entsprechend der Ausbildung und fachlichen Kompetenz der MitarbeiterInnen, schwerpunktmäßig organisiert werden kann. Die Aufgaben umfassen: Betreuungsmaßnahmen beim Zugang jeder Neuzugang sollte innerhalb kürzester Frist gesprochen durch einen Mitarbeiter des Sozialen Dienstes gesprochen werden, wobei insbesondere auf folgende Punkte Bedacht zu nehmen ist: a.) Angehörigenkontakte, b.) Wirtschaftliche und finanzielle Fragen, c.) Berufsausbildungsmaßnahmen, d.) Wahrung ziviler Rechtsansprüche, und e.) Persönliche Probleme und Krisenbewältigung. Das Zugangsgespräch stellt eine Entscheidungshilfe für die weitere Vollzugsplanung ( 135 StVG), die Arbeitseinteilung, die Berufsausbildung und Fortbildung, sowie für die Klassifizierung (S 136 StVG), dar. Betreuungsmaßnahmen bei mit Freiheit verbundenen Vollzugslockerungen a.) Abklärung (Erhellung) des sozialen Umfelds (Außenanamnese), b.) Herstellung von Kontakten zu Angehörigen und Bezugs-(Begleit-)personen oder Einrichtungen, c.) Kontrolle und Überprüfung der von InsassInnen gemachten Angaben, soweit diese die Sozialkontakte betreffen, d.) Begleitung bei Einzel- und Gruppenausgängen. 3
4 von 6 11/SN-108/ME XXIV. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt Betreuungsmaßnahmen vor der Entlassung Intensive Entlassungsvorbereitungsmaßnahmen haben frühestens 12 Monate vor dem voraussichtlichen Strafende zu erfolgen, sie umfassen: a.) allgemeine Informationen über Hilfen nach der Entlassung, b.) besondere individuelle Betreuung von einzelnen InsassInnen im Hinblick auf mögliche Entlassungsprobleme, c.) konkrete Hilfestellungen für die Zeit nach der Haftentlassung, erforderlichenfalls unter Beziehung von Nachbetreuungseinrichtungen, d.) Begleitung bei Einzel- und Gruppenausgängen. Arbeitsmarktbetreuung Leistungen individueller psychosozialer Hilfen, für welche insbesondere folgende Punkte in Betracht kommen: a.) Angehörigenkontakte, b.) Betreuung einzelner InsassInnen bei speziellen Problemen, c.) Gruppenarbeit, und d.) Hilfestellung durch Inanspruchnahme von Beratungsstellen zur Wahrung zivilrechtlicher Ansprüche. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen und der Vollzugsordnung kommt der Sozialarbeit (in beratenden Weise) eine wesentliche Funktion in der Vollzugsplanung und -gestaltung zu und ist die Berufsgruppe der SozialarbeiterInnen erheblich in die Entscheidungen des Strafvollzugs miteinbezogen. Zur Erfüllung der Aufgaben nimmt die Sozialarbeit neben der Betreuung der Insassen auch eine beobachtende bzw. begutachtende Tätigkeit im Zusammenhang mit der Vorbereitung von Vollzugsentscheidungen, insbesondere über Vollzugslockerungen, und der Entscheidung über die bedingte Entlassung wahr. Insofern erlaubt sich die an Justizanstalten Österreichs neben der ausdrücklichen Nennung von PsychotherapeutInnen im Strafvollzugsgesetz auch die explizite Nennung von SozialarbeiterInnen anzuregen. 4
11/SN-108/ME XXIV. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt 5 von 6 Zu Z 10 ( 91 StVG): Die Änderung des Strafvollzugsgesetzes sieht einen Ausschluss von erwachsenen InsassInnen vom Paketempfang, mit der Begründung die Unterstützung der Strafgefangenen durch ihre Angehörigen habe sowohl materiell wie auch emotional an Bedeutung verloren, vor. Doch stellte der Paketempfang insbesondere für InsassInnen, welche ihre Strafe in einer örtlichen Entfernung zu ihren Angehörigen verbüßen (z.b. Frauen in einer einzigen eigenständigen Justizanstalt) häufig die einzige Möglichkeit dar, um Kontakt zu ihren Angehörigen zu halten und hat der Empfang keineswegs an (materieller) und emotionaler Bedeutung verloren. Insbesondere steht der Ausschluss erwachsener InsassInnen vom Paketempfang den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entgegen, indem die Beschränkung über das erforderliche Mindestmaß und die Verhältnismäßigkeit zum Zweck der Maßnahme hinweg zielt, da das Leben in einer Haftanstalt so weit wie möglich den positiven Aspekten des Lebens in Freiheit zu entsprechen hat. Ferner ist in Punkt 22.6. der Grundsätze explizit vorgesehen, dass InsassInnen unbeschadet der Bestimmungen über Gesundheit, Hygiene und Sicherheit zusätzliche Lebensmittel und Getränke in die Haftanstalt geschickt werden dürfen und in Punkt 51.1. wird angeführt, dass sich die angewendeten Maßnahmen zur Sicherung der Abschließung auf das zur Erreichung einer sicheren Abschließung notwendige Mindestmaß zu beschränken haben. Seitens der an Justizanstalten Österreichs scheint es daher dringend erforderlich, die bisherigen Reglementierungen hinsichtlich des Paketempfanges beizubehalten. Zu Z 1 ( 3 Abs. 6, 149 Abs. 5 StVG): Gemäß Artikel 4 Abs. 3 des Rahmenbeschluss des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren (ABl. L 82 vom 22.03.2001) haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gebotene Maßnahmen zu ergreifen, um zumindest in den Fällen, in denen die Opfer gefährdet sind, sicherzustellen, dass zum Zeitpunkt der Freilassung der wegen der Straftat strafrechtlich verfolgten oder verurteilten Person bei Bedarf die Unterrichtung des Opfers beschlossen werden kann. 5
6 von 6 11/SN-108/ME XXIV. GP - Stellungnahme zum Entwurf elektronisch übermittelt Die Interesssensgemeinschaft für SozialarbeiterInnen sieht die Stellung des Opfers im Strafverfahren und bei der Gewährung von Vollzugslockerung als wesentlichen Aspekt um Opfer in der körperlichen und psychosozialen Genesung zu unterstützen. Gemäß 149 Abs. 5 soll die Verständigung von der Entlassung der Anstaltsleiter vornehmen, jedoch empfiehlt die Interessensgemeinschaft zur Wahrung dieser gesetzgeberischen Maßnahmen, flächendeckend Strukturen von Opfereinrichtungen zu schaffen, um die Information nicht direkt an die Opfer weiterzugeben. Durch die Zwischenschaltung von Opfereinrichtungen könnte sich der Betreuungsprozess des Opfers positiv verstärken und einer erneuten Retraumatisierung des Opfers entgegengewirkt werden. Die neuerliche Retraumatisierung selbst könnte dazu führen, dass im Prozess der Aufarbeitung gewonnene Copingstrategien verloren gehen und eine akute Verschlimmerung in der Begleitung von Opfern eintritt. Um dem Schutz des Opfers Rechnung zu tragen schlägt die Interessensgemeinschaft für SozialarbeiterInnen die gesetzliche Übertragung der Aufgabe zur Informationsweitergabe an Opferschutzeinrichtungen vor. Eine Zusammenarbeit zwischen nichtstaatlichen Organisationen, anderen Organisationen oder Teilen der Zivilgesellschaft - die sich für die Unterstützung der Opfer einsetzen sollte jedenfalls forciert werden, um das von dem Opfer erlittenen Trauma nicht zu verstärken und mit dem Thema verantwortungsbewusst und angemessen umzugehen. Für die Interessensgemeinschaft DSA Hannelore Haindl, MA DSA Florian Engel AD in DSA Brigitte Klein 6