Sehr geehrte Frau Dr. Nentwig (Generaldirektorin, Stadtmuseum Berlin. Sehr geehrter Prof. Gross ( Dir. Jüdisches Museum Frankfurt am Main)

Ähnliche Dokumente
+++Sperrfrist 16. Februar 2009, 18 Uhr +++ Es gilt das gesprochene Wort!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Ihnen wollen wir heute Abend ein beeindruckendes Themenjahr der Erinnerung gemeinsam ausklingen lassen.

I. Auschwitz Symbol für Kernschmelze unserer Zivilisation. Worum es heute hier im Bayerischen Landtag geht?

Rede von Herrn Oberbürgermeister Klaus Wehling anlässlich der Veranstaltung Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus Mittwoch, 27.

Gerechte unter den Völkern

André Kuper Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen

Es gilt das gesprochene Wort!

Ihr sollt nicht vergessen sein!, prophezeite Thomas Mann in einer Radioansprache an die Deutschen Hörer im Juni 1943.

Es gilt das gesprochene Wort!

Die Schiffskatastrophe vom 3. Mai 1945 in der bundesdeutschen Presseberichterstattung

Worte von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer. zur Eröffnung der Ausstellung Wenzel von. Böhmen. Heiliger und Herrscher in der

Kinder und Jugendliche - Mit der Reichsbahn in den Tod

Schmerzhafte Erinnerung Die Ulmer Juden und der Holocaust

Denn Joseph Goebbels selbst organisierte das Geschehen vom Münchner Rathaus aus und setzte die schrecklichen Ereignisse von dort aus in Szene.

FRIEDLICHE REVOLUTION 1989/90

Berlin Gedenkstätte "Stille Helden" in Berlin

ich begrüße Sie herzlich zu unserer zweiten Zusammenkunft im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe Be Berlin be diverse.

Hamburg erinnert sich Ausstellung lenkt den Blick auf den Vernichtungsort Malyj Trostenez in Belarus

Sehr geehrter Herr Prof. Lahnstein, sehr geehrter Herr Dr. Schmidt, meine sehr verehrten Damen, meine Herren,

Archiv Galerie Dauerausstellung

Arbeitsblatt für Schüler und Lehrer der Klassen 10 bis 12 Thema: Architektur und Geschichte

Begleitprogramm zur Ausstellung in Hamburg vom 6. November bis zum 7. Dezember 2016 in der Hauptkirche St. Katharinen

Leitbild des Max Mannheimer Studienzentrums

Erbe des Zweiten Weltkriegs

Es gilt das gesprochene Wort.

Vom Alliierten zum Gefangenen Das Schicksal Italienischer Militärinternierter Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Berlin Schöneweide,

bitte lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Rede Dankesworte, auch im Namen von Stadtbürgermeister Michael Thiesen, an die Organisatoren richten.

Grußwort. Parlamentarischer Abend der NRW-Stiftung Dienstag, 13. September 2016, 18 Uhr Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsaal

die Jugendlichen aus Belgien und Deutschland, die ihr diese Gedenkfeier heute mitgestaltet.

Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer. zur Eröffnung der Ausstellung Der späte Tizian. und die Sinnlichkeit der Malerei

Gerne bin ich heute hierher gekommen, um mit Ihnen die Woche der Brüderlichkeit 2013 zu eröffnen.

Es ist mir eine große Freude, heute das Zentrum für Israel-Studien an der Ludwig- Maximilians-Universität München mit Ihnen feierlich zu eröffnen.

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste!

HAUSD E R KUNST. Arbeitsblatt für Schüler und Lehrer der Klassen 7 bis 9 Thema: Geschichte des Haus der Kunst Vom Nationalsozialismus bis heute

Bildungsarbeit an den Orten nationalsozialistischen Terrors

Grußwort. Junge Islam Konferenz Freitag, 23. September 2016, 13 Uhr Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarsaal. Es gilt das gesprochene Wort!

Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung

Informationen über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und über den Ort der Information. Leichte Sprache

Angebot für Jugendliche der 9ten und 10ten Klassen aus Gymnasien. Schuljahr 2010/2011. Historisch-politische Bildung

G A B R I E L L E S T R I J E W S K I

Darüber spricht man nicht? Jugendforum denk!mal 17

ERINNERN, VERSTEHEN UND HANDELN

Begrüßungsrede zum Empfang der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung aus Anlass des 2. Ökumenischen Kirchentages

Ihnen heute die Humanitätsmedaille der Stadt Linz zu verleihen, ist mir nicht nur ein Anliegen, sondern eine ganz besondere Ehre.

Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer. zur Eröffnung der Salzburger Festspiele. am Freitag, dem 27. Juli 2007

Immaterielle Zeugnisse

Rund um den Alexanderplatz Eine Stadt wächst

AUF DEM WEG DRESDEN PARIS NEW YORK

jungen Menschen, besonders Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden, das Leben und vielseitige Wirken der hl. Edith Stein näher zu bringen.

museen der stadt nürnberg Museum zur Erinnerung an die Zerstörung Altnürnbergs hier: Antrag der Freien Wähler vom

Darmstädter Juristische Gesellschaft

Erinnerungskultur des 20. Jahrhunderts in Polen und Deutschland

Das Schicksal der Juden in Polen: Vernichtung und Hilfe

Eröffnung der Ausstellung Überall Luthers Worte Martin Luther im Nationalsozialismus am 27. April Es gilt das gesprochene Wort!

Der Freistaat Bayern und die Tschechische Republik veranstalten erstmals eine gemeinsame Landesausstellung zu Kaiser Karl IV.

Gemeindekooperation in Südböhmen

Public History Ein neuer Master-Studiengang an der Freien Universität Berlin

Fahrt ins Osnabrücker Land

Schautafel-Inhalte der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bremen zur Nakba-Ausstellung

Kommunistische Diktatur und Individualrechte. Lehren aus freiheitlicher Perspektive am

Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer zur Eröffnung der Salzburger Festspiele am Sonntag, dem 24. Juli 2005

BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG

65. Geburtstag der Vizepräsidentin der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Frau Prof. Dr. Dorothee Wierling, , 19:00 Uhr, FZH

B e g r ü ß u n g. - Präsident Herr Oberbürgermeister Ivo Gönner. - Herr Ministerpräsident Günther H. Oettinger. - Abgeordnete

Sehr geehrte Vertreter der Stadt Hannover, Sehr geehrte Vertreter der jüdischen Gemeinden und der christlichen Kirchen, verehrte Gäste,

Einladung zur Pressevorbesichtigung der Ausstellung Ostend. Blick in ein jüdisches Viertel Mittwoch, 4. Mai 2016, 11 Uhr,

Die Reise nach Jerusalem Bilder von Michaela Classen

75. Sitzung des VDE-Ausschusses Geschichte der Elektrotechnik am 24. und in Ziegenrück

Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt vom 28. November 2013 bis 23. Februar Eröffnung: Mittwoch, 27. November 2013, 20 Uhr

Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer. zur Eröffnung des Brucknerfestes am Sonntag, dem 13. September 2009

Ich freue mich heute sehr, hier gemeinsam mit Ihnen die feierliche Eröffnung der Weißen Stadt Tel Aviv begehen zu können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

3.2.3 Länderverfassungen und Denkmalschutzgesetze der Länder Kommunen/ Gemeindliche Ebene Freie Träger die vierte nationale

Fritz Bauer. Der Staatsanwalt NS-Verbrechen vor Gericht

Teil I TäterInnen, Verfolgte, Ermordete, Überlebende (Opfer), Menschen im Widerstand, ZuschauerInnen

Gibt es eine Literatur der Migration?

massenhafter Ungehorsam und kollektive Verantwortung

my bourbaki panorama Museumsbesuch mit Tablet und App

Pia Yvonne Schäfer, Stiftung SPI, Drehscheibe Kinder- und Jugendpolitik Berlin

Ausführungen von Gert Hager, Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim, anlässlich der Gedenkfeier am auf dem Hauptfriedhof

Material-Anhang: Ein deutscher Jude gibt auf Rollenbeschreibungen

Als Historiker und Kurator möchte ich nun kurz auf die Konzeption und Inhalte der Ausstellung eingehen.

SWR2 DIE BUCHKRITIK SWR2 MANUSKRIPT. Martin Pollack: Kontaminierte Landschaften. Residenz Verlag. 115 Seiten. 17,90 Euro

Da war mal was... Pressemappe

Sächsische Landeszentrale für politische Bildung

PROJEKT 2016 Kulturelle Vielfalt erleben. Bad Münder zeigt Gesichter

Es gilt das gesprochene Wort!

Der Regierende Bürgermeister von Berlin Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten

ANNE FRANK TAG JAHRE TAGEBUCH

Nichts ist verloren wenn Du es erzählst

Fragen zur Vergangenheit

Geschenk des Geschichtsforums Schleiden für Hanna Miley

ich freue mich sehr, dass Sie unserer Einladung zu Ihrer 55. Parlamentssitzung gefolgt sind.

Entschließung des Bundesrates zur Erklärung des 8. Mai als Tag der Befreiung zum nationalen Gedenktag

Sehr geehrter Herr Knoll, sehr geehrte Frau Professorin Dr. Mandel, meine sehr verehrten Damen und Herren,

Eröffnungsrede Gedenkveranstaltung am 8. Mai 2015 in Bergen-Belsen Hartmut Meine, Bezirksleiter IG Metall Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

Lehrangebot Baugeschichte SoSe VL Baugeschichte, SoSe 2011 Berliner Bau(Politik)Geschichte(n)

Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer anlässlich der Festveranstaltung zum 100. Geburtstag Herbert von Karajans am 5. April 2008 in Salzburg

Sehr geehrte Frau Süsskind, sehr geehrte Rabbiner, meine Damen und Herren, ich fühle mich sehr geehrt, heute am 65. Jahrestag

Karl IV. zugleich König von Böhmen und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs ist eine Leitfigur und ein Brückenbauer.

Transkript:

1 Rede des Staatssekretärs André Schmitz, zur Eröffnung der Ausstellung Geraubte Mitte und zwei weiterer Ausstellungen im Stadtmuseum am 3. September 2013 Sehr geehrte Frau Dr. Nentwig (Generaldirektorin, Stadtmuseum Berlin Sehr geehrte Frau Dr. Intrator (Ehrengast) Sehr geehrter Prof. Gross ( Dir. Jüdisches Museum Frankfurt am Main) Sehr geehrter Dr. Belkin (Chefkurator der Ausstellung Bild dir dein Volk! ) Sehr geehrter Dr. Goebel (Kurator der Ausstellung Geraubte Mitte ) Sehr geehrter Herr Mauersberger (Kurator der Ausstellung Geraubte Mitte ) Sehr geehrte Frau Loftus (Künstlerin der Ausstellung Lieder ohne Worte ) Sehr geehrter Prof.Bartmann ( Stadtmuseum Berlin) Sehr geehrte Damen und Herren.

2 Mitte der 60er Jahre ebneten die Planierraupen der DDR-Baubetriebe die letzten Reste der Berliner Altstadt ein, die den Krieg überdauert hatten. Sie sollten Platz zu schaffen für den Bau des Berliner Fernsehturms und für die Freiflächen vor dem Berliner Rathaus. Damit vollendeten sie gewissermaßen die nationalsozialistische Vertreibung und Enteignung vor allem auch jüdischer Familien, die im alten Berliner Stadtzentrum Tür an Tür mit anderen alten Berliner Familien eben jene Vielfalt lebten, die Berlin seit seiner Gründung auszeichnete.

3 Moses Mendelssohn und sein Haus in der Spandauer Straße 68 stand für die jüdische und christliche Aufklärung in Berlin. Hier ist ein, wenn nicht der Nucleus der Integration deutscher Juden in die Mehrheitsgesellschaft, hier liegen die Wurzeln dieser für unser Land und unsere Stadt so fruchtbaren, wenn auch durch den NS-Terror letztlich gescheiterten Integration seit dem frühen 19. Jahrhundert. Bei den Bauarbeiten für die U-Bahnlinie 5 sind die Fundamente des alten Berliner Rathauses zu Tage getreten, die die weisen Stadtväter beim Bau des neuen, roten, Berliner Rathauses nur zugeschüttet hatten, um

4 uns Nachfolgern die Entscheidung zu überlassen, wie wir dereinst damit umgehen wollen. Dieses Projekt des Berliner Themenjahres 2013 Zerstörte Vielfalt bringt nun auch die Frage an den Tag, was mit den enteigneten jüdischen Grundstücken der historischen Altstadt geschieht, wie sich Berlin dieser zerstörten Vielfalt stellt. Es erinnert an Familien, die in besonderer Weise die Geschichte Berlins und dieses Herzstück der Stadt geprägt haben und insofern geben dieser Katalog und die Ausstellung Geraubte Mitte Anlass und Material für ein neues Nachdenken über die zerstörte und entsorgte historische Mitte und ihre gesellschaftliche wie stadtplanerische Bedeutung.

5 Wir eröffnen heute noch zwei weitere Ausstellungen. Die beide auf eine sehr spezifische und hochinteressante Weise das Themenjahr Zerstörte Vielfalt bereichern. Die Ausstellung: Bild dir dein Volk! Axel Springer und Die Juden befasst sich mit dem Engagement dieses großen Verlegers für die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen und seiner Parteinahme für das israelische Volk. Sie zeigt uns kaum bekannte Dokumente, Fotografien und neue Video-Interviews mit Wegbegleitern und Kritikern, sie thematisiert den politischen Einfluss Springers, seine Ziele, aber

6 auch seine Widersprüchlichkeiten und sie leistet sich den Luxus Fragen zu formulieren. Kurzum, sie wird uns klüger machen. Barbara Loftus ist Malerin, lebt in Brighton und ist eine Nachfahrin Schöneberger Juden. Ihre Familie wurde in Auschwitz ermordet. Die Ausstellung Lieder ohne Worte Bilder der Erinnerung hat das Zusammenwirken von persönlicher Erinnerung und historischen Ereignissen zum Gegenstand. Der ausgestellte Werkkomplex mit 16 Gemälden bringt uns diese spezielle Deutsch-Jüdische Symbiose sehr eindringlich zur Anschauung.

7 Frau Dr. Nentwig hat ja bereits in die Thematik eingeführt und wir werden im Verlauf der Veranstaltung gewiss noch viel Erhellendes über die drei Ausstellungen hören. Ich darf mich deshalb auf eine Gesamtschau und eine Zwischenbilanz unseres Themenjahres konzentrieren. Dies fällt mir umso leichter, als alle drei Ausstellungen weit über ihr jeweils spezifisches Thema hinausweisen. Sie sind gewissermaßen paradigmatisch für das ganze Berliner Themenjahr: Wie unter dem Pflaster des Rathausvorplatzes und des Alexanderplatzes auch die jüdische Geschichte Berlins verborgen liegt, aber, wie ich hinzufügen

8 möchte, nicht nur die, ist sie in der ganzen Stadt, unserer Gesellschaft und Kultur zumeist unsichtbar vorhanden. Die unter den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten jüdischen Berlinerinnen und Berliner prägen Berlins Wirtschaft, Kultur und Gesellschaftsleben auch des heutigen Berlin, obwohl mittlerweile mehr als 2,3 Millionen Berlinerinnen und Berliner neu in die Stadt gekommen oder nach der Wiedervereinigung hier geboren wurden. Dies wieder sichtbar zu machen, den Biographien dieser Menschen nachzuspüren, die nach dem Willen der Nationalsozialisten für immer aus dem Gedächtnis gelöscht werden sollten, ist das Hauptziel des Berliner Themenjahres.

9 Nirgendwo wird das so kompakt deutlich wie auf den 37 Litfaßsäulen mit den 222 Biografien im Lustgarten, wo Hunderttausende Menschen aus Berlin und aller Welt stehen bleiben und lesen, fotografieren und diskutieren. Aber auch die mittlerweile mehr als 5.000 Stolpersteine, die Biografien auf der virtuellen Karte unter berlin.de/2013 und die mehr als 670 Veranstaltungen im gesamten Stadtgebiet eröffnen die unterschiedlichsten Perspektiven auf Berliner Menschen, die diese Stadt zu dem gemacht haben, wofür sie damals stand und zu einem guten Teil auch heute wieder steht und die Menschen anzieht: Die Vielfalt. Eine

10 Vielfalt, die es in jeder Generation neu zu verteidigen und zu schützen gilt. Diese Vielfalt spiegelt sich auch im Konzept dieses Themenjahres wider: Hier wird keine Sichtweise von einem Kurator einer großen Ausstellung vorgegeben, sondern denen eine Bühne geschaffen, die seit Jahrzehnten für die Erinnerungskultur arbeiten oder durch eben dieses Jahr dazu angeregt wurden. Gedenkstätten ebenso wie Geschichtswerkstätten, zeitgeschichtliche Museen wie auch nachbarschaftliche Initiativen, Unternehmen wie die

11 BVG wie auch sonstige kulturelle Einrichtungen. Hier wird Erinnerung nicht an professionelle Institute delegiert, sondern gemeinsam gelebt. Mehrere 1.000 Berlinerinnen und Berliner haben sich hier aktiv eingebracht und werden durch das Themenjahr bestärkt und ermutigt, diese wichtige Arbeit fortzusetzen. Dachten wir, dass schon lange alles erforscht und bekannt ist, was in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in unserer Stadt geschehen ist, so belehrt uns dieses Themenjahr eines Besseren. Wie Prof. Wildt in seiner Antrittsvorlesung in der Humboldt-Universität aufzeigte, hatte sich das Interesse der NS-Forschung in Berlin vornehmlich auf die

12 Reichsbehörden und NS-Institutionen konzentriert. Berlin als Kommune und ihre Gleichschaltung unter dem Gauleiter Goebbels war dabei weitgehend im Hintergrund geblieben. Das galt auch für die Wahrnehmung der Einzelschicksale der verfolgten Berlinerinnen und Berliner, die hinter der Schilderung der großen Zusammenhänge und zeithistorischen Abläufe zurückgetreten war. Hier hat das Themenjahr eine Fülle von Publikationen, Filme, Artikel, Sendungen, Lesungen, Zeitzeugengespräche, Ausstellungen, Führungen initiiert oder präsentiert und damit ein Millionenpublikum angesprochen.

13 Dazu gehören mehr als 1.600 tägliche Zugriffe auf die Homepage des Themenjahres, Tausende von Filmbeiträgen zum Jugendprojekt unsere Vielfalt nimmt uns keiner in Zusammenarbeit mit 322 Schulen, bislang 70.000 Besucher der Portalausstellung im DHM, Hundertausende in den Themenausstellungen der Stiftung Topographie des Terrors, Hundertausende Besucherkontakte an den 100 Partnersäulen vor den Veranstaltungshäusern. Dazu gehören aber auch ganz wichtige und intensive kleinere Veranstaltungen und thematische Führungen vor Ort in allen Berliner

14 Bezirken, die den Bezug zum Ort herstellen, die deutlich machen, was vor aller Augen in der ganzen Stadt und nicht nur auf einer abstrakten Regierungs- und Parteiebene geschehen ist. Bislang sind es rund 700 Veranstaltungen mit nahezu doppelt so vielen Terminen, die alle denkbaren Formate und Aspekte abdecken. Dieses Themenjahr hat sich gerade mit seiner wunderbaren Breitenwirkung sowohl beim Publikum wie auch bei den Veranstaltern einen Prozess in Gang gesetzt und viele nachhaltige Elemente erzeugt oder unterstützt.

15 Ich denke da an die neue Dauerausstellung im Zwangsarbeiterlager Schöneweide, an den Ort des frühen Terrors in der Papestraße, an den künftigen Gedenkort auf dem Gelände des Arbeits- und Bewahrungshauses Rummelsburg, an die neuen Stolpersteine, Ben Wagins Denksteine in den Bezirken, an die neuen Tafeln der Berliner Geschichtsmeile, an die neuen Gedenktafeln, an die Aufarbeitung Hunderter Biografien, an die nachhaltigen Internetangebote der Stolpersteine und des jüdischen Berlin unter berlin.de/2013, an die neue Präsentation der Gedenkstätte Köpenicker Blutwoche und vieles andere mehr.

16 Ich möchte die vielen Tausenden Berlinerinnen und Berlinern in den Projekten, Initiativen und Institutionen Dank zu sagen, die dieses Thema zu ihrer Sache gemacht haben und die durch dieses Themenjahr auch für z.t. schon jahrzehntelange Arbeit erstmals in dieser Form öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung erfahren. Kulturpolitik kann Anregungen geben und Rahmen schaffen, gerade Erinnerungskultur kann aber nur dort gedeihen, wo es dafür Menschen und ein Klima gibt, die sie trägt.

17 Dass wir das in Berlin haben, ist ebenso ein Geschenk wie die Rückkehr vieler Emigranten und das überwältigend positive Interesse an unserem Themenjahr bei deren Familienangehörigen und der Öffentlichkeit in allen Teilen der Welt, das sich in einer Flut von Briefen, Mails und Artikeln niederschlägt. Darüber können wir uns freuen und dankbar sein und es zugleich als Auftrag annehmen, auf diesem Weg weiter zu gehen und in diesem Sinne auch zu diskutieren, was die Erkenntnis aus dieser Ausstellung zur Geraubten Mitte, wo fast ein Drittel aller Berliner Juden lebte, für uns bei der weiteren Entwicklung dieses Bereiches bedeutet.

18 In dem Sinne wünsche ich den heute eröffneten Ausstellungen größte Aufmerk- und Wirksamkeit und Ihnen allen noch viele neue Erkenntnisse in dieser Ausstellung und im Berliner Themenjahr 2013 Zerstörte Vielfalt.