über Rangierunfall vom Donnerstag, 10. September 2009 in Chur

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Transkript:

Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe UUS Service d enquête sur les accidents des transports publics SEA Servizio d inchiesta sugli infortuni dei trasporti pubblici SII Investigation bureau for railway-, funicular and boat accidents Joseph Zeder Reg. Nr.: 09091001 Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe über Rangierunfall vom Donnerstag, 10. September 2009 in Chur Joseph Zeder Monbijoustr. 51 A 3003 Bern Tel. +41 31 325 70 90, Fax +41 31 323 00 76, mobile +41 79 277 39 30 joseph.zeder@uus.admin.ch www.uus.admin.ch

Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zweck der Verhütung von Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen, Seilbahnen und Schiffen erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Unfällen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemäss Art. 25 der Verordnung über die Meldung und Untersuchung von Unfällen und schweren Vorfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel (VUU, SR 742.161). 0 ALLGEMEINES 0.1 Kurzdarstellung Am Donnerstag, 10. September 2009 um ca. 21:05 h wollte das Rangierteam von SBB-P im Bahnhof Chur, Rangierfeld RhB (Feld 700), Wagen von Gleis 702 ins Gleis 723 stellen. Infolge falscher Weichenstellung kam es bei der Doppelkreuzungsweiche 217 zu einer Kollision mit einer nicht profilfrei im Gleis 704 abgestellten Zugkomposition (Bernina-Express). Der Rangierleiter wurde dabei schwer verletzt. Seite PB vorgesehen effektiv abgestellte Zugskomposition Unfallsituation 0.2 Untersuchung Seite Felsberg Die Unfalluntersuchungsstelle UUS wurde um 21:45 h über die Meldestelle REGA über das Ereignis informiert. Die Rückfrage bei der Infrastrukturbetreiberin SBB ergab die Notwendigkeit eines Untersuchs. Nach Rücksprache mit dem Vertreter der SBB sowie demjenigen der RhB hat der Unterzeichnende beschlossen, nachdem der Verunfallte raschmöglichst medizinisch versorgt wurde, die Untersuchung am Folgetag in Chur aufzunehmen. Am Freitag, 11. September 2009 traf sich der Unterzeichnende in Chur mit den Polizeiorganen und dem SBB-Vertreter, um den Unfall vor Ort zu untersuchen. Der Untersuchungsbericht der UUS fasst die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zusammen (Art. 25 VUU). 2/13

1 FESTGESTELLTE TATSACHEN 1.1 Vorgeschichte Im Gleis 704 wurde der "Bernina-Express" (Zug 951), bestehend aus zwei 1. Klasswagen und vier 2. Klasswagen, für den Folgetag abgestellt. Daraus mussten in der Folge zwei Wagen (der 2. und der 5.) ausrangiert und durch andere ersetzt werden. Darauf wurde die Lok Seite Felsberg angestellt. Der Zug erreichte damit eine Länge von 110 m im Gleis, das eine profilfreie Nutzungslänge von 90 hatte. Seite Chur PB war der Schluss des Zuges profilfrei abgestellt, hingegen Seite Felsberg reichte der Zug bis ins Profil der Weiche 219. Dies ist eine Situation, die mangels anderer Möglichkeiten normal und bestens bekannt ist. Die Lok für den Bernina-Express sollte von Gleis 702 über die Weichen 216-217-219 ins Gleis 724 verschoben werden. Seite Felsberg Verlauf der Rangierfahrt zum Anstellen der Lok am Bernina-Express im Gleis 704 1.2 Verlauf der Fahrt Richtung Olten Kurz nach 21:00 h wollte der Rangierdienst Wagen vom Gleis 14 über Gleis 702 als geschobene Rangierfahrt nach Gleis 723 verschieben. Vorne auf dem ersten Wagen standen auf dem Trittbrett (links) ein Rangiermitarbeiter und in der Fahrrichtung rechts der Rangierleiter. Er gab dem Lokführer den Befehl "11.Lok vorwärts", was der Lokführer bestätigte. "11.Lok vorwärts" heisst, dass per Definition vorwärts immer Richtung Felsberg heisst. Darauf fuhr der Lokführer, nachdem der Rangierleiter auch den Kontrollton am Funk aktivierte hatte, los. Die Sicht auf die Spitze und auf das zu befahrende Gleis war ihm durch die vorne angehängten Wagen verwehrt. Bei Annäherung an die Weiche 216 verlangsamte der Lokführer die Geschwindigkeit, damit der Rangiermitarbeiter die Handweiche 216 umlegen konnte. Richtung Huttwil 3/13

Weiter aus Sicht des Lokführers: Nach Angaben des Lokführers habe der Rangierleiter mit "vor anfahren" das Umlegen der Weiche 216 bestätigt, was für ihn bedeutete, dass er weiterfahren kann. Plötzlich habe er über Funk den Befehl "anhalten" erhalten und kurz darauf ein "Wehklagen" vom Rangierleiter gehört. Er habe dann sofort eine Notbremsung eingeleitet. Aus Sicht des Rangiermitarbeiters: Nach Angaben des Rangiermitarbeiters sei er auf dem Trittbrett des vordersten Wagens Fahrrichtung links gestanden. Bei der Weiche 216 habe er diese auf Ablenkung gestellt und damit den Fahrweg in Richtung Weiche 217 und somit in "allgemeine" Richtung Gleis 723. Das Umlegen der Weiche 217 sei dann Sache des Rangierleiters gewesen. Er habe das Weichenbild der Weiche 217 nicht gesehen und zudem, da es nicht seine Aufgabe gewesen sei, es auch nicht beachtet. Aus Sicht des Rangierleiters: Der Rangierleiter äussert sich, dass es normalerweise seine Sache sei, die Weiche 216 umzulegen. Da aber ausnahmsweise ein anderer Mitarbeiter auf dem Zug gewesen sei, habe dieser die Weiche 216 umgelegt. Welches Weichenbild die Weiche 217 dann aufgewiesen habe, könne er nicht mehr sagen. Er sei für die Weichenstellung dieser Weiche zuständig, aber er könne nicht mehr sagen, ob er sie umgelegt habe. Habe er sie umgelegt, dann habe er sie offensichtlich falsch umgelegt. Er habe seinen Blick auf die Wagen im Gleis 723 gerichtet gehabt, an die er anfahren musste. Plötzlich habe er bemerkt, dass es zwischen dem Bernina-Express, welcher im Gleis 704 nicht profilfrei stand, und seiner Rangierfahrt immer enger wurde. Er habe deshalb versucht auf dem Salonwagen, der wegen der Trittbrette und der Eingangstür eine Einbuchtung hatte, wie es bei alten Wagen der Fall war, hochzusteigen. Dies sei ihm aber nicht mehr gelungen. Er sei dann erst, als er am Boden lag, wieder zu sich gekommen und festgestellt, dass er schwere Beinverletzungen habe. Fahrrichtung Kollisionspunkt; die Rangierfahrt bewegte sich noch ca 15 m bis zum Stillstand. Spitze der geschobenen Rangierfahrt Standort Rangierleiter Fotos: SSB-I 1.3 Personenschäden Der Rangierleiter wurde an den Beinen schwer verletzt. 4/13

1.4 Sachschäden am Rollmaterial und an der Infrastruktur des Bahnunternehmens Schäden an Infrastruktur und Rollmaterial ca. Fr. 30'000.-. 1.5 Sachschäden Dritter Es gab keine Schäden bei Dritten. 1.6 Beteiligte Personen 1.6.1 Lokführer Lokführer SBB 1.6.2 Rangierleiter Rangierleiter SBB 1.6.3 Rangiermitarbeiter Rangiermitarbeiter SBB 1.7 Schienenfahrzeuge Eigentümer: RhB, 7000 Chur Zugskomposition: - Bernina-Express: 6 Pano BB, Lok Ge 4/4 608 ( Chur-Felsberg) - Rangierfahrt: Rangierlok Ge 3/3 215, 1 Hal-tvz Nr. 5139 (Güterwagen RhB), 1 As (Salonwagen) ( Chur-Felsberg) Triebfahrzeug: 1 Ge 4/4 608 (Bernina-Express), 1 Ge 3/3 215 (Rangierlok) 1.8 Wetter, Schienenzustand Nacht, leichter Regen. Schienen feucht. 1.9 Bahnsicherungssysteme Der Bahnhof Chur ist mit einer Sicherungsanlage mit gesicherten Rangierfahrstrassen und Zwergsignalen ausgerüstet. Der Anlageteil, wo der Unfall sich ereignet hat, weist keine gesicherten Fahrstrassen auf; die Weichen werden manuell vor Ort bedient. Die Bahnsicherungssysteme haben normal funktioniert. Sie sind für den Verlauf des Ereignisses nicht relevant. 5/13

1.10 Zug- und Rangierfunk Die Funkgespräche sind direkt für den Unfallablauf nicht relevant. Der Kontrollton war eingeschaltet. Die Funkgespräche werden nicht aufgezeichnet. 1.11 Bahnanlagen Der Bahnhof Chur beinhaltet sowohl Gleisanlagen mit Normalspur (SBB) wie auch mit Meterspur (RhB). Der Unfall hat sich im Westteil in der Meterspuranlage (Feld 700) ereignet. In dieser Anlage (Feld 700) werden die Weichen direkt vor Ort manuell durch die Rangiermitarbeiter bedient. Sie sind damit für die richtige Weichenstellung verantwortlich. Grundsatz zur Bedienung der Handweichen: Grundsätzlich stehen die Weichen in gerader Stellung und werden nur für den Rangiervorgang umgestellt. Für das Umstellen der Weichen ist grundsätzlich der Rangierleiter verantwortlich. Wenn die Rangierfahrt durch zwei Mitarbeiter begleitet wird, stellt normalerweise der in Fahrrichtung links stehende Mitarbeiter die links stehenden und dementsprechend der rechts stehende die rechten Weichen. Für die richtige Stellung der Weichen sowie für die Fahrwegbeobachtung ist der Rangierleiter zuständig. Bemerkung des UL: Zur Bedienung einer Doppelkreuzungsweiche gibt es immer zwei Stellhebel (Stellböcke), die nicht auf der gleichen Seite und nicht beieinander stehen. Weiche 217 b Weiche 216 a Stellung der Weichenböcke (a und b) Foto UUS;zej 1.12 Fahrdatenschreiber Die Rangierlok RhB Ge 3/3 Nr. 215 ist mit einem Geschwindigkeitsmesser "Hasler Modell RT 12" mit Registrier-Farbscheibe ausgerüstet. Die Auswertung der Fahrdaten ergibt, dass der Lokführer die Fahrt vor der Weiche 216 auf 2-3 km/h reduziert und nach ca. 40 m wieder kontinuierlich auf ca. 13 km/h erhöht hat. 6/13

Der Lokführer hat die Schnellbremsung korrekt eingeleitet, der Anhalteweg betrug ca. 15 m. Abbremsen vor Weiche 216 Kollision Farbscheibenauszug Rangierlok Ge 3/3 215 1.13 Befunde an den Fahrzeugen Die Fahrzeuge der RhB gaben zu keiner Beanstandung Anlass. Die Bremsen waren eingeschaltet und funktionierten einwandfrei. 1.14 Medizinische Feststellungen / "Human factors" In Bezug auf medizinische Beschwerden der am Unfall beteiligten Personen ist nichts bekannt. Lokführer und Rangierpersonal fühlte sich bei Dienstantritt fit. Durch den grossen, ausserordentlichen Rangieraufwand empfand der Rangierleiter allerdings Stress. 1.15 Feuer Es trat kein Feuer auf. 1.16 Besondere Untersuchungen In der Untersuchung sind keine Verstösse gegen arbeitszeitrechtliche Bestimmungen festgestellt worden. Der Unfall wird auch durch die Strafverfolgungsbehörde des Kantons Graubünden untersucht. 1.17 Informationen über Organisation und Verfahren Gemäss FDV, R 300.4, Ziffer 2.8.3 sind grundsätzlich alle Fahrzeuge profilfrei abzustellen. 7/13

Auszug aus FDV, R 300.4, Ziffer 2.8.3 Infolge der engen Verhältnisse in der RhB-Anlage (Feld 700) ist das profilfreie Abstellen der Fahrzeuge während der Nacht (insbesondere des Bernina- Express) nicht immer möglich. Die Situation war den Mitarbeitern jedoch vertraut, zumal sie selber für das nicht profilfreie Aufstellen dieses Zuges zuständig sind. Der Betrieb innerhalb einer Anlage mit nicht zentralisierten Weichen wird in den FDV, R 300.4, Ziffer 2.4.6 geregelt: Auszug aus FDV, R 300.4, Ziffer 2.4.6 1.18 Verschiedenes a) Weichenbilder Weiche 217: 217 217 Bild 1 Bild 2 Bild 3 Fotos: SBB 8/13

Kennzeichnung der Stellung doppelter Kreuzungsweichen Auszug aus FDV, R 300.2, Ziffer 2.5.5 Richtige Stellung Weiche 217 (Bild 1; Fotomontage): Für die Ausführung des gewünschten Fahrwegs von Gleis 702 ins Gleis 723 hätte das Weichenbild die Stellung gemäss Bild 1 anzeigen müssen. Falsche Stellung der Weiche 217 (Bild 2; Fotomontage): Offensichtlich stand die Weiche 217 in dieser Stellung. Dies zeigt sich in der Tatsache, dass die Rangierfahrt auf der Weiche 217 a statt auf Ablenkung geradeaus geleitet und dann die Weiche 217 b aufgeschnitten wurde. Gleis 723 Bernina-Express Weichenaufschneidung Sicherheitszeichen Rangierfahrt vorgesehen effektiv Weiche 217: aufgrund der vorgefundenen Unfallsituation war die Weiche zum Unfallzeitpunkt in dieser Stellung. Foto: UUS, zej 9/13

Stellung der Weiche 217 nach dem Unfall (Bild 3; Unfallaufnahme): Durch das Aufschneiden der Weiche 217 b zeigte die Weichenlaterne ein gekreuztes Bild. Die Weichenlaterne wird nicht direkt durch den Weichenhebel gesteuert sondern über den Spitzenverschluss. b) These warum die Weiche 217 in falscher Stellung war: Beim Bernina-Express mussten an diesem Tag ausserordentlich 2 Wagen ausgewechselt werden. Die Lok wurde erst nach diesem Wechsel an den Zug gestellt. Um die Lok an den Zug zu stellen, wurde folgende Fahrstrasse benutzt: Gleis 702 Weichen 216 217 219 Gleis 724 Weiche 219 Gleis 704 Vorausgegangene Rangierfahrt; Lok anstellen an Bernina-Express Nach dieser Fahrt hätten alle Weichen in die Fahrrichtung gerade gestellt werden müssen. Auszug aus FDV, R 300.2, Ziffer 2.5.5 Dies wurde offensichtlich nicht gemacht. Bei der Weiche 216 hatte dies keine Folgen, da diese Stellung für den Unfallzug richtig war. Ob sie in der Zwischenzeit bedient worden war, kann nicht nachgewiesen werden; ist aber auch nicht relevant. Die Weiche 219 musste zwingend gerade gestellt werden, damit die Lok am Zug im Gleis 704 angestellt werden konnte. Bei der Weiche 217, die auf "Querung" gestanden hatte und damit die beiden Weichenhebel (217 a und 217 b) unten waren, hätten beide Weichenhebel nach oben gestellt werden müssen. Aufgrund der Sachlage wurde offenbar nur der Weichenhebel 217 b, der auch in unmittelbarer Nähe zur Lok stand, umgestellt. Dadurch zeigte das Weichenbild eine ablenkende Stellung (Bild 2, Seite 7) an. Dies könnte dann zu einer Fehlinterpretation geführt haben, denn das Weichenbild hätte umgekehrt (Bild 1, Seite 7) aussehen müssen. 10/13

c) Erfahrung Das Rangierpersonal hat an diesem Abend zum Teil ausserplanmässige Rangierfahrten ausführen müssen. Ausser der Zeitfaktor, der diese zusätzlichen Arbeiten stresste, waren die Abläufe vertraut und die Gleisanlage, aus jahrelanger Erfahrung, bestens bekannt. d) Fahrwegbeobachtung Bei geschobenen Rangierfahrten muss an der Spitze der Fahrt ein Rangierleiter stehen, der mit dem Lokführer mittels Handzeichen oder mittels Funk (Normalfall) kommuniziert. Im obliegt damit, nebst der Fahrwegeinstellung in diesem Fall, auch die Beobachtung des Fahrweges. Auszug aus FDV, R 300.4, Ziffer 2.6 2 BEURTEILUNG 2.1 Technisches Die Anlage (Feld 700) wird vor Ort bedient. Die Weichenstellung besorgt das Ranggierpersonal mittels Handweichen. Die Handweichen waren in einem guten Zustand und die Weichenlaternen sauber und in Ordnung. 2.2 Betriebliches Handweichen Durch das Bedienen der Handweichen vor Ort können die Rangierabläufe in einem "geschlossenen" Feld gezielter und zeitgerecht abgewickelt werden. Die Verantwortung der richtigen Fahrwegstellung obliegt demnach dem Rangierleiter. Dies erfordert auch eine Grundorganisation, weshalb die Regel besteht, dass die Handweichen in der Grundstellung "gerade" zu stehen haben. Zudem ist in einem solch "geschlossenen" Feld auch nur ein und dasselbe Rangierteam gleichzeitig in Aktion. Beachtung der Sicherheitszeichen Grundsätzlich sind die Fahrzeuge innerhalb des Lichtraumprofils abzustellen, dh: hinter dem Sicherheitszeichen. Siehe dazu FDV, R 300.2, Ziffern 2.8.3 und 2.5.7: FDV, R 300.4, Ziffer 2.8.3; profilfreies Abstellen 11/13

FDV, R 300.2, Ziffer 2.5.7; Sicherheitszeichen Die Abstellfläche im Feld 700 (Meterspur) des Bahnhof Chur, welcher sowohl Abstellflächen für Normalspur- wie auch für Meterspur zur Verfügung stellen muss, sind begrenzt. Nachts und insbesondere wenn noch zusätzliche Lasten anfallen, wie es am Unfalltag der Fall gewesen war, muss der Platz optimal genutzt werden. Dabei kann es vorkommen, dass einzelne Fahrzeuge in das Lichtraumprofil einer Weiche hineinragen. Das ist zwar ein potentielles Unfallrisiko. Da aber die Bedienung dieses Anlageteils einer und derselben Rangiergruppe mit einem Rangierleiter obliegt, ist die Unfallgefahr bekannt und kalkulierbar. Beim vorliegenden Unfall war nicht primär der ins Lichtraumprofil ragende Zugteil Unfall verursachend sondern die nicht richtig gestellte und überwachte Rangierfahrstrasse. 3 SCHLUSSFOLGERUNGEN 3.1 Befunde Am Unfalltag herrschte eine ausserordentliche Situation im Bahnhof Chur (RhB- Teil), bedingt auch durch einen Unfall vom Vortag in Arosa. Ausserordentlicherweise mussten an diesem Tag zwei Wagen des Bernina- Express ausgewechselt werden. Dies führte zu Zusatzaufwand, jedoch nicht zu ungewöhnlicher Arbeit. Zur Zeit des Unfalls fiel leichter Regen und die Anlage war mit Kunstlicht beleuchtet. Die Sicht war dadurch aber nicht behindert. Das Abstellen des Bernina-Express mit Überschreiten des Lichtraumprofils war nicht ungewohnt und entsprach durchaus dem Normalfall (Platzmangel). Wenn dem Grundsatz, die Weichen nach deren Benützung in die Grundstellung (= gerade) zu stellen, nachgelebt worden wäre, hätte möglicherweise den Unfall verhindert können. Offensichtlich wurde, nach dem Anstellen der Lok an den Bernina-Express, nur ein Teil der Weiche (217 a) zurückgestellt. Das führte eventuell zu einer Fehlinterpretation des Weichenbildes, indem angenommen wurde die Weiche stehe bereits auf Ablenkung. Das Weichenbild zeigte jedoch statt. 3.2 Ursache Nicht beobachten des Fahrweges; event. Fehlinterpretation der Weichenstellung. 12/13

4 SICHERHEITSEMPFEHLUNGEN Das Abstellen von Fahrzeugen im Lichtraumprofil beinhaltet immer ein gewisses Gefahrenpotential. Der Unfall geschah jedoch nicht ursächlich durch diesen Umstand sondern infolge Falschstellung der Weiche. Die Belegung des Lichtraumprofils durch den Bernina-Express war dem Personal bekannt. Wir verzichten daher auf eine Sicherheitsempfehlung. Die Untersuchung wurde von Joseph Zeder geführt. 3003 Bern, 20. Januar 2010 Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe Joseph Zeder Untersuchungsleiter Verteiler: gem. SR 742.161 (VUU), Art 25 3 13/13