KRISTIN HAUG KONSTANZ: DER NETZWERKER Er sammelte fünf Kilogramm Material über die künstlerische Szene von Konstanz, bearbeitete in den vergangenen Jahren rund 6000 Mails: Kulturagent Mirtan Teichmüller versteht sich als "Durchlauferhitzer", der Künstlerinnen und Künstler sowie Lehrerinnen und Lehrer zu Tandems verbindet Mirtan Teichmüller trägt eine hellblaues Hemd und eine dunkelblaue Hose. Der Kulturagent schiebt sein Fahrrad durch Konstanz zur Zoffinger Mädchenschule, wo er an diesem Tag im Juli arbeiten wird. Touristen pilgern durch die Stadt, Einwohner schlendern durch die Gassen. Hier im südlichen Baden scheint es, als verginge die Zeit ein bisschen langsamer als im restlichen Deutschland. Jede Woche kommt Teichmüller für ein paar Tage aus Bayern hierher, um gemeinsam mit den Schulen, die er als Kulturagent betreut, Kunst und Kultur im Schulalltag zu stärken. 1/5
Fotos: Kristin Haug Als Kulturagent, sagt er, müsse man reden, reden, reden. "Ich verstehe mich als Durchlauferhitzer." Rund 6000 Mails habe er in den vergangenen zwei Jahren in seiner Tätigkeit als Kulturagent bearbeitet. Ebenso offen wie er mit den Künstlern redet, spricht er auch mit den Lehrerinnen und Lehrern. Er sagt, für welche Grundüberzeugung er einsteht. "Wenn ihr wollt, dann machen wir was zusammen", sagt er den Lehrern. Und das funktioniert. Sie kämen mittlerweile allein auf ihn zu und fragten ihn, ob er einen Tänzer in den Sportunterricht oder einen Poetry-Slammer in den Deutschunterricht holen könnte. Wenn der Kulturagent von seiner Arbeit erzählt, dann leuchten seine Augen, dann überschlägt sich seine Stimme. Teichmüller ist ein Macher. Er will etwas bewegen, er glaubt an seine Aufgabe. Als er mit seiner Arbeit begonnen hat, sammelte er fünf Kilo Material über die kulturelle Szene von Konstanz, las sich ein, begann, sich ein Konzept zu überlegen. "STIMMBILDUNG BEGINNT MIT DER RICHTIGEN KÖRPERHALTUNG" An der Zoffinger Mädchenschule werden rund 400 Schülerinnen unterrichtet. 2/5
Das Gebäude liegt zehn Gehminuten vom Bahnhof entfernt im Herzen der Stadt. Im Foyer warten an diesem Tag einige Mädchen der sechsten und siebten Klasse darauf, dass ihre Chorprobe beginnt. Sie werden noch einmal Lieder wie "All My Loving" von den Beatles, "Hungriges Herz" von Mia oder "Vois Sur Ton Chemin" aus dem französischen Film "Die Kinder des Monsieur Mathieu" üben. Es ist die letzte Probe vor dem großen Abschlusskonzert des Schuljahres, das an diesem Abend stattfindet. Barbara Dörsam ist eine schlanke, herzliche Frau mit kurzen blonden Haaren, die ebenfalls zur Probe kommt. Sie ist dafür da, die Stimme aus den Tiefen des Bewusstseins zu holen. Dörsam leitet zwei städtische Chöre und arbeitet als freischaffende Gesangspädagogin. Seit Anfang des Schuljahrs ist sie alle zwei Wochen hier, um den Mädchen Gesangsunterricht zu geben und an der Stimmentwicklung der Schülerinnen zu arbeiten. "Stimmbildung beginnt mit der richtigen Körperhaltung", sagt Dörsam. Sänger müssten die Wirbelsäule aufrichten, damit das Zwerchfell gespannt ist und sie richtig singen könnten. Sie macht mit den Schülerinnen Atem, Artikulations- und Stimmübungen, versucht sie dazu zu bringen, ihren Stimmumfang auszuweiten. "Stimmbildung arbeitet mit viel Imagination, mit Bildern." Durch die bildhafte Vorstellungskraft könne man den Atemfluss unterstützen. Dörsam sagt, sie müsse ihre Konzepte immer hinterfragen, nachhaken, ob sie genau dahin gekommen sei, wo sie hinwollte. Wenn das nicht so ist, überlegt sie sich eine neue Herangehensweise. Auch Lehrerin Annabelle Niedermaier ist in der Aula der Schule. Sie leitet den Chor und arbeitet eng mit Gesangspädagogin Barbara Dörsam zusammen. Niedermaier sagt, ihre Schülerinnen hätten durch den Chor gelernt, gemeinsam auf ein Projekt hinzusteuern und dabei Ausdauer zu entwickeln. Nicht nur die Stimme werde durch den Chor gestärkt, sondern auch die Persönlichkeit und das Selbstbewusstsein. Sie sagt, es gebe zu wenig Stunden für Musik an der Schule. Nur mit Barbara Dörsam sei es möglich gewesen, auch einmal in kleineren Gruppen Stimmbildung zu erteilen. EIN KÜNSTLER MACHT DINGE SPÜRBAR Mirtan Teichmüller möchte die Jugendlichen mit solch geeigneten Künstlern begeistern. Dafür wählt er die Musiker, die Tänzer und Maler bewusst aus. "Da muss jemand kommen, der inne hält. Der sagt, ich habe hier was, ich bringe euch was mit, ich zeige euch mal einen anderen Lebensentwurf", sagt Teichmüller. Ein Poetry Slammer erzählt nicht davon, wie er etwa ein Liebesgedicht für einen Fön slammt. Er macht es den Kindern vor, sagt: "Oh, Du geliebter Fön, Du erwärmst mich so...". Er zeigt sich, macht Dinge greifbar, spürbar so wie Barbara Dörsam, die den Kindern vorsingt, damit sie Musik erfahren. Teichmüller versucht in Absprache mit den Lehrern, Künstler auszuwählen, die die Kinder mitreißen und mit ihrer Arbeit einen großen Impuls setzen können. Dabei sollen sich Schüler, Künstler und Lehrer so wohl miteinander 3/5
fühlen, wie es nur geht. "Viele der 30 Künstler, mit denen ich zusammenarbeite, kommen wieder", sagt Teichmüller. Sie werden mittlerweile schon eigenständig von Lehrern für kleinere Projekte angefragt. Für den Kulturagenten ist das Nachhaltigkeit. Doch manchmal erfordere es ein besonderes Gespür dafür, Künstler anzuwerben. "Viele Künstler sagen sofort zu, müssen nur die Termine gut koordinieren, wenige machen ihre Teilnahme vom Honorar abhängig", sagt Teichmüller. Es gebe aber auch Künstler, die nicht durch die Mühlen des Unterrichts gedreht werden wollten. Der Kulturagent überzeugt sie dann damit, dass sie eine besondere Rolle einnehmen und mit den Kindern freier umgehen können. Die Künstler bräuchten keine Noten vergeben, sie sollten den Schülern ein Thema setzen und schauen, was sie daraus machten. "Wenn die Künstler merken, man lässt ihnen genauso viel Spielraum, wie sie den Schülern lassen, beginnen sie sich für die Zusammenarbeit zu interessieren." Im Herbst will Teichmüller die Bande zwischen Schulen und Künstlern oder Kultureinrichtungen weiter stärken. Dafür realisiert er lieber viele kleine Projekte, die einfacher an den Schulen weitergeführt werden können als aufwändige, große, einmalige Projekte. Lehrer und Künstler sollen sich untereinander vernetzen. So viel und gut es geht. Er findet, sie sollten ein Tandem auf Zeit bilden. "Daraus kann Wunderbares entstehen." Zudem möchte er die Künstler, die meist allein arbeiten und sich selbst organisieren, dazu motivieren einen "Künstler in die Schulen"-Verein zu gründen. Ihre Arbeit würde dadurch ein Fundament erhalten und die mit den Schulen aufgebauten Strukturen könnten über die Programmlaufzeit hinaus bestehen. Als Mirtan Teichmüller seine Arbeit an der Zoffinger Mädchenschule begann, fragte er eines Tages, wer von den Schülerinnen schon einmal in einer Musik- oder Tanzschule gewesen sei oder neben der Schule einen Malkurs besucht hätte. Jeweils ein Mädchen habe die Hand gehoben. Viele Schülerinnen hätten kaum einen Bezug zur klassischen Musik. Das empfand auch Gesangspädagogin Barbara Dörsam so. Um den Kindern die Oper näher zu bringen, sang sie ihnen die Arie "Abends, wenn ich schlafen gehe" aus "Hänsel und Gretel" in einer neuen Vertonung vor, einmal fortissimo, einmal in pianissimo. In diesem Moment sei etwas mit den Schülerinnen passiert. "Sie saßen mit offenen Mündern da und haben gestaunt", sagt Dörsam. Das sei wunderbar gewesen. 4/5
Ein Modellprogramm der gemeinnützigen Forum K&B GmbH, initiiert und gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Stiftung Mercator in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Ministerien, der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.v., der conecco UG Management städtischer Kultur und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. 2015 Forum K&B GmbH, die Autoren und Fotografen Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung der Forum K&B GmbH urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzung, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Powered by TCPDF (www.tcpdf.org) 5/5