Die Kompensation von Informationsverlusten bei der Gruppenarbeit durch sozio-technische Mittel



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Transkript:

Die Kompensation von Informationsverlusten bei der Gruppenarbeit durch sozio-technische Mittel Ursula Piontkowski & Juliane Hartmann Tagung der Fachgruppe Sozialpsychologie, Heidelberg, 2003 Die Entwicklung unserer Experimente im Rahmen des DFG-Projektes Prozessgewinne und Prozessverluste bei der Wissensintegration in computer-mediierten Gruppen lässt sich auf dem Hintergrund von Winquist und Larsons (1998) Zwei-Prozess-Modell veranschaulichen. Hauptaussage dieses Modells ist, dass die Wirkung der geteilten Information (Informationen, über die alle Gruppenmitglieder vor der Diskussion verfügen) vorwiegend durch die Eingangspräferenzen der Gruppenmitglieder und die Wirkung der ungeteilten Information (Informationen, die nur einzelne Mitglieder vor der Diskussion kennen) primär durch die Gruppendiskussion vermittelt wird. Der Grundaufbau aller Experimente ist folgender: Drei-Personen-Gruppen erhalten die Aufgabe eine konsensuale Entscheidung bezüglich des Täters eines fiktiven Mordfalls zu treffen, wobei diese Entscheidungsaufgabe das Muster eines hidden profiles hat. D.h. die beste Entscheidungsalternative geht aus den individuellen Informationsprofilen der Gruppenmitglieder nicht hervor; sie wird nur dann offenbar, wenn die Mitglieder den gesamten Informationspool der Gruppe, insbesondere die ungeteilten Informationen, berücksichtigen. Die meisten Experimente haben wir sowohl in synchroner computervermittelter als auch in direkter face-toface Kommunikation durchgeführt. Hier wird auf die ersten drei Experimente eingegangen, wobei die ersten beiden nur insoweit dargestellt werden, wie sie für die Herleitung des dritten Experimentes interessant sind, auf das die Präsentation fokussiert ist. Die zentralen abhängigen Variablen sind in allen Experimenten die gleichen: Informationsaustausch: Es wird kodiert und analysiert, wie viele ungeteilte und geteilte Informationen in der Diskussion genannt und wiederholt werden. Gruppengedächtnis: Mit einem Fragebogen nach der Diskussion wird erfasst, wie gut die Gruppenmitglieder Informationsinhalte aus der Diskussion wieder erkennen und zudem eventuell auch noch wissen, wer aus der Gruppe bestimmte Informationen eingebracht hat. Urteilskorrektheit: Mit welchem Ausmaß an Übereinstimmung identifizieren die Gruppenmitglieder den Mörder? 1

Informationsgewinn: Es werden die in der Urteilsbegründung genannten Informationen kodiert und analysiert. Ungeteilte Informationen, die ein Mitglied anfangs nicht kannte und in der Diskussion gelernt hat, können als Informationsgewinn bezeichnet werden. Im ersten Experiment wurden zwei Faktoren der strukturellen Ausgangslage variiert: Der erste Faktor betrifft unterschiedliche Verhältnisse der Menge ungeteilter zur Menge geteilter Informationen. Interessant in Hinblick auf das dritte Experiment ist aber vor allem der zweite Faktor: Es wurde die Vorabfestlegung variiert. Die Gruppenmitglieder in der einen Hälfte der Gruppen, wurden nach dem Lesen des Aufgabenmaterials gebeten, sich schriftlich zu äußern wer der Mörder ist und warum. In der anderen Hälfte der Gruppen folgte nach dem Lesen des Aufgabenmaterials direkt die Gruppendiskussion, ohne dass ein Vorurteil getroffen werden sollte. Ergebnis: Die Vorabfestlegung, d.h. der Akt des sich Festlegens, an sich hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Urteilskorrektheit. Berücksichtigte man zusätzlich die Qualität der Vorabfestlegung, zeigten sich signifikante Unterschiede in der Urteilsgüte: Gruppenmitglieder, die ein richtiges Vorurteil hatten, fällten bessere Urteile als Gruppenmitglieder, die ein falsches Vorurteil hatten, die ein gemischtes Vorurteil hatten (d.h. eine Gruppe aus mehreren Verdächtigen angegeben hatten, wobei der richtige dabei war) und als die, die gar kein Vorurteil abgegeben hatten. Die Gruppenmitglieder, die kein richtiges Vorurteil hatten, unterschieden sich nicht signifikant voneinander in der Urteilsgüte. Im zweiten Experiment wurden zwei Faktoren, die den Prozess des Informationsaustausches betreffen, variiert wobei nur der eine für das dritte Experiment relevant ist. Das ist der Faktor der Aufmerksamkeitssteuerung, der hier durch einen Bewertungsauftrag umgesetzt wurde. D.h. die Versuchsteilnehmer wurden gebeten, die Qualität der Chatbeiträge der anderen zu bewerten. Diese Manipulation erfolgte, indem relativ zu Beginn des Chats drei Mal ein Fragebogen eingeblendet wurde (siehe Folie 7). In der Bedingung keine Aufmerksamkeitssteuerung gab es diese Einblendung nicht. Ergebnis 1: Die Aufmerksamkeitssteuerung wirkte förderlich auf das inhaltsbezogene Gruppengedächtnis (nur in CMC nicht in FtF). Um das Gruppengedächtnis zu ermitteln, wurde den Versuchsteilnehmern im Anschluss an den Chat originale und modifizierte Äußerungen aus dem Chat dargeboten: Sie sollten sich erinnern, welches Gruppenmitglied die nach einem Zufallsprinzip selektierten Äußerungen gemacht hat. Dabei hatten sie auch die Option zu antworten, Keiner von uns hat das so gesagt. Mittels Methodik der Signalentdeckungstheorie konnten verschiedene Variablen des Gruppengedächtnisses berechnet werden. Bei der Berechnung des inhaltsbezogenen Gruppengedächtnisses wurden die Konfusionen bzgl. des Senders vernachlässigt. Die Fremd-Fremd-Konfusionstreffer (auf der Ordinate der Abbildung, 2

Folie 8) sind die Sorte von Treffern, bei der der Inhalt zwar korrekt erkannt, aber der Sender (die Quelle) verwechselt wurde. Das inhaltsbezogne Gruppengedächtnis war bedeutend besser, wenn eine Aufmerksamkeitssteuerung erfolgte. Bei derartigen Entscheidungsaufgaben ist es allerdings auch nur ausschlaggebend, ob die Informationsinhalte behalten werden und nicht, ob zusätzlich behalten wird, wer sie genannt hat. Ergebnis 2: Bei der Auswertung der Urteilsbegründung wurde offenbar, dass der Informationsgewinn in Gruppen mit Aufmerksamkeitssteuerung höher war als in Gruppen ohne Aufmerksamkeitssteuerung. Ergebnis 3: Entsprechend besser war auch die Urteilsgüte unter der Bedingung mit Aufmerksamkeitssteuerung als in der Bedingung ohne Aufmerksamkeitssteuerung. Diese Ergebnislage führte zum dritten Experiment:. Können falsche Vorurteile durch aktive, kollaborative Informationsverarbeitung aufgebrochen werden und Entscheidungsleistungen verbessert werden? In diesem Experiment haben wir uns auf die inhaltsbezogene Aufmerksamkeitskomponente konzentriert. Es wurde ein sozio-technisches Werkzeug implementiert, um die Aufmerksamkeit auf die relevanten Informationsinhalte zu lenken: Das Whiteboard konserviert nur Whiteboard-Einträge, die von allen Gruppenmitgliedern als relevant beurteilt wurden. Darin liegt der kollaborative Aspekt: Die Gruppe soll zusammenarbeiten/ Einstimmigkeit erreichen, was auf dem Whiteboard festgehalten werden soll. In einem 2 x 2 Design variierten wir erstens den Faktor der Präferenzkonsistenz über die Informationsverteilung des hidden profiles. In der konsistenten Bedingung sollten alle drei Gruppenmitglieder nach dem Lesen ihres Informationsprofils die gleiche falsche Person verdächtigen. In der inkonsistenten Bedingung sollte der Verdacht von zwei Gruppenmitgliedern auf zwei unterschiedliche falsche Personen gelenkt werden, und der Verdacht vom dritten Gruppenmitglied auf den richtigen Mörder. Als zweiter Faktor wurde die Art der kollaborativen Informationsverarbeitung variiert: In der einen Bedingung wurden die Gruppen aufgefordert auf dem Whiteboard die Redebeiträge festzuhalten, die für die Entscheidung relevante Information enthalten. In der anderen Bedingung wurden die Gruppenmitglieder aufgefordert, die Redebeiträge auf dem Whiteboard festzuhalten, die entscheidungsrelevante Informationen tragen, die vermutlich nicht allen bekannt sind. Redebeiträge waren nur dann fest auf dem Whiteboard verankert, wenn alle Gruppenmitglieder mit der Relevanzeinschätzung übereinstimmten. Wurde ein Eintrag nicht konsensual als relevant erachtet, bestand die Gefahr, 3

dass er vom Whiteboard verschwand, sobald neue Vorschläge für das Whiteboard gemacht wurden. Hypothesen: Erwartet wurden Haupteffekte für beide Faktoren und eine Interaktion. D.h. erstens sollte die Fokussierung der ungeteilt-relevanten Information günstiger sein als die Fokussierung der allgemein-relevanten Information. Zweitens sollten präferenzinkonsistente Gruppen besser sein als präferenzkonsistente Gruppen - besser hinsichtlich Informationsaustausch und Urteilsgüte. Drittens, sollte der Faktor der kollaborativen Informationsverarbeitung einen stärkeren Einfluss in der inkonsistenten als in der konsistenten Bedingung haben. Ergebnis 1: Zum Informationsaustausch Es zeigte sich ein Haupteffekt der Präferenzkonsistenz in die erwartete Richtung: Präferenzinkonsistente Gruppen tauschten mehr ungeteilte Informationen aus als präferenzkonsistente Gruppen. Es zeigte sich auch die erwartete Wechselwirkung: Kollaborative Informationsverarbeitung mit Fokus auf den relevanten und ungeteilten Informationen erzeugte insbesondere in präferenzinkonsistenten Gruppen einen höheren Austausch von ungeteilter - aber auch von geteilter Information! Es zeigt sich dagegen nicht der erwartete Haupteffekt für die Art der kollaborativen Informationsverarbeitung. In der Bedingung Fokussierung auf die ungeteilt-relevanten Informationen wurden nicht signifikant mehr ungeteilte Informationen ausgetauscht als in der Bedingung Fokussierung auf die allgemein-relevanten Informationen. Wie lässt sich der Interaktionseffekt interpretieren? Wir nehmen an, dass die Versuchsteilnehmer durch die Instruktion, ungeteilt relevante Informationen zu fokussieren (auf dem Whiteboard zu notieren), sensibilisiert dafür wurden, dass die anderen andere Informationen haben könnten als sie selbst. In unseren Experimenten erhalten die Versuchsteilnehmer keinen Hinweis, dass sie eventuell unterschiedliche Informationen haben. Sobald sie dies vermuten, wissen sie immer noch nicht, welche Informationen alle haben und, welche nur einzelnen zugänglich sind. In der präferenzinkonsistenten Bedingung war die Instruktion wahrscheinlich deswegen am fruchtbarsten, weil hier die Versuchsteilnehmer vermutlich eher merkten, dass ihnen (teils) unterschiedliche Informationen vorgelegt wurden. So ist denkbar, dass sie vorsichtshalber alle (ungeteilte und geteilte) Informationen, die sie hatten, nannten. Die präferenzkonsistenten Gruppen nannte dagegen mehr Informationen geteilte und ungeteilte - in der Bedingung Fokussierung auf die allgemein-relevanten Informationen. Man kann spekulieren, dass der Informationsaustausch in der Bedingung Fokussierung auf die relevanten und gleichzeitig ungeteilten Informationen hier deswegen gebremst war, weil die Versuchsteilnehmer irritiert waren, dass es unterschiedliche Informationen geben sollte, obwohl sie in der Gruppe die gleichen Präferenzen gebildet hatten. 4

Ergebnis 2: Zur Urteilsgüte Es zeigten sich zwei Haupteffekte. 1. In der Bedingung, in der die Aufmerksamkeit auf die ungeteilt-relevanten Informationen gelenkt wurde, waren die Urteile besser als in der Bedingung, in der die Aufmerksamkeit auf die allgemein-relevanten Informationen gelenkt wurde (hypothesenkonform). 2. Hypothesenkonträr ist, dass Gruppenmitglieder aus präferenzkonsistenten Gruppen stärkere Urteilskorrektheit zeigten als Gruppenmitglieder aus präferenzinkonsistenten Gruppen. 3. Es zeigte sich nicht die erwartete Interaktion, dass die kollaborative Informationsverarbeitung mit Aufmerksamkeit auf den ungeteilten Informationen vor allem in der Bedingung Präferenzinkonsistenz einen positiven Einfluss hat. Dahingegen war die Urteilsgüte am besten in der Bedingung Präferenzkonsistenz mit Aufmerksamkeit auf den ungeteilten, relevanten Informationen. Wie kann man sich diesen unerwarteten Haupteffekt erklären? Es ist offensichtlich leichter ein falsches Vorurteil, das einheitlich von allen Gruppenmitgliedern vertreten wird (präferenzkonsistente Gruppen), in der Gruppe zu revidieren als zwei falsche Vorurteile. Ein einziges Gruppenmitglied mit richtigem Vorurteil bewirkte keinen leistungsförderlichen Einfluss, d.h. hatte nicht genügend Überzeugungskraft, um zwei Gruppenmitglieder, die unterschiedliche falsche Vorurteile haben, zu korrigieren. Die Chance, ein korrektes Urteil zu treffen, war vergleichsweise besser, wenn alle Gruppenmitglieder einheitlich ein falsches Vorurteil hatten. Zusammenfassung/Ausblick: Zum einen förderte kollaborative Informationsverarbeitung mit dem Fokus auf den ungeteilten Informationen den Austausch ungeteilter Informationen, allerdings nur dann wenn die Präferenzen der Gruppenmitglieder nicht konsistent waren. Zum anderen bewirkte kollaborative Informationsverarbeitung mit dem Fokus auf den ungeteilten Informationen eine bessere Urteilsgüte - soweit alles erwartungsgemäß. Überraschend ist, dass die präferenzkonsistenten und nicht die präferenzinkonsistenten Gruppen bessere Urteile erzielten. Die Menge an ausgetauschter ungeteilter und geteilter Info korrelierte nicht signifikant mit der Urteilskorrektheit. Daraus lässt sich schließen, dass gute Entscheidungsfindungen nicht allein von einem qualitativ hochwertigen Informationsaustausch abhängen, sondern auch erheblich von der Bewertung (Relevanzeinschätzung) der Informationen. Ob die präferenzkonsistenten Gruppen in der Bedingung Fokussierung auf die ungeteilt-relevanten Informationen, die ja de facto die beste Urteilsgüte zeigten, auf dem Whiteboard tatsächlich die für die Lösung des hidden profiles entscheidenden Informationen notieren (d.h. diese für relevant erachten), werden die noch ausstehenden Whiteboard Analysen zeigen. 5

Wir vermuten, dass Informationsaustausch und Eingangspräferenzen nicht die einzigen Determinanten für Entscheidungsleistungen sind, sondern dass auch die Informationsbewertung eine wichtige Rolle spielt. Das muss durch weitere Ergebnisse fundiert werden... Auf die Frage, ob falsche Vorurteile durch aktive Informationsverarbeitung aufgebrochen werden können: Ja, allerdings nicht allein durch besseren Informationsaustausch, sondern vermutlich durch veränderte Relevanzeinschätzung. Literatur Winquist, J.R. & Larson, J. R. (1998). Information pooling: When it impacts group decision making. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 371-377. 6