Dietmar Kern Euro-Gebührenverordnung (EBM 2009) Die vertragsärztliche Vergütung ab 01.01.2009 Kompaktwissen Gesundheitswesen
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Editorial Der 1. Januar 2009 markiert in der 20-jährigen Abrechnungsgeschichte der Ärzte den Eintritt in ein neues Honorarzeitalter. Der Paradigmenwechsel bringt neben der Berücksichtigung der Morbidität auch die Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich mit sich. Künftige Honoraranpassungen sind zudem nicht mehr durch eine Grundlohnsumme begrenzt. Auf Grund der vielfältigen Umgestaltungen innerhalb bzw. zwischen verschiedenen Fachrichtungen werden im EBM teilweise Einzelleistungen schlechter vergütet. Das betrifft in der Mehrzahl Großpraxen. Dies bedeutet zwar in sich eine Absenkung der Vergütungen um teilweise 30 %, bedeutet im Umkehrschluss aber eine Anhebung der Leistungsbegrenzung auf 40 % bei richtiger Bewertung und Umsetzung der Einzelleistungen. Gemäß den Gesetzesvorgaben sind die KVen dazu angehalten, jeder Praxis bis zum 30.11. das individuelle RLV bekannt zu geben. Da die Krankenkassen allerdings erst kurz zuvor über die ihnen aus dem Fonds zugeteilte Geldmenge informiert werden, stellt das gesamte Verfahren eine ungedeckte Scheckgeschichte dar. Vorteile bringt hier nur der 73b- Vertrag zwischen Hausärzteverband und der AOK in Bezug auf die bessere Vergütung beim mittleren Fallwert sowie durch den Wegfall der Fallzahlzuwachsbegrenzung. Entscheidende Vorteile bieten sich sowohl für Fachärzte der Psychosomatischen Medizin und der Psychotherapie sowie für Hausärzte durch die neue EBM-Ziffer 2221. Hiernach kann bspw. ein psychosomatisches Gespräch bzw. eine psychosomatisch-medizinische Behandlung nahezu unbegrenzt angewandt und abgerechnet werden. Die Fachärzte selber haben künftig die Möglichkeit, über ihre verschiedenen Leistungen freier zu verfügen als bisher, d.h. es können Leistungen jederzeit ergänzt werden, die außerhalb der klassischen Richtlinienpsychotherapie liegen. Somit müssen die Hausärzte nicht befürchten, bestimmte Honoraranteile an die Fachärzte zu verlieren. 1
Die Geldausstattung des jeweiligen Gesundheitsfonds trotz bestehender Wirtschaftskrise wird zeigen, ob der neue EBM angezweifelt werden darf. Zudem wird sich zeigen, ob Staatsmedizin und Planwirtschaft zunehmen werden, im Gegenzug aber die freie Arztwahl mit samt der Therapiefreiheit eines Arztes immer weiter eingeschränkt wird bzw. werden muss. Die Kompaktwissen-Ausgabe zeigt Ihnen auf, wie die Struktur des neuen EBM aussieht, wo die Unterschiede zu den bisherigen Abrechnungsmodalitäten liegen und was das für den (niedergelassenen) Arzt bzw. Psychologe bedeutet. Wer die Verlagerungseffekte zu seinem Vorteil nutzt, wird in jedem Fall besser abschneiden als die Konkurrenz. Nürnberg, im Februar 2009 Die Redaktion 2
Der Inhalt im Überblick 1. Honorarreform 2009: Das neue Vergütungssystem 7 1.1 Die Eckpunkte der neuen Honorarreform 8 1.2 Pauschalierungen sind typisch für den neuen EBM 15 1.3 Abstaffelung des Punktwertes bei Überschreiten der RLV 16 2. Arztbezogene Regelleistungsvolumen: Das wird vergütet 18 2.1 Sonderregelungen und Nachbesserungen 19 2.2 Die Berechnungsgrundlagen 20 2.2.1 Die Entwicklung der Fallwerte 20 2.2.2 Die Berechnung des RLV 21 2.2.3 Die Berechnung der Abstaffelung 23 2.2.4 Die Vergütung von Einzelleistungen 26 2.2.5 Die Vergütung von Haus- und Facharztleistungen außerhalb der RLV 28 2.2.6 Die Zuordnung zu Fachgruppen und Fallwerten 29 2.2.7 Die Berechnung des fachgruppenspezifischen Fallwertes 30 2.2.8 Die Funktionsweise der Leistungsbegrenzung 31 2.3 Nachbesserungen bei den Fachärzten 34 2.3.1 Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten 35 2.3.2 Spezifisch gewichtete Anpassungsfaktoren 37 3
2.4 Regelleistungsvolumen für ärztliche Gemeinschaften 37 2.5 Abrechnung primärer Wundversorgung 44 2.6 Bewertung hausärztlicher Leistungen 46 2.6.1 Die Berechnungsgrundlage für Wärmetherapie und Akupunktur 48 2.6.2 Die Berechnungsgrundlage von Hämorrhoiden, Analfissuren, Marisken und Kolonkarzinomen 49 2.6.3 Die Berechnungsgrundlage einer Hypercholesterinämie 51 2.6.4 Hautkrebs-Screening als neue Vorsorgeuntersuchungs- Leistung 52 2.6.5 Kinder-Früherkennung: Neue Untersuchung U 7a seit dem 1. Juli 2008 53 2.7 Zur Abrechnung von Versichertenpauschalen 55 2.8 Berechnung von delegationsfähigen Leistungen 56 3. Neubewertung von Notfalldienstleistungen und Bereitschaftspauschalen ab 2009 61 4. Neuordnung der Psychotherapeuten-Honorare ab 2009 64 5. Laborreform zum 01.10.2008 66 6. Die Konvergenzphase (Abmilderung von Verlusten) 69 7. Honorarverwirkung und Weitergabe von Patientendaten an Abrechnungsstellen 71 4
8. Ansprechpartner EBM 73 9. Begriffserklärungen 75 5
1 Honorarreform 2009: Das neue Vergütungssystem Mit den Beschlüssen des erweiterten Bewertungsausschusses zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung ab 01.01.2009 sind die Rahmenbedingungen der Honorarreform geregelt. Damit wird es ein völlig neues Vergütungssystem geben. Grundlage für die Bewertung der Leistung bildet ein bundeseinheitlicher Orientierungspunktwert, der je nach Region erhöht bzw. abgesenkt werden kann. Die Höhe des regionalen Punktwertes muss jedes Jahr zwischen der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und den Krankenkassen (KK) neu vereinbart werden. Für viele Ärzte ist diese Neuordnung so durchschaubar wie ein Mietvertrag, in dem die Nebenkosten nicht ausgewiesen und die Quadratmeterzahl der Wohnung unbekannt sind. Für die hausärztliche Versorgung wird es künftig sog. Versicherungspauschalen geben, in dessen Rahmen die erbrachten Leistungen vergütet werden und zwar inklusive Betreuungs-, Koordinations- und Dokumentationsleistungen. Auch für die fachärztliche Versorgung wird es künftig arztgruppenspezifische Grund- und Zusatzpauschalen geben, deren Grundpauschalen die üblicherweise von der Arztgruppe in jedem Behandlungsfall erbrachten Leistungen abdecken sollen. Die Zusatzpauschalen selbst richten sich nach dem besonderen Leistungsaufwand (z. B. medizinisch erforderliche Einzelleistungen). In Relation zum Orientierungspunktwert ergibt sich hieraus eine maximale Leistungsmenge nach EBM in Punkten mit einer garantierten Vergütung. Schöpft eine Praxis dieses Regelleistungsvolumen nicht aus, führt dies zu einer geringeren Zahlung der Krankenkassen (und nicht wie bisher unter einem Budget zu einem höheren Punktewert). Überschreitet eine Praxis hingegen dieses Regelleistungsvolumen, werden alle darüber hinaus erbrachten Leistungen nur noch abgestaffelt vergütet. 7
1. Honorarreform 2009: Das neue Vergütungssystem 1.1 Die Eckpunkte der neuen Honorarreform Ab 2009 wird es erstmalig einen bundesweit einheitlichen Orientierungspunktwert geben, dessen Wert für 2009 auf 3,5001 Cent (Neufestsetzung am 28.08.2008, vorher: 3,5085 Cent) festgelegt wurde. Jeder Arzt bzw. jede Praxis erhält dann je Quartal ein sog. Regelleistungsvolumen. Dieses gibt die entsprechende Leistungsmenge vor, die mit den in der Euro-Gebührenordnung enthaltenen Preisen vergütet wird. Alle weiteren darüber hinaus erbrachten Leistungen werden mit einem abgestaffelten Preis honoriert. Beispiel: Geht man von einem kalkulatorischen EBM-Punktwert von 5,11 Cent aus (der reale Auszahlungspunktwert liegt meist deutlich unter dieser Grenze), erhält ein Arzt für die Erstversorgung einer kleinen Wunde ein Honorar i. H. v. 17,88 Euro. Bei weniger als zwei Kilometer Anfahrt ist es einem Arzt erlaubt, eine Wegepauschale i. H. v. 3,20 Euro zu berechnen. Liegt die Anfahrt zwischen 5 10 Kilometern, können 9,20 Euro abgerechnet werden. Das arzt- und praxisbezogene Regelleistungsvolumen (RLV) wird dabei je Arzt berechnet, zugewiesen wird es aber praxisbezogen. Für die gesamte Praxis werden also die RLV aller Ärzte, die dort tätig sind, zusammen addiert. Berücksichtigung finden auch alle Leistungen, die durch Teilberufsausübungsgemeinschaften erbracht werden. Leistungen, die nicht in das RLV fallen, werden zusätzlich vergütet. Hierunter fallen etwa alle regionalen Sonderverträge, Präventionsleistungen, Substitutionsbehandlungen sowie alle besonderen Inanspruchnahmen, die unter die EBM-Klassifizierung 01100 bis 01102 fallen. Unter die zusätzlichen Vergütungen fallen zudem alle dringenden Besuche, die in der EBM unter den Nummern 01411, 01412 und 01415 aufgeführt sind, sowie Notfalldienstleistungen (EBN-Nrn. 01210 01222) und Akupunktur. Im EBM gibt es zudem mit der Leistung nach Nr. 02510 eine eigenständige Position für die Wärmetherapie, diese kann in indizierten Fällen zusätzlich zur Versichertenpauschale abgerechnet werden. Berechtigt zur Abrechnung einer solchen Leistung sind alle Hausärzte sowie Kinder- und Jugendärzte. Handelt es sich in diesem Zusammenhang um eine isolierte therapeutische Maßnahme (z. B. bei chronischen Schmer- 8
2 Arztbezogene Regelleistungsvolumen: Das wird vergütet Ab dem 01.01.2009 wird es also einen abstrakten Bundes-EBM mit Punkten geben, dem allerdings kein rechtsverbindlicher Charakter zukommt, sondern der stattdessen lediglich Orientierungsfunktion hat. Daneben wird es im jeweiligen Bundesland bzw. KV-Bezirk einen entsprechenden Landes-EBM in Euro geben, der weitgehend mit einem Pauschalierungssystem ausgestaltet sein wird. Dabei erhalten die Hausärzte zukünftig eine sog. Hausarztpauschale pro Patient und Quartal, und zwar differenziert je nach Altersgruppe des Patienten. Die Höhe dieser Hausarztpauschale hängt im Wesentlichen von der regionalen Preisvereinbarung ab, in dessen Zusammenhang ausgewählte Einzelleistungen der Hausärzte entsprechend zusätzlich vergütet werden. Zusätzlich zum Regelleistungsvolumen haben Hausärzte die Möglichkeit, sog. Fallwertzuschläge für qualitätsgebundene Leistungen abzurechnen. Diese Zuschläge stellen allerdings keine Pauschalen dar, die automatisch bei entsprechender Qualifizierung gezahlt werden. Diese Leistung muss erarbeitet werden. Auf diese Weise kann bis zu einer fallzahlabhängigen Obergrenze weiteres zusätzliches Honorar außerhalb des RLV erwirtschaftet werden. Fallwertzuschläge für qualitätsgebundene Leistungen gibt es für die Sonographie, die Psychosomatik, die Chirotherapie, die Prokto- bzw. Rektoskopie, die Kleinchirurgie sowie für pulmologisch-kardiologische Leistungen (z. B. Ergometrie, Langzeit- EKG, Langzeit-Blutdruckmessung, Spirometrie). 18
2. Arztbezogene Regelleistungsvolumen: Das wird vergütet Ärzte, die ihr Regelleistungsvolumen nicht ausschöpfen, können das fehlende Volumen mit Leistungen aus den Fallwertzuschlägen auffüllen, falls diese durch hohe Untersuchungsfrequenzen überschritten werden. Wird allerdings das Volumen der Fallwertzuschläge durch diese nicht erreicht, kann es im Umkehrschluss nicht durch andere Leistungen aufgefüllt werden. 2.1 Sonderregelungen und Nachbesserungen Eine neue Sonderregelung sorgt durch eine neue Vertragsgestaltung durch 73b SGB für einen sog. Insolvenzschutz für Praxen. Die Sonderregelung für das 1. Quartal 2009 soll dabei bis 31.03.2009 Gültigkeit besitzen, der neue Vertrag gilt dann ab dem 01.04.2009. Um die Verluste durch das neue RLV aufzufangen, wurde dabei nachfolgendes beschlossen: g Rückwirkend zum 01.01.2009 entfällt die Altersbegrenzung, so dass künftig alle Patienten ab Geburt eingeschrieben werden können. g Die kontaktunabhängige Pauschale von bislang 5,50 Euro wurde rückwirkend zum 01.01.2009 auf 20,50 Euro erhöht. Dieser Satz gilt nicht nur für bereits eingeschriebene Patienten, sondern auch für Patienten, die sich im 1. Quartal 2009 noch einschreiben lassen Welche Vor- bzw. Nachteile das neue System tatsächlich für den Quartalsumsatz einer Praxis mit sich bringen wird, kann allerdings erst nach Abschluss der Abrechnung für das erste Quartal festgestellt werden. Nachbesserungen sollen Praxen mit kleinen Fallzahlen, aber großem Leistungsangebot erfahren. Angesprochen werden dabei eine Begrenzung des Vorwegabzugs, Schutzmechanismen für kleinere Arztgruppen sowie die Herausnahme von weiteren Leistungen aus den RLV. 19
7 Honorarverwirkung und Weitergabe von Patientendaten an Abrechnungsstellen Sämtliche Honoraransprüche von Ärzten sind verwirkt, wenn zu lange mit der Rechnungsstellung gewartet wird. Dies geht aus einem aktuellen Beschluss des OLG Nürnberg 6 hervor. Tenor des Gerichts: Eine Verwirkung des Honoraranspruchs ist immer dann gegeben, wenn die Geltendmachung der Forderung gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstößt. Was bedeutet: Ärzte haben ihre Honorarforderungen zeitnah zu stellen. Zwar wurde der Begriff zeitnah nicht näher durch das Gericht festgelegt. Die Rechtsprechung geht allerdings davon aus, dass ein Arzt seinen Anspruch auf Honorar dann verwirkt, wenn er seine Forderungen nicht innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist erbringt. Nach 195 BGB gilt hier eine Frist von 3 Jahren, beginnend nach erfolgreicher Leistungserbringung. Hierzu zählt übrigens auch die zeitnahe Beantwortung von Beanstandungen durch Patienten. Denn Streitigkeiten um einzelne Abrechnungsziffern ändern selbst nichts an der Fälligkeit einer ärztlichen Honorarforderung. Was die Leistungsabrechnung für Vertragsärzte betrifft, ist diesen künftig untersagt, Daten von Kassenpatienten an private Dienstleistungsunternehmen (sog. Abrechnungsstellen) zu übermitteln. 7 Dies gilt nach 6 OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.01.2008, 5 W 2508/07, NJW RR 2008 S. 1156, LEXinform 7008455 7 BSG, Az. B 6 KA 37/07 R, LEXinform 0174881 71