Stand: 10.05.2012 Im April 2012 erschien die Geomar-Studie Evaluation and Legal Assessment of Certified Seafood der beiden Autoren Rainer Froese und Alexander Proelss. Ziel dieser Studie ist die Beurteilung des Zustandes der Fischbestände sowie eine Bewertung bekannter Wildfisch- Zertifizierungen wie dem Marine Stewardship Council (MSC). Die Ergebnisse dieser Studie wurde in den Medien vielfach aufgegriffen. Leider hat dies zu einer einseitigen Berichterstattung geführt. Mit diesem Dokument wollen wir zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Der Fischereibiologe Prof. Dr. Rainer Froese vom Geomar-Institut für Ozeanforschung in Kiel und der Professor für Öffentliches Recht Dr. Alexander Proelss der Universität Trier veröffentlichen in einer der aktuellen Ausgaben der Zeitschrift Marine Policy einen Artikel mit dem Namen Evaluation and Legal Assessment of Certified Seafood. In dieser Studie analysieren sie den Zustand von 150 Fischbeständen, die entweder nach den Standards von Friend of the Sea (FOS) oder Marine Stewardship Council (MSC) zertifiziert sind. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass 72 % der FOS-zertifizierten Fischereien und 42 % der von MSC- zertifizierten Fischereien entweder überfischt sind oder keine ausreichende Datengrundlage gewährleistet ist, um den Zustand der Bestände korrekt einzuschätzen. (FOS 19 % überfischt, 53 % nicht bewertbar, MSC 31 % überfischt, 11 % nicht bewertbar). Als einen der Gründe für das schlechte Abschneiden der bewerteten Fischereien von MSC nennt Froese die schwach gewichtete Bewertung der Bestandsgröße, die seiner Meinung nach nur 8 % der Gesamtbewertung beim MSC ausmacht. Für die FOS-zertifizierten Produkte fiel das Ergebnis ihm zufolge ebenfalls unbefriedigend aus. Hier hätten oft zu wenig belastbare Informationen vorgelegen, um überhaupt eine Aussage treffen zu können, sagte der Experte 1. 1 http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1302975
Bestandsgröße Zur Beurteilung des Zustandes der Fischbestände orientieren sich die Autoren der Studie an Referenzwerten, die in wissenschaftlichen Kreisen nicht anerkannt sind. Christopher Zimmermann, stellvertretender Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und Vorsitzender des Technischen Beirates des MSC, sagt hierzu: Eine global agierende Organisation wie der MSC muss international abgestimmte und anerkannte Definitionen verwenden. Die von Froese und Proelss verwendete Definition von Überfischung und viele der verwendeten Referenzpunkte sind international nicht akzeptiert. Die Resultate der Studie sind somit irrelevant. 2 Bei der Bewertung von Fischbeständen gibt es mehrere Herangehensweisen. Im Regelfall werden mehrere Referenzwerte, wie zum Beispiel in dem nachfolgenden Text und der Grafik dargestellt, definiert. Der maximale Bestand erwachsener Tiere (SSBmax) stellt den Zustand des Fischbestandes ohne Befischung dar. Bei etwa 50% des maximalen Bestandes, dies variiert je nach Art, liegt der sogenannte maximale nachhaltige Ertrag (SSBMSY). Dieser Wert spiegelt die von den meisten Fischereien angestrebte Bestandsgröße wieder. Hat der Bestand diese Größe, kann jedes Jahr eine große Anzahl von Fischen mit relativ geringem Aufwand geerntet werden, wobei sich langfristig der Bestand nicht erschöpft. Der Bereich zwischen dem maximalen Bestand und etwas unterhalb des SSBMSY kann deshalb als grün definiert werden, da ein Bestand in diesem Bereich als gesund bezeichnet und langfristig genutzt werden kann. Der untere Grenzwert, in der Grafik der Übergang zum roten Bereich, wird als SSBlim bezeichnet, er befindet sich meistens bei etwa der Hälfte des SSBMSY. Wird zu viel gefischt und die Anzahl der erwachsenen Tiere fällt unter diesen Grenzwert (also in den roten Bereich), kann es zu einem Zusammenbruch des Bestandes kommen. Zusammenbruch bedeutet, dass auch wenn man SSBmax die Fischerei komplett einstellen würde, der Fischbestand sich nicht mehr oder nur nach einer sehr langen Zeit erholen kann. Ein Bei- SSBMSY spiel hierfür wäre der Kabeljaubestand vor Neufundland, der sich selbst nach einem 20jährigen Fangverbot bis heute nicht mehr SSBlim von der Überfischung erholen konnte, obwohl er früher einer der größten Fischbestände der Erde war. Der Bereich zwischen dem unteren Grafik: Referenzwerte für Bestandsgröße Grenzwert SSBlim und dem maximalen Ertrag (SSBMSY) wird hier gelb dargestellt. Dieser Bereich stellt Fischbestände da, die nicht optimal genutzt werden, da sie größere Erträge abwerfen könnten, wenn die Bestände größer d.h. im grünen Bereich wären. Je näher ein Bestand sich dabei dem roten Bereich nährt, desto größer wird die Gefahr, dass durch unvorhergesehene Ereignisse wie zum Beispiel Jahre mit geringem Nachwuchs oder Fehlberechnungen in der Bestandsabschätzung, der Bestand in den roten Bereich sinkt und dann möglicherweise zusammenbricht. Die Diskrepanz in der Anzahl überfischter Bestände zwischen der Studie von Froese und Proelss und der Definition, die MSC verwendet, kommt daher, dass Froese und Proelss auch Bestände im gelben Bereich als überfischt definieren, während der MSC diesen Begriff nur für Bestände im roten Bereich verwendet. Die Einschätzung des MSC folgt aus der Definition für den Begriff Überfischung, wie ihn die Welternährungsorganisation (FAO) ihrer Bewertung des Zustandes kommerziell genutzter Fischbestände zu Grunde legt, und entspricht demnach eher dem weltweiten wissenschaftlichen Konsens. 2 http://www.msc.org/presseraum/pressemitteilungen/msc-reagiert-auf-geomar-publikation?searchterm=eva
Ob man Bestände die sich im gelben Bereich befinden als überfischt (Froese und Proelss) oder als erschöpft (MSC) bezeichnet ist letztendlich Definitionssache. Warum aber werden nicht nur Fischereien die gesunde (grüner Bereich) Bestände befischen MSC zertifiziert? Nach dem Verständnis des MSC ist der MSC-Standard ein aktives Werkzeug, um eine Erholung der Bestände herbeizuführen. Deswegen fordert der MSC in seinem ersten Grundsatz erstens, dass eine Fischerei auf eine Art und Weise zu führen ist, die nicht zur Überfischung oder Erschöpfung der befischten Populationen führt. Im Fall von erschöpften Populationen gilt zweitens, dass die Fischerei so geführt werden muss, dass sie nachweislich die Erholung der betroffenen Bestände herbeiführt. Will sich eine Fischerei zertifizieren lassen, die einen Bestand im gelben Bereich befischt, muss sie einen wissenschaftlich anerkannten Bestandserholungsplan vorweisen und einhalten. Dieser Plan muss gewährleisten, dass sich der Bestand innerhalb von 2-3 Generationen, z.b. bei Heringen 4-6 Jahre oder bei Kabeljau 10-15 Jahre, wieder im grünen Bereich befindet und die Ertragsfähigkeit langfristig wieder hergestellt und geschützt wird. Die Einhaltung des Bestandserholungsplanes und dessen Erfolg werden dabei streng kontrolliert. Eine adäquate Vorsichtsmaßnahme, die Erholung und Wiederherstellung der betroffenen Populationen sicherstellt, ist vor allem die Reduzierung der Fangmengen. Fischereien, die sich freiwillig zu einer solchen Fangreduzierung verpflichten, um ihren Bestand zu schonen und ihm damit die Möglichkeit zur Regeneration geben, können nach der Meinung des MSCs als nachhaltig bezeichnet werden. Diese Einschätzung entspricht auch den Richtlinien zur Nachhaltigkeitszertifizierung von marinen Fischereien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). 3 Fällt ein Bestand unter die SSBlim Grenze, wird die betroffene Fischerei zeitweilig suspendiert oder verliert endgültig ihre MSC Zertifizierung. Dies geschieht auch wenn die Fangmengen die vorgeschriebenen Grenzen überschreiten und die nachhaltige, langfristige Befischung des Bestandes nicht mehr gewährleistet ist. Da zertifizierte Fischereien einer alljährlichen Überprüfung unterzogen werden, kann der MSC schnell auf Missstände reagieren. Dass der MSC auf Fehlentwicklungen reagiert, wurde in der Vergangenheit mit dem Entzug des MSC-Siegels z.b. bei der Loch Torridon Kaisergranatfischerei, den Nordostatlantischen Makrelenfischereien oder der portugisischen Sardinenfischerei unter Beweis gestellt. Sechs Seelachsfischereien in der Nordsee sind nach den Standards des MSC nachhaltigkeitszertifiziert (darunter eine deutsche). Der Anteil an der Gesamtfangmenge liegt bei fast 100 %. Wie konnte es zu der starken Abnahme des Bestandes kommen obwohl nahezu alle beteiligten Fischereien MSC zertifiziert sind? Die Fangmengen für diesen Bestand werden seit vielen Jahren bis einschließlich 2011 entsprechend der wissenschaftlichen Empfehlung durch den Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) festgesetzt, um eine nachhaltige Bewirtschaftung zu gewährleisten. Die Fischereien hielten sich an diese Vorgaben und fischten sogar weniger als ihnen zugestanden wurde 4. In den Jahren 2001-2008 lag der Bestand weit im grünen Bereich, hat jedoch in den letzten drei Jahren durch deutlich geringere Nachwuchsproduktion stark abgenommen. 3 http://www.fao.org/docrep/013/i1948e/i1948e08.pdf 4 http://www.ices.dk/committe/acom/comwork/report/2011/2011/sai-3a46.pdf
Diese Abnahme in der Nachwuchsproduktion wurde aber von den Wissenschaftlern des ICES nicht erkannt, da die Jungtiere und die Erwachsenen dieses Bestandes räumlich deutlich getrennt leben: ein-bis dreijährige Nordsee-Seelachse leben an der norwegischen Küste und in Fjorden, in denen sie mit Grundschleppnetzen nicht gefangen werden können. Die Wissenschaft kann immer erst vier bis fünf Jahre nach der Geburt eines neuen Jahrgangs zuverlässige Angaben über dessen Stärke machen. Um trotzdem Fangmengen festlegen zu können, verwenden die Wissenschaftler die durchschnittliche Nachkommensanzahl der letzten 20 Jahre, die in den letzten Jahren aber die tatsächliche Nachkommensanzahl weit überstieg. Dieser Fehler wurde erst im Juni 2011 deutlich, da es 2010 aufgrund fehlender Daten keine Bestandsberechnung durch den Internationalen Rat für Meeresforschung gab. Daraufhin wurden die Fangmengen für 2012 um 15% reduziert 5, um eine schnelle Erholung des Bestandes zu gewährleisten. Die negative Entwicklung ist also nicht auf einen Managementfehler des MSC oder der beteiligten Fischereien zurückzuführen, sondern auf ein geringes Nachwuchsaufkommen dieser Art und eine ungenaue Beurteilung des Internationalen Rates für Meeresforschung. Nach Meinung von Froese und Proelss wird der Fischbestand in der MSC Bewertung nicht ausreichend gewichtet. «Wie es dem Fischbestand eigentlich geht, wird bei der Vergabe zu schwach bewertet. Das fließt nur zu rund acht % ein, sonst geht es vor allem um Verwaltung etc..». Tatsächlich bewertet der MSC-Standard Fischereien anhand von 31 Indikatoren. Dazu gehören zum Beispiel den Einfluss unbeabsichtigter Fänge auf andere Arten, die Auswirkungen der angewendeten Fischereimethoden auf die Meeresumwelt, sowie wie schnell das Fischereimanagement auf Veränderungen reagieren kann oder wie gut die Datengrundlagen sind. Dass dabei die Bestandsgröße nur zu 8% in die Gesamtbewertung einfließt, ist aber ein Fehlschluss. Der MSC Standard ist in drei Grundsätze oder Prinzipien gegliedert (Grundsatz 1 Schutz der Bestände, Grundsatz 2 Auswirkungen auf das Ökosystem, Grundsatz 3 Fischerei- Management), wobei in jedem Grundsatz durchschnittlich 80 Punkte (von 100) erreicht werden müssen um eine Zertifizierung zu ermöglichen. Der erste Grundsatz behandelt ausschließlich den Zustand des Fischbestandes und den Schutz der Bestände. Die Fischerei soll sicherstellen, dass ausreichend Fisch für die Zukunft da ist. Sie sorgt also dafür, dass Alters- und genetische Struktur sowie die Geschlechterverteilung der Bestände aufrecht erhalten werden. Falls die Fischerei in hinsichtlich des Zustand des Fischbestandes ungenügend abschneidet, kann sie dies nicht in anderen Bereichen (Grundsatz 2 und 3), z.b. durch umweltschonendes Fanggerät ausgleichen, sondern sie erhält keine MSC Zertifizierung. Der erste Grundsatz ist somit der wichtigste. Die kanadische Langleinen-Schwertfischfischerei hat vor und im Laufe des MSC- Zertifizierungsprozesses Maßnahmen ergriffen, um den Beifang an bedrohten Tieren zu minimieren und die Überlebenschancen der trotzdem beigefangenen Tiere zu erhöhen. Dazu gehören unter anderem Modifikationen an den Langleinen wie zum Beispiel Rundhaken. Im Zertifizierungsprozess des MSC wurde zudem festgestellt, dass der Bestand der gefährdeten Arten nicht durch die zertifizierte Fischerei bedroht wird. Der WWF steht dieser Zertifizierung aber kritisch gegenüber. Der WWF ist der Auffassung, dass aufgrund der eingeschränkten Datengrundlage eine mögliche Gefährdung der bedrohten Arten durch Beifang nicht vollständig ausgeschlossen werden 5 http://www.deutscher-fischerei-verband.de/downloads/pressemitteilung_09.12.2011.pdf
kann und dass noch nicht feststeht, ob die verordneten Maßnahmen wirksam sind 67. Diesen Standpunkt vertrat der WWF auch gegenüber dem MSC. Da der MSC eine unabhängige Organisation ist, konnte der WWF im Zertifizierungsprozess nur im dafür vorgesehenen Rahmen als Umwelt-Interessenvertreter (zusammen mit einer Reihe von weiteren NGO s) handeln. Für Fischprodukte aus Wildfängen ist das MSC-Label derzeit das robusteste Umwelt- -Siegel im globalen Markt und das einzige, das die Zertifizierungsrichtlinien der Welternährungsorganisation FAO in vollem Umfang berücksichtigt. 8 Natürlich muss auch der MSC sich inhaltlich kontinuierlich weiterentwickeln. Der WWF in seiner Rolle als Umwelt-Interessenvertreter bringt sich dahingehend in den MSC Prozess ein. Das MSC-Programm beinhaltet einen Verbesserungsmechanismus für das Management der Fischereien. So wird jährlich von unabhängigen Zertifizierern kontrolliert, ob die Fischereien die vereinbarten Aktionspläne umsetzen und weiterhin den MSC- Standard erfüllen. Wird der Aktionsplan nicht umgesetzt, so muss die Zertifizierungsorganisation der Fischerei das MSC-Label aberkennen. Die entsprechenden Dokumente sind jeweils auf der Website einsehbar. Der MSC-Standard und die dazugehörigen Verordnungen werden laufend präzisiert. Alle fünf Jahre wird der Standard selbst in einem offiziellen Verfahren unter Einbezug der Interessenvertreter überarbeitet und den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte wissenschaftliche Studie (MRAG 2011) belegt, dass sich Fischereien im MSC-Zertifizierungsprogramm kontinuierlich verbessern. Die Studie berücksichtigte die Entwicklung von Fischereien vor, während und nach dem Aufnahmeprozess anhand der ihnen von MSC zugewiesenen Bewertungszahlen. Viele der untersuchten Fischereibetriebe tragen nach erfolgter Zertifizierung zu einer Verbesserung der von ihnen genutzten Bestände bei, zeigen niedrigeren Beifang oder eine umfassendere Kenntnis der Auswirkungen ihrer Fischerei auf die Meeresumwelt als vor der Zertifizierung. 9 Ansprechpartner: Fachbereich Meeresschutz WWF Deutschland Mönckebergstraße 27 20095 Hamburg Telefon: +49 (40) 530 200 0 E-Mail: hamburg@wwf.de 6 http://www.msc.org/track-a-fishery/certified/north-west- atlantic/north_west_atlantic_canada_longline_swordfish/assessment-downloads- 1/WWF_submission_regarding_objection_to_Canada_longline_fishery.pdf 7 http://www.msc.org/track-a-fishery/certified/north-westatlantic/north_west_atlantic_canada_longline_swordfish/assessment-downloads-1/vol_4_appx_10.pdf 8 http://www.msc.org/presseraum/pressemitteilungen/msc-bei-unabhaengiger-bewertung-von-oeko-siegeln-fuer-fisch-auswildfang-auf-1.-platz/?searchterm=accenture 9 MRAG Ltd, Poseidon Aquatic Resource Management Ltd, Meridian Prime Ltd, Researching the Environmental Impacts of MSC certification, Final Report, August 2011 (http://www.msc.org/documents/environmental-benefits/measuringenvironmental-impacts-report-2011/environmental-impacts-of-the-msc-programme-full-report)