VIRTUELLE INTEGRATION UND TEST VON E/E-FAHRZEUGSYSTEMEN Durch die Methodik der Virtualisierung lässt sich die Softwarequalität entscheidend erhöhen, und zwar bevor eine Zielhardware überhaupt verfügbar ist. Bei dieser frühzeitigen Integration und dem Test der Steuer geräte-software helfen virtuelle Steuergeräte (V-ECU). Verbindet man zudem die virtuellen mit den realen Steuergeräten, kann ein E/E-Fahrzeugsystem bereits vor Verfügbarkeit der Steuergeräte- Hardware dargestellt werden. Somit wird es erstmals möglich sein, frühzeitiger als heute eine Aussage über die Systemfunktionen und deren Performanz zu treffen. Daimler zeigt mit den Werkzeugen von dspace eine Pilotanwendung. 350
AUTO REN ARTUR HONISCH leitet das Projekt VIT-Plattform bei der Daimler AG in Sindelfingen. DR. RER. NAT. KARSTEN KRÜGEL ist als Produktmanager verantwortlich für die Themen Offline-Simulation und Virtuelle Absicherung bei der dspace GmbH in Paderborn. eines virtuellen Steuergeräts (V-ECU). Zusätzlich soll durch eine Verbindung von virtuellen und realen Steuergeräten ein E/E-Fahrzeugsystem bereits vor Verfügbarkeit der Steuergeräte-Hardware dargestellt werden können. Somit wird es erstmals möglich sein, frühzeitiger als heute eine Aussage über die Systemfunktionen und deren Performanz zu treffen. All diese Anforderungen werden durch die neu entwickelte Technologie, die virtuelle Integrations- und Test (VIT)- Plattform, adressiert. Als Grundlage dieser Technologie dient ein PC-basierter Simulator für virtuelle Steuergeräte. Entscheidend für die Absicherungseffizienz ist dabei die Durch gän gigkeit von Testimplementierungen zu anderen Testplattformen im Absicherungsprozess. Dieses Ziel wird durch den Einsatz eines einheitlichen und bereits etablierten Testautomatisierungswerkzeugs sowohl beim hardwareabhängigen Test (HiL) als auch beim Test virtueller Steuer geräte (VIT) erreicht. 05I2013 8. Jahrgang MOTIVATION UND ZIEL DER VIRTUELLEN ABSICHERUNG Die Absicherung von Elektrik/Elektronik (E/E)-Fahrzeug funk tionen auf System ebene erfolgt grund sätzlich durch den Test vernetzter Steuergeräte. Nach aktuellem Stand der Technik wird zu diesem Zweck typischerweise auch die Hardware-in-the-Loop (HiL)-Testtechnologie eingesetzt. Dabei werden Steuergeräte als reale Komponenten an einem Testsystem, das die Umgebung simuliert, angeschlossen und getestet. Die stetig steigende Komplexität und Variantenvielfalt der E/E-Systeme in modernen Fahrzeugen, bei gleichzeitiger Reduktion von Erprobungsfahrzeugen, erfordert jedoch zunehmend den Einsatz neuer Technologien zur virtuellen Integration und Absicherung dieser Systeme. Standards wie Autosar und die modellbasierte Softwareentwicklung liefern das nötige Rahmenwerk dazu. Ziel der Virtualisierung ist die Erhöhung der Software-Qualität durch frühzeitige Integration und Test der Steuergeräte-Software vor Verfügbarkeit der langläufigen Ziel-Hardware mithilfe VIRTUELLE STEUERGERÄTE IN DER PC-SIMULATION Die offen gestaltete PC-basierte Simulations- und Absicherungsplattform VEOS von dspace ist dafür geeignet, diese interdisziplinären Anwendungsfälle zu unterstützen. Eine notwendige Voraussetzung ist natürlich die Erstellung virtueller Steuergeräte, die dank der Standardisierung von ECU-Software-Architekturen durch Autosar möglich wird. So können V-ECUs beispielsweise von den Steuergeräte- und Funktionsverantwortlichen in Nightly Builds gebaut werden. Neben der funktionalen Validierung der Applikationssoftware durch hunderte von Open-Loop-Tests und der Überprüfung des Task Schedulings mithilfe eines realistischen Autosar OS ist der Test des Kommunikationsverhaltens des System under Test (SuT) mit weiteren Steuergeräten ein zentraler Punkt. Die Fähigkeit von VEOS, direkt auf dem PC ohne die Notwendigkeit weiterer Hardware einen CAN-Bus zu virtualisieren und inklusive Arbitrierung zu simulieren, hilft, diesen Schritt sehr früh im Entwicklungsprozess durchzuführen lange bevor der erste Steuergeräte-Prototyp entsteht. Für derartige Szenarien notwendige Basissoftware-Module wie COM oder PDU-Router können dabei 351
➊ Virtuelle Steuergeräte kommen sowohl während der PC-basierten Simulation als auch der HiL-Simulation zum Einsatz direkt im Autosar-Systemarchitekturwerkzeug SystemDesk erstellt und konfiguriert beziehungsweise mittels vorhandener Konfigurationsdateien bedatet werden. Und sogar der entsprechende Komponenten-Code lässt sich zum Zweck der Simulation generieren. Denn oft liegen in solch frühen Phasen die Basissoftware-Komponenten des echten Steuergeräts noch nicht vor. Für einen späteren Absicherungsschritt besteht das Potenzial, die von dspace bereitgestellten Basissoftware-Komponenten durch die echten auszutauschen und so noch realitätsnähere virtuelle Steuergeräte zu erstellen. Die Möglichkeiten von dspace zur Unterstützung der virtuellen Absicherung gehen aber noch viel weiter. Ein wichtiger Anwendungsfall von VIT bei der Daimler AG besteht darin, die klassischerweise am Hardware-in-the-Loop (HiL)-Simulator durchgeführten Testfälle zum automatisierten Testen von Steuergeräte-Funktionen auch mit VEOS auf dem PC zu nutzen. Dadurch können nicht nur HiL-Simulationen ideal vorbereitet und damit die HiL-Inbetriebnahmezeiten verkürzt, sondern auch einige funktionale Tests in eine frühere Entwicklungsphase vorverlagert werden. Die Unterstützung des HiL-API-Standards erlaubt den Anschluss beliebiger Testautomatisierungswerkzeuge an VEOS, sodass am Markt etablierte Test- und Experimentier-Software sowohl bei der PC-Simulation als 352 auch in HiL-Szenarien eingesetzt werden kann. Der über XCP realisierte Zugriff auf virtuelle Steuergeräte lässt den Einsatz beliebiger ECU-Kalibrierwerkzeuge, die diesen gängigen ASAM- Standard bedienen, zu und ermöglicht darüber hinaus ein Arbeiten wie mit echten Steuergeräten. Diese Durchgängigkeit schafft einen maximalen Wiederverwendungsgrad von Modellen, Variablenbeschreibungen, Layouts und Tests über den gesamten Steuergeräte- Entwicklungsprozess, ➊. ERFAHRUNGEN AUS EINER PILOTANWENDUNG Die Praxistauglichkeit einer Neuentwicklung kann erst durch eine Pilotanwendung bestätigt werden. Dabei sollte besonderer Wert auf die Realitätsnähe gelegt werden, damit möglichst viele Erkenntnisse gewonnen werden können. Im Fall der VIT-Plattform wurde ein vernetztes E/E-Fahrzeugsystem, wie schematisch in ➋ dargestellt, virtuell integriert und getestet. Das System zeichnete eine hohe Funktionskomplexität (mehr als zehn Funktionsmodelle) und eine starke Verteilung entlang der E/E-Architektur aus. Sowohl der Inhalt der Software-Komponenten als auch die Vernetzungsdaten entsprachen dem Serienstand. Das System wurde neben der virtuellen Absicherung auch mittels der HiL- Technologie getestet, da es sich bei VIT um eine Technologieevaluierung im Rahmen eines Pilotprojekts handelte. Dank der sehr erfolgreichen Standardisierungsaktivitäten der letzten Jahre im Bereich HiL bei der Daimler AG konnten existierende Testbibliotheken auch für die VIT-Plattform verwendet werden. Die standardisierte Software-Architektur für Testbibliotheken verfolgt das Ziel, bei unterschiedlichen Testsystemen möglichst wenige Anpassungen an den Testprogrammen durchführen zu müssen. Die für die Absicherung eines Fahrzeugsystems notwendigen Testbibliotheken sind hierbei mit Parametersätzen versehen, welche die Unterschiede in der jeweiligen E/E-Architektur berücksichtigen. Durch diesen Ansatz konnte das umfangreich vorhandene Know-how direkt auf die neue Testplattform übertragen werden. Der Austausch der Testbibliotheken funktioniert bidirektional zwischen der VIT- und HiL-Testplattform. Für die Zukunft ergibt sich daraus die Möglichkeit, die Testimplementierungen bereits mit der ersten Verfügbarkeit der Funktionssoftware auf der VIT-Plattform in Betrieb zu nehmen und später im Absicherungsprozess wiederzuverwenden. VIRTUELLE STEUERGERÄTE IN DER HIL-SIMULATION Ein konsequenter nächster Schritt, um virtuelle Steuergeräte effizient für Absicherungsszenarien im Entwicklungspro-
➋ Virtuelle Integrations- und Testplattform mit vernetztem E/E-Fahrzeugsystem zess einzusetzen, ist, diese direkt am HiL-Simulator mitlaufen zu lassen, ➌. Heutzutage werden in HiL-Szenarien sogenannte Soft-ECUs oder Steuergeräte- Verhaltensmodelle eingesetzt, wenn zum Testen eines Steuergerätes noch weitere Steuergeräte benötigt werden, diese aber zum Testzeitpunkt nicht zur Verfügung stehen. Diese Soft-ECUs werden zumeist in Simulink aufgebaut und bilden das funktionale Verhalten des fehlenden Steuergeräts rudimentär ab. Die Modellierung solcher Soft-ECUs ist allerdings fehleranfällig und zeitaufwendig, insbesondere dann, wenn die Erstellung der Steuergeräte-Verhaltensmodelle von domänenfremden Fachabteilungen durchgeführt werden muss. Wesentlich konsistenter und kostengünstiger ist es, die virtuellen Steuergeräte aus den Offline-Absicherungsszenarien am HiL-Simulator wiederzuverwenden, da sie zum einen von den Steuergeräte-Verantwortlichen erstellt und getestet wurden und zum anderen ohne Anpassung sofort eingesetzt werden können. Da in vielen Fällen für den HiL-Test wichtige I/O-Funktionen wie die Buskommunikation über den COM- Stack bereits für die V-ECUs konfiguriert wurden, entfällt der zusätzliche Modellierungs- und Konfigurationsaufwand, der nötig war, um die Soft-ECUs bezüglich der Buskommunikation HiL-tauglich zu machen. Der Zugriff auf die V-ECUs
➌ Virtuelle Steuergeräte können im Verbund mit realen Steuergeräten in der HiL-Simulation verwendet werden kann dank dieser Technologie sehr früh, unabhängig von der verfügbaren Hardware, zum Gesamtsystem integriert werden. Somit wird eine neue Fahrzeugfunktion sehr früh im Entwicklungsprozess erlebbar und eventuelle Auffällig keiten können schnell identifiziert und korrigiert werden. Die frühe Absicherung ermöglicht dadurch die Reduktion der Fehlerbehebungskosten und liefert gleichzeitig eine wertvolle Vorbereitung und Basis für die nachgelagerten Teststufen. Ein weiterer Anwendungsfall für die VIT-Technologie, die Integration von bereits entwickelten Fahrzeugfunktionen im Sinn von Softwarebaukästen, verspricht noch erhebliches Potenzial für die Zukunft. am HiL-Simulator erfolgt über XCP und ASAP2 und damit in gleicher Weise wie in Szenarien mit VEOS. Durch diese Durchgängigkeit ist gewährleistet, dass Layouts und Tests zwischen Offline- und Echtzeitsimulation beliebig ausgetauscht werden können. Und ihre direkte Weiterverwendung ist selbst dann möglich, wenn im Entwicklungsprozess schließlich ein Prototyp oder das echte Steuergerät für den HiL-Test verfügbar ist, da auch hier der Zugriff über XCP erfolgt. Denkt man diesen Ansatz konsequent weiter und ergänzt ihn noch um weitere I/O-Arten, kann man sich leicht vorstellen, dass mithilfe solcher virtuellen Steuergeräte die Inbetriebnahme eines HiL- Simulators deutlich schneller vonstattengehen wird. FAZIT Die virtuelle Integrations- und Testplattform findet nach und nach den Einzug in den Absicherungsprozess von E/E-Fahrzeugsystemen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Anwendung dieser Technologie ist die Etablierung und konsequente Umsetzung des Autosar-Standards. Der darauf basierende Entwicklungsprozess ermöglicht erstmals die Generierung standardisierter virtueller Steuergeräte, auch wenn die Komplexität eines realen E/E-Fahrzeugsystems dabei den Tester heute noch vor einige Herausforderungen stellt. Der Trend geht eindeutig in Richtung Virtualisierung und VIT-Technologie die Vorteile sind schon klar erkennbar. Ein E/E-Fahrzeugsystem DOWNLOAD DES BEITRAGS www.springerprofessional.de/atzelektronik READ THE ENGLISH E-MAGAZINE order your test issue now: springervieweg-service@springer.com 354