Prof. Dr. Hans-Joachim Schmidt Vorlesung: Europa im 14. Jahrhundert, II. 6. Instabile Hegemonien im westlichen Mittelmeerraum: Kastilien, Aragón, Sizilien, Neapel Die politische Realität der lateinischen Christenheit stellte ein Mächtesystem dar, das zugleich durch Gleichgewicht und Hegemonialbestrebungen gekennzeichnet war. Der Raum des westlichen Mittelmeers gehörte zu den wirtschatlich erfolgreichsten und zivilisatorisch fortgeschrittensten Regionen. Das westliche Mittelmeer war nach mehreren Jahrhunderten muslimischer Vorherrschaft nun zu einem christlichen Binnenmehr geworden. An diesem Aufschwung partizipierten - bereits seit dem 11. Jahrhundert - die bedeutenden italienischen Seehandelsstädte: Venedig, Genua und Pisa. Von ihm profitierten aber auch Städte, die nicht politisch selbständig agierten, sondern der Kontrolle königlicher oder gräflicher Herrschaft unterstanden: Barcelona im Königreich Aragón oder Marseille in der Grafschaft Provence. Im 14. Jahrhundert zeichnete sich die Entwicklung ab, daß die große politische Bedeutung der italienischen Seehandelsstädte abnahm. Entweder sie begannen, wie Venedig, selbst eine Territorialherrschaft aufzubauen, oder sie gerieten in Gefahr, wie Pisa, von benachbarten Stadtkommunen in deren Territorium eingebunden zu werden. Die Rolle der Königreiche wurde im 14. Jahrhundert wichtiger - auch als Förderer der in ihr gelegenen Städte und der in hier angesiedelten Handelszentralen. Die Königreiche des lateinischen Westens, welche im Mittelmeerraum agierten waren: Kastilien, Aragón, Sizilien und Sizilien-Neapel Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts waren diese vier Königreiche die bestimmenden Faktoren des politischen Kampfes. Die Herrschaft der Könige von Aragón erstreckte sich gleichermaßen auf die Grafschaft Katalonien und auf Valencia, das in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts von den Muslimen erorbert worden war. Zu diesem heterogen zusammengesetzten Herrschaftsverband gehörte auch das Inselkönigreich Mallorca und die Grafschaft Roussilon, die 1344 der Krone Aragons angeschlossen wurden, nachdem bis dahin eine Nebenlinie des aragonesischen Königshauses dort geherrscht hatte. In den einzelnen Reichsteilen gab es eigene Versammlungen der Stände, die sogenannten cortes. Gemeinsame Klammer war auch der herrscherliche Hof mit seinen Behörden. In den verschiedenen Reichsteilen wurden Generalbevollmächtigte eingesetzt. In dem benachbarten Königreich Kastilien spielten die Ritterorden eine grosse Rolle. Alcántara und Calatrava waren die Namen von Ritterorden, deren Besitzungen im Zuge von Reconquista und in Folge von großen Schenkungen im 12. Jahrhundert so umfangreich geworden waren, daß sie zu einer Gefahr für die königliche Herrschaft hätten werden können, wenn es den Königen nicht gelungen wäre,
2 diese Orden ihrem Herrschaftsapparat einzufügen. Auch hier übten die Könige selbst oder ihre unmittelbaren Verwandten die Leitungsfunktionen im Orden aus. Das Königreich Kastilien war einheitlicher als die heterogene Herrschaft der Könige von Aragon beschaffen. Seit 1230 waren die beiden Königreiche León und Kastilien endgütlig vereinigt. Kastilien war der große Gewinner der Reconquista. In Kastilien gab es cortes-versammlungen für das gesamte Königreich. Zwei weitere kleinere Königreiche auf der iberischen Halbinsel: Portugal und Navarra. Für Portugal bestand die Gefahr, die Selbständigkeit zu verlieren. Es waren die kastilischen Könige, die während des 14. Jahrhunderts wiederholt in die Angelegenheiten des benachbarten Königreiches eingriffen. Portugal suchte und fand Unterstützung bei den fernen Königen von England. Schon 1309 war ein Freundschaftsvertrag abgeschlossen worden. Er wurde häufig erneuert, und das Bündnis zwischen Portugal und England wird einer der Konstanten europäischer Politik.. Es gab die beiden Königreiche im Süden Italiens und auf der Insel Sizilien. Beide Gebiete waren unter der Herrschaft der Könige von Sizilien vereint gewesen. Der Stauferherrscher Heinrich VI. war der erste, der das römische Kaisertum mit dem sizilianischen Königtum verband. Mit dem Tode Kaiser Friedrichs II. im Jjahre 1250 wurde diese Verbindung gelöst, die zu einer Bedrohung des Kirchenstaates, des Patrimonium Petri, geführt hatte. Die Päpste belehnten Karl von Anjou, den Bruder des französischen Königs mit dem Königreich Sizilien. Karl errang nach Siegen über die Staufernachfahren die Herrschaft über Sizilien und Süditalien 1266 erringen konnten. Im Jahre 1282 brach auf der Insel indes ein Aufstand los, bei dem innerhalb weniger Tage wohl Tausende von Anhängern und Vertrauensleuten des Anjou-Königs getötet wurden. Der erfolgreiche Aufstand, der die Herrschaft Karls I. über Sizilien definitiv beendete, wurde von den Zeitgenossen als Sizilianische Vesper bezeichnet. Das Ergebnis dieses Ereignisses war der Verlust der Herrschaft der Anjou- Dynastie über die Insel Sizilien. Fortan blieb allein der festländische Teil des Königreiches in der Hand von Karl von Anjou und seinen Nachfolgern. Die sizilianischen Aufständischen hatten den König von Aragón Peter II. zu Hilfe gerufen. Ihm trugen sie auch die sizilianische Königskrone an. Peter II. gelang damit eine entscheidende Ausweitung des aragonesischen Machtbereiches. Von nun an sollte es jeweils zwei Dynastien geben, die den Titel eines Königs von Sizilien führten und die die Herrschaft über den einstigen Gesamtbestand des Königreiches beanspruchten: Die Anjous in Neapel und die aragonesische Königsfamilie, die die Insel Sizilien in Besitz hatte. Die sizilianische Vesper hatte also schwerwiegende Konsequenzen: 1. die erbitterte Feindschaft des Papsttums gegen die Herrscher von Aragón, die der Exkommunikation verfielen, die all ihrer Würde entkleidet wurden und gegen die 1285 sogar ein Kreuzzug ausgerufen wurde, der freilich keine Erfolge hatte und die Stellung der Könige von Aragon
3 auf der iberischen Halbinsel unangetastet ließ. Für den französischen König Philipp III., der den Kreuzzug geleitet hatte, endete das Unternehmen in einer Katastrophe 2. hatten die sizilianischen Ereignisse des Jahres 1283 die dauerhafte Ausweitung der aragonesischen Herrschafts- und Interessensphäre auf Italien zur Folge. Damit wurde Aragon zu einer der dominierende Mächte im Mittelmeer. Es unterhielt einer der größten Flotten, deren Schlagkraft besonders unter der Leitung des Sizilianers Roger de Laura die der anderen Seestreitkräfte übertraf. 3. die dritte Konsequenz war der langjährige Gegensatz zwischen den Anjous und den Aragonesen, was letzteren wiederum die fast permanente Feindschaft Frankreichs eintrug, dessen Könige mit den süditalienischen Anjou-Herrschern ja weiterhin aufs engste verbunden blieben. 4. Damit war auf lange Dauer eine Konstellation bedingt, bei der auf der einen Seite Aragón und Sizilien, auf der anderen Seite Neapel-Sizilien und Frankreich gegeneinander fochten, wobei beide Seiten Verbündete gewinnen konnten: das Papsttum agierte meist zugunsten der Anjous, ebenso die Guelfen in den norditalienischen Kommunen, seit Beginn des 14. Jahrhunderts auch Ungarn, wo eine Seitenlinie der Anjous die Königswürde innehatte; gegen diese Gruppe und damit für die aragonesischen Interessen traten die Kaiser des oströmischen Reiches, welche in Byzanz residierten, auf, desweiteren alle deutschen Herrscher, die die alten Reichsrechte in Italien reklamierten oder mit dem Papsttum verfeindet waren und konsequenterweise dann auch alle Ghibellinen in den norditalienischen Kommunen. Die sizilianische Vesper von 1282 hatte Auswirkungen, die die europäische Politik für die nächsten 250 Jahre bestimmen sollten. Zwar hat es immer wieder - auch im 14. Jahrhundert Versuche gegeben, eine Friedenslösung zu erreichen, aber niemals gelang es, für alle Beteiligten an diesem komplizierten Machtkampf eine akzeptable Lösung zu erreichen. Der bedeutendste dieser Bemühungen war der Frieden von Anagni im Jahre 1295. Beteiligt waren an ihm die Könige von Aragón, von Frankreich und von Neapel-Sizilien und Papst Bonifaz VIII., der den Vertrag auch maßgeblich vorbereitet hatte. Vorgesehen war in diesem Friedensvertag, daß der König von Aragón, Jakob II. auf die Insel Sizilien verzichten sollte. Sie sollte wieder dem in Neapel residierenden König aus dem Anjou-Geschlecht übergeben werden. Im Gegenzug belehnte der Papst ihn mit den beiden Inseln Sardinien und Korsika. Freilich blieb dabei noch das Problem, daß diese Inseln erst einmal von den Genuesen und den Pisanern zu erobern waren. Desweiteren widerrief der Papst die Absetzung des Königs von Aragon von allen seinen herrschaftlichen Ämtern. Der König von Frankreich, Philipp IV., dessen Vater den gescheiterten Kreuzzug gegen Aragon unternommen hatte, verzichtete auf alle Ansprüche auf Aragon. Aber die Städte und Adligen in Sizilien unterstützen die Ambitionen des Bruders des aragonesischen Königs mit Namen Friedrich, der selbst die Herrschaft in Sizilien an sich riß und sich als König von Sizilien krönen ließ. Das Ergebnis des neu entbrannten Krieges war, daß die parallele Existenz zweier sizilianischer Königreiche bestehen blieb. Ein Friedensschluß im Jahre 1302 zwischen den beiden Reichen hatte die Anerkennung des Status quo zur Folge, bedeutete dabei aber nicht mehr als eine kurzfristige Verschnaufpause dieses langandauernden Konflikts. Er flammte immer wieder auf. Dies
4 geschah, als Kaiser Heinrich VII. 1310 bis 1313 in Italien die Reichsrechte durchzusetzen suchte und sich in Rom zum Kaiser krönen ließ, ähnlich war die Situation im Jahre 1328 bei dem Romaufenthalt Kaiser Ludwigs des Bayern. Beidemal bestanden Bündnisse mit dem sizilianischen König Friedrich, beidemal gab es Pläne, gegen König Robert von Sizilien-Neapel vorzugehen, in beiden Fällen zerschlugen sich indes rasch die Vorhaben, da die kaiserliche Gefolgschaft nach dem plötzlichen Tod Heinrichs VII. 1313 und nach der überstürzten Abreise Ludwigs des Bayern nach Deutschland 1328 schnell zusammenbrach.. War es den Herrschern von Neapel-Sizilien auch nicht möglich, die Insel zurückzuerobern, so gelang ihnen doch eine insgesamt eindrucksvolle Machtentfaltung. Dabei richtete sich das Hauptaugenmerk auf Mittel- und Norditalien. Gestützt auf das Wohlwollen der ihnen genehmen Päpste, deren Wahl sie ja auch eifrigst gefördert hatten, und gestützt auf einen starken Anhang im Kardinalskollegium konnten sie sich auf die Machtmittel des Papsttums stützen. Dabei war König Robert I., der lange - von 1309 bis 1343 - herrschte, besonders erfolgreich. Er wurde von den Päpsten zum Vikar für Reichsitalien eingesetzt, er wurde Generalkapitän der päpstlichen Truppen im Kirchenstaat. Er wurde häufig zum Signore mehrerer italienischen Kommunen berufen, die dem Papstum eng verbunden waren. Unter diesen Städten befanden sich u.a. zeitweise Rom, Florenz und Genua. König Robert von Neapel wurde zum eigentlichen Haupt der antikaiserlichen Partei der Guelfen. Er empfahl in einer Denkschrift gar die Abschaffung des Kaisertums. Die Position seiner Familie wurde noch gestärkt durch den Erwerb der ungarischen Königskrone im Jahre 1308. Da die Könige von Neapel-Sizilien zugleich auch Grafen der Provence waren, blieben sie auch nach dem Umzug der päpstlichen Kurie nach Avignon in unmittelbarer Nachbarschaft des päpstlichen Hofes machtpolitisch präsent. Sie übten weiterhin einen bestimenden Einfluß an der Kurie aus. Weiter ausgreifende Pläne der Anjou-Dynastie, eine Großmachtposition im Mittelmeer zu errichten, führten dagegen nicht zum Erfolg. Weder gelang es, den oströmischen Kaiser Michael VIII. seines Thrones zu entheben und wieder einen Lateiner, am besten natürlich einen Angehörigen der Anjou- Dynastie, als oströmischen Kaiser zu installieren, noch stellten sich Erfolge im Kampf gegen die nordafrikanischen muslimischen Herrscher ein. Eine schwerwiegende Bedrohung für das kastilische Königtum wurden die langen Kämpfe um die Thronfolge, die nach dem Tode König Alfons XI. im Jahre 1350 ausbrachen. Die Herrschaft ging zwar zunächst unangefochten an seinen Sohn Peter I. über. In einem Dauerkonflikt mit seinem unehelichen Halbbruder Heinrich von Trastámara verlor er indes zunehmend die Unterstützung des hohen und niederen Adels. Peter I. wurde dabei vom englischen König, Heinrich vom französischen König unterstützt. Der Krieg in Kastilien wurde Bestandteil des Hundertjährigen Krieges. Der Sieg der von
5 Frankreich gestützten Kräfte, die allgemeine Anerkennung von Heinrich II. als König von Kastilien und die Ermorderung seines Konkurrenten Peter im Jahre 1369 förderten den Wiederaufstieg der französischen Monarchie. Der Niedergang des Königreiches Neapel-Sizilien unter der Herrschaft der Königin Johanna I.(1343 bis zu ihrer Ermordung 1382), eröffneten internen Machtkämpfe, die Ermordung naher Familienangehöriger auf Betreiben der Königin und die ungeklärte Nachfolgefrage schwächten entscheidend das neapolitanische Königtum. Erst mit der Thronbesteigung von Karl III. aus der ungarischen Linie der Anjou im Jahre 1381 kam es wieder zu einer Konsoldierung, die die Basis für ein neuerliches Ausgreifen auf Gebiete außerhalb des Königreiches bildete. Ladislaus I., von 1400 bis 1414 König, erwarb Herrschaftsrechte im Kirchenstaat, im Patrimonium Petri, und in den Kommunen Mittelitaliens, als deren Retter gegen die Visconti er sich stilisierte. Die Signorie wurde in den Städten Nord- und Mittelitaliens die vorherrschende Regierungsform. Mailand unter der Herrschaft der Familie der Visconti begann, zur beherrschenden Macht in Norditalien zu werden. Sie bedrohte nicht allein andere Kommunen, selbst so mächtige Kommunen wie Genua und Florenz, sie stellte auch eine Gefahr für das Papsttum dar. Mailändische Söldner drangen wiederholt in Gebiete des Kirchenstaates ein, zeitweise wurde Bologna, das unter päpstlicher Oberhoheit gestanden hatte, Mailand unterworfen. Die Herren von Mailand, die Visconti, gingen sowohl gegen ihre innerstädtischen Gegner wie auch gegen die auswärtigen Feinde mit unerbittlicher Härte vor.